Dienstag, 19. März 2024

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Korruption in Bulgarien
„Hart zu sehen, wie viel Geld vor Ort verschwindet“

Seit Monaten protestieren Menschen in Bulgarien. Sie werfen der Regierung Korruption und der EU Untätigkeit vor. Der Europaparlamentarier Daniel Freund von den Grünen war in Bulgarien, um sich vor Ort ein Bild zu machen. EU-Gelder würden dort mehr Schaden anrichten als helfen, sagte Freund im Dlf.

Daniel Freund im Gespräch mit Bastian Rudde | 24.09.2020
27.05.2019, Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf: Daniel Freund, neu gewähltes Mitglied im Europaparlament für Bündnis 90/Die Grünen in Nordrhein-Westfalen, steht am Rheinufer an einem Baum. Hier äußern sie sich zu den Ergebnissen der Europawahl. Foto: Rolf Vennenbernd/dpa | Verwendung weltweit
Der Grünen-Europapolitiker Daniel Freund war gerade in Bulgarien, um unter anderem der Frage nachzugehen, wo in Europa Gelder missbraucht werden (picture alliance/Rolf Vennenbernd/dpa)
Nicht nur in Belarus gibt es derzeit anhaltende Antiregierungsproteste, auch in einem Staat innerhalb der Union: In Bulgarien gehen seit Monaten Menschen gegen Regierungschef Bojko Borissow auf die Straße. Sie fordern den Rücktritt von Borissow und Generalstaatsanwalt Geschew, denen sie Korruption und Nähe zu Oligarchen vorwerfen. Die Demonstranten verlangten zudem, die für nächsten März geplante Parlamentswahl vorzuziehen.
Demonstranten sitzen am Straßenrand und blockieren mit aufgeschlagenen Zelten die Straßen.
Proteste in Bulgarien - Sehnsucht nach dem Rechtsstaat
Ein buntes Bündnis fordert in Bulgarien ein Ende der Korruption und deren Folgen für die Demokratie. Die Demonstranten wollen Ministerpräsident Bojko Borissow entmachten.

Bastian Rudde: Welche Parallelen sehen Sie denn zwischen Bulgarien und Belarus?
Daniel Freund: Wir haben in beiden Ländern eine Bevölkerung, die auf die Straße geht, um für die Demokratie, gegen Korruption zu kämpfen, zu demonstrieren für Pressefreiheit, da sehe ich durchaus Parallelen in den beiden Ländern.
"Hart zu sehen, wie viel Geld vor Ort verschwindet"
Rudde: Sie sind im Europaparlament Mitglied im Haushaltskontrollausschuss und wollten mit Ihren Treffen in Bulgarien auch der Frage nachgehen, ob und wo EU-Gelder missbraucht werden. Was haben Sie da erfahren?
Freund: Wir verfolgend das ja im Ausschuss, ich verfolge es über die Medien natürlich schon mehrere Jahre, aber jetzt vor Ort noch mal konkret zu sehen, wie schwer die Situation ist, wie viel Geld vor Ort durch Korruption verloren geht, auch durch Pfusch am Bau, also Projekte, die erst 18 Monate oder so alt sind, wo alles auseinanderfällt. Das ist schon hart zu sehen, wie viel Geld da vor Ort verschwindet.
"EU-Geld richtet zu einem erheblichen Teil mehr Schaden an, als dass es hilft"
Rudde: Wie kann, wie sollte sich denn die EU zu Bulgarien verhalten?
Freund: Die EU – und das sagen mir auch alle Gesprächspartner vor Ort – muss eben dabei helfen, dass der Kampf gegen Korruption vor Ort nicht verloren geht, weil bisher haben wir eine Situation, wo die EU-Gelder zu einem erheblichen Teil einfach dazu beitragen, die Machtbasis einer korrupten Elite zu stützen. Das heißt, das EU-Geld richtet zu einem erheblichen Teil wirklich mehr Schaden an, als dass es hilft. Deswegen sagen mir die Leute vor Ort, sowohl Journalisten, Aktivisten, auch Politiker sagen, bitte, dreht die EU-Gelder ab, wenn sie mehr Schaden anrichten, als dass sie helfen.
Rudde: In ihrer Rede zur Lage der Union hat Ursula von der Leyen die Rechtsstaatlichkeit hervorgehoben, genauso wichtig ist ihr aber der sogenannte Schutz der Außengrenzen, und bei beidem spielt Bulgarien ja eine wichtige Rolle. Steckt die EU gegenüber Herrn Borissow in einem Dilemma?
Freund: Ich glaube nicht. Wenn wir Rechtsstaatlichkeit innerhalb der Europäischen Union nicht wirklich schützen und durchsetzen, dann bricht die Union als Ganzes zusammen, und der Schutz der Außengrenze ist dann nur eines der Opfer, die dann dadurch entstehen. Deswegen glaube ich, muss der Schutz von Demokratie, von Rechtsstaatlichkeit ganz oben auf unserer Liste stehen.
"Trotz Kontrollmechanismus der EU hat der Druck auf Bulgarien erheblich abgenommen"
Rudde: Sie beschäftigen sich als Grünen-Abgeordneter ja sehr mit der Rechtsstaatlichkeit, waren auch schon in anderen Ländern der EU, um die Situation in diesen Ländern zu begutachten. Wie steht denn Bulgarien da im Vergleich zum Beispiel zu Ungarn oder zu Tschechien, wo Sie auch schon waren?
Freund: Ich glaube, die Situation in Bulgarien ist noch nicht ganz so aussichtslos vielleicht wie in Ungarn, es ist noch nicht ganz so weit fortgeschritten, aber wir sehen eben, dass wir in einer Reihe von Ländern und immer mehr Ländern Probleme bei der Rechtsstaatlichkeit, bei Medienfreiheit, beim Kampf gegen Korruption haben. Nun haben wir gerade in Bulgarien, die ja durch diese Sonderregelung, die für Rumänien und Bulgarien zählen seit deren Beitritt – es gibt diesen Kooperations- und Kontrollmechanismus, der der EU eben noch weitere Werkzeuge an die Hand gibt, um da Druck auszuüben. Wir sehen eben, dass in den letzten Jahren dieser Druck nicht mehr so benutzt wurde, wie er noch im Beitrittsverfahren ja gewirkt hat, weil da haben wir enorme Fortschritte beim Aufbau von Institutionen, bei der Entwicklung der Demokratie gemacht, und seit die jetzt Mitglieder sind, hat dieser Druck erheblich abgenommen. Wir nutzen also die Werkzeuge nicht mehr voll aus, die uns eigentlich zur Verfügung stehen, und das müssen wir wieder machen. Das ist eben auch das, was die Bürgerinnen und Bürger vor Ort lautstark jeden Abend fordern.
"Eine kleine Gruppe von Oligarchen sackt den größten Teil der Agrarhilfen ein"
Rudde: Wie sehr leiden denn die Bürgerinnen und Bürger in Bulgarien, was haben Sie da feststellen können bei Ihrem Besuch?
Freund: Es wird eben gesagt, zum Beispiel bei den Agrarhilfen, das Geld kommt überhaupt nicht bei den Bauern an, die es eigentlich brauchen, sondern es hat dazu geführt, dass eine kleine Gruppe von Oligarchen sich im Grunde die Höfe in Bulgarien unter die Nägel gerissen hat. Mit EU-Geld haben die die Flächen aufgekauft, jetzt gehören 80 Prozent der Flächen zwei Prozent der Bauern, und die sacken eben den allergrößten Teil der EU-Agrarhilfen für sich ein. Das heißt, wir schützen damit nicht quasi die arme Bevölkerung, wir sorgen nicht für wirtschaftliche Entwicklung, das Geld wird nicht investiert, sondern es wird von einer kleinen Gruppe für sich in die eigene Tasche gesteckt.
Rudde: Mit der Bitte um eine kurze Antwort: Wie wird dieser Konflikt gerade zwischen Regierungskritikern und der Regierung in Bulgarien ausgehen?
Freund: Das entscheidet sich in Bulgarien. Da müssen die Leute dafür kämpfen und dann in der nächsten Wahl entscheiden, wer in Zukunft die Geschicke in der Hand haben soll.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.