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Korruption in Lateinamerika
Das Volk wehrt sich

Es ist einer der größten Korruptionsskandale der Geschichte Lateinamerikas: Das brasilianische Bauunternehmen Odebrecht hat Politker in Lateinamerika und Afrika über fünfzehn Jahre hinweg geschmiert. Der Konzern wurde dafür zu eine der höchsten Geldstrafen verurteilt, die je ein Unternehmen zahlen musste. Vielen Bürgern in Lateinamerika reicht das nicht.

Von Victoria Eglau | 18.04.2017
    Menschen in der Dominikanischen Republik demonstrieren beim "Green march" gegen Korruption in ihrem Land.
    Menschen in der Dominikanischen Republik demonstrieren beim "Green march" gegen Korruption in ihrem Land. (imago )
    Ende Januar in der Dominikanischen Republik: Tausende von aufgebrachten Menschen laufen durch die Straßen der Hauptstadt Santo Domingo. Auf ihren Plakaten steht: "Korrupte ins Gefängnis" und "Korruption heißt: mehr Armut". Eine Gruppe von Demonstranten hält auf Pappe gemalte Buchstaben in die Höhe, die den Namen Odebrecht bilden.
    Wenige Wochen vorher, kurz vor Weihnachten, war in Washington die Bombe geplatzt. Das US-Justizministerium teilte mit, der brasilianische Baukonzern Odebrecht habe sich schuldig erklärt, zwischen 2001 und 2016 knapp 800 Millionen Dollar Bestechungsgelder gezahlt zu haben. Das Schmiergeld floss in zehn lateinamerikanischen und zwei afrikanischen Staaten – die höchste Summe wurde in Brasilien selbst gezahlt: knapp 350 Millionen Dollar. Die anderen lateinamerikanischen Länder, in denen Odebrecht Politiker und Funktionäre bestach, um öffentliche Bauaufträge zu erhalten, werden angeführt von Venezuela mit 98 Millionen und der Dominikanischen Republik mit 92 Millionen Dollar.
    "Wir sind es satt, von korrupten Politikern und Dieben regiert zu werden. Unser Volk hat beschlossen sich zu wehren und "Basta" zu sagen. Wir wollen keine Korruption und keine Straflosigkeit mehr."
    Eigene Abteilung für Schmiergeld-Zahlungen
    So wie dieser grüngekleidete Mann bei einer Demonstration in der dominikanischen Stadt Santiago denken Hunderttausende seiner Landsleute. In wenigen Wochen hat die Bewegung der 'marchas verdes', der grünen Märsche, das ganze Land erfasst. In der Dominikanischen Republik ist die Wut über die Korruption in der eigenen politischen Klasse zurzeit besonders sichtbar, doch Entrüstung hat der Odebrecht-Skandal in ganz Lateinamerika ausgelöst.
    Immer mehr Details über die Verwicklung von Politikern sickern durch. In Peru sollen die Ex-Präsidenten Alejandro Toledo und Ollanta Humala Geld von Odebrecht bekommen haben. Gegen Toledo, der sich in den USA aufhält, erließ die Justiz einen internationalen Haftbefehl. Er soll einst 20 Millionen Dollar kassiert haben – seine Regierung beauftragte Odebrecht mit dem Bau einer Autobahn nach Brasilien. In Kolumbien finanzierte der Konzern nach eigenen Angaben 2010 den Wahlkampf von Präsident Juan Manuel Santos mit. Santos beteuert, er habe davon nichts gewusst. Nur zwei Beispiele dafür, wie das brasilianische Familien-Unternehmen mit deutschen Wurzeln sich in illegaler Weise auf dem ganzen Subkontinent um Vorteile bemühte; es unterhielt sogar eine eigene Abteilung für Schmiergeld-Zahlungen.
    Die Odebrecht-Firmenzentrale in Sao Paulo
    Die Odebrecht Firmenzentrale in Sao Paulo (EFE)
    "Vor dreißig Jahren hat das Thema Korruption niemanden interessiert. Heute gibt es in Lateinamerikas Gesellschaften ein wachsendes Bewusstsein dafür, dass Korruption für Armut verantwortlich ist, dass sie sogar töten kann. Denn Korruption ist daran schuld, wenn öffentliche Verkehrsmittel schlecht funktionieren oder Krankenhäuser in miesem Zustand sind. Und das Geld, das durch Korruption verschwindet, fehlt auch in den staatlichen Schulen, in die unsere Kinder gehen."
    Fehlende Unabhängigkeit der Justiz
    Sagt der Jurist Guillermo Jorge von der argentinischen Universidad de San Andrés. Als Berater für Antikorruptions-Strategien ist er in vielen lateinamerikanischen Ländern tätig.
    "Lateinamerika hat das Problem schwacher staatlicher Institutionen. Auch fehlt es der Justiz in vielen Ländern an Unabhängigkeit. Ein weiteres Problem: Für Wahlkampf-Spenden gibt es vielerorts keine strengen Regeln. Ein Unternehmen muss nicht direkt Politiker bestechen. Die Finanzierung eines Wahlkampfes wird oft später mit Regierungsaufträgen belohnt. In einem großen Teil des Schuldeingeständnisses des Odebrecht-Konzerns ging es um die Finanzierung von Wahlkampagnen in Lateinamerika."
    Der Prozess gegen Odebrecht in den USA, unter Beteiligung der brasilianischen und der schweizerischen Justiz, gilt bereits als der größte Schmiergeld-Prozess aller Zeiten. Noch nie akzeptierte ein Unternehmen eine so hohe Geldstrafe wie Odebrecht und seine Chemie-Tochter Braskem: 3,5 Milliarden Dollar. Die Justiz der USA und der Schweiz war aktiv geworden, weil der Konzern mit Banken in diesen beiden Ländern operierte. Doch war es in Brasilien selbst, wo die Lawine der Korruptions-Ermittlungen vor drei Jahren zu rollen begann.
    Bundespolizei und Staatsanwälte in der Großstadt Curitiba kamen 2014 einem Geldwäsche-Netzwerk auf die Spur. Weil eine Wechselstube involviert war, die sich in einer Tankstelle mit Autowaschanlage befand, bekam der Fall den Namen Lava Jato– übersetzt: Autowäsche. Ein Geldhändler belastete damals einen Manager des halbstaatlichen Ölkonzerns Petrobras. Beide packten aus, im Gegenzug für eine verminderte Strafe. Und so flog ein riesiges Korruptionsnetz auf: Petrobras hatte Baufirmen, an erster Stelle Odebrecht, Aufträge zu überteuerten Preisen erteilt. Die Mehreinnahmen teilten sich die Unternehmer mit Mitarbeitern des Ölkonzerns und Politikern, die damit teilweise ihre Parteikassen füllten. Der Skandal Lava Jato löste in Brasilien ein politisches und gesellschaftliches Erdbeben aus. Der zuständige Bundesrichter Sérgio Moro hat bereits mehr als hundert Beteiligte, darunter neun Politiker, zu Gefängnisstrafen verurteilt – zuletzt Ex-Parlamentspräsident Eduardo Cunha.
    Umfassende Aussagen des Firmenerben Marcelo Odebrecht
    "Es ist wichtig, dass die Justiz schnell arbeitet. Eine Justiz, die trödelt, ist eine Justiz, die versagt. In Brasilien gibt es eine Tradition der Straflosigkeit der Mächtigen. Vertreter der politischen und wirtschaftlichen Elite haben immer schon versucht, die Arbeit der Justiz zu behindern, oder Mängel im System auszunutzen, um ungeschoren davonzukommen. Das heißt, die Justiz muss besonders effizient arbeiten, wenn sie die Mächtigen für ihre Verbrechen bestrafen will", betonte Antikorruptions-Richter Moro Anfang April in Argentinien. In Buenos Aires schilderte er, wie die delação premiada, die so genannte "belohnte Denunzierung", eine Kronzeugenregelung, den Durchbruch bei den Lava Jato-Ermittlungen brachte.
    "Es ist nicht zu leugnen, dass die belohnte Denunzierung entscheidend war. Dass Beteiligte des korrupten Systems mit der Justiz zusammengearbeitet haben, hat rasch ans Tageslicht gebracht, wie groß dieses System tatsächlich war. Korruptionsverbrechen werden im Verborgenen begangen, es gibt in der Regel keine Zeugen. Das heißt, nur die Verbrecher selbst können wertvolle Informationen liefern."
    Im Fall des Bauunternehmens Odebrecht vereinbarten 78 Angestellte mit Brasiliens Justiz Kooperation und legten gegen Strafmilderung Geständnisse ab – an erster Stelle der ehemalige Konzernvorsitzende Marcelo Odebrecht. Bundesrichter Moro hatte ihn im März 2016 zu einer Haftstrafe von 19 Jahren und vier Monaten verurteilt, wegen Korruption, Geldwäsche und Zugehörigkeit zu einer kriminellen Vereinigung. Im vergangenen Dezember dann erklärte sich der Unternehmenserbe bereit, umfassend auszusagen, wodurch sich seine Strafe auf zehn Jahre verringerte.
    Monatelang hielt Brasiliens Justiz die Geständnisse der Odebrecht-Manager unter Verschluss, doch in der vergangenen Woche gab das Oberste Bundesgericht die Videos frei. Jeden Tag veröffentlichen die Medien nun neue Einzelheiten des brisanten Materials. Es ist zu erwarten, dass die Odebrecht-Geständnisse in Brasilien und den anderen Ländern, in denen das Unternehmen schmierte, Hunderte von Politikern und Funktionären auf die Anklagebank bringen wird. José Ugaz, Vorsitzender von Transparency International, sieht die Arbeit der brasilianischen Justiz als vorbildlich für ganz Lateinamerika, lobt aber auch die Ermittlungen in seinem Heimatland Peru:
    "Als klar wurde, welche Dimension der Odebrecht-Bestechungsskandal hat, und dass Peru direkt betroffen ist, hat die Generalstaatsanwaltschaft ein Team von Staatsanwälten für die Ermittlungen abgestellt. Damit wird in gewisser Weise das brasilianische Modell imitiert. Die Ermittler kümmern sich ausschließlich um die Schmiergeldzahlungen von Odebrecht und anderen Baufirmen. Perus Regierung hat zu diesem Zweck die Finanzmittel der Staatsanwaltschaft aufgestockt."
    Keine Fortschritte in Venezuela
    In Peru investierte Odebrecht nach eigenen Angaben 29 Millionen Dollar, um öffentliche Aufträge zu erlangen. Fünf peruanische Politiker und Ex-Politiker befinden sich mittlerweile in Untersuchungshaft. In Kolumbien flossen elf Millionen Dollar Schmiergeld. Heute sitzen ein ehemaliger Vize-Transportminister und ein Ex-Parlamentarier hinter Gittern, weil sie sich von Odebrecht einen Straßenbau-Auftrag bezahlen ließen. Im Gegensatz zu Kolumbien und Peru sind aus Venezuela, wo Odebrecht außerhalb Brasiliens das meiste Schmiergeld zahlte, bisher keine Ermittlungs-Fortschritte zu vermelden. Die Vorsitzende des venezolanischen Büros von Transparency Internacional, Mercedes de Freitas, hat wenig Hoffnung, dass die Justiz ihres Landes der Korruption auf den Grund geht.
    "Unsere einzige Hoffnung ist, dass dieser Skandal außerhalb Venezuelas aufgeflogen ist. Sobald in Brasilien die Odebrecht-Geständnisse veröffentlicht werden, erfahren wir vielleicht, wer sich in unserem Land bestechen ließ, und welche Minister oder gar Präsidenten die Verträge für die großen Bauprojekte unterschrieben. Und auch, durch welche Kanäle das Schmiergeld floss."
    Argentinien: Verfahren dauern im Durchschnitt 14 Jahre
    Nachdem in Brasilien Odebrecht-Mitarbeiter gegen Strafmilderung ausgepackt haben, strebt der Konzern solche Vereinbarungen auch in anderen Ländern an. In Argentinien beschloss das Parlament im vergangenen Jahr eine Kronzeugenregelung für Korruptionsfälle, doch geht diese nicht so weit wie die brasilianische. Noch ist ungewiss, ob die Justiz und Odebrecht sich einig werden. 35 Millionen Dollar hat der Konzern in Argentinien verteilt, viel mehr ist bisher nicht bekannt. Denn anders als heute die brasilianische, zeichnet sich Argentiniens Justiz nicht durch Effizienz und Schnelligkeit aus.
    "In diesem Land existiert ein korruptes System, sowohl in der Politik als auch in der Wirtschaft, und es herrscht Straflosigkeit. Man muss sich nur die Statistiken anschauen: Von 750 großen Korruptionsfällen in den letzten 25 Jahren gab es nur bei drei Prozent eine Verurteilung. Die große Mehrheit der Fälle verjährt, und die Verfahren dauern im Durchschnitt vierzehn Jahre", beklagt der Journalist Hugo Alconada Mon, der in Argentinien mehrere Korruptionsskandale aufgedeckt hat. Und er spricht sogleich das nächste Problem an: Die extreme Politisierung der argentinischen Justiz:
    "Die Bundesrichter riechen geradezu, wer Macht hat und wer nicht. Und sie ermitteln nur gegen jene, die keine Macht haben. Das heißt, Politiker, die nicht mehr an der Regierung sind. Gegen Ex-Präsidentin Cristina Kirchner und mehrere ihrer Funktionäre geht die Justiz inzwischen wegen Korruption und Bereicherung vor, aber nur, weil sie nicht mehr an der Macht sind. Sollten sie zurückkommen, werden all diese Ermittlungen einschlafen. Das ist in Argentinien üblich."
    Kaum finanzielle Mittel, um große Korruptionsfälle aufzudecken
    Kirchner und andere ehemalige Regierungsmitglieder sind heute wegen Korruption angeklagt. Aber, wer wird ihrem Nachfolger Mauricio Macri auf die Finger schauen? Er und mehrere Minister kämpfen mit Interessenskonflikten, weil sie früher in der Privatwirtschaft tätig waren. Das Verfahren wegen Macris Beteiligung an Offshore-Firmen, welche durch die Panama Papers ans Licht kam, macht kaum Fortschritte. Das staatliche Antikorruptions-Büro leitet eine Parteikollegin des Präsidenten, womit der Einrichtung die notwendige Unabhängigkeit fehlt. Immerhin, Macris Regierung will ein Gesetz durch den Kongress bringen, mit dem Firmen für korrupte Praktiken strafrechtlich haftbar gemacht werden sollen. Der Antikorruptions-Experte Guillermo Jorge hat den Text entworfen:
    "In Lateinamerika wurden bei Korruptionsfällen lange Zeit nicht die Firmen zur Verantwortung gezogen sondern die korrupten Mitarbeiter. In jüngster Zeit jedoch haben mehrere Länder Gesetze erlassen, die die Unternehmen strafrechtlich haftbar machen. Dazu gehören Brasilien, Peru und Kolumbien. Was bedeutet es, wenn Firmen für korrupte Methoden ihrer Angestellten bestraft werden können? Es bedeutet, dass es rentabler wird, Korruption unternehmensintern zu bekämpfen, als Korruption zuzulassen."
    Der Journalist Hugo Alconada Mon hält das geplante Gesetz zwar für wichtig, aber längst nicht für ausreichend, um die in Argentinien tief verwurzelte Korruption juristisch zu bekämpfen.
    "Das kann nur eins von vielen Puzzleteilen sein, wenn wir das korrupte System wirklich ändern wollen. Unsere Staatsanwälte haben weder die rechtlichen Instrumente, noch das notwendige Geld und Personal, um Korruptionsfälle gründlich aufzuklären. Dagegen hat in Brasilien allein die Operation Lava Jatomit Sérgio Moro einen eigenen Richter und mehr als ein Dutzend hochprofessionelle Staatsanwälte."
    Bevölkerung in Brasilien unterstützt Kampf gegen Korruption
    Ende März in brasilianischen Städten: Wie schon so oft demonstrieren Bürger gegen die Korruption. Auf Plakaten und T-Shirts steht: "Das Volk unterstützt die Operation Lava Jato" und "Ich unterstütze Richter Sérgio Moro". Der Bundesrichter selbst hält den Druck der Zivilgesellschaft für unverzichtbar im Kampf gegen die Korruption:
    "Die Bevölkerung muss sich bewegen, damit die strukturelle Korruption überwunden werden kann. Der Druck der öffentlichen Meinung ist eine Art Schutzschild für uns Richter und Staatsanwälte – gegen Versuche der Korrupten, die Arbeit der Justiz zu behindern. In Brasilien hat das meiner Meinung nach bisher optimal funktioniert."
    Anti-Korruptions-Demonstrationen in Brasilien.
    Anti-Korruptions-Demonstrationen in Brasilien. (imago stock&people)
    Brasilianische Politiker aller Parteien zittern vor der Operation Lava Jato. Gegen fast hundert amtierende Minister, Senatoren und Abgeordnete ermittelt jetzt das Oberste Bundesgericht – aufgrund der Aussagen der 78 Odebrecht-Mitarbeiter. Die amtierende Regierung von Präsident Michel Temer steht in äußerst schlechtem Licht da: Acht Kabinettsmitglieder wurden in den Geständnissen erwähnt. Auch Temer selbst wird direkt mit illegalen Parteispenden in Verbindung gebracht. Aber als Präsident genießt er Immunität, die ihn vor Strafverfolgung schützt. Allerdings prüft zurzeit das oberste Wahlgericht Brasiliens, ob sich das Kandidatenteam Dilma Rousseff – Michel Temer seinen Wahlkampf 2014 von Odebrecht finanzieren ließ. Wenn beide für schuldig erklärt würden, dann könnte Temer sein Amt verlieren. Rousseff war im vergangenen Jahr per Impeachment abgesetzt worden. Nicht nur sie, auch ihr Vorgänger Lula da Silva und drei weitere Ex-Präsidenten befinden sich wegen des Odebrecht-Skandals im Visier der Justiz.
    "Es besteht das Risiko, dass Brasiliens Politiker die Gesetze ändern werden, um sich selbst eine Amnestie zu garantieren, oder um der Justiz und der Polizei einen Teil ihrer Werkzeuge im Kampf gegen die Korruption wegzunehmen", sagt der Rechtsexperte Ivar Hartmann von der Getulio-Vargas-Stiftung, einem Thinktank.
    "Brasiliens politische Klasse versucht sich selbst zu schützen"
    Bei den Bürgerprotesten heißt einer der Slogans: "Ich fordere die zehn Maßnahmen". 2015 hatte Brasiliens Bundesstaatsanwaltschaft zehn Maßnahmen gegen Korruption entworfen, die der Justiz die Arbeit erleichtern sollten. Ungewöhnlich war, dass die Staatsanwälte eine Unterschriftensammlung starteten, um die Maßnahmen in den Kongress einzubringen. Mehr als zwei Millionen Brasilianer unterschrieben – doch im Parlament verpuffte die Gesetzesinitiative. Rechtsexperte Hartmann bedauert dies:
    "Als Reaktion auf die Lava Jato-Ermittlungen versucht Brasiliens politische Klasse sich selbst zu schützen. An einer Vertiefung des Kampfs gegen die Korruption ist sie nicht interessiert. Die zehn Maßnahmen sind das beste Beispiel: Obwohl zwei Millionen Bürger unterschrieben haben, wurde das Projekt im Parlament so stark verwässert, dass von den ursprünglichen Antikorruptions-Maßnahmen praktisch nichts übrigblieb."
    Sollten die Abwehrstrategien der politischen Elite gegen die Aufklärungsarbeit der Justiz Erfolg haben, könnten die Folgen verheerend sein. Bereits heute verursacht die Korruption nicht nur einen immensen finanziellen und sozialen Schaden, sondern schadet auch der Demokratie. Ivar Hartmann:
    "Eine extrem schwerwiegende Konsequenz der Korruption ist, dass die Bürger zutiefst enttäuscht von den Politikern sind. Das führt dazu, dass sich die politische Klasse quasi nicht erneuert. Denn die Menschen glauben, dass die Politik nicht zu retten ist und lehnen es daher ab, sich selbst zu engagieren."
    Die Gefahr, dass die Korruption eine immer extremere Politikverdrossenheit auslöst, besteht in ganz Lateinamerika. Vielleicht wird die politische Erneuerung eines Tages von der Straße kommen, wo Bürger heute ihrer Empörung Luft machen.