Dienstag, 19. März 2024

Gesundheit
Bund und Länder einigen sich auf Krankenhausreform

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) plant eine große Krankenhausreform. Zukünftig soll es weniger um Ökonomie und mehr um die medizinische Versorgung gehen. Die Länder müssen allerdings zustimmen. Nun gibt es eine Einigung auf Eckpunkte.

11.07.2023
    Eine Operation im Unfallkrankenhaus Berlin. Menschen in grünen Kitteln mit OP-Masken stehen um einen Patienten herum.
    Krankenhäuser sollen sich künftig stärker spezialisieren. (picture alliance / dpa / Annette Riedl)
    Finanzierung, Organisation und Leistungsspektrum der Krankenhäuser in Deutschland sollen nach den Plänen von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) grundlegend reformiert werden. Eine beauftragte Expertenkommission legte im Dezember 2022 ausführliche Vorschläge für eine Krankenhausreform vor. Sie regte Änderungen bei der Abrechnung von medizinischen Leistungen mit einer Abkehr vom Fallpauschalen-Prinzip und eine stärkere Spezialisierung der Krankenhäuser an.
    Doch es gab seit Monaten Gegenwind, insbesondere aus den Bundesländern, die sich die Krankenhausplanung nicht aus der Hand nehmen lassen wollen. Die Länder müssen der Reform im Bundesrat zustimmen. Am 10. Juli 2023 einigten sich Bund und Länder auf ein Eckpunkte-Papier. Nur Bayern lehnte das Papier ab. Schleswig-Holstein enthielt sich. Aus dem Papier soll ein Gesetzentwurf entstehen, wobei es noch viele Diskussionen über die konkrete Ausgestaltung geben dürfte. Die Reform soll 2024 in Kraft treten. Die konkrete Umsetzung in den Kliniken vor Ort würde danach schrittweise anlaufen.

    Inhaltsverzeichnis

    Was steht im Eckpunkte-Papier?

    Die Krankenhäuser sollen anders finanziert werden. Wie von der Expertenkommission vorgeschlagen, wollen sich Bund und Länder vom bisherigen System der Fallpauschalen zum großen Teil abwenden. Die Kliniken sollen zukünftig 60 Prozent der Vergütung allein schon für das Vorhalten von Leistungsangeboten bekommen. Dies nehme ökonomischen Druck weg und erlaube eine Entbürokratisierung, sagte Lauterbach bei der Vorstellung des Papiers am 10. Juli. Es solle für die Krankenhäuser einen "Ausstieg aus dem Hamsterrad" bringen.
    Karl-Josef Laumann (l-r, SPD), Gesundheitsminister von Nordrhein-Westfalen;, Karl Lauterbach (SPD), Bundesgesundheitsminister, Melanie Schlotzhauer (SPD), Gesundheitssenatorin von Hamburg, und Manfred Lucha (Bündnis90/Die Grünen), Gesundheitsminister von Baden-Württemberg, geben nach den Bund-Länder-Beratungen zur geplanten Krankenhausreform eine Pressekonferenz. Ziel der Krankenhausreform ist es, unnötige KlinikschlieÃungen zu vermeiden und flächendeckend eine qualitativ hochwertige Versorgung auch in ländlichen Regionen sicherzustellen.
    Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD, zweiter von links) hat sich mit der großen Mehrheit der Gesundheitsministerinnen und -ministern der Länder grundsätzlich geeinigt (picture alliance / dpa / Jörg Carstensen)
    Ebenfalls wichtig: Die Kliniken sollen sich stärker differenzieren. Man möchte weg von dem Prinzip, dass jede Klinik alles macht. Verschiedene "Level" von Krankenhäusern sollen deutlich machen, ob eine Klinik vor allem für die medizinische Grundversorgung und Ambulanz verantwortlich ist oder auch komplizierte Behandlungen übernimmt.
    Grundlage der Finanzierung durch die Krankenkassen sollen genauer definierte Leistungsgruppen der Kliniken sein - also etwa "Kardiologie" statt grobe Bezeichnungen wie "innere Medizin". Die Leistungsgruppen sollen einheitliche Qualitätsvorgaben etwa bei der Ausstattung, bei Personal und Behandlungserfahrungen absichern.
    Lauterbach plant zudem ein "Transparenzgesetz", mit dem Daten zur Behandlungsqualität aller Kliniken als Information für Patienten und Patientinnen veröffentlicht werden sollen. Dies werde der Bund voraussichtlich bereits zum 1. Januar 2024 eigenständig umsetzen. "Dafür wird der Bund die Krankenhäuser Versorgungsstufen (Level) zuordnen sowie die Verteilung der Leistungsgruppen auf die einzelnen Standorte transparent darlegen", heißt es im Papier. Diese Veröffentlichung durch den Bund habe aber "keine Konsequenz für die Krankenhausplanung der Länder und für die Krankenhausvergütung".
    Seinen ursprünglichen Reform-Vorstoß von Ende 2022 verband Lauterbach mit der Ankündigung, eine "Revolution im Krankenhaussektor" durchführen zu wollen. Zumindest in der Abkehr von den Fallpauschalen, wie es jetzt im Eckpunkte-Papier festgehalten wurde, sehen Beobachter in der Tat etwas Revolutionäres, es gibt aber auch Kritik und Zweifel an den Reformplänen. Viel wird in den nächsten Jahren wohl auf die genaue Ausgestaltung ankommen.

    Wer hatte die Fallpauschale eingeführt?

    Die Fallpauschalen hatte die damalige Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) im Jahr 2003 eingeführt. Dieses Finanzierungsmodell löste damals die Bezahlung nach der Liegezeit ab. Kernziel der Reform war, die Liegezeiten zu reduzieren und damit Kosten zu sparen.
    Die Finanzierung der Krankenhäuser läuft seitdem fast ausschließlich über Fallpauschalen. Die Krankenhäuser bekommen also für eine bestimmte Behandlung eine Pauschale in festgelegter Höhe.
    Krankenhäuser brauchen in diesem Abrechnungssystem viele Patienten, um wirtschaftlich tragfähig arbeiten zu können. Insbesondere kleine Kliniken auf dem Land haben dafür oft nicht genügend Fälle.
    Das bisherige System führe auch dazu, dass „Eingriffe gemacht werden, die nicht unbedingt medizinisch notwendig sind, nur damit das Krankenhaus überleben kann“, sagte Lauterbach am 6. Dezember 2022 im Deutschlandfunk. Zudem seien ganze medizinische Fachbereiche in diesem System schwer finanzierbar, etwa die Kinderheilkunde und die Pflege, aber auch oft die Spitzenmedizin.

    Hilft die Reform gegen den Personalmangel?

    Zu den Plänen gehört, dass mehr Behandlungen ambulant statt stationär erfolgen sollen. Damit bräuchte es dann auch weniger Nachtschichten in der Pflege – und das würde mehr Einsätze am Tag ermöglichen. Ziel ist es also, das zur Verfügung stehende Personal effizienter einsetzen zu können.
    Bundesgesundheitsminister Lauterbach geht zudem davon aus, dass die Reform die Arbeitsbedingungen verbessern wird. Er hofft, dass dadurch mehr Fachkräfte gehalten und gewonnen werden können. Es brauche eine Struktur, die dazu beiträgt, dass Menschen gerne im Krankenhaus arbeiten.

    Welche Kritikpunkte gibt es an den Reformplänen?

    Während Lauterbach weiter von "einer Art Revolution" spricht, reagierte die Gewerkschaft Verdi, die viele Beschäftigte in den Kliniken vertritt, skeptisch auf das Eckpunkte-Papier. Verdi-Bundesvorstandsmitglied Sylvia Bühler bedauerte, dass Bund und Länder das System der Fallpauschalen nicht vollständig abschaffen wollen. Der Kompromiss sei "weit weg von einer Revolution".
    Gerald Gaß von der Deutschen Krankenhausgesellschaft kritisierte am 11.07.2023 im Deutschlandfunk, dass die Reform "frühestens 2027" finanziell wirken würde. Bis dahin werde man "ganz viele Krankenhaus-Standorte verlieren". Dies sei enttäuschend. Die Politik solle einen geordneten Strukturwandel gestalten.
    Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) sagte im Bayerischen Rundfunk, er habe als einziger Landesminister gegen das Reformprojekt gestimmt, weil eine Analyse der Auswirkung auf die Kliniken, die den Bundesländern versprochen worden sei, bisher immer noch nicht vorliege. So sei noch ungeklärt, wie sich die Reform "gerade auf die ländlichen Räume" auswirke. Auch sei noch unklar, ob es zu Klinik-Insolvenzen komme, noch bevor die Reform überhaupt greifen könne.
    Strittig war zwischen Bund und Ländern bis zuletzt unter anderem die Ausgestaltung der Vorhalteleistungen sowie die Frage, wie man Leistungsgruppen und Versorgungsstufen definieren soll. Und über die konkrete Umsetzung wird auch nach der Einigung auf das Eckpunkte-Papier wohl weiter gerungen. Lauterbach betonte mehrfach, dass er keine Abstriche bei den Qualitätsstandards machen will.
    Bundesländer und Kommunalvertreter forderten vor Verabschiedung einer großen Strukturreform erst einmal ein Vorschaltgesetz mit zusätzlichem Geld für die Kliniken, um einen "kalten Strukturwandel" zu vermeiden. Auch die Krankenhäuser verlangen vom Bund Finanzhilfen, um Schließungen zu vermeiden. Lauterbach sagte am 10.07.2023 im Deutschlandfunk, man könne nicht einfach "immer weiter große Summen in das System bringen". Zugleich räumte er ein, dass es Krankenhausschließungen geben wird. "Es werden mit und ohne Reform Kliniken sterben, weil wir zu viele haben", sagte Lauterbach.

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    Nadine Lindner, Volker Finthammer, Philipp May, Johannes Kuhn, Theo Geers, Tobias Armbrüster, Michael Watzke, dpa, KNA, epd, AFP, pto, tei