Freitag, 19. April 2024

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Krauthausen zu Paralympics
"Inklusive Spiele entsprechen dem Zeitgeist"

Werden Paralympics zur medialen Freakshow? Raul Krauthausen erklärt im Dlf, warum er das befürchtet. Nach seiner Beobachtung verstärken Paralympische Spiele in der aktuellen Form die Trennung von Behinderten und Nichtbehinderten nur. Dabei sind Alternativen denkbar und zeitgemäßer.

Raul Krauthausen im Gespräch mit Astrid Rawohl | 05.09.2021
Der Inklusions-Aktivist, Blogger, Autor und Kommunikationswirt Raul Krauthausen
Der Inklusions-Aktivist, Blogger, Autor und Kommunikationswirt Raul Krauthausen (picture alliance/Sozialhelden/ Andi Weiland)
Er sei kein Sportenthusiast sagt Raul Krauthausen über sich. Der Medienmacher und Inklusionsaktivist hat sich dennoch Gedanken zu den Paralympischen Spielen gemacht und sagte jüngst in einem Interview mit dem "Tagesspiegel", man müsse aufpassen, dass die Paralympics nicht zur Freakshow ausarteten. Das habe er aber ausdrücklich mit Blick auf die mediale Berichterstattung und nicht in Richtung Sportler oder Wettbewerbe gemeint, sagte er im Dlf.
Wenn er die Paralympischen Spiele verfolge, habe er sehr oft den Eindruck, "dass da die Behinderung und die Faszination für behinderte Körper so stark im Mittelpunkt stehen und oft mehr über Diagnosen gesprochen wird, als über die eigentliche sportliche Aktivität und Herausforderungen und auch den eigentlichen Wettkampf."
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Paralympics in Tokio - "Emotionale Pornographie"
Mit den Paralympics hat der Tokioter Sportsommer sein Ende gefunden. Die Spiele des Behindertensports, die vielen in Japan sympathischer waren als Olympia, sollten das Land verändern. Und vielleicht sogar ein paar in diesem Sommer entstandene Wogen glätten. Das klappte nicht bei allen Beteiligten.
Vor allem offengelegte Diagnosen der Sportler betrachtet Krauthausen als "mindestens zweischneidiges Schwert". Diese Information sollte eigentlich eine private sein - gut erkennbar an der intensiven Diskussion darüber, ob Menschen ihren Corona-Impfstatus gegenüber dem Arbeitgeber öffentlich machen müssen. Grundsätzlich ärgert Krauthausen der Blick auf den Para-Sport:
"Dass immer dagegen angekämpft werden muss auch von vielen Sportlerinnen und Sportler, dass sie nicht TROTZ ihrer Behinderung etwas machen und dass sie sich nicht zurück ins Leben kämpfen mit dem Sport, sondern dass sie einfach stinknormale Sportler, die sich gerne - warum auch immer die Faszination bei den Menschen da ist - mit anderen Sportlern mit den gleichen Leistungen duellieren und auch messen."

Paralympics könnten Segregation etablieren

Der Grund für die spezielle Sichtweise auf Sportlerinnen und Sportler mit Behinderungen sieht Krauthausen in fehlender Inklusion:
"Dadurch, dass wir das eben in unserem Alltag nicht erleben, haben wir entweder große Berührungsängste, wir wissen nicht genau im Umgang mit Behinderungen, wie wir das am besten machen können und sollen und verfallen dann eben in Klischees. (…) Oder aber, wir bewundern sie so übertrieben, dass sie dann zu sogenannten Superhumans werden, die ohne Arme, ohne Beine den Mount Everest erklommen haben."
Die Wahrheit liegt für ihn in der Mitte: Para-Sportlerinnen und -Sportler seien aus Freude am Sport Wettkämpfer, das habe wenig mit Behinderung zu tun. Und ob die Paralympischen Spiele zur Inklusion beitragen sieht Krauthausen ebenfalls kritisch:
"Ich fürchte vielleicht sogar, dass die Tatsache, dass es eben die Olympischen Spiele gibt, zwei Wochen später dann die Paralympischen Spiele vielleicht genau diese Segregation, also diese Trennung behindert/nichtbehindert auch manifestiert und etabliert."

Neue Vereinbarungen ab 2032

Konkret klafft die Lücke bei Sendezeit, Geld und medialer Aufmerksamkeit. Deswegen stellt er sich die Frage, wie inklusive Spiele aussehen müssten. Dabei gebe es viele Punkte: Die Besetzung des Komitees, Geldverteilung und Trainingsmöglichkeiten. Und wie könnten die Wettbewerbe aussehen? Etwa mit tageweise abwechselnden Wettbewerben von Behinderten und Nichtbehinderten.
Oder sollten "Mixed Games" das Ziel sein, bei denen alle gemeinsam und gegeneinander anträten. Hauptfrage dabei: Wie sind solche Wettbewerbe gerecht zu gestalten? Man sollte die Idee zumindest nicht dogmatisch ausschließen, findet Krauthausen. Für die Zeit ab 2032 müsse die Zusammenarbeit zwischen Internationalem Olympischen und Paralympischen Komitee ohnehin neu vereinbart werden. Es gebe also die Möglichkeit, eine Vision und Konzepte zu entwickeln. "Inklusive Spiele entsprechen dem Zeitgeist", glaubt Raul Krauthausen.