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Krim-Krise
Nouripour: Merkel "macht es richtig"

Es sei richtig, die Gesprächsfäden mit Moskau nicht abreißen zu lassen und gleichzeitig Druck aufzubauen, sagte Omid Nouripour, außenpolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag, im DLF. Deshalb sei Merkels Formulierung, dass die Fragen des 21. Jahrhunderts nicht die Antworten des 19., 20. Jahrhunderts brauchen, richtig.

Omid Nouripour im Gespräch mit Dirk Müller | 13.03.2014
    Unterstützer des Referendums in Simferopol auf der Krim tragen eine russische Flagge durch die Straße.
    Unterstützer des Referendums in Simferopol auf der Krim. (Andrey Stenin, dpa/picture-alliance)
    Dirk Müller: Die Kanzlerin bezieht Position, diesmal klar und deutlich. Wenn Russland nicht einlenkt, gibt es Sanktionen gegen Russland, stellt Angela Merkel fest – die nächste Stufe der Sanktionen, denn bislang beschränken sich die Europäer ja darauf, die geplanten Visa-Erleichterungen für russische Staatsbürger erst einmal auf Eis zu legen. Ist die Bundesregierung wirklich entschlossen genug, eine harte Linie gegenüber Wladimir Putin zu fahren, obwohl die eigenen Rohstoffinteressen beispielsweise dabei auch ernsthaft gefährdet werden?
    - Die Bundesregierung und die Krim-Krise, die Ukraine-Krise, die Russland-Krise, wie auch immer – darüber reden wir jetzt mit Grünen-Politiker Omid Nouripour, außenpolitischer Sprecher seiner Fraktion. Guten Tag.
    Omid Nouripour: Ich grüße Sie!
    Müller: Herr Nouripour, macht die Kanzlerin auch etwas richtig?
    Nouripour: Ja, sie macht es richtig. Es ist nicht irgendwo in meiner Jobbeschreibung stehend, dass ich sie loben kann oder soll, aber wenn sie es richtig macht, dann muss man es sagen. Und es ist vollkommen richtig, auf der einen Seite die Gesprächsfäden nach Moskau nicht abreißen zu lassen. Wir reden ja immer noch über eine extrem angespannte Situation auf der Krim selbst. Es fehlt ein Schuss, damit es eskalieren kann, wenn es schlecht läuft. Wenn eine Person mit der Waffe in der Hand die Nerven verliert, dann haben wir ein Riesenproblem möglicherweise, wenn das eskaliert. Deshalb muss man weiter im Gespräch bleiben. Aber gleichzeitig muss man natürlich auch Druck aufbauen. Und deshalb ist das, was die Kanzlerin heute gesagt hat, gerade die Formulierung, dass die Fragen des 21. Jahrhunderts nicht die Antworten des 19., 20. brauchen, also dass militärische Gewalt nun wirklich keine Lösung ist und dass eine militärische Annexion der Krim durch Russland nicht hinzunehmen ist, einfach richtig.
    Müller: Und dieses Sanktiönchen, was die Europäer in der vergangenen Woche beschlossen haben, als Drohkulisse, war das ausreichend?
    Nouripour: Nein, es war natürlich nicht ausreichend. Aber der Wille war ja, klar zu machen, dass man jetzt einsteigt in ein Sanktionsregime, aber dass die Türen offen bleiben. Ich finde, der Kollege Erler hat das gerade sehr gut gesagt: Die Türen müssen natürlich immer wieder für eine Umkehr Russlands zurück auf den Pfad der Vernunft offen bleiben. Und deshalb ist es richtig, dass man nicht sofort harte Sanktionen an den Anfang stellt, sondern sagt, dass man bereit ist, sie zu vollziehen. Ich gehe davon aus, dass die EU weiß, dass sie das, was sie gerade beschlossen hat letzte Woche, nämlich drei Stufen – und die letzte sind auch härtere wirtschaftliche Sanktionen -, dass sie das auch bereit sein muss zu tun, wenn man so etwas beschließt.
    Müller: Mehr ist nicht drin?
    Nouripour: Mehr als Wirtschaftssanktionen? Ich bin gespannt, was Sie für Ideen hätten. Eine militärische Lösung gibt es nicht. Man muss natürlich Druck machen. Die "Kollateralschäden" eines so brachialen Bruchs des Völkerrechts, wie gerade durch Putin vollzogen, sind verheerend – nicht nur für die Ukraine, auch für die gesamte Europäische Union. Deshalb darf man das nicht hinnehmen und deshalb muss man Druck machen. Aber wenn Sie weitere Vorschläge und Ideen haben, ich glaube, alle würden sich freuen.
    Müller: Nein, habe ich nicht. Deswegen bin ich hier im Deutschlandfunk und versuche, die Vorschläge von Ihnen herauszufinden, Herr Nouripour. Ich hatte auch jetzt nicht in Richtung militärische Intervention rekurriert. Mir ging es darum: Es geht ja auch um die Art der Wirtschaftssanktionen. Wenn Sie sagen, Visa-Erleichterungen für ein paar russische Bürger, die nach Deutschland kommen, das ist das erste, was wir gemacht haben und das war ein guter Anfang, dann fragt man sich tatsächlich, was ist das für eine Politik.
    Nouripour: Jetzt verstehe ich Ihre Frage wohl. Nein, noch mal: Das ist natürlich überhaupt nicht ausreichend zu sagen, wir setzen die Verhandlungen um Visa-Erleichterungen aus (ich bin auch nicht sicher, ob das als erster Schritt genau der beste war, weil er ja auch gerade die trifft, die gerne reisen würden und mit Putin nicht besonders viel zu tun haben). Aber es geht darum, dass die Möglichkeit da ist und auch dann vollzogen werden muss, wenn sich auf der Seite Russlands nichts bewegt, dass man auch in die harten Sanktionsregime auch wirtschaftlicher Art einsteigen muss, weil man es ja angekündigt hat. Man muss natürlich wissen, dass gerade im Energiebereich uns das selber auch sehr weh tun wird, aber die Frage ist natürlich eine der Abwägungen: Ist das Völkerrecht uns noch was wert oder nicht? Man muss am Ende des Tages, wenn es nicht anders geht, tatsächlich auch Schritte ergreifen, die alles andere als angenehm sind. Aber noch mal: Es muss jederzeit die Möglichkeit geben, dass Putin wieder zur Räson kommt.
    Müller: Sie sagen auch ganz klar, wenn wir die Gaszeche zahlen müssen aus Konsequenz von weiteren Sanktionen, dann müssen wir sie eben zahlen?
    Nouripour: Ich bin der Überzeugung, dass die Europäische Union nach dem Beschluss des Rates letzte Woche sich lächerlich macht, wenn sie das, was sie dort gesagt hat, überhaupt nicht vollzieht und im Zweifelsfall dann sagt, huch, das tut ja weh, wir haben uns das gar nicht so genau überlegt, dann lassen wir halt die Ukraine in Ruhe. Das andere, was die Bundeskanzlerin heute auch gesagt hat, was auch unsere Position ist, das ist auch nicht umsonst zu haben, nämlich wirklich jetzt Schutz und Hilfe für die Ukraine, gerade Geldtransfer, dass man denen hilft, dass die auch selbst jetzt nicht komplett in die Staatspleite sofort rennen. Das ist etwas, was etwas kostet. Und auch das muss die Europäische Union wissen. Deshalb soll man nicht darum herumreden. Wir haben sehr, sehr ernsthafte Zeiten. Es ist nicht so, dass wir jetzt mit Schönwetter und gutem Zureden was hinbekommen. Das kostet was und das muss man offen und gerade auch kommunizieren.
    Müller: Reden wir noch ein bisschen über die Genese. Wir haben nicht mehr so viel Zeit, Herr Nouripour. Die Ukraine ist durch und durch gut an der Spitze?
    Nouripour: Nein, es sind haufenweise Fehler. Auch die EU hat Fehler gemacht, die NATO hat Fehler gemacht, es gibt sehr viele. Ich bin nicht der Meinung vom Kollegen Gysi, dass die Einflusssphären von Putin zu respektieren wären, wenn es darum geht, dass andere Staaten auch souveräne eigene Entscheidungen treffen dürfen. Wenn die Ukraine sich für die EU entscheidet, dann ist das die Entscheidung der Ukraine und die müssen auch nicht vorher Putin fragen.
    Müller: Verbal ist das aber noch nie passiert. Die letzte Wahl hat Janukowitsch gewonnen.
    Nouripour: Das ist klar, aber Janukowitsch hat ja selbst dieses Assoziierungsabkommen zum Beispiel, was jetzt wahrscheinlich und hoffentlich schneller auch zustande kommen wird, zu Ende verhandelt. Es ist ja nicht so, dass er von vornherein dagegen war, sondern das ist ja auf Druck aus Moskau dann am Ende eingefroren worden seinerseits. Aber es gibt ja schon Beispiele, wo man sagen muss, es gab Fehler. Es ist natürlich nicht besonders schön, wenn die NATO permanent sagt, wir machen ein Raketenabwehrsystem gegen das iranische Atomprogramm. Und es gibt eine Basis, die in Estland steht. Das ist auf der Weltkarte niemandem zu erklären, warum das gegen den Iran sein soll von Estland aus. Dass die Russen dort sich bedroht fühlen, das ist verständlich, rational verständlich. Das legitimiert überhaupt nicht die Annexion der Krim. Es gibt nichts, was das, was die Russen derzeit militärisch vor Ort machen, legitimiert.
    Über Omid Nouripour
    Geboren 1975 in Teheran, Iran. Seit 1996 bei Bündnis 90/Die Grünen aktiv, seit 2006 Mitglied des Deutschen Bundestages (Landesliste Hessen). Nouripour ist seit 2009 sicherheitspolitischer Sprecher der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und Obmann im Verteidigungsausschuss. Er ist zudem stellvertretenden Koordinator des Arbeitskreises Internationales und Menschenrechte der Grünen Fraktion im Bundestag.
    Müller: Dann reden wir noch mal, Herr Nouripour, über Kiew. Wie groß ist die Gefahr, dass unreflektiert die politische neue Elite in Kiew unterstützt wird (Neofaschisten)?
    Nouripour: Es gibt sehr, sehr schwierige Kräfte, sowohl auf dem Maidan als auch in der Regierung. Die sind aber nicht die dominanten. Und wer so tut, als wäre der Maidan ein faschistisches Werk gewesen, der soll mal erklären, warum ein jüdisch Gläubiger mit EU-Flagge um den Hals Präsident werden konnte. Das ist nicht besonders glaubhaft. Natürlich gibt es da ein Problem, das ist richtig. Das Sprachengesetz so zu ändern, dass Russisch nachrangig wird, was ja Gott sei Dank am Ende doch nicht so gekommen ist, das war falsch. Die Zusammensetzung der Übergangsregierung ist nicht unbedingt so ausgewogen, dass Russland vertröstet werden kann, dass alle Rechte der russischen Minderheit tatsächlich repräsentiert sind. Deshalb muss die Ukraine auch Fehler korrigieren, die gibt es auch. Aber noch mal: Es gibt bisher keine Fehler, die so fatal wären, als dass sie rechtfertigen, dass das Völkerrecht so brutal mit Waffengewalt gebrochen wird von Russland, wie es gerade passiert.
    Müller: In puncto Legitimität Kiew, Regierung, Übergangsregierung und so weiter gibt es doch auch bei Ihnen das eine oder andere Fragezeichen, was noch zu beantworten ist?
    Nouripour: Die Legitimität der Regierung an sich nicht. Das ist eine Sache des ukrainischen Parlaments. Und die Partei, die ja maßgeblich dazu beigetragen hat, dass Janukowitsch abgesetzt wurde, war ja seine eigene. Das darf man ja nicht vergessen. Aber natürlich darf ich auch die Zusammensetzung und muss ich auch die Zusammensetzung der Regierung des Übergangs in der Ukraine kritisieren. Es gibt Dinge, die dort deutlich besser und weniger provokant gemacht werden können. Da muss man natürlich auch mit denen reden, dass die es so vollziehen, damit die Eskalationsstufe von der anderen Seite nicht weiter so hochgedreht werden kann, wie es Putin derzeit tut.
    Müller: Bei uns im Deutschlandfunk Omid Nouripour, außenpolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion im Bundestag. Danke für das Gespräch, Ihnen einen schönen Tag.
    Nouripour: Danke Ihnen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk/Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.