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Krim-Krise
Weißrusslands moderate Töne

In Korruption und wirtschaftlichem Verfall sieht Weißrusslands Präsident Alexander Lukaschenko die Hauptursachen für das Chaos in der Ukraine. Der ukrainisch-russische Konflikt bringt die Regierung in eine missliche Situation, denn das Land ist auf beide Nachbarn als Wirtschaftspartner angewiesen.

Von Ernst-Ludwig von Aster und Anja Schrum | 01.04.2014
    Minsk, Komarowka-Markt. Tausende Weißrussen strömen wie jeden Tag zur größten Markthalle der Hauptstadt. Sie kaufen frisches Fleisch, Fisch und Gemüse. Produkte aus der Umgebung, aber auch aus anderen Regionen der früheren Sowjetunion. Getrocknete Früchte aus Usbekistan, Wein aus Georgien, getrocknete Fische aus Russland, Krimskoye-Sekt aus der Ukraine. Zwei Müllmänner sitzen auf einer Bank, vor der großen Markthalle und machen Pause. Dass der traditionelle Krimsekt jetzt unter russischer Kontrolle hergestellt wird, stört sie nicht.
    "Ich bin froh darüber, dass die Russen jetzt auf der Krim das Sagen haben. Das war doch schon immer russisches Territorium. Und Chruschtschow hat es den Ukrainern 1954 doch nur geschenkt, weil er selbst dort aufgewachsen ist."
    Der Müllmann erzählt von seinem Bruder, der auf der Krim lebt. Er sei zufrieden. Nun müsse man abwarten, wie sich die Sache weiter entwickle. Ein Stückchen weiter genießen zwei Rentner die Frühlingssonne. Misstrauisch beäugen sie das Mikrofon:
    "Woher sollen wir wissen, dass ihr keine Provokateure seid, so wie die Leute auf dem Maidan", sagen sie. Und machen eine abwehrende Handbewegung: "Vielleicht wollt ihr nur Unruhe stiften."
    Dass der Westen hinter den Protesten auf dem Maidan steckt und dort auch ukrainische Neo-Faschisten die Strippen zogen, gehört seit Wochen zur Botschaft des russischen Fernsehens, das hier viele Menschen empfangen. Die Angliederung der Krim an Russland sei historisch berechtigt und folge dem Mehrheitswillen der Bevölkerung: Das ist die Kernbotschaft. Doch nicht bei allen kommt sie an. Ein grau melierter Mittvierziger im Anzug schüttelt verbittert den Kopf:
    "Es darf doch nicht sein, dass man im 21. Jahrhundert einen Teil eines anderen Landes an sich reißt. Wir haben hier bei uns im Westen auch ein Gebiet, da leben sehr viele Menschen, die polnischstämmig sind. Und oft auch im kleinen Grenzverkehr nach Polen fahren. Die könnten auch einfach ein Referendum organisieren und entscheiden, dass sie zu Polen gehören wollen. Das geht doch nicht. Sollen wir dann ein Teil unseres Landes abgeben?"
    Der Mann trägt eine kleine rot-weiße Schleife am Revers. Ein Zeichen, dass er zur kleinen Oppositionsbewegung in Weißrussland gehört. Doch ihre Meinung spielt in der Öffentlichkeit so gut wie keine Rolle. Mehrfach wurden Demonstranten, die auf einem Pappschild ihre Solidarität mit der Ukraine bekundeten, verhaftet. Dutzende Fälle hat die Menschrechtsorganisation Viasna dokumentiert, berichtet ihr stellvertretender Vorsitzende Valentin Stefanowitsch.
    "Die Meinungen zur Ukraine sind sehr unterschiedlich. Als die Proteste auf dem Maidan begannen, da gab es schon eine große Solidarität. Aber nur solange es eine friedliche Demonstration war. Als die Auseinandersetzungen begannen, da bekamen die Leute einfach Angst. Und sagten, so etwas wollen wir in Minsk nicht sehen."
    Die Medienoffensive des russischen Fernsehens zeigt zusätzlich Wirkung, glaubt der Menschenrechtler: Chaos, ultranationale Ukraine-Kämpfer, Gewalt gegen Russischstämmige – Bedrohungsszenarien dominieren die Fernsehnachrichten.
    "Viele Leute gucken das russische Fernsehen. Und die Propaganda da ist sehr stark. Viel stärker als in unserem weißrussischen Staatsfernsehen. Hier versucht man, eine neutralere Position einzunehmen. Denn die Ukraine ist für uns ein wichtiger Wirtschaftspartner."
    Und darum kommen – verglichen mit Moskau – moderatere Töne aus Minsk. Das kleine Land braucht Russland und die Ukraine als Handelspartner. Die Unruhen in Kiew und der Sturz der Janukowitsch-Regierung führte der autoritäre Staatschef Alexandr Lukaschenka dann auch auf die grassierende Korruption und den wirtschaftlichen Zerfall zurück. Und vergaß nicht zu erwähnen, dass Derartiges in seinem Land nicht passieren könne. Mit dem russischen Vorgehen auf der Krim aber hat sich auch für die weißrussische Regierung das Machtverhältnis in der Region geändert, glaubt Valentin Stefanovitsch:
    "Jede ehemalige Sowjetrepublik hat nun Angst vor Russland. Niemand will seine Unabhängigkeit verlieren. Und ich glaube, Lukaschenka fürchtet sich auch. Er hat so enge Verbindungen mit Russland, auch durch militärische Kooperationen. Wenn Putin es will, könnte er die Macht verlieren. Wer sollte ihn denn beschützen?"