Gregor Weber: "Mein Name ist Ruben Rubeck. Ich bin 47, sehe aus wie 57 und fühle mich manchmal wie 87. Für 87 bin ich aber noch ziemlich fit. Geschieden, kinderlos und Kriminalkommissar, was in meinem Alter ein lächerlich niedriger Dienstgrad ist, aber das geht mir – ganz ehrlich – am Arsch vorbei. Ich komme zurecht. Ich wohne seit 15 Jahren in Frankfurt und bin hier genauso lange Bulle. Das Bahnhofsviertel ist mein Revier und meine Gegend. Viele denken, ich würde da wohnen, weil mein Geschmack so mies ist, weil ich mich im Dreck wohlfühle und mit meinem Gesicht sowieso nirgends sonst in Frankfurt eine Wohnung bekäme. Aber das stimmt nicht. Ich habe es einfach gern nah zur Arbeit."
Antje Deistler: So weit die Selbstbeschreibung der Hauptfigur von "Asphaltseele", vielen Dank erst mal, Gregor Weber, und herzlich willkommen bei "Büchermarkt"! Dieser Ruben Rubeck erfüllt ja so ziemlich jedes Klischee des abgewrackten, zynischen, desillusionierten Bullen. Jetzt haben Sie vorher schon Kriminalromane geschrieben, da gab es einen anderen Ermittler, den Kurt Grewe. Der war relativ aufrecht und gesund und glücklich, zumindest am Anfang. Warum musste das jetzt bei Ruben Rubeck so anders werden?
Weber: Das hängt ganz klar vom Subgenre ab. Also, weil, für diese Idee, Geschichtenidee für "Asphaltseele" war für mich von Anfang an gesetzt, dass das sich auch ganz deutlich orientieren soll am klassischen Noir, hardboiled, weil ich das selber auch sehr gerne lese. Und dafür taugt eine Figur wie Kurt Grewe natürlich gar nicht, dafür ist der nicht gemacht. Und dazu braucht es schon jemanden, der, man kann sagen, Klischees, aber vielleicht auch bestimmten unabdingbaren Genre-Regeln für den Hardboiled-Ermittler eben entspricht, und das ist Ruben Rubeck.
Deistler: Das fällt ja schon beim Ton auf, der Ton ist überhaupt das Erste, was auffällt. Sehr schnoddrig, Straßen-Slang zum Teil, bis in die Dialekte, in Dialogen, ganz gekonnt gemacht. Hat Ihnen dabei die Ausbildung als Schauspieler, die Ausbildung dabei, das gesprochene Wort zu interpretiere, geholfen?
"Erfahrungen als Schauspieler haben beim Schreiben geholfen"
Weber: Also, erst mal finde ich das sehr schön, dass Sie das so sehen, das freut mich ungemein. Weil, das war der Plan dabei und man weiß ja nie, ob es aufgeht. Ja, ich denke, wenn es gelingt, dann hat es schon viel damit zu tun. Also, bei mir wahrscheinlich generell hat das Schreiben ... schöpft viel aus der zwei Jahrzehnte alten Erfahrung als Schauspieler, weil ich mir gerade auch beim Fernsehen ... ist natürlich beim Theater noch mal was anderes, weil man da gerade in klassischer Literatur viel auch mit klassischer und dichterischer Sprache arbeitet, aber gerade beim Fernsehen fand ich es immer sehr wichtig, dass die Figuren, die ich spiele, einen authentischen Tonfall haben, der auch der Figur und ihren Tätigkeiten, ihrem Beruf, ihrem Umfeld, ihrem Milieu, ihrer Herkunft irgendwie angemessen ist. Und das findet man leider oft in Drehbuchvorlagen gar nicht so, da musste man dann immer noch ein bisschen was dran tun. Und wahrscheinlich hat mir das Nachdenken über diesen Prozess immer wieder über all die Jahre, wie man Sprache verändern muss, damit sie in der Figur glaubhaft und authentisch ist, generell das Einarbeiten in Figuren, die nicht ich sind, sondern jemand anderes, als Schauspieler mehr, beim Schreiben auf jeden Fall geholfen.
Deistler: Jetzt hat Ihr Kollege Miroslav Nemec, der seit Ewigkeiten den Batic im Münchner "Tatort" spielt, auch gerade einen Krimi vorgelegt. Darin bespiegelt er sich aber selbst in seiner Rolle als Ivo Batic und löst dann einen Fall als Miroslav Nemec. Das ist ein bisschen verwirrend, Ihre Krimis sind da deutlich geradliniger. Aber man fragt sich ja schon, ob die Vergangenheit als "Tatort"-Kommissar beim Schreiben von Kriminalromanen geholfen hat?
Weber: Ja, analog zur Arbeit mit Sprache natürlich auch, weil ich diesem Topos Kriminalerzählung so auch als Schauspieler halt über zehn Jahre weg verbunden war und mich damit auch auseinandergesetzt habe. Darüber hinaus habe ich das Glück gehabt, durch die "Tatort"-Dreharbeiten eine ganze Reihe von Polizisten kennenzulernen, weil die uns unterstützt haben beim Drehen. Und das hat mir sicherlich auch immer viel geholfen, um einfach fachliche Fragen zu klären, Unsicherheiten zu klären oder auch deren Geschichten abzulauschen, was die tatsächlich so im Dienstalltag erlebt haben oder die sie mir auch ganz bereitwillig erzählt haben.
Deistler: Es gibt noch eine "Tatort"-Referenz darin, Ruben Rubeck trägt eine Schimanski-Jacke. Das nennt er so nicht, aber es ist deutlich erkennbar. Jetzt spielt das Buch "Asphaltseele" aber nicht in Duisburg, sondern in Frankfurt. Warum ausgerechnet Frankfurt?
"Geschichten von Niedergang, von Abnutzung, von Missbrauch"
Weber: Eigentlich aus unterschiedlichen Gründen. a) wie ich finde, Frankfurt kommt nicht so viel in deutschen Kriminalromanen der Jetztzeit vor, wie es eigentlich seinen internen Spannungen entspricht. Gerade das Bahnhofsviertel in Frankfurt ist einfach immer noch eine der heißesten, sage ich jetzt mal salopp, Gegenden in Deutschland, in der es wirklich jede Form von Elend und Kriminalität und eben auch die ganzen wirklich sehr unschönen Seiten des Rotlichtmilieus, die jetzt nach vorne so ein bisschen poppig daherkommt und rotlichtig und blinky, aber natürlich, ja, sind ja auch Geschichten von Niedergang, von Ausnutzen, von Missbrauch, die dahinterstecken. Und das ist in Frankfurt sehr offen zu sehen, aber eingefasst von diesem Wahnsinnsreichtum durch diese Bankenkonzernhäuser und Versicherungskonzernhäuser und durch diese gediegene Bürgerlichkeit, die Frankfurt halt eben auch schon immer ausstrahlt, die ja auch was Schönes hat: Frankfurt als Literaturstadt, als Verlagsstadt, Frankfurt als Musikstadt auch, Frankfurt als alte jüdische Stadt mit einer großen jüdischen Tradition und einer Wissenschaftstradition. Das ist ja alles sehr ehrwürdig. Und mittendrin dieser, sage ich jetzt mal, Schandfleck Bahnhofsviertel, das kreiert ganz tolle Erzählspannungen. Und das hat mir gut gefallen. Dazu kommt, dass ich in Frankfurt studiert habe. Ich war da an der Schauspielschule und habe die Stadt irgendwie immer so ein bisschen im Herzen getragen seitdem.
Deistler: Es fällt einem Krimileser, einer Krimileserin aber auch sofort Jakob Arjouni ein mit seinem türkischen Ermittler Kayankaya, der damals in den 80er-Jahren ja eigentlich so den Pfad bereitet hat für deutsche Noirs. War das ein Vorbild für Sie?
Weber: Der hat auf jeden Fall sehr Pate gestanden dafür. Also, die Arjouni-, die "Kayankaya"-Romane haben mich auch durch das Studium damals begleitet in Frankfurt, weil ich mich auch dann immer gefreut habe, wenn ich bestimmte Handlungsorte wiedererkannt habe. Und man hat diesen Büchern und spürt ihnen bis heute an, dass Arjouni halt auch wirklich Frankfurter war. Also, natürlich viel, viel mehr als ich. Der hat die Atmosphäre dieser Stadt wirklich komplett aufgesogen und der Kayankaya ist eben auch eine nach wie vor, finde ich, ganz großartige Frankfurter Figur als Frankfurter Türke, der ja auch Hessisch spricht und Äppelwoi trinkt und sich irgendwie in diese Volkskultur Frankfurter, Sachsenhäuser Art auch so reinkuschelt, bevor er dann wieder rausgeht und sich mit den bösen Buben prügelt.
Deistler: Noch mal zurück zu Ruben Rubeck, der eine wirklich interessante Figur ist: Der war Soldat, bevor er zur Polizei ging, unter anderem im Kosovo. Der Autor Gregor Weber ist Reservist bei der Bundeswehr, war in Afghanistan und hat ein Buch darüber geschrieben, das den ziemlich flapsigen Titel trägt: "Krieg ist nur vorne scheiße, hinten geht's". Selbst Ihr Buch übers Kochen und deutsche Profiköche heißt "Kochen ist Krieg" und das Thema Krieg spielt auch inhaltlich eine große Rolle in "Asphaltseele", ohne da jetzt zu viel verraten zu wollen. Was fesselt sie so an dem Thema?
"Krieg ist das Ende der Zivilisation"
Weber: Krieg ist das Ende der Zivilisation. Letztlich kann man sagen, es gibt zwei Ausnahmeszenarien: Das eine ist Kriminalität, deswegen, denke ich, faszinieren uns Kriminalromane so, und die findet auch bei uns noch statt; und den Krieg erleben wir Deutsche zumindest nur ausgelagert und mittelbar, durch die Erzählungen von Soldaten oder von Journalisten, die aus Kriegsgebieten zurückkommen. Und mich interessiert beim Schreiben immer auch, interessieren mich Brüche und Risse und wo eben Zivilisation nicht mehr funktioniert, was das aus ganz normalen Menschen machen kann.
Deistler: Was genau hat Sie in "Asphaltseele" interessiert, welcher Aspekt des Krieges?
Weber: Ja, das ist eine gute Frage. Da habe ich sicherlich im Vorfeld nicht wirklich so drüber nachgedacht, intensiv. Wenn ich es jetzt tue auf die Schnelle, würde ich sagen: Mich interessiert dabei natürlich vor allem in der Figur Ruben Rubeck, aber auch in anderen Figuren des Romans, wie nachhaltig Kriegserfahrungen einen Menschen außerhalb der erlernten zivilisatorischen Regeln stellen können, auch, wenn er zurückgekommen ist aus dem Krieg, äußerlich und scheinbar auch innerlich unversehrt. Ruben Rubeck ist wohl jemand, dem zumindest die Nähe zu Kriegssituationen nicht unbedingt gutgetan hat in seinem Sozialverhalten.
Deistler: Ihre Protagonisten, auch Ruben Rubeck, sagen einige sehr negative Dinge über Serben und Albaner im Allgemeinen, zu welcher Brutalität die alle, in Anführungszeichen, angeblich fähig seien. Das kann irritieren, weil das fast rassistisch klingt.
"Ruben Rubeck hat rassistische Seite"
Weber: Ja. Da habe ich tatsächlich viel drüber nachgedacht, ob ich das als Erzählstimme relativieren müsste, und habe natürlich auch ein Bedürfnis danach gehabt, weil, ich will ja nicht für einen Rassisten gehalten werden. Nur, Ruben Rubeck ist eben nicht so. Und ich erzähle diese Geschichte ganz ausschließlich aus seiner Perspektive. Es ist ein Ich-Erzähler und ich kann nicht behaupten, Ruben Rubeck sei jemand, der das großartig relativiert. Der gestattet sich selber oder er kann vielleicht gar nicht anders, an bestimmten Punkten sich ganz ausschließlich von Vorurteilen leiten zu lassen oder aus einer negativen Erfahrung heraus mit einem Topos abzuschließen. Ich glaube, dass er im direkten Umgang immer sich öffnen kann, also, in dem Rahmen, was für ihn als ... aus seinem Schutzmantel heraus des Zynismus möglich ist, sich zu öffnen. Und dass er schon auch, was ja für Zyniker auch oft positiv gekennzeichnet ist, dass sie eben alle gleich sehen. Also, sie erwarten von niemandem etwas wirklich Gutes. Also, Ruben Rubeck würde nicht sagen, der Serbe an sich ist böse, weil er denkt, jeder Mensch ist an sich böse und schwierig und gefährlich. Aber natürlich ist es letztlich Rassismus, gar keine Frage. Aber ich hätte es für eine Lüge gefunden, zu sagen, Ruben Rubeck hat keine rassistische Seite.
Deistler: Soll er denn in Serie gehen, der Ruben Rubeck?
Weber: Zumindest kann man verraten, dass er das Buch, dass er die Geschichte ja überlebt. Also, am Ende ist noch genug von ihm übrig, um noch eine weitere Geschichte zu erzählen. Ich möchte das sehr gerne und ich glaube, der Verlag hat auch das Gefühl, dass ihm genug Leute mögen, um weiterzumachen.
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