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Krise der SPD
Wie die Mainzer Jusos ihre Partei retten wollen

Neue Strukturen, das linke Lager stärken und endlich wieder soziale Themen angehen: Die junge SPD-Basis in Mainz hat viele Ideen, wie man ihre Partei retten könnte. Auch ein Ende der GroKo würden einige in Kauf nehmen. Was sie auf keinen Fall wollen: Personaldebatten um alte Männer.

Von Anke Petermann | 04.06.2019
Die Jusos Jana Schneiß, Oskar Grimm, Kathleen Herr vom Mainzer Juso-Vorstand im Straßen-Café in der Grünen-Hochburg MZ-Neustadt
Jana Schneiß, Oskar Grimm, Kathleen Herr vom Mainzer Juso-Vorstand im Straßen-Café in der Grünen-Hochburg MZ-Neustadt (Deutschlandradio / Anke Petermann)
Was vor der Sommerpause am dringendsten für die Sozialdemokraten ist? Im Mainzer Straßen-Café gibt Jungsozialistin Kathleen Herr eine überraschende Antwort:
"Vielleicht erst mal die Einsicht, dass man sich sozialen Themen eigentlich jahrelang verweigert hat."
Dann: Konsequenzen ziehen, so die resolute Nachwuchs-Wissenschaftlerin, die aus Eisenach nach Mainz gezogen ist.
"Mindestlohn rauf auf zwölf Euro. Da wäre man auch Spitzenreiter in der Europäischen Union und dann kann es auch auf dieser Ebene etwas mehr hin zum sozialen Europa gehen."
Zufrieden mit Übergangslösung
Und die akute Krise nach dem Nahles-Abgang? Der kommissarische Parteivorsitz - "gut", kommentiert Jana Schneiß beim Espresso die Übergangslösung für die angeschlagene SPD.
"Weil damit auch noch keine Vorauswahl getroffen wurde, was einen möglichen Parteivorsitz angeht. Dass jetzt drei Leute sich bereit erklären, verteilt da die Last auch ganz gut. Ansonsten sollten wir bis zu den Wahlen im September gucken, dass wir das jetzt möglichst ruhig innerparteilich klären."
Die Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen spricht die Mainzer Juso-Vorsitzende damit an. In Mainz wurden die Grünen bei Kommunal- und Europawahlen mit fast 30 Prozent stärkste Kraft. Jana Schneiß hat aber für die SPD einen Sitz im Stadtrat gewonnen. Am Abend trifft sich die geschrumpfte Stadtrats-Fraktion. Was die Bundespartei jetzt voranbringt?
"Ich glaube nicht, dass uns ein weiterer Namensartikel von – ich weiß nicht wem: Sigmar Gabriel oder Gerhard Schröder da irgendwie helfen würde." - "'Alte Männer Klappe halten', ist das die Botschaft?" - "Ja, auf jeden Fall!"
Keine Debatten um alte Männer
Namen stehen an diesem Nachmittag mit drei Jusos in der Grünen-Hochburg Mainz-Neustadt nicht im Vordergrund. Statt Personaldiskussionen brauche die SPD neue Strukturen abseits hergebrachter Hierarchien, findet Oskar Grimm.
"Insofern sind Ideen wie zum Beispiel die Urwahl des Vorsitzenden oder der Vorsitzenden eine sehr interessante Idee, weil dadurch diejenigen in der Partei einbezogen werden, die in den vergangen Jahren oft außen vor gelassen wurden. Wir müssen überlegen, wie wir uns als Partei gemeinschaftlich neu orientieren wollen. Und das funktioniert dann natürlich nur, wenn man alle mitnimmt und nicht einige wenige Leute darüber entscheiden lässt, wer in der Rangfolge als nächstes dran wäre, ein Amt zu übernehmen."
So war's bisher, so geht’s aber nicht weiter, bekräftigt der Jura-Student. Im September bricht er zum Auslandsjahr nach Frankreich auf. Bei den Europawahlen lagen die französischen Sozialisten bei sechs Prozent. Der Mainzer Juso-Vorständler hofft, dass die SPD so tief nicht sinkt. Sicher ist er nicht.
Schneiß, Grimm und Herr waren wie Juso-Chef Kevin Kühnert gegen die große Koalition. Sie nähmen in Kauf, die SPD mit dem Verweigern von Regierungsverantwortung auf 15 Prozent zu drücken, mussten sich die Gegner von GroKo-Befürwortern vorwerfen lassen. Heute wären 15 Prozent schon ein Erfolg. Raus aus dem Bündnis mit der CDU - ohne Klimaschutzgesetz und Grundrente? Kathleen Herr kann diejenigen verstehen, die das ablehnen.
"Aber ich glaube, dass es für die politische Grundarbeit und die Demokratie und die Nöte der Menschen in Deutschland besser wäre, wenn wir die Große Koalition so bald wie möglich verlassen."
Kontra Große Koalition
Dass die SPD bei Neuwahlen abgestraft wird, ist den dreien klar. Der Himmel über der Mainzer Neustadt zieht sich zu. Düster auch die Zukunft der Sozialdemokratie? Opposition ist nicht unbedingt Mist, meint Jana Schneiß.
"Einfach weil man da auch mal sagen kann, 'Ok, wir können jetzt mit ein bisschen Abstand sehen, das passiert jetzt in der Regierung, und wir haben aber eine Antwort darauf, die wir für besser halten, bei der wir auch nicht erst mal den Koalitionspartner um Erlaubnis fragen müssen'. Und das machen wir andauernd, und das tut weder uns gut, noch der Gesellschaft, für die wir das ja machen wollen."
Also: Profil schärfen und langfristig versuchen, "das linke Lager insgesamt zu stärken in der Politik."
Wünscht sich Oskar Grimm. Demokratischer Sozialismus soll ins Wahlprogramm, auch verstanden als mehr Teilhabe von Beschäftigten an Unternehmens-Entscheidungen. In der Klimafrage reiche es nicht, den einzelnen Verbraucher zur Genügsamkeit aufzufordern, wie die Grünen es täten. Besser, wenn eine erstarkte SPD Großkonzerne umweltpolitisch an die Kandare nehmen könnte, so Grimms Vision.
"Insofern wäre perspektivisch eine rot-rot-grüne Regierung vielleicht das Beste".
Schafft er noch zu sagen, bevor Gewitterböen fast die Tassen vom Tisch fegen. Das Juso-Trio flüchtet ins Innere des Buch-Cafés. Dort ist nur noch die Kinderspielecke frei. Kichernd platzieren sich die drei zwischen Plastik-Rutsche und Kinderbüchern mit beziehungsreichen Titeln wie "Grausame Welt". Dass mancher führende Sozialdemokrat Jusos gern in die Spielecke schicken würde, wenn sie mal wieder unbequem werden – kein Zweifel.