Freitag, 19. April 2024

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Kritik am Impfgipfel
Theologe: "Man verwaltet das Nichtstun"

Beim Impfgipfel sei einmal mehr versäumt worden, die junge Generation in den Blick zu nehmen, sagte der Theologe Peter Dabrock im Dlf. Nach der Durchimpfung der Hochrisikogruppen müssten die Jüngeren und ihr Recht auf Bildung in den Fokus rücken. Das wäre auch ein Zeichen von Solidarität gewesen.

Peter Dabrock im Gespräch mit Jasper Barenberg | 27.04.2021
08.05.2018, Berlin: Peter Dabrock, Chef des Deutschen Ethikrates, aufgenommen in den Räumlichkeiten des Ethikrates.(zu dpa-Story: "Wie Crispr unsere Welt verändert" vom 24.05.2018) Foto: Lisa Ducret/dpa
Peter Dabrock - ehemaliger Vorsitzender des Deutschen Ethikrates (dpa / Lisa Ducret)
Beim Impfgipfel von Bund und Länder am Montag (26.04.2021) hat man sich grundsätzlich zwar auf auf Lockerungen für Geimpfte und Genesene verständigt, auch die Impfpriorisierung soll bis spätestens Juni aufgehoben werden und Betriebsärzte sollen stärker eingebunden werden. Doch es gab noch keine handfesten Beschlüsse. Bayern Ministerpräsident Markus Söder nannte das Treffen eine Runde der "Hoffnung". Doch das sehen der Gemeindebund und die Oppositionsparteien im Land ein bisschen anders. Die Ergebnisse zum Umgang mit Geimpften sind ihnen zu wenig und zu unverbindlich.
Eine mögliche Visualisierung des geplanten digitalen Impfpass liegt neben einem analogen Impfpass. Die EU-Staats- und Regierungschefs hatten am Donnerstag eine europäische Lösung beim Corona-Impfpass beschlossen. Themenbild, Symbolbild *** A possible visualisation of the planned digital vaccination card lies next to an analogue vaccination card The EU heads of state and government had decided on Thursday on a European solution for the Corona vaccination card Topic image, symbol image Foto:xC.xHardtx/xFuturexImage
Corona-Impfpass - Mehr Freiheiten für Geimpfte und Genesene?
In Deutschland mehren sich die Rufe nach Lockerungen für bereits geimpfte oder von einer Covid-Erkrankung genesene Menschen. Die EU-Kommission will im Juni einen digitalen Impfpass einführen. Beim Impfgipfel von Bund und Länder wurden noch keine Ausnahmen für Geimpfte beschlossen.
Peter Dabrock ist Theologe und ehemaliger Vorsitzender des Deutschen Ethikrates. Im Deutschlandfunk sagte er, er wundere sich, dass beim Impfgipfel keine politische Entscheidung gefällt wurde. "Das klingt wie die Fortsetzung der Politik der ruhigen Hand. Da werden die vermutlich die Gerichte schneller sein als die Politik, obwohl die Lage verfassungsrechtlich relativ klar ist", sagte er. Das Verfassungsrecht werde hier die Vorgabe machen - und dies bedeute, dass es zu einer Rücknahme der Freiheitseinschränkungen kommen werde, wenn diese nicht mehr verhältnismäßig seien. Die Politik müsse sich dann Gedanken machen, wie sie mit der Spaltung der Gesellschaft zwischen Geimpften und Nicht-Geimpften umgehen will. "Da vermisse ich gestaltendes Handeln", so Dabrock.

"Keinen Blick für die junge Generation"

In einer Gesellschaft müsse es eben auch um Fairness gehen. Die Pandemie zeige, dass die einseitige Fokussierung auf die Freiheit gravierende gesellschaftliche Probleme mit sich bringe."Das erleben wir gerade im Umgang mit der jungen Generation, mit der Kultur, mit dem Sport." Da müsse man Wege finden, der Ungleichbehandlung mehr Raum einzuräumen. Die Politik hätte hier ein Zeichen setzen können, indem man Restaurants und Veranstaltungen für Geimpfte öffnet. Natürlich werde es aber auch Bereiche geben, in denen Geimpfte weiterhin Schutzmaßnahmen befolgen müssten, wie zum Beispiel im Öffentlichen Nahverkehr.
Eine Frau wartet im Impfzentrum in der Frankfurter Festhalle bei einem Sondertermin auf die Impfung mit dem Impfstoff von Astrazeneca geimpft. In Frankfurt und weiteren Impfzentren in Hessen können sich Personen über 60 Jahre am Wochenende für Sondertermine mit dem Impfstoff von Astrazeneca anmelden.
Coronavirus - Impfpriorisierung soll ab Juni aufgehoben werden
Die bisherige Priorisierung bei den Corona-Impfungen in Deutschland soll spätestens im Juni aufgehoben werden. Das ist das Ergebnis des Impfgipfels von Bund und Ländern. Die Meinungen dazu gehen auseinander.
Dabrock hoffe aber auch, dass jetzt die Generation derjenigen, die schon das große Glück hat, geimpft zu sein, Solidarität mit den Nichtgeimpften zeige. "Sonst werden wir auch nach der Pandemie ein ganz, ganz großes Problem haben. Dann würde viel Porzellan zerschlagen. Hier muss einfach mehr auf die junge Generation, hier muss einfach mehr auf die Familien geachtet werden, und da hat auch dieser Impfgipfel Tabula rasa gezeigt und hat keinen Blick, was möglich gewesen wäre, für die junge Generation gezeigt. Das bedauere ich sehr."

Lesen Sie hier das gesamte Interview.
Jasper Barenberg: Herr Dabrock, sollen Geimpfte und Genesene wieder mehr Freiheitsrechte bekommen? In dieser Frage gab es keine Entscheidung. Kneifen Bund und Länder da, bei dieser wichtigen, aber auch brisanten Frage?
Peter Dabrock: Na ja, man wundert sich schon ein bisschen, dass da gestern keine Einigung oder eine politische Entscheidung durchgekommen ist. Das klingt ein bisschen wie die Fortsetzung der Politik der ruhigen Hand. Da werden vermutlich die Gerichte schneller sein als die Politik, obwohl die Lage gerade verfassungsrechtlich relativ klar ist. Aber ich sage auch, Politik geht nicht in Verfassungsrecht auf. Verfassungsrecht wird hier klar die Vorgabe machen, es muss zu einer Rücknahme der Freiheitseinschränkungen kommen, wenn die Freiheitseinschränkungen nicht mehr verhältnismäßig sind, und das haben Sie ja gerade in Ihrem Bericht gesagt. Das wird wohl nicht mehr der Fall sein, aber da muss sich die Politik Gedanken machen, wie sie dann mit der Spaltung in der Gesellschaft umgeht, die wir dann ja haben werden, jedenfalls eine gewisse Zeit, wie man zwischen Geimpften und nicht Geimpften umgeht. Da vermisse ich gestaltendes Handeln. Da ist mir zu viel ruhige Hand.
Barenberg: Und Sie haben gesagt, wir dürfen da nicht nur aufs Verfassungsrecht schauen, das uns geradezu selbstverständlich darauf verpflichtet, dass man Rechte zurückbekommen muss, sobald das nicht mehr verhältnismäßig ist, sie einzuschränken. Was müssen wir noch in den Blick nehmen, um diese heikle Frage fair zu beantworten?
Dabrock: Das ist ein wichtiger Punkt, den Sie angesprochen haben. Um Fairness muss es in der Gesellschaft auch gehen. Wir haben in den letzten Jahren auch durch viele höchstrichterliche Urteile die individuelle Freiheit novellitiert. Gleiches ist nicht mit Ungleichbehandlung, mit Solidarität passiert, und der Vorrang der Freiheit findet auch meine vollständige Zustimmung. Aber gerade die Pandemie zeigt doch, dass die einseitige Fokussierung auf die Freiheit gravierende gesellschaftliche Probleme mit sich bringt. Das erleben wir gerade im Umgang mit der jungen Generation. Das erleben wir im Umgang mit der Kultur, mit dem Sport. Da müssen wir einfach noch andere Wege finden, auch vermutlich auf der Schwelle von Politik und Verfassungsrecht, hier der Ungleichbehandlung noch mehr Raum einzuräumen.
Für mich hätte das in diesem Fall konkret bedeutet – und das Ärgerliche ist ja immer, dass man immer "hätte, hätte, Fahrradkette" argumentieren muss -, hätten wir bei der Testbeschaffung, was möglich gewesen wäre, umfassender, schneller reagiert, dann hätte man jetzt ein ganz anderes Arsenal an Tests zur Verfügung und könnte tatsächlich jeden Tag beispielsweise Tests durchführen und dadurch wären diejenigen, die nicht geimpft sind, in der Lage, dann zu Veranstaltungen, am öffentlichen Leben teilzunehmen via Tests. Das ist nicht möglich und insofern werden wir jetzt auf Wochen hin noch eine Ungleichbehandlung haben, wo viele den Eindruck haben, warum darf ich bestimmte Dinge nicht machen. Es ist nun mal so: Der Mensch vergleicht sich gerne, auch wenn die verfassungsrechtliche Lage anders ist.

"Ich glaube, das sollten die Nichtgeimpften auch berücksichtigen"

Barenberg: Insofern auch von Ihnen, wenn ich das richtig verstehe, ein Plädoyer jedenfalls für die Übergangszeit für so etwas wie eine Zwei-Klassen-Gesellschaft, was ja immer einen negativen Klang hat, natürlich in diesem Fall aber pragmatisch ist, weil es so sein wird, dass die Hälfte der Bevölkerung zu einem bestimmten Zeitpunkt geimpft wird und man ihnen Freiheitsrechte nicht mehr verwehren kann, die andere noch nicht haben und sich gedulden müssen.
Dabrock: Ja. Sie sagen gerade Zwei-Klassen-Gesellschaft. Das klingt natürlich dramatisch. Ich denke, aber auch da hätte die Politik jetzt schon mal ein Zeichen setzen können. Damit wird man gut umgehen können, nämlich indem man Restaurants, andere Veranstaltungen öffnet für Geimpfte. Ich selber bin ja nicht geimpft und sage, ich freue mich, wenn der Händler meines Vertrauens wieder Kunden hat. Ich freue mich, wenn die Stammkneipe wieder Besucher hat, wenn die über die Runden kommen. Ich glaube, das sollten die Nichtgeimpften auch berücksichtigen.
Aber gerade wenn es um öffentlichen Personennahverkehr oder andere dichte Menschenansammlungen geht, wo man nicht kontrollieren kann, dort wird man aus Gründen des Schutzes für die Nichtgeimpften auch die Geimpften dazu auffordern müssen, die entsprechenden Schutzmaßnahmen wie Maske tragen und Abstand zu halten, denn sonst wären die Nichtgeimpften die doppelt gekniffenen. Sie wären auf der einen Seite dem hohen Gesundheitsrisiko bis zu tödlichem Gesundheitsrisiko ausgesetzt und andererseits müssten sie damit rechnen, dass aus der Front der Querdenkenden viele auf die Idee kommen und dann auch öffentlich keine Masken tragen und damit die Nichtgeimpften dann n och mal dem Expositionsrisiko noch mal höher ausgesetzt sind.
Das muss verhindert werden. Deswegen in öffentlichen Bereichen sollte man die Schutzmaßnahmen halten. Das ist auch nicht eine allzu große Freiheitseinschränkung. In den Bereichen, im Restaurant oder woanders, im kontrollierbaren Raum, wo Menschen zusammenkommen können, da wird man dann den Geimpften den Vorrang geben, und die offene Frage wird sein, ob Getestete dann den Geimpften gleichgestellt werden. Das wird sicherlich in den nächsten Wochen noch ganz erheblichen politischen Sprengstoff bringen.

"Da wird ohne Differenzierung der Impfstoff in die Gegend reingeschmissen"

Barenberg: Es gibt so etwas wie eine Solidarität der Nichtgeimpften mit den Geimpften?
Dabrock: Ich halte das für ganz wichtig. Die Solidarität ist auch in den letzten Monaten in einem ganz großen Maße – das sollte gerade die ältere Generation bedenken – von der jüngeren Generation gegenüber der älteren Generation gebracht worden. Ich erwarte und erhoffe mir einfach, dass jetzt die Generation derjenigen, die schon das große Glück hat, dass sie geimpft ist, dass die Solidarität mit den Nichtgeimpften zeigt. Sonst werden wir auch nach der Pandemie ein ganz, ganz großes Problem haben. Dann würde viel Porzellan zerschlagen. Hier muss einfach mehr auf die junge Generation, hier muss einfach mehr auf die Familien geachtet werden, und da hat auch dieser Impfgipfel Tabula rasa gezeigt und hat keinen Blick, was möglich gewesen wäre, für die junge Generation gezeigt. Das bedauere ich sehr.
Coronavirus
Übersicht zum Thema Coronavirus (imago / Rob Engelaar / Hollandse Hoogte)
Barenberg: Da muss Tempo in die Debatte, weil die Argumente im Grunde auf dem Tisch liegen. Wie ist es mit der Frage der Impfreihenfolge? Da ist jetzt die Haltung in gewisser Weise, der Juni ist der richtige Zeitpunkt, diese Reihenfolge, die Priorisierung aufzugeben, weil wir dann sicher genug Impfstoff haben. Der Gesundheitsminister Jens Spahn, wenn ich ihn richtig verstehe, sagt, da wollen wir lieber auf der richtigen Seite sein, auf der sicheren Seite sein, bevor wir da falsche Versprechungen vorher machen. Kann dann die Priorisierung fallen?
Dabrock: Auch hier muss man leider wieder mit dem "hätte, hätte, Fahrradkette" argumentieren. Es hätte schon seit Monaten die Möglichkeit gegeben, sich auf diese Situation vorzubereiten. Das ist nicht passiert. Denn es war doch klar: Irgendwann wird der Zeitpunkt kommen, an dem die Festlegung, die getätigt worden ist, die Hochrisikogruppen sind durchgeimpft und dann kommen wir in die vierte Gruppe hinein – und das sind 45 Millionen Menschen, 45 Millionen Menschen. Da wird ohne weitere Differenzierung der Impfstoff in die Gegend reingeschmissen und dann gilt das Windhund-Prinzip, wer als erster da ist, der kriegt es.
Das kann unter den gegebenen Umständen jetzt nicht sein und da erwarte ich, dass beispielsweise Stichwort noch mal Solidarität mit der jüngeren Generation, dass jetzt endlich mal die Schülerinnen und Schüler, die Studierenden in den Blick kommen, weil die sind, wenn sie ihrem Menschenrecht auf Bildung nachkommen wollen, einer hohen Exposition ausgesetzt, die sie nicht verhindern können. Deswegen, glaube ich, hätte diese Gruppe jetzt vorher noch geimpft werden können. Das wäre ein Zeichen der Solidarität gewesen.
Seit einem Jahr passiert im Grunde nichts mit dieser Gruppe und die wartet und wartet und wartet, und hier hätte man mal zeigen können, wir machen was für euch. Das wäre eine Aufgabe des Impfgipfels gewesen, nicht nur eine Politik zu betreiben, wie es der Politologe Wolfgang Gründinger sagt, Politik für alte Säcke, sondern eine Politik, die wirklich die junge Generation, die unsere Zukunft ist, in den Blick nimmt. Stattdessen verwaltet man eigentlich nur das Nichtstun und das hätte man seit Monaten tun können. Die Vorschläge lagen auch seit Monaten auf dem Tisch.

"Man hätte etwas für die junge Generation tun können"

Barenberg: Ein Einwand nur, Herr Dabrock. Wenn Sie Schülerinnen und Schüler sagen, Kinder und Jugendliche, das geht dann erst ab 16.
Dabrock: Das gilt ab 16, aber dann auch die entsprechenden Lehrerinnen und Lehrer und dann wegen meiner auch die Eltern der noch nicht impfbaren Schülerinnen und Schüler, weil bei denen der Verlauf, wenn er kommt, niedrig ist. Aber noch mal: Da sage ich auch, tägliche Testung wäre nötig. Dann würden die Eltern, wenn sie geimpft wären, nicht mehr die Impfung weitergeben. Wenn man die Pandemie brechen will und wenn man das jetzt noch will und nicht schon wieder wartet auf irgendwelche Aufhebung von Impfpriorisierung und Einschränkungen für Geimpfte, sondern jetzt handeln will, dann hätte man da etwas für die junge Generation tun können.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.