Dienstag, 14. Mai 2024

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Kritik an der Bundeswehr
"Von der Leyen verdient auch unsere Unterstützung"

Der Fall des unter Terrorverdacht stehenden Soldaten Franco A. sei nicht symptomatisch für die Bundeswehr, sagte der ehemalige Generalinspekteur Harald Kujat im DLF. Er kenne keinen vergleichbaren Fall. Verteidigungsministerin von der Leyen gehe da nun entschlossen vor und verdiene dafür Unterstützung.

Harald Kujat im Gespräch mit Christine Heuer | 03.05.2017
    Harald Kujat, ehemaliger Generalinspekteur der Bundeswehr, am 17. Juli 2016 in Berlin
    Harald Kujat, ehemaliger Generalinspekteur der Bundeswehr, am 17. Juli 2016 in Berlin (imago stock&people)
    Christine Heuer: Am Telefon ist jetzt Harald Kujat, der General a.D. und ehemalige Generalinspekteur der Bundeswehr. Guten Tag, Herr Kujat.
    Harald Kujat: Guten Morgen, Frau Heuer.
    Heuer: Sie kennen die Bundeswehr gut. Ist der Fall von der Leyen einzigartig, oder hat es Ähnliches früher schon gegeben?
    Kujat: Ja, es hat immer Vorfälle gegeben, die zu beanstanden waren, auch gravierende Vorfälle. Der entscheidende Punkt ist ja, ist man diesen Vorfällen mit der nötigen Entschlossenheit nachgegangen, und weiterhin, wie verbreitet sind solche Vorgänge, sind sie symptomatisch für die gesamte Bundeswehr, oder sind es Fälle, vielleicht auch viele Fälle, wo aber jeder Fall anders gelagert ist und wo es um das Versagen von Einzelnen geht. Das ist die entscheidende Frage.
    Heuer: Bleiben wir aber noch mal bei der ersten, die Sie aufwerfen, wie entschlossen gegen diesen rechtsradikalen Offizier vorgegangen wurde, beziehungsweise auch, wie entschlossen eigentlich die Führung, also das Verteidigungsministerium in Berlin mit Skandalen in der Bundeswehr umgeht. Ist Ursula von der Leyen da entschlossen genug? Ist sie informiert genug?
    "Das alles muss zunächst einmal aufgeklärt werden"
    Kujat: Nun, sie geht jetzt entschlossen vor. Das ist ja gar nicht zu leugnen. Und da verdient sie auch unsere Unterstützung. Die entscheidende Frage ist auch hier wiederum: Kann man gegen solche Einzelfälle vorgehen, auch mit der nötigen Härte, auch mit der nötigen Härte des Gesetzes gegen solche Fälle vorgehen, ohne dass zugleich ein Kollateralschaden für die gesamte Bundeswehr entsteht, und das war ja die Kritik, die am Anfang entstanden ist. Frau von der Leyen hat jetzt ihre Gesamtkritik an der Bundeswehr und an den verschiedenen militärischen Führungsebenen relativiert. Das finde ich gut so, das begrüße ich. Und somit verdient sie auch unsere Unterstützung in ihrer sehr, sehr wichtigen Arbeit.
    Heuer: Also alles wieder gut?
    Kujat: Nein, es ist nicht alles wieder gut. Wir wissen ja noch nicht sehr viel. Wir wissen auch von diesem Fall, der ja jetzt im Zentrum unseres Interesses ist, diesem Rechtsradikalen-Fall, nur Einzelheiten. Wir wissen die Zusammenhänge nicht. Es wird spekuliert über Netzwerke, gibt es diese Netzwerke, ja oder nein. Das alles muss zunächst einmal aufgeklärt werden.
    Heuer: Herr Kujat, das ist ja die zweite Frage, die Sie wichtig finden, sehr zurecht. Ich stelle auch die noch mal: Halten Sie diesen Fall Franco A. für symptomatisch in der Bundeswehr?
    "Das ist nicht symptomatisch für die Bundeswehr"
    Kujat: Nein, ich halte ihn überhaupt nicht für symptomatisch in der Bundeswehr. Sehen Sie, wenn Sie die bekannt gewordenen Fälle – da gibt es sicher eine Dunkelziffer -, aber wenn Sie die bekannt gewordenen Fälle der vergangenen Jahre betrachten, auch des letzten Jahres, dann bewegen wir uns im Promillebereich. Und wir alle wissen doch, dass der rechtskonservative, ich sage aber auch rechtsradikale Bodensatz in unserer Gesellschaft zwischen acht und zehn Prozent beträgt. Und hier ist es wirklich der Promillebereich.
    Heuer: Aber Herr Kujat, hat die Bundeswehr ein Problem damit, solche und ähnliche oder andere Skandale aufzudecken? Wird da symptomatisch vertuscht oder mal ein Auge zugedrückt?
    "Es geht hier um das Versagen von Einzelnen"
    Kujat: Nein, überhaupt nicht. Wenn man sagt, alle Vorgesetztenebenen hätten sich sozusagen verschworen in einem falsch verstandenen Korpsgeist, um solche Vorfälle nicht an die Öffentlichkeit drängen zu lassen und um ihnen auch nicht nachzugehen möglicherweise, dann ist das völlig, völlig falsch. Es geht hier um das Versagen von Einzelnen. Das muss aufgeklärt werden und die müssen zur Rechenschaft gezogen werden. Aber daraus den Schluss zu ziehen, dass das gesamte Führungssystem der Bundeswehr hier zu beanstanden ist, das ist völlig falsch.
    Heuer: Aber genau diesen Eindruck hat Ursula von der Leyen, auch wenn sie das jetzt versucht abzumildern, ja sehr deutlich vermittelt. Hat sie damit das Vertrauensverhältnis zur Truppe erschüttert?
    Kujat: Natürlich beruht ein gesundes Vorgesetztenverhältnis darauf, dass ein Vertrauensverhältnis zwischen den Vorgesetzten und den Soldaten besteht. Das ist ganz entscheidend. Das Ansehen und das Vertrauen ist sozusagen der Kern dieses Vorgesetztenverhältnisses. Und ich sagte ja, wir müssen aufpassen, dass wir durch solche Einzelfälle oder die Art, wie wir solche Einzelfälle betrachten und bewerten, nicht einen Kollateralschaden für die Bundeswehr verursachen. Das ist es, um das es geht.
    Heuer: Ja! Aber Herr Kujat, hat Ursula von der Leyen nicht genau das getan, einen Kollateralschaden verursacht?
    Kujat: Das hat sie getan. Das hat sie in der Tat getan. Aber man muss ihr auch zugestehen, der Fall an sich ist beklagenswert genug. Es ist ein ganz dramatischer Fall auch für die Bundeswehr. Ich kenne keinen vergleichbaren Fall. Hier ist schon etwas zu tun und sie tut das und sie hat ihre Bewertung ja relativiert. Das muss man auch anerkennen. Ich würde versuchen, das Thema jetzt auch aus dem Parteienstreit herauszuhalten und der Bundeswehr nicht weiter damit zu schaden.
    Heuer: Herr Kujat, als Verteidigungsminister scheitert man über kurz oder lang. Das ist ein sehr heikles Ressort.
    "Der Zustand der Bundeswehr hat sich in den letzten Jahren dramatisch verschlechtert"
    Kujat: Ja.
    Heuer: Ich stelle Ihnen diese Frage jetzt auch tatsächlich, wollte Ihnen diese Frage stellen. Ist es jetzt auch für Ursula von der Leyen soweit? Wenn ich Ihnen zuhöre, sagen Sie, nein, das kriegt sie schon wieder in den Griff und es reicht eigentlich, dass sie jetzt ihre Kritik relativiert hat.
    Kujat: Nein, es reicht nicht. Es wird sehr lange dauern, bis sie ihr Ansehen und das Vertrauensverhältnis, das notwendig ist, in der Bundeswehr wiederhergestellt hat. Das wird sehr lange dauern. Sie muss wirklich jetzt versuchen, die Tatsachen auf den Tisch zu legen, und sie muss versuchen, das Verhältnis in Ordnung zu bringen. Ob es ihr gelingt, das kann ich nicht beurteilen. Wir haben im September Wahlen. Es wird also auch davon abhängen, ob die Ministerin über diese Wahlen hinaus in der nächsten Legislaturperiode weiter für ihr Amt zur Verfügung steht. Aber man muss auf der anderen Seite auch sagen, es geht ja nicht nur um diese Fälle. Es geht insgesamt um den Zustand der Bundeswehr, der sich in den letzten Jahren dramatisch verschlechtert hat. Denken Sie an die Ausrüstungsmängel.
    Heuer: Herr Kujat, die Nachrichten kommen, und zwar um Punkt 7:30 Uhr. – Harald Kujat, General a.D., ehemaliger Generalinspekteur der Bundeswehr. Ich danke Ihnen sehr, Herr Kujat, für das Gespräch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.