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Kritik an G7
"Keine Initiative für nachhaltiges Wachstum ergriffen"

Angesichts der weltweiten wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Krisen habe das G7-Treffen in Japan keine zielführenden Lösungen der Probleme präsentiert, sagte Reiner Hoffmann im Deutschlandfunk. Die Zusammenkunft sei vielmehr ein Ausdruck größter Hilflosigkeit gewesen, so der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes.

Reiner Hoffmann im Gespräch mit Jürgen Zurheide | 28.05.2016
    Reiner Hoffmann, Vorsitzender der Deutschen Gewerkschaftsbunds
    Reiner Hoffmann, Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbunds (imago stock & people)
    Der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Reiner Hoffmann, hat sich enttäuscht über die Ergebnisse des G7-Gipfels in Japan gezeigt. Die Teilnehmerstaaten hielten an einer neoliberalen Wirtschaftspolitik fest, die im Wesentlichen auf Sparmaßnahmen setze statt Initiativen für nachhaltiges Wachstum zu ergreifen, sagte Hoffmann im Deutschlandfunk. Dies sei angesichts der vielfältigen globalen Krisen ein Ausdruck von Hilflosigkeit.
    Der DGB-Chef forderte stattdessen eine Investitionsoffensive. In Deutschland müsse zum Beispiel mehr Geld in die Infrastruktur, in Schulen und in die energetische Gebäudesanierung fließen. Hier sei seit Jahren viel zu wenig unternommen worden.

    Das Interview in voller Länge:
    Jürgen Zurheide: Die G7-Führer haben getagt, sie haben eine Menge schöner Bilder produziert – das will ich jetzt nicht geringschätzen –, ansonsten haben sie sich verständigt auf mehr Wachstum, haben allerdings nicht ganz klar gesagt, wie sie das erreichen wollen, bei der Flüchtlingspolitik an die Verantwortung erinnert, in den jeweiligen Herkunftsländern etwas zu tun und das ein oder andere ansonsten beschlossen. Darüber wollen wir reden, und ich begrüße am Telefon Reiner Hoffmann, den Chef des Deutschen Gewerkschaftsbundes. Guten Morgen, Herr Hoffmann!
    Reiner Hoffmann: Guten Morgen, Herr Zurheide!
    Zurheide: Herr Hoffmann, alle sind für Wachstum – eigentlich eine erstaunliche Erkenntnis. Haben Sie verstanden, wie die das machen wollen und welches Wachstum sie meinen?
    Hoffmann: Darauf gibt es überhaupt keine Antwort, die der G7-Gipfel als starke Botschaft, als Signal hätte aussenden können. Im Gegenteil, es wird festgehalten an einer neoliberalen Wirtschaftspolitik, die im Wesentlichen auf Sparen, sprich Austerität, setzt, aber eben nicht die Initiative für mehr nachhaltiges Wachstum ergreift. Dazu gibt es genügend Felder, die dringend notwendig wären und auch ein Beitrag dazu wären, die Weltwirtschaft wieder in Schwung zu bringen.
    "Wir brauchen statt mehr freiem Handel mehr fairen Handel"
    Zurheide: Wir werden gleich über Ihre Vorstellungen reden, wie man mehr Wachstum haben könnte. Eine andere Überschrift, die ich heute Morgen finde, heißt, das ist mehr Psychologie als Politik. Ist es das denn überhaupt?
    Hoffmann: Ich glaube gar nicht mal, dass da viel Psychologie hintersteht, sondern es ist ein Ausdruck von Hilflosigkeit. Wenn wir uns die multiplen Krisen anschauen, mit denen wir global seit Jahren konfrontiert sind, hat das G7-Treffen überhaupt gar keine zielführenden Antworten präsentiert. Im Gegenteil, es wurde beispielsweise vereinbart, dass die Verhandlungen zu TTIP bis zum Ende des Jahres abgeschlossen werden sollen. Das halte ich für eine Illusion. Wir brauchen statt mehr freiem Handel mehr fairen Handel, damit auch die Probleme, mit denen wir konfrontiert sind, wie beispielsweise die großen Fluchtbewegungen wirksam bekämpft werden können.
    "Investitionsoffensive dringend erforderlich"
    Zurheide: Wir haben ansonsten, ich will nicht sagen eine Blockade, aber mindestens immer einen Dualismus, und am Ende weiß man nicht, was kommt da raus. Der Japaner Abe will ja staatliche Konjunkturprogramme, Frau Merkel lässt dann ins Protokoll schreiben, dass sparen ganz wichtig ist. Da hat man das Gefühl, die schwäbische Hausfrau sitzt am Tisch, wobei die wäre im Zweifel angesichts der Investitionsschwäche wahrscheinlich klüger, oder wie sehen Sie das?
    Hoffmann: Ich halte eine Investitionsoffensive für dringend erforderlich. Jean-Claude Juncker, der Präsident der Europäischen Kommission hat ja dazu vor anderthalb Jahren schon auch einen Vorschlag gemacht, einen Investitionspakt für Europa. Der fällt allerdings außerordentlich bescheiden aus, und das hat unter anderem auch mit der deutschen Europapolitik zu tun. Die deutsche Bundesregierung steht hier meines Erachtens noch zu sehr auf der Bremse.
    Zurheide: Was müsste denn passieren? Sie haben gesagt, Sie haben andere Vorstellungen vom Wachstum. Welche haben Sie?
    Hoffmann: Wir brauchen Investitionen in nachhaltiges Wachstum, die Investitionsfelder sind seit Langem bekannt. Man schaue sich nur den Zustand unserer Infrastruktur in Deutschland an, die Verfasstheit der Schulen oder die Riesenbedarfe, die wir haben bei der energetischen Gebäudesanierung, wo auch ein Beitrag geleistet werden könnte zum wirksamen Klimaschutz. Wir brauchen mehr Investitionen in Bildung. Wir sind konfrontiert mit technologischen Innovationen, die zwingend größere Anstrengungen im Bildungsbereich notwendig machen. Dieses sind alles Felder, da wird seit Jahren viel zu wenig unternommen.
    Zurheide: Jetzt höre ich schon Herrn Schäuble, der sagt, wie wollen Sie das finanzieren, typisch Gewerkschaft, wollen das Geld anderer Leute ausgeben.
    Hoffmann: Natürlich müssen wir uns über die Finanzierung Gedanken machen. Ich halte es für dringend erforderlich, dass wir beispielsweise in Europa zu einer wirksamen Steuerharmonisierung kommen müssen. Wir brauchen eine wirksame Bekämpfung von Steuerflucht. Das ist eine Baustelle, wo viel zu wenig unternommen wird. Wir brauchen aber auch mehr Steuergerechtigkeit in Deutschland. Es macht keinen Sinn, dass Kapitalerträge mit lediglich 25 Prozent besteuert werden, während Arbeitnehmer bis zu 42 Prozent für ihre harte Arbeit steuerlich belastet werden.
    "Was an Versprechungen von TTIP ausgeht, halte ich für illusionär"
    Zurheide: Sie haben gerade TTIP angesprochen – das ist ja die große Hoffnung, übrigens auch des bundesdeutschen Wirtschaftsministers, wenn ich das richtig sehe. Sie haben da deutlich andere Akzente gesetzt. Warum glauben Sie nicht an die Segnungen des Freihandels?
    Hoffmann: Wir wissen, dass der Bestand beispielsweise an Direktinvestitionen der Bundesrepublik in den Vereinigten Staaten und umgekehrt bereits ein ungeheuerlich hohes Niveau haben. Der Handel zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten hat in den letzten Jahren um 60 Prozent zugenommen. Das heißt, das, was an Versprechungen von TTIP ausgeht, nach mehr Wachstum, mehr Beschäftigung, halte ich für illusionär. Ich bin überhaupt nicht dagegen, dass wir bessere gemeinsame Spielregeln brauchen für mehr faire Globalisierung, aber genau das wird durch TTIP nicht angepackt.
    Es geht um mehr Liberalisierung, beispielsweise bei der öffentlichen Daseinsvorsorge. Wohin das geführt hat, können wir in Deutschland nachvollziehen, beispielsweise eben in den Defiziten, die wir bei der Infrastruktur haben, und wir brauchen, wenn wir mehr faire Globalisierung vorantreiben wollen, auch wesentlich stärkere Akzente auf Arbeitnehmerrechte. Es ist ein Unding aus gewerkschaftlicher Sicht, dass beispielsweise in den Vereinigten Staaten noch nicht einmal die Kernarbeitsnormen der internationalen Arbeitsorganisation ratifiziert sind. Dazu gehört beispielsweise die Anerkennung von Gewerkschaften, die Anerkennung von Tarifverhandlungen. Das sind alles Elemente, die dazu beitragen können, dass wir wirklich mehr Fairness im internationalen Handel verankern können. Darüber wird überhaupt gar nicht geredet, und deshalb sind wir der Auffassung, TTIP, so wie es jetzt verhandelt wird, wird nicht zum Erfolg führen, schon gar nicht bis Ende des Jahres.
    Zurheide: Das heißt aber, Sie würden im Zweifel sagen, lieber gar nichts als dieses Abkommen. Was halten Sie denn von dem Argument, wenn wir es jetzt nicht mit den Amerikanern machen, dann verändert sich die geopolitische Lage, dann wird eben Amerika das mit dem asiatischen Raum machen, und wir stehen außen vor. Ist das zutreffend dieses Argument oder nicht?
    Hoffmann: Das ist überhaupt nicht zutreffend. Wenn wir uns anschauen, was mit TPP, also dem pazifischen Handelsabkommen gerade gemacht wird, da geht es im Wesentlichen um den Abbau von Zöllen. Das ist ein völlig anderes Handelsabkommen. Es wird nicht der Versuch unternommen, wirklich auf der Ebene von Harmonisierung von ordentlichen Standards voranzukommen. Das wäre aber eine Aufgabe im Rahmen von TTIP, und ob TPP in den Vereinigten Staaten, so wie es jetzt zu Ende verhandelt wurde, ratifiziert wird, da würde ich auch ein großes Fragezeichen hinter machen. Ich sehe eigentlich viel mehr Chancen, dass nach den Wirrnissen der Präsidentschaftswahlen in den Vereinigten Staaten, deren Ergebnis ja völlig ungewiss ist und möglicherweise auch uns mit neuen Überraschungen konfrontieren wird, aber meine Orientierung wäre, dass man mit der neuen amerikanischen Administration nach den Wahlen wirklich einen Neustart unternimmt, wo die Europäer ja schon bereits eine neue Handelspolitik angekündigt haben, sie aber im Rahmen von TTIP zurzeit überhaupt nicht realisieren. Dazu gehört auch, dass es keinen Sinn macht, privaten Investoren Sonderschiedsgerichte anzubieten, wo sie spezifische Klagerechte haben.
    Das ist eine Form von Entdemokratisierung, die am Ende auch das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger weiterhin beschädigen wird, aber das ist, glaube ich, eines der Herausforderungen gerade vor dem Hintergrund des erheblichen Vertrauensverlustes der Menschen in die europäische Integration, die Verunsicherungen, die auch aus der Globalisierung draus hervorgehen. Da müssen völlig neue Antworten und neue Politikformen entwickelt werden, und dafür hat G7 keine Antworten geliefert, und das Handelsabkommen, so wie es jetzt auf dem Tisch liegt namens TTIP, wird die Probleme nicht lösen. Sie wird sie im Zweifelsfall verschärfen.
    "Wir brauchen viel mehr europäische, internationale Lösungen"
    Zurheide: Aber haben wir nicht das andere Problem, dass die Menschen ohnehin sich ein Stück weit abwenden und dass die Antwort dann Protektionismus und Abschottung sein wird. Das können Arbeitnehmer ja auch nicht wollen, dass die Kräfte, die im Moment politisch im Aufwind sind, populistisch gesehen, dass die dann am Ende etwas bestimmen zum Wohle der Arbeitnehmer, das können Sie doch nicht ernsthaft annehmen.
    Hoffmann: Da haben Sie völlig recht. Wir sehen mit großer Sorge massive Tendenzen zur Renationalisierung, zu autoritären Staatsregimen. Das hat noch nie geholfen. Wir brauchen viel mehr europäische, internationale Lösungen. Protektionismus kann nicht die Antwort sein. Wir sind auch nicht gegen Handel. Auch sind wir keine grundsätzlichen Gegner der Globalisierung. Das wäre völliger Unfug. Deutschland ist eines der stärksten Exportländer und auf internationalen Handel dringend angewiesen, aber wie wir die Spielregeln gestalten, darauf kommt es an. Wir erleben doch seit Jahren, dass die Früchte der Globalisierung immer ungleicher verteilt werden. Armut steigt, Arbeitslosigkeit ist auf einem riesighohen Niveau. Wirksame Bekämpfung von Arbeitslosigkeit und Armut, das muss auch mit zum Gegenstand von einer modernen, innovativen Handelspolitik gemacht werden. Also noch mal, Sie haben völlig recht – Protektionismus, Rückfall in Kleinstaaterei kann überhaupt nicht die richtige Antwort sein, sondern wir brauchen mehr Europäisierung, aber auch Europäisierung, die sich an den Menschen orientiert und nicht lediglich Märkte öffnen will, deregulieren will und mit einem Spardiktat versucht, die Wirtschaftsprobleme, die wir haben seit vielen Jahren, zu bekämpfen.
    Zurheide: Wir brauchen Wachstum, aber möglicherweise ein anderes als das, was bisher herrschende Meinung ist. Das war die Auffassung von Reiner Hoffmann, dem DGB-Chef. Herr Hoffmann, schönen guten Tag und danke schön!
    Hoffmann: Ich danke Ihnen, Herr Zurheide!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.