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Kritische Gauck-Biografie
Ein republikanischer Bildungsroman

Joachim Gauck ist seit mehr als zwei Jahren Bundespräsident, und die Menschen mögen ihn. Johann Legner gießt nun Wasser in den Wein. Gaucks einstiger Sprecher hat eine kritische Biografie über den Mann im Schloss Bellevue geschrieben. Das Buch ist mehr als die Abrechnung eines verschmähten Weggefährten.

Von Stephan Detjen | 20.10.2014
    Bundespräsident Joachim Gauck schaut sich am 13.06.2014 in Trondheim den Nidarosdom an.
    "Mächtig in der Ohnmacht": Bundespräsident Joachim Gauck im Juni 2014 in Norwegen. (dpa picture alliance / Maurizio Gambarini)
    Wie viele gute Journalisten war Johann Legner einmal Redakteur der links-alternativen Tageszeitung "taz". Da lernt man den erfrischend-respektlosen Umgang mit Autoritäten und so würde man auch diese Biografie gerne - und mit Vergnügen - als ein politisches "Ecce homo" lesen: Siehe, Leser - auch dieser Joachim Gauck, unser Staatsoberhaupt, ist ein Mensch mit all seinen Schwächen und Defiziten. So könnte man dieses Buch lesen und hätte am Ende doch nicht den Respekt vor diesem Leben und der erstaunlichen Wirkungskraft des begnadeten Redners, Charismatikers und Charmebolzens Joachim Gauck verloren.
    Aber so einfach macht einem Johann Legner das nicht, der keinen Hehl daraus macht, dass dieses Buch keineswegs aus der kritischen Distanz des Beobachters, sondern aus der problematischen Nähe eines langjährigen Weggefährten entstanden ist. Legner war in den neunziger Jahren Sprecher Gaucks in der Stasi-Unterlagenbehörde, 2010 einer seiner engsten Berater bei Gaucks erstem Anlauf zum höchsten Staatsamt und blieb ihm auch danach verbunden.
    "Also wenn ich tatsächlich das geschrieben hätte, alles was ich habe, und ich glaube ich hab ein paar Tonbandaufnahmen - aber seltenst mitgeschnitten. Das mach ich nicht."
    Auch Helmut Kohl hat das dieser Tage erlebt: Pressesprecher und bezahlte Biografen erwerben ein Wissen, das leicht zum gefährlichen Herrschaftswissen wird, wenn sie auf einmal nicht mehr für, sondern über ihre einstigen Dienstherren sprechen:
    "Sein Verhältnis zu seinen Frauen: Das können Sie unmöglich in ein Buch reinschreiben, was sie da wissen, unmöglich!"
    Sagt Johann Legner und es wird nicht ganz klar, wessen er sich da so rühmt: seiner Diskretion oder der intimen Kenntnis Gaucks, ohne die manche Passage seines Buches kaum hätte entstehen können:
    "Gaucks freundlicherweise als schusselig bezeichneter Unwille, die Dinge einigermaßen in Ordnung zu halten, führt zu einer Abhängigkeit von Frauen, die als 'Vorzimmerdamen' bezeichnet werden. Die vielfach bezeichnete Unfähigkeit, beispielsweise Schlüssel oder Terminkalender so aufzubewahren, dass er sie hinterher auch findet, ist Ausdruck einer weitergehenden Schwäche. Den Unbilden des Lebens ausgesetzt, wird dieser Mann zu einer Art Kind, wirkt abgelenkt und hat Schwierigkeiten, seine Zeit einzuteilen und Prioritäten zu setzen."
    Wer schreibt da?
    Wer so rasant wie Legner von der persönlichen Näheerfahrung zum scharfen Urteil schreitet, ist begründungspflichtig; vor allem aber muss er seinen eigenen Standpunkt klären. Spricht da ein kühler Analytiker oder ein verletzter Weggefährte, der jetzt nur Rache dafür nimmt, dass Gauck seinen langjährigen Sprecher nicht mit ins Schloss Bellevue genommen hat? Dass Legner diese nötige Klärung der eigenen Rolle vermeidet, ist die große Schwäche seines Buches.
    "Ich maße mir kein präzises Urteil darüber an, wo ich das Verhalten von Menschen einzuordnen habe, in dieser Zeit", beteuert Legner, um dann im gleichen Atemzug zu erklären: "Ich weiß sehr genau, wie er sich im Sommer 1989 fühlte, auch durch eine Reihe von Gesprächen, die übrigens auch in sehr privatem Kontext waren."
    "Erschütternd" und "ernüchternd" sei die Lebensbilanz des knapp 50-jährigen Gauck gewesen, als die DDR 1989/90 zusammenbrach. Familiär in einer Sackgasse, beruflich orientierungslos, menschlich von tiefen Ambivalenzen geprägt. "Nirgendwo hatte er erkennen lassen, dass er in der Lage war, Verantwortung für andere zu übernehmen."
    Als andere Theologen und Bürgerrechtsaktivisten in der DDR schon aktiv den Untergang des SED-Regimes befördert hätten, sei Gaucks Verhalten lange widersprüchlich und doppelgesichtig geblieben. An seiner kritischen Grundhaltung gegenüber der SED habe Gauck indes nie einen Zweifel gelassen und als "zaudernder Einzelgänger" den Schutzraum der Kirche auch den mutiger voranschreitenden Oppositionellen geöffnet.
    "Das ist in der DDR in seinem Fall vielleicht nicht eine besondere Leistung, aber es ist etwas, was man akzeptieren muss als positives Moment seiner Biografie", gesteht Johann Legner zu. Dass der Zusammenbruch der DDR im Leben Joachim Gaucks mit einer Midlife Crisis zusammenfiel, wird in Legners Interpretation zum Glücksfall für den späteren Bundespräsidenten. Dessen "Fähigkeit, mächtig in der Ohnmacht zu werden, ist dann eine der entscheidenden Voraussetzungen für das Vorankommen im vereinigten Deutschland".
    Der Fall Fuchs als dunkles Kapitel Gaucks Erfolgsgeschichte
    Die friedliche Revolution katapultiert Gauck in den politischen Orbit, zunächst in die frei gewählte Volkskammer und dann an die Spitze der neu gegründeten Stasi-Unterlagenbehörde. Spätestens hier mutiert Legners Biografie zwangsläufig zum Zeitzeugenbericht.
    "Er muss nicht organisieren, er muss auch nicht Tag und Nacht ackern", schreibt Legner über seinen damaligen Chef, der sich mithilfe ehemaliger Stasi-Mitarbeiter und hilfreicher Geister aus dem Westen durch seine Aufgabe gewurstelt habe. Sowohl Gauck als auch sein Verwaltungsleiter, der spätere Geheimdienstchef Hansjörg Geiger, hätten "nicht die geringste Ahnung von zeitgeschichtlicher Forschung oder von Archiven" gehabt, erinnert sich Legner. Gerade in diesem Kapitel wäre die Offenlegung und Klärung der eigenen Rolle unerlässlich gewesen. Nur zwischen den Zeilen etwa wird deutlich, dass Legner auch hier mehr zu wissen meint, als er schreiben will, etwa wenn es um die Aufarbeitung der Verfolgungsgeschichte des DDR-Bürgerrechtlers Jürgen Fuchs geht:
    "Fuchs bleibt das dunkle Kapitel in Gaucks Erfolgsgeschichte", raunt Legner - und es bleibt offen, was genau Gauck damals angeblich getan oder unterlassen hat, als seine Behörde den Verdacht nicht bestätigen wollte, Fuchs sei im Stasi-Gefängnis radioaktiv verseucht worden.
    Die Dekonstruktion alles Heroischen
    Erst im letzten Drittel dieses Buches wird das Urteil Legners milder. Je näher sich der Lebenslauf Gaucks in all seinen Wendungen und Wiederholungsschleifen auf das höchste Staatsamt zubewegt, desto deutlicher bringt der Biograf auch seine Wertschätzung für den "Meister des wohlgesetzten Wortes", den Menschenfischer und Glückspilz, als den er Gauck beschreibt, zum Ausdruck. Da rundet sich nicht nur ein Lebensweg, sondern auch seine biografische Nacherzählung.
    Nicht als ambivalente Abrechnung eines verschmähten Weggefährten erhält dieses Buch am Ende seinen Sinn, sondern als republikanischer Bildungsroman. Nur in der Dekonstruktion alles Heroischen kann sein Protagonist zum Helden werden. Joachim Gauck ist oft genug heroisiert worden. Als Bundespräsident hat er sich dennoch in die Tradition jener Amtsvorgänger eingereiht, die als Oberhaupt stets auch Bürger dieses Staates bleiben wollten. Deshalb kann der Bürger dieses Buch genauso gut vertragen, wie das Staatsoberhaupt Joachim Gauck.
    Johann Legner: "Joachim Gauck. Träume vom Paradies", Bertelsmann, 384 Seiten, 19,99 Euro.