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Kroatien 20 Jahre nach Oluja
Kein wirklicher Frieden

Am 5. August jährt sich die kroatische Militäroperation Oluja zum 20. Mal. Sie gilt bei den meisten Kroaten als Symbol des glorreichen Sieges über den serbischen Aggressor. Für die Serben im Land ist der Tag kein Grund zum Feiern - Tausende mussten damals fliehen, Hunderte starben. Noch heute kämpfen sie gegen Ressentiments.

Von Dirk Auer | 31.07.2015
    Der kroatische Präsident Franjo Tudjman (m) posiert in Knin mit seinem Verteidigungsminister Gojko Šušak und siegreichen kroatischen Soldaten. Der kroatische Präsident Tudjman hat am 06.08. 1995 die gefallene Serbenhochburg Knin besucht.
    Der kroatische Präsident Franjo Tudjman (m) posiert in Knin mit seinem Verteidigungsminister Gojko Šušak und siegreichen kroatischen Soldaten. (dpa / picture alliance)
    Ramljane, ein kleines Dorf im Süden Kroatiens. Ein paar Häuser links und rechts der Hauptstraße, dazwischen gehen Feldwege ab. Die Bushaltestelle ist verwaist, wie auch die meisten Häuser, von denen einige nur noch Ruinen sind. Dusan Milivojevic ist Anfang 30. Er kann sich noch sehr gut daran erinnern, wie es früher einmal aussah.
    "Die Häuser waren neu, drei- bis vierhundert Serben haben hier einmal gelebt. Es gab zwei Geschäfte, zwei Cafés, eine Post, eine Halle für Sport und verschiedene Aktivitäten für Kinder. Jetzt gibt es nichts mehr, alles ist zerstört."
    Dusan war zwölf Jahre alt, als er mit seiner Familie vor der einrückenden kroatischen Armee fliehen musste. Vor zwei Jahren ist er zurückgekehrt - als einer der ganz wenigen hier im Dorf.
    "Hier wohnen jetzt fast nur Leute, die älter als 65 Jahre sind. Sie haben ihren Garten, ein paar Schafe und bauen etwas Wein an. Aber es ist ein großes Problem für junge Leute, die hier keine Perspektive haben. Ich bin gerne hier, hier ist meine Familie, und hier bin ich geboren. Aber in den letzten 15 Jahren hat die Regierung nichts mehr investiert, die Wirtschaft ist praktisch tot. Es ist keine gute Situation."
    "Es gibt noch keinen wirklichen Frieden in Kroatien"
    Zwar ist nach dem Krieg zunächst einiges für den Wiederaufbau der Häuser von Serben getan worden. Doch das alleine ist nicht ausreichend, kritisiert auch Milorad Pupovac. Er ist Vertreter der serbischen Minderheit im kroatischen Parlament:
    "Wenn Menschen zurückkehren, dann müssen sie auch Bedingungen vorfinden, die es ihnen erlauben zu bleiben, das heißt, eine soziale und wirtschaftliche Infrastruktur. Wir versuchen, die Regierung zu überzeugen, zusätzliche Anstrengungen zu unternehmen und etwa EU-Mittel für diese Regionen zu beantragen. Aber wir stoßen immer nur auf taube Ohren."
    Und nicht nur das: Seit zwei Jahren ist Kroatien Mitglied der Europäischen Union. Im Zuge des Beitrittsprozesses hatte sich das Land noch verpflichtet, weitere Gesetze zum Schutz der Minderheiten zu erlassen, für Toleranz zwischen den verschiedenen Ethnien zu sorgen, den Rückkehrprozess der Flüchtlinge zu fördern und Kriegsverbrechen zu verfolgen.
    "Aber was wir jetzt sehen, ist ein gegenläufiger Prozess: Hate Speech gegen Minderheiten im ganzen Land, nicht nur in den Stadien oder als Graffitis, sondern auch von Politikern und Medien. Das Problem ist, dass es noch keinen wirklichen Frieden in Kroatien gibt. Was man auch daran sieht, dass die Feierlichkeiten zum 20. Jahrestag der Operation Oluja vor allem den Krieg thematisieren werden und nur wenige den Frieden - wenn überhaupt."
    Strafe für Oluja-Kritiker?
    Tatsächlich ist für die meisten Kroaten die Militäroperation "Oluja" zunächst einmal das Symbol des glorreichen Sieges über den serbischen Aggressor. Der Nationalfeiertag am 5. August ist der Tag, an dem die kroatischen Truppen in die bis dahin serbisch kontrollierte Stadt Knin einmarschierten.
    "Die Frage ist, wie viel Raum die zivilen Opfer in den Medien bekommen werden," sagt Vesna Terselic. Sie ist Direktorin von Dokumenta, einer Nichtregierungsorganisation in Zagreb, die sich mit der Aufarbeitung der Vergangenheit beschäftigt:
    "Bilder von Soldaten, die den Sieg feiern; Menschenmengen, die sie grüßen und voller Freude über die Befreiung sind. Auf der anderen Seite: die Kolonnen von serbischen Flüchtlingen, von denen die meisten nie zurückgekommen sind. Bilder von trauernden Familien, die ihre Angehörige verloren haben oder immer noch vermissen. Beide Bilder gehören zur Geschichte der Militäroperation."
    Und beides sollte bei den bevorstehenden Gedenkfeierlichkeiten zu "20 Jahre Operation Oluja" gezeigt werden. Vesna Terselic hat jedoch große Zweifel, dass das passieren wird. Jüngst forderte der Präsident des Zagreber Bezirksgerichts gar ein Gesetz: Mit fünf Jahren Gefängnis sollte derjenige bestraft werden, der behaupte, die Operation "Oluja" sei ein Akt der ethnischen Säuberung gewesen.
    "Und das ist wirklich problematisch. Ich hoffe wirklich, dass wir in diesem Land nie wieder verbale Delikte haben werden wie zu Zeiten Jugoslawiens. Die Interpretationen des Kriegs und der Operation Oluja sind notwendigerweise verschieden. Aber leider ist eine solche Sichtweise in Kroatien immer noch nicht willkommen."