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Kubanische Flüchtlinge auf dem Weg in die USA
Endstation Kolumbien

Die politische Annäherung zwischen den USA und Kuba hat auch dazu geführt, dass immer mehr Kubaner versuchen, in die USA zu gelangen. Denn sie befürchten, dass bald das für sie geltende liberale Asylrecht beendet wird. Viele der Flüchtlinge stranden in Kolumbien, denn die Wege in die USA wird immer schwieriger und risikoreicher.

Von Johannes Kulms |
    Flüchtlinge werden von der kolumbianischen Marine nach ihrer Rettung in Turbo an Land gebracht.
    Flüchtlinge werden von der kolumbianischen Marine nach ihrer Rettung in Turbo an Land gebracht. (dpa / picture alliance / Armada Nacional / EFE)
    Turbo gehört definitiv nicht zu den Magneten der kolumbianischen Tourismusbranche. Die stickige und etwas staubige 170.000-Einwohnerstadt an der Karibikküste ist für viele Backpacker eher Durchgangsstation denn Zielort. Auch für Migranten auf dem Weg in die USA ist Turbo eine wichtige Durchgangsstation. Von hier aus ist es nicht mehr weit bis nach Panama. Die Grenze liegt rund 100 Kilometer Luftlinie entfernt im Nordwesten. Doch seit wenigen Monaten stellt sich für die Migranten die Frage: Wird Turbo für sie zur Durchgangs- oder zur Endstation?
    Auch an diesem Abend Mitte Mai ist es noch stickig-schwül in der Stadt. Das gilt erst recht für die kahle lang gestreckte Lagerhalle am Ufer des Golfs von Urabá. An die einhundert Migranten liegen und sitzen auf Isomatten, die in der ganzen Halle verteilt sind. An einem aufgeschraubten Ventilator machen sich mehrere Männer zu schaffen. Sie stammen - wie fast alle hier in der Halle - aus Kuba. "Einen haben wir schon repariert, aber jetzt müssen wir den hier in Gang kriegen."
    Zahl kubanischer Migranten verdoppelt
    Die vor rund eineinhalb Jahren beschlossenen Annäherung zwischen Kuba und den USA hat eine scheinbar paradoxe Folge: In jüngster Zeit verlassen immer mehr Kubaner ihr Heimatland Richtung USA. Im vergangenen Jahr waren es mehr als 43.000 Kubaner, die die Vereinigten Staaten erreichten. Allein zwischen Oktober und Dezember 2015 kamen nach Angaben des US-Heimatschutzministeriums mehr als 17.000 kubanische Migranten ins Land. Das ist fast das Doppelte im Vergleich zum Vorjahr.
    Sie sehen den früheren kubanischen Präsidenten Fidel Castro und seinen Bruder Raúl, der die Führung übernahm.
    Die politische Führung ist immer noch die gleiche: Der frühere Präsident Fidel Castro und sein Bruder Raúl, der das Amt übernahm. (picture-alliance / dpa / Ismael Francisco)
    "Die kubanische Auswanderung ist kein neues Phänomen, es gibt sie schon seit langer Zeit. Die Leute wollen in Freiheit leben, sie suchen Meinungsfreiheit und ein Leben in Würde", sagt Javier Alejandro Lavarte Rodriguez. Der 32-Jährige ist einer von zwei Sprechern, den die kubanischen Migranten in Turbo gewählt haben. Dass sich Lavarte und seine Landsleute nun jedoch verstärkt auf den Weg in Richtung USA machen, hat vor allem einen Grund: Die Sorge davor, dass Washington seine bislang so liberalen Gesetze für kubanische Migranten bald zurücknehmen könnte.
    Anders als Einwanderer aus dem Rest Lateinamerikas galt bislang für Kubaner der sogenannte "Cuban Adjustment Act": Wer US-Territorium betritt, bekommt politisches Asyl und die Chance auf eine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung. Und das suchen immer noch viele Kubaner, meint Lavarte: "Zwar gibt es in Kuba jetzt einen neuen Präsidenten. Aber Raúl ist ja der Bruder von Fidel Castro. Das Imperium lebt also weiter, es gibt immer noch keine Demokratie. Ich zum Beispiel war Teil der Kubanischen Ärztemission. Sie haben mir das Visum entzogen und weigern sich bis heute, mir ein neues zu geben und kommen dauernd mit Ausreden. Deswegen gibt es für mich keinen legalen Weg in die USA zu kommen. Aber erst dort wäre für mich ein freies Leben möglich."
    Immer mehr Staaten verlangen ein Visum
    Nicht einmal 200 Kilometer trennen Kuba und die USA voneinander. Doch direkte Flugverbindungen gibt es derzeit noch nicht. Und die Überfahrt mit einem Boot scheuen viele, denn im Umgang mit kubanischen Flüchtlingen gilt seit den 90er-Jahren die sogenannte "wet-foot/dry-foot"-Politik, also die "Politik der nassen und trockenen Füße". Das bedeutet: Kubaner, die versuchen, über den Seeweg die USA zu erreichen und dabei aufgegriffen werden, müssen zurück in ihr Heimatland. Wem es jedoch gelingt, die Vereinigten Staaten über den Landweg zu erreichen – also mit trockenen Füßen – dem winkt ein unbefristetes Bleiberecht.
    Ein rostiges Boot, mit dem Flüchtlinge aus Kuba geflohen sind, liegt am Strand von Miami, USA.
    Ein rostiges Boot, mit dem Flüchtlinge aus Kuba geflohen sind, liegt am Strand von Miami, USA. (dpa/picture-alliance/Daniel García Marco)
    Deswegen entscheiden sich immer mehr kubanische Flüchtlinge für eine Einreise von Süden her über Mexiko. Kein leichtes Unterfangen, denn die zentralamerikanischen Staaten verlangen von ihnen Visa bei der Einreise. Allein über Ecuador oder Guyana konnten die Kubaner bislang das Festland betreten. Doch mittlerweile verlangt auch Ecuador von ihnen ein Visum. Einmal auf dem südamerikanischen Kontinent angelangt, liegt vor den Migranten ein mehr als 7.000 Kilometer langer Landweg.
    Eine Route, die höchst gefährlich ist. Zum Beispiel dann, wenn sie sich in die Hände von Schleppern begeben und dabei tagelang durch den Urwald geschleust werden. Immer wieder kommt es zu Überfällen. Doch das Vorankommen wird immer schwieriger. Seit der Grenzschließung Panamas hängen viele kubanische Migranten in Nordkolumbien fest. Für sie gibt es drei Möglichkeiten, sagt Mayi, die wie die vielen anderen Kubaner auch am Ufer des Golfs von Urabá campiert.
    Warten auf eine Gelegenheit zur Ausreise
    "In das Land zurückkehren, von dem aus wir Kolumbien betreten haben. Oder in unser Heimatland deportiert zu werden. Oder aber uns in ein befreundetes Drittland zu schicken, damit wir unsere Reise fortsetzen können. Ich hoffe, dass es letztere Option sein wird."
    In den Monaten zuvor waren tausende kubanische Migranten wegen der Grenzschließungen in Zentralamerika gestrandet. Nach wochenlangem Ausharren und gewaltsamen Zusammenstößen dann die erlösende Nachricht: Im Dezember erklärte sich Costa Rica bereit, sie per Flugzeug nach El Salvador zu bringen. Von dort aus konnten sie dann weiter über Guatemala und Mexiko in die USA reisen. Auf eine solche Lösung hoffen auch Mayi und die anderen Kubaner in Turbo. "Wir sind vorbereitet. Wir wissen, dass es jetzt eine Woche dauern kann. Oder einen Monat. Oder dass wir zwei Monate warten müssen. Unsere kubanischen Brüder und Schwestern in Costa Rica und Panama mussten zwei, drei Monate lang warten, ehe sie weiterreisen konnten."
    Polizisten aus Costa Rica kontrollieren die Papiere eines Flüchtlings aus Kuba, der in die USA weiterreisen will.
    Grenzkontrolle in Costa Rica. (dpa/picture-alliance/Jeffrey Arguedas)
    Wenige Wochen später wird Mayi mit ihrem Mann Nelson von den kolumbianischen Behörden abgeschoben. Nach Ecuador, jenes Land, in dem das Paar zuvor ein Jahr gelebt hatte und von dem es nach Kolumbien eingereist war.
    Für die anderen geht das Warten in der Lagerhalle von Turbo weiter. Wochen werden vergehen - ohne dass sich etwas an der Situation ändert. Stattdessen kommen immer mehr Migranten an. Die Halle platzt inzwischen aus allen Nähten. Doch dem Wunsch der Kubaner, sie auszufliegen, könne man nicht nachkommen, erklärt Christian Krüger Sarmiento, Chef von Migración Colombia, der kolumbianischen Migrationsbehörde.
    Auch immer mehr Flüchtlinge aus Asien und Afrika
    "Die Leute dort sind nicht kriminell. Aber sie haben kein Visum. Und wir können ihren Status nicht einfach so ändern. Die Kubaner wünschen sich einen Flieger, der sie ausfliegt, und sagen, ihre Verwandten in den USA würden die Kosten dafür übernehmen. Aber das geht aus zwei Gründen nicht. Zum einen lässt Mexiko sie nicht einreisen. Und zum anderen können wir Personen ohne gültige Papiere nicht ausfliegen, damit würden wir gegen kolumbianische Gesetze verstoßen. Und dafür müsste ich als Direktor der Migrationsbehörde gerade stehen und käme in Haft."
    Doch in Turbo treffen nicht nur Migranten aus Kuba ein. In der Lagerhalle nächtigt an diesem Abend auch eine zwölfköpfige Gruppe aus dem Kongo. Darunter Frauen und Kinder. Und junge Männer. Einer von ihnen ist Amadou. Ins Mikrofon sprechen möchte er nicht. Sie seien auf der Flucht, weil sie keine Arbeit in ihrem kriegsgezeichneten Heimatland fänden, sagt er. Er wolle eine Perspektive. Vor seiner Ankunft in Kolumbien hat er ein Jahr in Brasilien gelebt, erzählt Amadou. Doch dort sei er immer wieder Opfer von Rassismus geworden.
    Die Kubaner und Haitianer bilden die größten Migrantengruppen in Kolumbien. Die nationale Migrationsbehörde hat im vergangenen Jahr rund 7.200 Kubaner und etwa 1.000 Haitianer erfasst. Doch auch aus Afrika und Asien kommen zunehmend Migranten nach Kolumbien, die von dort aus weiter in Richtung USA reisen wollen. Fast 400 Kongolesen, 400 Somalier und über 700 Nepalesen waren es allein im vergangenen Jahr. Neben Migranten aus Ghana, Bangladesch und Indien.
    Illegalen Aktivitäten rund um die Migranten
    Im Rathaus von Turbo bereitet diese Entwicklung Kopfzerbrechen. Rund 4.000 Migranten hätten die Stadt bis Mitte Mai erreicht, rund 50 am Tag, schätzt Stadtrat Emelides Muñoz Meza. Er ist in Turbo Stadtrat für Regierungs- und Verwaltungsangelegenheiten. Mit der Zahl der Migranten steigt auch die Kriminalität: "Um die Migranten herum ist eine Reihe von illegalen Aktivitäten entstanden, was vor allem auf die kriminellen Banden zurückgeht. Es hat sogar Mordfälle gegeben, wir hatten Verletzte und es gab Misshandlungen. Migranten wurden im Meer oder an den Ufern zurückgelassen und die kolumbianische Marine musste eingreifen."
    Grenzschließungen würden wenig bringen, glaubt Muñoz Meza. Auch Kolumbien kontrolliert inzwischen seine Grenze viel stärker - und trotzdem kommen die Migranten weiterhin nach Turbo. "Statt die Grenzen zu schließen, sollte man aus meiner Sicht einen Korridor einrichten, durch den sich die Migranten bewegen können. Dieser Korridor sollte durch ganz Amerika führen - bis in die USA."
    Kolumbien wird zum Transitland
    Nicht nur in Turbo - in ganz Kolumbien sind die Migrantenzahlen in den letzten Jahren, vor allem 2015, deutlich gestiegen, wie Christian Krüger Sarmiento von der Nationalen Migrationsbehörde erläutert: "Wenn die Entwicklung so weiter geht, könnten in diesem Jahr rund 20.000 Migranten nach Kolumbien kommen. Letztes Jahr hatten wir knapp 9.000 Migranten. Es wären also mehr als doppelt so viele."
    Die Grenzregion zwischen Panama und Costa Rica.
    Die Grenzregion zwischen Panama und Costa Rica. Viele Kubaner wollen über Panama in die USA gelangen. (dpa/picture-alliance/German Miranda)
    20.000 Migranten in einem Jahr! Das sind freilich deutlich niedrigere Zahlen, als die, denen sich viele EU-Staaten gegenüber sehen. Allerdings handelt es sich hierbei nur um die Migranten, die auch von den Behörden erfasst wurden. Die Dunkelziffer ist deutlich höher. Und noch etwas ist neu: Der Bürgerkrieg in Kolumbien selbst war in den vergangenen Jahrzehnten Fluchtgrund für hunderttausende Menschen. Jetzt ist das Land Ziel der Flüchtlinge: "Es waren bisher vor allem Kolumbianer, die ausgewandert sind. Was jetzt neu ist, dass Kolumbien zu einem Transitland geworden ist von Migranten aus anderen Ländern, die unterwegs sind in Staaten, die besser entwickelt sind", sagt Maria Teresa Palacios, Jura-Professorin an der Universidad del Rosario in Bogotá und auf das Thema Menschenrechte spezialisiert.
    Die besondere Situation der Kubaner sei ein Grund für die steigenden Migrationszahlen sagt Fernando Calado. Er ist Direktor des Büros der Internationalen Organisation für Migration in Bogotá, kurz IOM. Doch es gebe noch weitere Faktoren. "Zum einen spitzen sich viele Konflikte zu, sei es in Afrika oder in Syrien. Diese Menschen fliehen um ihr Leben und immer mehr tun das auch über die Grenzen von Kontinenten hinweg. Dann haben wir die sozioökonomische Situation in Staaten wie in Haiti. Und drittens haben Lockerungen bei den Visa-Bestimmungen in der Region auch dazu geführt, dass die länderüberschreitenden Migrationsbewegungen wachsen."
    Keine Strategie im Umgang mit den Flüchtlingen
    Die Menschenrechtsexpertin Palacios spannt derweil den Bogen zur europäischen Flüchtlingskrise. Sie meint insbesondere mit Blick auf die afrikanischen Migranten: "Es gab die Bestrebungen der EU, Quoten festzulegen für Flüchtlinge aus Syrien und Migrantengruppen aus afrikanischen Ländern. Und dann hieß es plötzlich: Diese Kontingente werden wir nicht einhalten können, das wird uns wirtschaftlich überfordern und angesichts der terroristischen Bedrohung könnten wir dadurch ein Sicherheitsproblem bekommen. Das führt dazu, dass die Migranten nicht mehr nur nach Europa, sondern zusätzlich auch in die USA schauen."
    Dass es Kolumbien und den anderen lateinamerikanischen Staaten gelungen sei, eine Strategie im Umgang mit der wachsenden Zahl von Flüchtlingen zu finden, glaubt Palacios nicht: "Wir haben noch einen weiten Weg vor uns. Zwar gibt es Organisationen wie den Mercosur oder die Andengemeinschaft. Aber wir haben keine einheitliche Migrationspolitik. Jeder Staat legt seine Standards selber fest und hat einen großen Spielraum."
    Die Verwundbarkeit der Migranten steigt
    IOM-Direktor Fernando Calado drückt sich diplomatischer aus: Natürlich stehe es den Staaten offen ihre Grenzen zu schließen, um damit ein Zeichen gegen irreguläre Migration zu setzen, so Calado: "Allerdings erhöht sich dadurch auch das Risiko, dass die Migranten und die Schlepperbanden immer gefährlichere Routen nutzen. Damit steigt also die Verwundbarkeit der Migranten. Es ist deshalb wichtig, dass es Räume gibt, in denen die Migranten davor geschützt sind."
    Flaggen der USA und Kubas im kubanischen Viertel in Miami, Florida
    Flaggen der USA und Kubas in Miami, Florida. Der Sonderstatus kubanischer Flüchtlinge schafft auch Probleme. (dpa/picture alliance/DB Lazslo Trankovits)
    Diese Befürchtung teilt Christian Krüger Sarmiento so nicht. Der Direktor der kolumbianischen Migrationsbehörde fordert: Einerseits müssten die Netzwerke der Schlepper zerschlagen werden. Andererseits müssten die Migranten legal nach Kolumbien einreisen. Mit Blick auf die grenzüberschreitende Migration müsse ein gemeinsamer Ansatz der lateinamerikanischen Staaten her, meint Krüger Sarmiento. Der entscheidende Akteur sei aber nicht Kolumbien, meint der Verwaltungschef. "Wir sind weder die Ursache noch der Ursprung dieses Migrationsphänomens. Sondern wir sind ein Land, das davon betroffen ist. Der Ursprung dieses Problems liegt dagegen in den Ländern, die sich in einem Konflikt egal welcher Natur befinden. Das ist nicht unsere Verantwortung."
    Die kolumbianische Migrationsbehörde habe erst zu Beginn 2012 ihre Arbeit aufgenommen und befasse sich nicht mit Binnenflüchtlingen, sondern schaue auf die grenzüberschreitende Migration, so Krüger Sarmiento. Dass das Land kurz davor steht, einen seit fast 60 Jahren tobenden Bürgerkrieg zu beenden, spielt im Gespräch keine Rolle. Im Gegenteil: Aus Sicht des Behördenleiters tragen auch jene Länder Verantwortung, die mit ihrer Migrationspolitik die falschen Anreize setzten, also beispielsweise die USA, die kubanischen Flüchtlingen Asyl gewähren.
    "Relikt aus dem Kalten Krieg"
    Ob die Sonderregelung für kubanische Einwanderer noch angemessen ist, wird auch in den USA diskutiert. Die New York Times nannte den "Cuban Adjustment Act" kürzlich ein – Zitat: "Relikt aus dem Kalten Krieg", das abgeschafft gehöre. Krüger Sarmiento: "Warum behandelt man die einen besser als die anderen? Entweder alle oder gar keine! Es gibt eine Migrantengruppe bei uns in Kolumbien, die in einem anderen Land eine Reihe von Privilegien genießt. Solange diese Sonderrechte dort fortbestehen, kann ich die Sicherheitsmaßnahmen an unseren Grenzen weiter verschärfen und die Personen immer wieder abschieben. Und doch werden sie immer wieder kommen und versuchen, in ihr Zielland zu gelangen, weil sie dort Familienangehörige haben und zudem diese Sonderrechte genießen. Das ist also ganz klar ein Anreiz, dass diese Personen weiterhin unser Land passieren."
    Ganz anders sieht es dagegen die Rechtswissenschaftlerin Maria Teresa Palacios. Für sie ist die kolumbianische Migrationspolitik symptomatisch für einen generell verfehlten Ansatz in Lateinamerika: "Zuerst einmal müsste sich die Haltung ändern. Leider tappen wir in dieselbe Falle wie die entwickelten Staaten, die versuchen ihre Grenzen zu schützen. Bei dieser Haltung geht es um die Verteidigung von Grenzen und gegen Migranten. Sie folgt einer Logik der Verfolgung. Und diesen Leitlinien folgt auch die kolumbianische Migrationsbehörde. Das ist am Ende aber doch genau die Debatte, die wir an den USA und Europa so kritisieren, wenn es um dort um die Behandlung unserer Landsleute geht."
    Die Juristin meint: Ihr Heimatland halte sich nicht an internationale Vereinbarungen. Beispielsweise die "Wanderarbeiter-Konvention" der Vereinten Nationen, die die Rechte von Arbeitsmigranten, Saison- und Gelegenheitsarbeitern festschreibt: "Daraus leiten sich Normen und Verpflichtungen ab. Auch die kolumbianische Verfassung garantiert Ausländern bestimmte Rechte. Dem gegenüber steht jedoch eine minimal gehaltene Migrationspolitik mit sehr unsicheren Gesetzen. Und damit wird eine Widersprüchlichkeit und absolute Unvereinbarkeit deutlich zwischen internationalen Bestimmungen und der kolumbianischen Innenpolitik."

    Zurück im Norden Kolumbiens an der Karibikküste. In der Lagerhalle von Turbo warten die mehrheitlich kubanischen Migranten weiterhin auf eine Lösung. Andere Landsleute - die vielen Migranten aus Haiti, Asien und Afrika - bleiben nur kurz in Turbo. Sie besteigen im Hafen der Stadt ein Motorboot und nehmen auf den Sitzbänken zwischen den Touristen Platz. Knapp zwei Stunden dauert die Überfahrt über den Golf von Urabá nach Capurganá, ein beinah paradiesisch anmutender Küstenort nahe der Grenze zu Panama. Nur wenige Kilometer sind es von hier in die nächste Bucht des zentralamerikanischen Landes. Doch weil der Seeweg nach Panama für die Migranten versperrt ist, vertrauen sich in Capurganá viele den Schleppern an - den berüchtigten Coyotes. Eine Anwohnerin: "Manche verlaufen sich in den Bergen und kommen nicht wieder raus. Andere nehmen den falschen Weg und finden sich plötzlich in den falschen Dörfern wieder. Es werden Leute krank. Viele schaffen es nach Panama. Aber andere Leute haben dieses Glück nicht. Vor Kurzem ist hier in der Nähe des Dorfes eine Frau an einem Herzinfarkt gestorben."
    Motorräder, Menschen, Buden, Handkarren und Polizei sind zu sehen in Turbo, dem wichtigsten Hafen am Golf von Urabá in Kolumbien und Umschlagsort für Kokain.
    Turbo ist der wichtigste Hafen am Golf von Urabá in Kolumbien. (Roland Peters)
    In der Gegend operieren kriminelle Banden, frühere Paramilitärs und die Guerilla. Sie allesamt verdienen viel Geld mit dem Drogenschmuggel. Aber auch immer mehr mit dem Schmuggel von Migranten, wofür dieselben Netze und Routen genutzt werden. Selbst wenn die Zahlen in den nächsten Jahren womöglich nicht im selben Rhythmus weiter wachsen werden: Kolumbien aber auch andere lateinamerikanische Staaten sind mit einem veränderten Migrationsphänomen konfrontiert. Ob es ihnen gelingt, darauf eine gemeinsame Antwort zu finden, ist offen.