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Künast erwartet klare Entscheidung von Friedrich zu NPD-Verbot

Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) bleibt skeptisch, ob ein Verbotsverfahren der richtige Weg ist, die NPD zu bekämpfen. Ein Bundesinnenminister, der diese Kernentscheidung nicht treffe, sei "fürs gesamte Amt überfordert", kritisiert die Grünen-Fraktionsvorsitzende Renate Künast. Sie selbst tendiere dazu, den Antrag zu unterstützen.

Renate Künast im Gespräch mit Martin Zagatta |
    Martin Zagatta: Der Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich ist verärgert, dass die Materialsammlung, mit der eine Bund-Ländergruppe ein NPD-Verbot betreibt, dass die öffentlich geworden ist, aber er bleibt skeptisch, ob ein Verbotsverfahren der richtige Weg ist, die NPD zu bekämpfen.

    Im Gegensatz zur Bundesregierung drängt die Opposition darauf, dass sich der Bundestag dem Verbotsverfahren des Bundesrates anschließt. Das ist etwas vereinfacht, wenn ich das richtig wiedergebe, auch die Haltung von Bündnis90/Die Grünen, deren Fraktionsvorsitzende Renate Künast jetzt am Telefon ist. Guten Morgen, Frau Künast!

    Renate Künast: Guten Morgen, Herr Zagatta!

    Zagatta: Frau Künast, egal, wie man zu dem NPD-Verbot steht – hat der Innenminister nicht recht damit, da sehr vorsichtig abzuwägen? Die NPD nutzt das Verfahren doch jetzt schon als Werbung für sich.

    Künast: Er hat recht, ordentlich abzuwägen, wenn es das wäre. Herr Zagatta, Tatsache ist ja, dass der Bundesinnenminister ja doch, bitte schön, die Person bundesweit sein sollte, die am meisten weiß, was vom Material zu halten ist. Er hat es schließlich mit seinen Behörden und den Ländern zusammen zusammengestellt und zusammengefügt. Insofern wundere ich mich schon sehr, dass er an dieser Stelle immer noch zagt und zaudert. Er muss schon wissen, ob seiner Meinung nach dieses Material dazu reicht, eine juristische Entscheidung herbeizuführen.

    Natürlich wird man nie Sicherheit haben – das Bundesverfassungsgericht wird diese Ultima Ratio, das Parteienverbot, ja sorgfältig prüfen. Aber ich wundere mich schon. Er sitzt dann ja jetzt weit über ein halbes Jahr auf diesem Material und kann immer noch nicht sagen, ob es reicht oder nicht, traut sich aber auch nicht zu sagen, dass er meint, zum Beispiel, den Antrag nicht zu stellen.

    Zagatta: Das deutet ja darauf hin, dass der Innenminister da auch noch zögert, weil er die entsprechenden eindeutigen Informationen noch nicht hat. Da hat er doch dann recht, abzuwarten noch?

    Künast: Es wird ja nicht dazukommen, Herr Zagatta. Das ist leider eine falsche Annahme. Es ist nicht so, dass er da sitzt und wartet, ob er noch weiteres Material kriegt, sondern der Punkt ist ja Folgender: Der Bundesrat hat sich entschieden. Ob man das nun gut findet oder nicht, dass er dann vorangegangen ist, aber dadurch passiert eines, nämlich es wird ein Antrag beim Bundesverfassungsgericht eingereicht werden.

    Also die Frage, wird es dann zu einem Verbot kommen oder nicht, welche Folgen hat das jeweils politisch, auch an Ansehen, wenn zum Beispiel ein Antrag noch einmal abgelehnt würde. Die sind allemal da, und jetzt muss man sich ernsthaft damit beschäftigen, und ich erwarte, dass ein Bundesinnenminister an der Stelle vorangeht. Zu welcher Entscheidung er immer kommt, aber er muss zu einer Entscheidung kommen. Und der deutsche Bundestag will das dann, bitte schön, eben auch wissen, das ist doch logisch. Der oberste Herr über diese Daten muss doch allen anderen auch eine Orientierung geben.

    Zagatta: Der Bundesrat, darauf haben Sie ja hingewiesen, hat dieses Verbotsverfahren beschlossen, aber die Innenminister der Länder haben dabei nicht einmal schriftlich zusichern wollen, dass an der Materialsammlung keine V-Leute beteiligt waren, so wie das Bundesverfassungsgericht das fordert. Da ist doch ein Scheitern vorprogrammiert oder nach wie vor große Unsicherheit bekundet.

    Künast: Es stimmt, die haben da gezögert, hatten offensichtlich gerade wegen der ganzen NSU-Vorfälle und der schlechten Arbeitsweise verschiedener Behörden, auch der Verfassungsschutzämter haben sie gezögert, diese Erklärung zu geben. Es gibt aber inzwischen aus allen Bundesländern die Erklärung, dass den Unterlagen kein Material, dass von V-Leuten, durch V-Leute erhoben wurde, mehr innewohnt.

    Deshalb sind die Unterlagen, die am Anfang den Länderinnenministern vorlagen, bis zum heutigen Tag um fast zehn Prozent enger geworden, um da wirklich Sicherheit und Bezüge herzustellen. Angeblich soll selbst Sachen, die V-Leute in der Zeitung geäußert haben, die also allgemein zugängig und nichts mit der V-Leute-Situation zu tun haben, auch die gestrichen worden sein. Ich meine, Entschuldigung, von jedem anderen erwarten Sie es doch auch.

    Es kann ja auch nicht eine Verbraucherschutzministerin, nachdem eine Krise aufgetreten ist, sagen, ich denke jetzt noch mal ein halbes Jahr nach. Das kann kein Minister, und insofern sag ich mal, der Bundesinnenminister muss jetzt mal was klarstellen. Wir zumindest haben jetzt angefangen, wirklich dieses umfangreiche Material wirklich mit aller Sorgfalt zu prüfen auf die Frage hin, kann das ein erfolgreicher Antrag sein. Und dann muss man halt die Kriterien, die beim Bundesverfassungsgericht rechtlich abgefragt sind, dann auch tatsächlich gucken, liegen die vor. Also sind die tatbestandlichen Voraussetzungen da, Beeinträchtigung oder Beseitigung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung, gibt es eine aggressiv-kämpferische Haltung dabei? Um zum Beispiel Punkte zu nennen.

    Und das Europäische Gericht für Menschenrechte hat ja sogar noch ein bisschen schärfer gesagt, dass es auch eine unmittelbare Gefährdung geben muss und die demokratische Gesellschaft das auch für notwendig halten muss, zu einem Verbot zu kommen. Das sind vier, fünf Kriterien, die wird ein Innenminister wohl klären können. Wir klären sie jetzt und wissen, dass das natürlich nicht alles ist, um gegen Rechtsextremismus zu kämpfen, den Antrag zu stellen.

    Zagatta: Sie kennen jetzt das Material – wozu tendieren Sie denn, wenn man beispielsweise sieht, dass bei den Landtagswahlen zuletzt in Niedersachsen die NPD nicht über 0,8 Prozent hinausgekommen ist. Ist das eine Gefahr für unseren Staat?

    Künast: Na, wissen Sie, das ist vielleicht nicht so, dass man das, was die NSDAP am Ende angerichtet hat, als sie groß war, als Gefährdungskriterium nehmen muss. Es ist übrigens auch nicht so, dass die juristischen Voraussetzungen sagen, es muss morgen sozusagen die freiheitlich-demokratische Ordnung abgeschafft sein und eine entsprechende Machtübernahme bevorstehen. Nein, rechtlich ist es schon so, dass das Verhalten zum Ziel hat, die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen. Das ist schon offen formuliert.

    Tatsache ist aber doch, das sehen Sie doch gerade seit der NSU: Es gibt eine tatsächliche Vermischung, kann man, finde ich, schon sagen, es gibt eine Vermischung von NPD mit den freien Kameradschaften, es gibt personelle Überschneidungen. Es hat die Morde gegeben, es gibt Druck, der politisch ausgelöst wird. Denken Sie allein auch an die Ausweitung innerhalb der Jugendszene. Und sie äußern sich tatsächlich so, also, man kann ja Zitate finden, die den von Goebbels in den Anfangszeiten sehr ähnlich ist. Was ist denn der Rechtsstaat so blöd, dass er mir die Mittel gibt, dann nehme ich sie auch, um diese Strukturen hier und Grundstrukturen zu beseitigen. Das alles sind Gefahren, ja.

    Zagatta: Heißt das, dass Ihre Fraktion jetzt da eindeutig dafür ist, also, dass der Bundestag dieses Verbotsverfahren mittragen sollte?

    Künast: Wir haben gerade gestern ein internes Fachgespräch gemacht, auch mit ehemaligen Verfassungsrichtern, um das zu bewerten. Und bei uns – ich glaube, es ist im Augenblick gerade noch ein bisschen halbe-halbe. Einige sagen, wenn man will, dass die Bürger die Verfassung schützen und sich aktiv für sie einsetzen, wie soll man das eigentlich bekommen oder erwarten können, wenn die Bürger sehen, dass die dazu berufenen Organe ihre Mittel nicht nutzen und sagen, dann muss man diesen Antrag – dem Antrag, ich sage, faktisch beitreten, den der Bundesrat ja schon gestellt hat. Es gibt aber auch andere, die Sorge haben vor einer negativen Entscheidung. Wir sehen, es ist nicht einfach. Aber das ändert nichts daran, dass der Bundesinnenminister irgendwann sagen muss, was er will.

    Zagatta: Aber Sie sagen, das ist halbe-halbe – Sie selbst, Frau Künast, wenn ich Sie da recht zitiere, haben ja früher auch noch gesagt, ein NPD-Verbot sei absoluter Quatsch. Jetzt wollen Sie, dass der Bundesinnenminister vielleicht dieses Verbot mit unterstützt. Das ist doch – überfordern Sie ihn da nicht im Moment?

    Künast: Entschuldigung bitte. Ein Bundesinnenminister, der bei den Kernentscheidungen, die er in seinem Amt zu treffen hat, nicht nachkommt und nicht kann, der ist, glaube ich, dann fürs gesamte Amt überfordert, was ich bei Herrn Friedrich und seiner Amtsführung sowieso den Eindruck habe. Die Tatsache, dass es schwierig ist, heißt nicht, dass man sich nicht entscheiden muss. Er ist derjenige, der diesen Satz sagen muss. Der Bundestag wird sich auch entscheiden.

    Meine persönliche Tendenz dazu ist, dass, weil man ja nie Sicherheit hat, dazu ist ja dann das Bundesverfassungsgericht da, dessen Entscheidung kann man nicht vorher komplett festlegen, sondern das muss man dann wagen. Aber meine Tendenz dazu ist, einen solchen Antrag zu unterstützen, weil ich sehe, dass es eine Gefahr gibt. Und die Gefahr ist eben nicht erst bei Machtübernahme, sondern bei einem massiven Einfluss und Druck.

    Zagatta: Sie haben da also auch dazugelernt oder denken jetzt um, weil Sie haben doch früher selbst gesagt, ein NPD-Verbot sei absoluter Quatsch.

    Künast: Ja, dann zitieren Sie mich, glaube ich, so aus dem Jahr 2000, 2001, nicht? Als wir damals ein – als es damals um einen Verbotsantrag ging, und damals habe ich die Situation so erlebt, dass zwar keine Belege vorlagen, aber viel politische Emotion, und es dann ohne eine intensive Prüfung los ging, verbieten oder nicht verbieten, und ich glaube, dass damals nicht hinreichend und sorgfältig geprüft wurde.

    Das können Sie schon daran erkennen, dass damals der Fehler gemacht wurde, mit einer Vielzahl von V-Leuten, die sogar im Führungsbereich waren, also die Entscheidungen der Partei ja auch beeinflussen konnten, dass man darauf gar nicht geachtet hat, also rechtlich gar nicht geklärt hat, was muss man vorlegen oder nicht. Und deshalb habe ich auch damals gesagt, absoluter Quatsch. Da ging es hoppla-hopp.

    Zagatta: Aber mittlerweile sind doch die Hürden durch das Bundesverfassungsgericht noch viel höher. Jetzt sagen Sie trotzdem, jetzt macht es Sinn?

    Künast: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat hier noch schärfer formuliert, aber die Entscheidungen zum Beispiel, sind schärfer formuliert in Bezug auf eine Partei in der Türkei. Der Europäische Gerichtshof hatte auch mal in anderen Entscheidungen gesagt, man muss auch Historie berücksichtigen, deshalb gehe ich fest davon aus, dass die auch deutsche Geschichte, unsere Geschichte mit berücksichtigen werden bei der Frage, ist hier ein Verbot dann einer Partei – das ist ja auch eine historische Frage – ein Verbot der Partei in Deutschland verfassungsgemäß ist. Ich glaube, da werden sie unsere deutsche Geschichte und das, was wir hier schon mal erlebt und angerichtet haben von deutschem Boden aus, auch mit einbeziehen.

    Jetzt haben wir sorgfältiger geprüft, jetzt gibt es schon Nachweise und Zitate von Menschen innerhalb der NPD, und man sieht sogar, wie stark die NPD auch eine aggressiv-kämpferische Haltung gerade durch ihre Vermischung hat mit Kameradschaften draußen. Was die dann nachher angerichtet haben, zum Beispiel die NSU angerichtet haben, weiß man ja. Und insofern glaube ich, dass wir im Augenblick eine andere Lage haben, eine andere Beweislage, die zwar am Ende nicht sicher macht, dass das Bundesverfassungsgericht so entscheidet, aber es ist jetzt tatsachengestützt.

    Zagatta: Sagt die Vorsitzende der Fraktion Bündnis90/Die Grünen, der Bundestagsfraktion, Renate Künast. Frau Künast, herzlichen Dank für das Gespräch!

    Künast: Ich denke auch, Herr Zagatta!

    Zagatta: Auf Wiederhören.

    Künast: Wiederhören.

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