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Künast: Starke Schultern sollen mehr für das Gemeinwesen leisten

In Bezug auf die Steuerpläne der Grünen fordert Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann "Maß und Mitte" - gerade mit Blick auf den Mittelstand. Fraktionsvorsitzende Renate Künast sieht keinen internen Konflikt. Man beabsichtige, mehr Geld für Soziales, speziell für soziale Infrastruktur, auszugeben.

Renate Künast im Gespräch mit Tobias Armbrüster |
    Tobias Armbrüster: Am Telefon ist jetzt Renate Künast, die Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag. Schönen guten Morgen!

    Renate Künast: Guten Morgen, Herr Armbrüster.

    Armbrüster: Frau Künast, warum werden die Grünen eine Steuererhöhungspartei?

    Künast: Wir werden gar keine Steuererhöhungspartei, sondern wir haben gerade eine Debatte sehr ernsthaft um das Thema Steuern, auch Steuergerechtigkeit. Angesichts des Falles Hoeneß und Debatten über Schweizer Steuerabkommen ist das ja, denke ich, weder aktuell ein Wunder, noch seit Lehman Brothers 2008 und der Bankenkrise ein Wunder. Wir wollen, dass die stärkeren Schultern tatsächlich mehr für das Gemeinwesen beitragen. Wir sehen ja, wo es überall hapert, zum Beispiel bei Kindergärten und Schulen, an einem guten durchfinanzierten Bildungssystem. Es hapert am Geld für eine Energiewende, das ist gut fürs Klima und gut für neue Jobs. Und diese starken Schultern wollen wir halt belasten, bleiben darin am Ende übrigens doch noch unter den Steuersätzen aus kohlschen Regierungszeiten. Es ist also nicht übertrieben.

    Armbrüster: Ihr Parteikollege Winfried Kretschmann hat aber jetzt in einem Brief davor gewarnt, dass die Grünen mit ihren Forderungen die Wirtschaft zu sehr belasten. Was hat er missverstanden?

    Künast: Ich glaube, da geht die Debatte auch ein bisschen um die Frage, was steht jetzt im Programm. Das sind Dinge, die wir auch als Bundestagsfraktion über lange Jahre genau gerechnet haben, ich denke, auch gerechnet haben, wie keine andere Partei. Und die Frage, ob und was da zum Beispiel im Rahmen eines Parteitages noch verändert werden könnte. Die von ihm besorgte Substanzbesteuerung von Unternehmen ist im Programm ausdrücklich ausgeschlossen. So hatten wir die Steuern auch bei der Vermögensabgabe gar nicht gerechnet. Wir haben sogar bei einem unserer Schlüsselprojekte ausdrücklich schon längst formuliert gehabt, dass das Ganze so strukturiert werden soll, dass keine Substanzbesteuerung stattfindet. Also auch bei Personengesellschaften, wo dieses Vermögen unterschiedlich gut auseinandergerechnet werden kann, keine Substanzbesteuerung. Das war seine Sorge.

    Armbrüster: Aber wie wollen Sie das denn verhindern, wenn Sie den Spitzensteuersatz erhöhen, die Vermögensabgabe einführen und außerdem die Vermögenssteuer erhöhen. Wie wollen Sie dann verhindern, dass der Mittelstand geschädigt wird?

    Künast: Ich sage noch mal: In kohlschen Zeiten hatten Sie mit reichlich über 50 Prozent einen Steuersatz, eine höhere Belastung als heute. Und da hätte keiner gesagt, das ist die Drangsalierung des Mittelstandes. Auch andere Länder haben heute schon höhere Steuern. Wir sagen, ...

    Armbrüster: Aber die Steuern wurden ja damals aus gutem Grund anschließend wieder gesenkt?

    Künast: Ja, genau. Wir gehen aber gar nicht mehr so hoch, wie sie damals waren, sondern auf 49 Prozent im Spitzensteuersatz. Das ist das eine. Wir haben insgesamt ein System aufgebaut, das Haushalte bis 60.000 Euro auf alle Fälle massiv entlastet und sogar bis 80.000 entlastet. Wir überlegen, einen Umbau zu machen beim Ehegattensplitting, sodass wir dann uns konzentrieren auf die Kinder und die als Gemeinwesen finanzieren. Und ich finde, Herr Armbrüster, es ist angesichts der Tatsache, dass wir uns erst mal in der Gesellschaft entschieden haben, eine Schuldenbremse zu machen, also keine neuen Schulden zu machen, trotz alledem sinnvoll – das ist ja fast so wie beim Lastenausgleich nach dem Zweiten Weltkrieg -, es ist jetzt sinnvoll, sich auch mal ranzumachen, zu beginnen, Schulden abzubauen. Und dafür ist für Millionäre, für Millionäre eine Vermögensabgabe auf zehn Jahre gedacht, um damit mal anzufangen. Die Länder sagen uns, sie möchten mittelfristig auch über eine Vermögenssteuer reden. Das soll aber gar nicht gleichzeitig passieren, sondern wenn, dann nacheinander. Es geht um die Ausstattung auch von Kommunen. Jeder, auch der Mittelständler, braucht eine funktionierende Kommune, eine funktionierende Infrastruktur, funktionierende Bildung.

    Armbrüster: Ich will noch mal auf den Kollegen Winfried Kretschmann zu sprechen kommen. Der sagt heute in einem Interview mit der "Süddeutschen Zeitung", die Grünen hätten in seinem Bundesland, in Baden-Württemberg also, mit Maß und Mitte gewonnen. Offenbar sieht er das nicht als die Strategie im Bundestag, die derzeit gefahren wird. Macht Ihnen das Sorge, dass dieser Mann, der ja so erfolgreich war für die Grünen, jetzt sozusagen von der Fahne geht?

    Künast: Ach, Winfried Kretschmann geht nicht von der Fahne. Er hat Sorgen ausgedrückt. Die sind aber, denke ich, auch was zum Beispiel die Besteuerung anbetrifft, untereinander geklärt – zum Beispiel beim Punkt, dass wir die Struktur so aufbauen wollen, dass eine Substanzbesteuerung der Unternehmen nicht stattfindet. Wäre ja auch kurios, weil die Substanz ja faktisch die Neuinvestition ist, der Erhalt und die Schaffung neuer Arbeitsplätze. Und das wollen wir ja gerade, gerade in der Neuausrichtung, wenn es um neue Technologien und neue Energie geht. Ich glaube, dass wir schon als Grüne, auch wenn ich jetzt die Worte Maß und Mitte nicht benutze, aber das wir einen guten Blick für die Mitte der Gesellschaft und das Gemeinwesen haben. Wir brauchen eine ökologische und soziale Transformation des Landes. Die Riesenrohöl- und -gaspreise belasten Privathaushalte tatsächlich enorm. Wie kommen wir da raus? Wie schaffen wir es, aus den Sorgen, die heute bestehen, neue Technologien zu entwickeln, neue Wirtschaftszweige? Und darum geht unser Programm, wirklich Zukunft zu gestalten, Wirtschaftsbereiche neu zu entwickeln und gleichzeitig eben auch für mehr soziale Gerechtigkeit zu sorgen. Es ist schon so, dass die Schere zwischen Arm und Reich in diesem Land immer größer wird, dass die Mitte der Gesellschaft, auch der Mittelstand, nicht unbedingt der war wie bei den ganz Reichen, der wirklich in den letzten Jahren nur dazugewonnen hätte. Es ist heute so, dass auch Mittelständler sagen, auch große Unternehmen, wo kommt eigentlich mein Personal her, wo kommen meine Azubis her. Die Schule leistet das nicht mehr, die ausbildungsfähig ins Berufsleben zu entlassen. Das sind doch auch alles Sorgen, die uns auf der Seele liegen. Und deshalb widmet sich unser Programm auch der Frage, wie man zum Beispiel mehr Geld für Soziales, speziell für soziale Infrastruktur, ausgibt.

    Armbrüster: ..., sagt Renate Künast, die Co-Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen im Deutschen Bundestag. Besten Dank für das Gespräch heute Morgen.

    Künast: Ich danke auch.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.