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Küng: "Das nutzt doch alles nichts"

Der Papst reist im September nach Deutschland, um sich in Thüringen unter anderem mit dem Vorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland, Nikolaus Schneider, zu treffen. Das sei reine PR, "viele schöne Worte und leere Gesten", so die Einschätzung des Theologieprofessors Hans Küng.

Hans Küng im Gespräch mit Christoph Heinemann | 11.03.2011
    Christoph Heinemann: Der Papst will sich mehr Zeit für die Protestanten nehmen, titelte gestern die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" und führte aus, das Oberhaupt der Katholischen Kirche wolle während seines Besuchs in Deutschland im September einen stärkeren ökumenischen Akzent legen, als bislang geplant. Ursprünglich war ein einstündiges Gespräch Benedikts XVI. mit Nikolaus Schneider, dem Vorsitzenden des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), vorgesehen. Mit dieser Terminplanung war der Papst unzufrieden und hat das Präses Schneider auch geschrieben. Ungewöhnlich, dass so etwas öffentlich wird; die vatikanischen Mauern sind ziemlich robust. – Am Telefon ist der Tübinger Theologe Professor Hans Küng. Guten Morgen!

    Hans Küng: Guten Morgen, Herr Heinemann.

    Heinemann: Herr Professor Küng, mehr Zeit für die Protestanten, sind das neue Töne im Pontifikat Benedikts XVI.?

    Küng: Ach, das ist ja im Grunde die alte Melodie, ein wenig pfiffiger vorgebracht, nicht wahr. Man wundert sich ja, wie rasch so protestantische Kirchenleitungen zufrieden sind, wenn es um den Papst geht. Nur etwas mehr Zeit heißt ja noch gar nichts. Was wir erwarten würden, wären wirklich endlich Schritte, die eine Vereinigung dieser Kirchen, mindestens eine Verständigung bewirken können, also die Anerkennung der Ämter, Abendmahl und so weiter.

    Heinemann: Aber es gibt doch auch Symbole. Der Papst trifft Präses Schneider voraussichtlich in Thüringen, im Kernland der Reformation. Welches Ziel verfolgt der Papst Ihrer Einschätzung nach?

    Küng: Ja vor allem ein publizistisches. Da kommt er besser an, er kann dann sagen, ich bin extra nach Thüringen gereist. Das nützt doch alles nichts, wenn nicht irgendwelche Schritte gemacht werden, die wirklich die Christen und die Kirchen zusammenbringen. Also wenn er nach Thüringen geht, wäre es eben dann nur wirkungsvoll, wenn er zum Beispiel endlich die Exkommunikation des Reformators Martin Luther zurücknähme.

    Heinemann: Das heißt, Sie rechnen nicht damit, dass der Papst jetzt einen neuen Dialog eröffnen möchte?

    Küng: Alles, was er bisher getan hat, ist da eher in die andere Richtung gewesen. Er hat ja noch in keiner Weise aufgehoben, was er damals als Kardinal und Chef der Glaubenskongregation verkündet hat, dass er die evangelischen Kirchen noch nicht einmal als wahre Kirchen anerkennt. Also wenn er schon eine Geste machen will, soll er nicht mehr Zeit brauchen, sondern soll das schon mal von vornherein verkünden, er nimmt das zurück und er anerkennt diese Kirchen als Kirchen.

    Heinemann: Aber ist es aus katholischer Sicht nicht folgerichtig, dass er sagt, nur die Katholische Kirche ist die wahre Kirche?

    Küng: Wenn Sie die römische Sicht als die katholische ansehen, dann ja, aber nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil muss man auch die anderen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften ernst nehmen.

    Heinemann: Er hat ja nicht gesagt, dass er sie nicht ernst nimmt; er hat nur gesagt, sie sind keine vollständigen Kirchen.

    Küng: Doch, ja. Das heißt, sie sind überhaupt nicht Kirchen im wahren Sinn, wie er Kirche versteht. Das heißt, nicht nur nicht ernst genommen, sondern er nimmt sie gar nicht als Kirchen wahr. Natürlich muss er, wenn er nach Deutschland kommt, so tun, wie wenn das jetzt doch Vertreter von wirklichen Kirchen wären, aber das wäre ein Statement, das er jederzeit machen könnte. Dafür braucht er nicht viel Zeit, da braucht er nur ein paar Sätze zu machen, um das rückgängig zu machen, was er da im Grunde gegen die Intention des Zweiten Vatikanischen Konzils damals verkündet hat.

    Heinemann: Ökumene bezieht sich ja nicht nur auf die Protestanten. Ist dem Papst der Brückenschlag zur Orthodoxie vielleicht einfach wichtiger als die Annäherung an die Protestanten?

    Küng: Ja, er denkt, strategisch sei das viel einfacher, mit denen kann er sich rascher verbinden, und in etwa ist das natürlich wahr, es ist sehr vieles gemeinsam zwischen der alten hellenistisch-griechisch-russischen Kirche, orthodoxischen Kirche und der römisch-katholischen, aber er hat auch hier die Chance verpasst. Er reiste zum Patriarchen von Konstantinopel; auch da war es so, wie es jetzt vermutlich wieder auf der nächsten Reise sein wird: Viele schöne Worte, leere Gesten, Küssen gegenseitig, aber keine Fortschritte. Es wäre nur ein Fortschritt gewesen, wenn der Papst in Konstantinopel erklärt hätte, er würde diese Exkommunikation von 1054, die damals der römische Legat auf den Altar der Hagia Sophia gelegt hat, rückgängig machen, und zwar nicht nur wie Paul VI. einfach mal formell, sondern er würde die Kirchengemeinschaft wieder herstellen wollen. Aber das wäre ja nur möglich, wenn er auf diese arroganten römischen Forderungen, die man seit dem 11. Jahrhundert an die orthodoxen Kirchen erhebt, verzichten würde.

    Heinemann: Herr Professor Küng, Sie haben in dieser Woche in der "Süddeutschen Zeitung" gefordert, das römische System müsse fallen, Stichworte: Reform des Kirchenrechts, Zölibat, Öffnung aller Ämter für Frauen. Solche Rufe gab es ja immer wieder, aber in den vergangenen 2000 Jahren hat sich die Kirche in ihrem eigenen Tempo reformiert. Sind Sie zu ungeduldig?

    Küng: Ja ich glaube, nach Jahrhunderten von Verzögerung mit der Kirchenvereinigung etwa mit den orthodoxen Kirchen, mit den evangelischen Kirchen, kann man ja wohl langsam ungeduldig werden. Wir hatten wirklich im zweiten Vatikanum, wo Josef Ratzinger und ich die beiden jüngsten Berater waren, gehofft, dass es nun zu einer ehrlichen Verständigung käme, aber seit dem Konzil ist da wenig geschehen. Da kann man wirklich und muss man ungeduldig werden. Und ich meine, auch wenn der Papst schon nach Deutschland kommen soll, dann soll er auch wirklich etwas mitbringen und soll vorher schon erklären, wie gesagt, dass die anderen Kirchen anerkannt werden, und soll dann auch in Bezug auf die ihm schon längst von vielen ökumenischen Gutachten anempfohlene Anerkennung der Ämter der evangelischen Pastoren und gemeinsame Abendmahlsfeiern positive Aussagen machen. Das wäre ein Fortschritt und nicht, wenn er sagt, ich gewähre euch gnädig ein paar Minuten mehr.

    Heinemann: Zur Reform innerhalb der Katholischen Kirche. Eine Aufhebung des Zwangszölibat löst offenbar keine Probleme, denn auch den Protestanten laufen die Gläubigen in Scharen davon.

    Küng: Ja, aber die Protestanten haben jedenfalls genügend Pfarrer. Die Protestanten haben andere Probleme, die haben in der Tat zu wenig Bindung, vielleicht zu provinzialistisch und so weiter. In der Katholischen Kirche haben wir zu viele Verpflichtungen, und wir haben ja nun einen derartigen Priestermangel, dass jetzt sogar prominente Katholiken, angeführt vom Bundestagspräsidenten Lammert und Ministerpräsident Teufel und so weiter, gefordert haben, das Zölibatsgesetz müsse aufgehoben werden, weil sie sehen, dass hinter den Fassaden die Strukturen der Kirche zusammenbrechen, weil wir immer weniger Pfarrer haben und mit Zusammenlegung der Gemeinden, wie sie jetzt da gemacht werden, den völlig falschen Weg gehen.

    Heinemann: Aber wenn jetzt auch noch die vatikanischen Strukturen zusammenbrächen, wie Sie das indirekt ja gefordert haben, besteht dann nicht die Gefahr, dass sich jeder seinen Privatkatholizismus zurechtschneidert, wenn die Autorität des Papstes eben nicht mehr gilt?

    Küng: Ja. Ich habe ja auch das Gegenteil gesagt. Ich erwarte eine pastorale Autorität des Papstes, wie sie Johannes XXIII., der größte Papst des 20. Jahrhunderts, der das Konzil einberufen hat und die großen Enzykliken geschrieben hat für Menschenrechte und so weiter, wie der das vorgelebt hat. Ich bin für einen Papst, aber nicht für einen absoluten Herrscher. Insofern bin ich gegen diese Theokraten, Autokraten, die auch in arabischen Gebieten langsam ihr Ende sehen. Wir können doch nicht alles einem einzelnen Mann überlassen. Ob nun die Frauen Empfängnisverhütung üben dürfen, ob die katholischen Priester zu Zehntausenden verheiratet sein müssen oder nicht, ob Katholiken und Protestanten gemeinsam Abendmahl feiern müssen, das alles hängt bei uns ab von einem Mann. Wenn der möchte, dann könnte er über Nacht das Zölibatsgesetz abschaffen. Wenn er nicht will, soll alles blockiert sein.

    Heinemann: Herr Küng, Sie haben die arabischen Staaten angesprochen. Rechnen Sie in absehbarer Zeit mit einem ernst zu nehmenden Aufbegehren von unten?

    Küng: Das Aufbegehren ist schon längst da in der Katholischen Kirche. Es hat sich auf Katholikentagen geäußert, die Bischöfe haben jetzt langsam gemerkt, dass es schwierig für sie wird. Wenn 240.000 Katholiken ausgetreten sind im vergangenen Jahr, ist das ja wohl genügend Signal, und deswegen haben die katholischen Bischöfe Deutschlands ein Zukunftsgespräch angekündigt und haben gesagt, wir geben eine Enzyklika heraus, um also die Sachen voranzubringen. Aber offenkundig konnten sie sich im vergangenen Herbst nicht einigen und jetzt wartet man darauf, was jetzt diese Enzyklika bringt. Aber wir sind ja wieder offenkundig gehemmt dadurch, dass Rom nicht will, dass es ernsthafte Fortschritte gibt, und dann haben die Bischöfe Angst, und dann soll man wieder nicht weiterkommen. Auf diese Weise wird die Krise nur noch verschärft, und ich habe in meinem Buch, ob die Kirche überleben kann, nun alle diese Krankheiten, die wir uns da eingeholt haben, analysiert und allerdings auch die Therapien angegeben, wie man gegen sie vorgehen kann.

    Heinemann: Der Tübinger Theologe Professor Hans Küng in den "Informationen am Morgen" im Deutschlandfunk. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Küng: Ich danke Ihnen.