
Sie steckt in Smartphones, sortiert E-Mails, schlägt Filme und Musik vor. Künstliche Intelligenz (KI) ist längst im Alltag angekommen. Auch in Kliniken, Krankenhäusern und Arztpraxen spielt KI zunehmend eine wichtige Rolle: von der Diagnose über die Therapie bis hin zur Forschung. Und ihr Einfluss dürfte in den nächsten Jahren rasant wachsen. Die Bundesärztekammer (BÄK) sieht in KI ein „mächtiges Werkzeug“, das das Potenzial habe, die Medizin zu revolutionieren. Doch es gibt auch Bedenken.
Wo kommt KI in der Medizin zum Einsatz?
Künstliche Intelligenz wird in der Medizin bereits in unterschiedlichen Bereichen eingesetzt. So unterstützt KI zum Beispiel Radiologen, indem sie Tumore auf Röntgenbildern, MRTs und CT-Scans erkennt. KI-Systeme können Behandlungspläne erstellen und Termine vereinbaren. Roboterassistenten entlasten Ärztinnen und Ärzte im OP-Saal, Chatbots werden als Therapeuten genutzt und Exoskelette helfen Schlaganfall-Patienten bei der Rehabilitation.
Auch Valentina Busik setzt in ihrer Arbeit auf KI. Die Assistenzärztin in der Dermatologie am Universitätsklinikum Gießen hat einen Avatar zur Aufklärung von Patientinnen und Patienten entwickelt. Mit Videos in verschiedenen Sprachen erklärt er Diagnosen und Therapieansätze. „Der Arzttermin bleibt derselbe, bloß man soll sich als Patient gut aufgehoben fühlen und das meiste aus dem Termin rausholen können“, sagt Busik. Die Avatar-Videos könnten sich die Patienten in Ruhe anhören und zu Hause mit der Familie besprechen. Busik verspricht sich davon zudem ein besseres Arzt-Patienten-Verhältnis, weil während des Termins mehr Zeit für tiefe Fragen bleibe.
Wie könnte KI die Medizin verändern?
Die Bundesärztekammer (BÄK) sieht die Welt der Medizin vor einem fundamentalen Wandel. „KI wird unsere Gesellschaft und auch die Medizin tiefgreifend verändern“, sagte BÄK-Präsident Klaus Reinhardt im Vorfeld des Deutschen Ärztetags Ende Mai 2025. Durch eine verbesserte Diagnostik, personalisierte Therapien und effizientere Abläufe in der Versorgung von Patienten könne künstliche Intelligenz in der Medizin neue Perspektiven eröffnen. Außerdem ermögliche sie in der Forschung durch die Analyse riesiger Datenmengen eine schnellere Entwicklung neuer Medikamente und Therapien.
Ähnlich argumentiert die Neurophysiologin und stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Ethikrates Susanne Schreiber. Auch sie betont die Chancen von KI. Als Beispiele nennt sie bessere diagnostische Ergebnisse, höhere Behandlungserfolge, weil zum Beispiel Tumore früher erkannt werden, und Zeitersparnis für Ärztinnen und Ärzte. All das seien „sehr positive Entwicklungen zum Wohle der Patienten." Zugleich warnt Schreiber jedoch auch vor Gefahren und Herausforderungen, die der Einsatz von KI in Krankenhäusern und Arztpraxen mit sich bringe.
Welche Risiken und Hindernisse gibt es?
Beim Einsatz von Künstlicher Intelligenz in der Medizin stellen sich ethische und rechtliche Fragen. Etwa jene nach der Verantwortung, wenn etwas schiefläuft. Haftet der Hersteller des KI-Systems oder der Operateur? Aus Sicht von Ethikrat-Mitglied Schreiber steht zunächst einmal vor allem die Frage im Vordergrund, welche Entscheidungen der KI überhaupt überlassen werden sollen. Dazu komme die sogenannte Blackbox. „Das Problem bei KI ist, dass man nicht mehr nachvollziehen kann, wie die Entscheidung getroffen wurde.“ Das mache sie anfällig für Manipulationen. Schreiber hält es deshalb für wichtig, sehr genau zu überlegen, in welchen konkreten Bereichen KI eingesetzt werden soll und welche Trainingsdatensätze sie verwende.
Gefahren sieht die Neurophysiologin zudem in einem "schleichenden Kompetenzverlust" bei medizinischem Fachpersonal sowie darin, dass sich Ärztinnen und Ärzte zu sehr auf KI-Einschätzungen verlassen und ihre Sorgfaltspflicht vernachlässigen könnten. Es sei ein „sehr menschliches, psychologisches Verhalten“, dass die Konzentration abnehme, wenn viele Arbeitsschritte automatisiert abliefen, so Schreiber. In der Folge würden die eigenen Entscheidungen schlechter. Durch genügend Training müsse das Fachpersonal deshalb stets in der Lage bleiben, eine Diagnose auch ohne KI stellen zu können.
Datensicherheit und Digitalisierung
Auch BÄK-Präsident Reinhardt mahnt einen verantwortungsvollen Einsatz von KI in der Medizin an. Ethische Leitplanken und verlässliche Rahmenbedingungen seien unerlässlich, so der Mediziner. Er betont zudem, dass sensible Gesundheitsdaten geschützt und wirtschaftliche Einflussnahme Dritter auf medizinische Entscheidungen ausgeschlossen werden müssten. Trotz dieser Risiken und Herausforderungen sprechen sich Reinhardt und Schreiber für den Einsatz von KI-Anwendungen in der Medizin aus. Vorausgesetzt, so die stellvertretende Vorsitzende des Ethikrates, dass sie sorgfältig geprüft und zertifiziert sind. Dann könne KI eine sinnvolle Ergänzung sein. Schreiber betont zudem: Im Fokus bei der Frage nach KI in der Medizin müsse eine bessere Behandlungsqualität des Patienten stehen, nicht die Effizienzsteigerung.
Intensivmediziner Arne Peine sieht in KI vor allem die Möglichkeit, Ärzte und Pflegepersonal zu entlasten. Sein Start-up Clinomic stellt das KI-Assistenzsystem „Mona“ für Intensivstationen her, das europaweit mittlerweile rund 40 Kliniken nutzen. Allerdings gebe es nach wie vor eine gewisse Grundskepsis, sagt Vertriebsleiter Martin Weibrecht. In Schulungen klärt er über das Assistenzsystem auf, spricht über Cybersicherheit und Workflow-Aspekte. Firmengründer Peine ergänzt, die Pragmatik und den Willen, schnell etwas umzusetzen und „auch mal über den Tellerrand hinauszuschauen“ sei in Deutschland nicht so ausgeprägt wie in anderen Ländern.
Wie sehen Patienten den Einsatz von KI?
Patientinnen und Patienten sehen den Einsatz von KI in der Medizin bislang offenbar eher skeptisch, wie eine Studie von Psychologen der Universität Würzburg und der Charité Berlin zeigt. Demnach werden Medizinerinnen und Mediziner, die angeben, KI in ihrer Arbeit zu verwenden, als weniger kompetent, vertrauenswürdig und empathisch eingestuft. Die Vorbehalte zeigen sich sogar dann, wenn die KI gar nicht für Diagnose- oder Therapiezwecke eingesetzt wird, sondern nur für administrative Aufgaben.
Ein Grund dafür könnte aus Sicht der Forscher die Befürchtung sein, dass Ärzte der Technologie blind folgen könnten. Ihre Empfehlung: „Wenn Ärzte ihre Patienten über den Einsatz von KI informieren, sollten sie darauf abzielen, potenzielle Bedenken auszuräumen und mögliche Vorteile hervorzuheben." So könnten sie etwa mehr Zeit für die persönliche Betreuung ihrer Patienten haben, wenn sie einen Teil der Verwaltung durch KI erledigen lassen. „Trotz einer zunehmenden Technologisierung könnte unsere Gesundheitsversorgung so durch KI sogar menschlicher werden“, so die Autoren.
irs