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Kulturdialog in der Ostukraine
Don Giovanni in Sewerodonezk

Sewerodonezk liegt in unmittelbarer Nähe der Kriegsfront. In dieser ostukrainischen Kleinstadt hat man mit einem internationalen Opernprojekt versucht, die Grenzen der Konfliktparteien zu überwinden. Das Interesse an Mozarts Don Giovanni war zwar groß, aber auch die Widerstände - nicht nur vonseiten der Behörden.

Von Gesine Dornblüth | 01.09.2018
    Don Giovanni in Sewerodonezk
    "Zustand der Unbestimmtheit": Patriotisches Bekenntnis zur Ukraine in Sewerodonezk (Gesine Dornblüth/Deutschlandradio)
    Es ist spät am Nachmittag. In Sewerodonezk brennt die Sonne. Trotzdem haben sich gut fünfzig Leute vor dem Theater der Stadt versammelt. Die stellvertretende Gouverneurin, Olya Lishyk eröffnet ein internationales Festival.
    "Wir glauben daran, dass Musik in der Lage ist, Grenzen zu überwinden."
    20 Kilometer bis zur Front
    Und so heißt auch das Festival: "Musik overcomes Walls" – Musik überwindet Mauern. Mehrere Wochen haben Musiker aus verschiedenen europäischen Ländern die Oper Don Giovanni geprobt, in Sewerodonezk, nur 20 Kilometer von der Front entfernt. Die stellvertretende Gouverneurin ruft einen jungen Mann nach vorn, überreicht ihm eine Urkunde. Peter Schwarz aus Deutschland. Er hat das Festival organisiert.
    "Wir wollen hier was machen, mit dem wir viele Menschen integrieren können, um einfach durch Machen zu zeigen: Guck mal, die Diskussion, wer gehört wohin, führt zu nichts, sondern die Diskussion muss sich um die Frage drehen: Was können wir gemeinsam machen?"
    Verfallene Gebäude, ungepflegte Grünflächen
    Die Plüschsessel im Theater füllen sich bis auf den letzten Platz. Sewerodonezk ist eine sogenannte Monostadt, gebaut in den 50er Jahren um ein Chemiewerk herum. Auch das Theater stammt aus dieser Zeit. Es ist frisch renoviert. Viele andere Gebäude sind verfallen, die Grünflächen ungepflegt, auf den Straßen fahren wenige und vor allem alte Autos.
    Lera, Polina und Nastja haben von der Aufführung von Don Giovanni nichts gehört. Sind 12 und 13 Jahre alt und üben vor dem riesigen Kulturpalast des Chemiewerks Radschlagen, genießen die letzten Ferientage vor dem neuen Schuljahr. Genauso wie in der Oper geht es auch in ihrer Musik um Liebe, Treue und Frieden.
    "Ich war den ganzen Sommer hier. Wir sind durch die Stadt gezogen, manchmal Rollschuh gelaufen. Wir haben einfach zusammengesessen und gequatscht. Die Stadt ist so klein, da kennt jeder jeden."
    Und deshalb wollen sie weg.
    "Hier bekommst du keine gute Ausbildung. Normalerweise gehen alle zum Studium nach Kiew, Charkow oder Lwiw. Dort sind die Universitäten gut. Ich will nach Kiew. Ich will Jura oder Wirtschaft studieren."
    Viele Junge verlassen die Stadt
    Gerade die jungen Leute verlassen die Region, klagt die stellvertretende Gouverneurin Olya Lishyk. Der Krieg hat fatale Auswirkungen auf die ohnehin schon abgehängte Provinz.
    "An der Front wird weiterhin täglich geschossen, das verhindert Stabilität. Der Krieg sorgt dafür, dass wir keine Investitionen bekommen. Das bremst die wirtschaftliche Entwicklung. Der Aggressor hat die Absicht, uns in einem Zustand der Unbestimmtheit zu halten. Das ist das Problem."
    Mit dem Aggressor meint sie Russland.
     Straße in der Innenstadt von Sewerodonezk
    "An der Front wird weiterhin täglich geschossen, das verhindert Stabilität": Straße in der Innenstadt von Sewerodonezk (Gesine Dornblüth/Deutschlandradio)
    Auf der Bühne in Severodonezk mordet Don Giovanni, verführt und betrügt, säuft. Kleindarsteller, stark tätowiert, hantieren mit Waffen, drohen. Sie sehen so aus, als spielten sie etwas, das sie selbst erlebt haben. Im Publikum sitzt Larisa Wolkotrub, Ärztin, mit roten Rosen für die Schauspieler.
    "Das hat viel mit heute zu tun. Die Themen Liebe, Verrat, Kriminalität und Betrug sind ja zeitlos."
    Zu Beginn des Krieges 2014 war auch Severodonetsk wenige Wochen in der Hand der von Russland unterstützten Kämpfer, ehe es von ukrainischen Kräften zurückerobert wurde. Seitdem ist es in der Stadt weitgehend ruhig.
    Im Publikum sitzen zwei Frauen von der anderen Seite der Frontlinie, aus Luhansk. Sie sind extra für die Aufführung nach Severodonezk gekommen.
    Riskanter Grenzübertritt
    "Wir haben drei Stunden vor dem Kontrollpunkt gewartet. Dort stehen Massen von Leuten. In der Hitze. Die Kontrollen sind auf beiden Seiten langwierig. Es reisen vor allem alte Leute, Rentner. Einige sind sogar in Ohnmacht gefallen."
    Beide haben Angst, wollen anonym bleiben, fürchten Probleme, wenn bekannt wird, dass sie mit Ausländern gesprochen haben.
    "Unsere Machthaber haben angeordnet, dass jegliche Zusammenarbeit oder auch nur Gespräche mit Vertretern anderer Staaten genehmigt werden müssen."
    Und das ist auch der Grund, weshalb keine Teilnehmer aus den Separationsgebieten an dem Opernprojekt teilgenommen haben, entgegen dem ursprünglichen Vorhaben. Mauern mit Musik zu überwinden geht nur, wenn die Machthaber das zulassen.
    Es bleibt nur die Kultur
    Auch in der Ukraine gäbe es Widerstände gegen Kooperationen mit der anderen Seite, nicht nur in der Verwaltung, erzählt Organisator Peter Schwarz:
    "Es ist sehr viel einfacher, Leute von außen zu finden als Ukrainer. Weil in der Westukraine viele Menschen Angst haben, in dieses Gebiet zu kommen."
    Am Ende bekommt die Aufführung stehende Ovationen. Und die Macher sind zufrieden. Aleksej Dorichevski aus Kiew, einer der Regisseure, ist sich sicher, dass die gemeinsame Arbeit in Severodonezk trotz allem zumindest einen kleinen Beitrag zur Verständigung geleistet hat.
    "Militärisch ist der Konflikt nicht zu lösen. Denn die Ukraine wäre unterlegen. Humanitäre Hilfe bringt auch nicht viel, denn sie wird in Lugansk und Donezk nur bedingt zugelassen. Deshalb bleibt nur die Kultur."