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Kulturschaffende in Brasilien vor der Wahl
"Ele nao! – Der nicht!"

Der brasilianische Präsidentschaftskandidat Jair Bolsonaro sät im Wahlkampf Hass. Er hetzt gegen Schwarze, Frauen und Andersdenkende. Viele Kulturschaffende in Brasilien sind entsetzt - und machen mobil wie noch nie.

Von Michael Laages | 25.10.2018
    Ein Demonstrant mit Teufelsmaske hält ein Plakat mit "#EleNao" in die Kamera vor einem neongrün illuminierten historischen Gebäude.
    Ele Não - "Ihn nicht" - Proteste gegen den rechten Präsidentschaftskandidaten Bolsonaro in Rio de Janeiro. (AFP / Mauro Pimentel)
    Auf den Barrikaden sind sie derzeit praktisch alle – Caetano Veloso etwa sagt in einem Lied "Nie wieder!" zu Nazitum und Faschismus, singt gegen Homophobie und Intoleranz:
    "Ele nao!" – "Der nicht!" - mit dieser Formel haben speziell Brasiliens Frauen Millionen auf die Straßen und Plätze gebracht in den vergangenen Wochen. Ze Celso, dessen "Teatro Oficina" vor über zehn Jahren mehrfach in Deutschland zu Gast war und der als Folteropfer der Militärs noch ganz gut weiß, wie "Diktatur" sich anfühlt, sieht den Kandidaten vor allem als Zerstörer, der die die Amazonas-Natur verkaufen und die Künstlerinnen und Künstler mitsamt der Kunst auslöschen will - ein Regiment des Terrors stehe bevor; mit Brecht sozusagen "Furcht und Elend des Dritten Reiches", aber in Brasilien.
    Arnaldo Antunes, Poet und Musiker, schickt ein Gedicht durchs Internet, das die Haltungen des Kandidaten zitiert: das Ja zur Folter oder die Verteidigung der Diktatur. "Unser Fehler war es, hat Bolsonaro gesagt, dass nur gefoltert und nicht genug getötet wurde – in der Militärdiktatur, die vor 50 Jahren begann."
    So einer will Präsident werden.
    Eine Frau hält bei einer Demonstration gegen den rechtsextremen Präsidentschaftskandidaten Bolsonaro ein Bild von Bolsonaro mit der Aufschrift "Vomito" ("Erbrochene") hoch. Zahlreiche Menschen gingen in Sao Paulo gegen Bolsonaro und seinen rassistischen, frauen- und schwulenfeindlichen Kurs auf die Straße.
    Vor der Stichwahl in Brasilien: Protest gegen Bolsonaros rassistischen, frauen- und schwulenfeindlichen Kurs (picture alliance / dpa / Pablo Albarenga)
    In Berlin sitzen derweil Fernanda Farah aus dem Ensemble von Constanza Macras und Mariana Senne von "andcompany & Co." beieinander. Wird es so schlimm wie in der Militärdiktatur, mit Folter und Massenmord, wenn Bolsonaro siegt?
    "Also ich glaube nicht. Ich möchte gern glauben, dass es schlimm sein wird, vielleicht genau so schlimm, sogar schlimmer – aber anders schlimm." / "Jetzt bin ich total pessimistisch – ich glaube, das kann passieren. Wirklich."
    Kulturministerium soll abgeschafft werden
    Der Kandidat hat die Abschaffung des Kulturministeriums angekündigt, der Finanzminister in spe die Begrenzung der Gelder für SESC, das immens wichtige Kultur- und Sozialwerk der Wirtschaftsverbände, das weiß Wagner Carvalho, Leiter vom Ballhaus Naunynstraße in Berlin:
    "Was er da angekündigt hat, dass dann Alexandre Frota – das ist der ehemalige Schauspieler und später auch Porno-Darsteller - als Kulturminister vorgesehen hat, das ist die absurdeste Idee. Und dadurch wird gezeigt, wie gefährlich dieser Typ einfach ist."
    Das wird praktische Folgen haben:Weite Bereiche nicht kommerzieller kultureller Produktion würden unmöglich. Aber hinter dem Wahl-Drama steckt mehr, berichtet Mariana Senne. In der Schule von Marianas Mutter wurden die Klowände besprüht: "Tod den Schwarzen, Schwulen und Lesben!" - "Morram negros, lesbicas e gays"; - "Das sagt was!".
    Und ob die Jungen noch zu erreichen sind, die, die "die Zukunft" sind? Mariana und Fernanda sind uneins.
    Künstler denken übers Exils nach
    "Und besonders mit die neue Generation – das finde ich so schlimm! Und gleichzeitig – ich bin immer optimistisch! - denke ich, es ist möglich, zumindest mit die neue Generation zu reden. Mal sehen..."
    "...aber die neue Generation ist die, die Bolsonaro wählt. Hauptsächlich wird er gewählt von Leuten zwischen 24 und 34 und, weißt, du: die Frauen!"
    Die anderen Frauen, die die nicht "Ele nao!" auf den Straßen riefen; die, die von Bolsonaro fasziniert sind wie in Joachim Fests "Hitler"-Film die deutschen Frauen vom "Führer".
    Bleibt also, wie vor 50 Jahren, wirklich nur das Exil? Im Freundeskreis der beiden Künstlerinnen wird die Möglichkeit diskutiert. Und bei Wagner Carvalho ist das nicht anders.
    "Ich habe schon Anfragen bekommen aus Brasilien von Kolleginnen, die sagen: Ich wandere aus. Ich möchte keine Künstlerin, kein Künstler in Berlin ein Zimmer anbieten müssen. Ich geh‘ davon aus, dass Haddad gewinnen wird. Unsere Beruf ist die Hoffnung!"