Dienstag, 19. März 2024

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Kulturstaatsministerin zu Corona-Maßnahmen
Grütters: "Die Kultur darf nicht zum Opfer der Krise werden"

Sie mache sich Sorgen, dass in der Krise die Künstler und Kreativen verloren gehen könnten, sagt Kulturstaatsministerin Monika Grütters im Dlf. Sie seien das kritische Korrektiv der Gesellschaft, das nun dringend gebraucht werde.

Monika Grütters im Gespräch mit Stefan Koldehoff | 29.10.2020
20.02.2020, Berlin: 70. Berlinale, Eröffnungsgala: Monika Grütters (CDU), Staatsministerin für Kultur und Medien, spricht bei der feierlichen Eröffnung der Internationalen Filmfestspiele.
Monika Grütters bei der Berlinale im Februar - eine der letzten großen kulturellen Veranstaltungen in diesem Jahr (dpa / Michael Kappeler)
Bund und Länder haben am Mittwoch (28.10.20) beschlossen, zum Schutz vor Corona-Infektionen das Kulturleben in Deutschland im November lahmzulegen. Daran gab es Kritik, da das Infektionsgeschehen in kulturellen Einrichtungen bislang nicht erheblich war. Im Dlf erläutert Kulturstaatsministerin Monika Grütters die Entscheidungen und kritisiert die Einsortierung der Kultureinrichtungen im Maßnahmenkatalog unter Freizeiteinrichtungen.
Stefan Koldehoff:Gehen die Schließungspläne für die Kultur am Ende zu weit?
Monika Grütters: Na ja, ich möchte betonen, dass ich selber die Dramatik der Situation, was das Infektionsgeschehen angeht, teile, also sehe und auch die Einschätzung teile, dass wir hier zu harten Maßnahmen kommen müssen, um so eine Art Wellenbrecherfunktion auszulösen in dieser zweiten Welle der Corona-Epidemie. Das sehe ich, die Dramatik der Situation sieht man. Wissen Sie, wir waren da gestern zu 17 oder 20 im Kabinett, und da fehlten fünf – zwei Infizierte, drei wegen Quarantäne. Da muss man sich nur mal vorstellen, wir können uns doch durch Staatssekretäre vertreten lassen, aber wenn auf einer 20-köpfigen Krankenhausstation plötzlich fünf fehlen und am nächsten Tag kommen nicht drei wieder, sondern drei weitere fehlen, und dasselbe passiert bei der Polizei, bei der Feuerwehr, bei den Energieversorgern, dann ist irgendwann unsere Infrastruktur hier bedroht. Das ist die Sachlage. Davon ausgehend ging es jetzt darum, wir kriegen wir diese Welle gebrochen, und zwar möglichst so, dass die Schulen offen bleiben, dass dem Einzelhandel das Weihnachtsgeschäft nicht wegkippt und dass vor allen Dingen auch die ganz großen Betriebe, also die Industrie bei uns, die ja auch wirklich millionenfach Beschäftigte zählt, dass die nicht noch mal maximal betroffen werden. Und dann hat man sich bei der Ministerpräsidentenkonferenz mit der Kanzlerin eben entschieden, alles, was nicht zu diesen drei Kategorien gehört, wird dicht gemacht. Ich hab natürlich vorher dafür geworben, dass nicht wieder die Kultur, die so maximal betroffen ist von Anfang an, jetzt schon noch mal wieder verwundet wird, weil ich eben auch fürchte, dass das dann manche Einrichtungen nicht überleben. Aber es gibt eben nur diese sehr pauschale Antwort, und da ist die Kultur eben leider mit da drin. Deshalb mache ich mir auch wirklich sehr große Sorgen um die Kreativen und die Kulturwirtschaft, das muss ich sagen.
"Auflistung als Freizeiteinrichtungen ist maximal unsensibel"
Koldehoff: Haben Sie denn das Gefühl, Frau Grütters, dass die Bedeutung von Kultur für die Gesellschaft richtig verstanden wird? Man ärgert sich natürlich zu Recht heute über Sätze, die heißen, Freizeiteinrichtungen werden geschlossen, dazu gehören Theater, Opern, Konzerthäuser, Messen, Kinos, Freizeitparks, Saunen, Spielhallen, Spielbanken und Bordelle – alle Veranstaltungen, die der Unterhaltung dienen, werden untersagt. Ulrike Groos, Direktorin Kunstmuseum Stuttgart, sagt: Wir sind nicht Hobby, wir sind nicht Luxus, wir sind nicht Freizeitspaß, wir sind eigentlich Bildung.
Grütters: Ja, das ist maximal unsensibel, diese Auflistung, weil sie natürlich auch eine Geringschätzung der tatsächlichen Leistung der Kultur ist, die ist verletzend, und deshalb fürchte ich mich auch, was den politischen Diskurs angeht. Ich meine, die Kultur darf eben nicht zum leichtfertigen Opfer der Krise werden. In solchen Aufzählungen oder in einem pauschalen Lockdown, da gehen manchmal die Werte unter, um die es tatsächlich geht. Das sind eben nicht nur materielle Aspekte, die hier eine Rolle spielen. Dieses erneute Schließen der Kultur könnte wirklich eine Katastrophe sein, nicht nur für die Betroffenen in den Branchen, sondern auch für uns alle in der Gesellschaft. Ich persönlich kann nur noch mal sagen, wir haben jetzt den ganzen Sommer bei uns im Ministerium in engem Kontakt mit den Dachverbänden für fast jede Sparte ganz komplizierte, passgenaue Programme für einen Neustart Kultur aufgelegt und in Gang gesetzt, und ich möchte nicht, dass diese Neustartbemühungen in der Sackgasse landen.
Coronavirus
Übersicht zum Thema Coronavirus (imago / Rob Engelaar / Hollandse Hoogte)
Koldehoff: Was übrigens ja auch hieß, viel Geld zur Verfügung gestellt.
Grütters: Ja, wir haben eine Milliarde zur Verfügung gestellt, das ist immerhin der halbe Bundeshaushalt pro Jahr, den ich habe, und dazu kommen natürlich noch die Anstrengungen der hoheitlich für die Kultur zuständigen Bundesländer. Aber einen Zwei-Milliarden-Haushalt hab ich in friedlichen Zeiten, es gab eine dritte drauf, das ist ja mal ein Wort, das war eine Solidaritätsadresse der gesamten Bundesregierung für die Kultur, und das war im Übrigen auch die Anerkennung, dass unter dem Oberbegriff Kultur sich ein sehr vielverzweigtes komplettes Netzwerk befindet, das andere gar nicht unbedingt durchschauen. Deshalb hab ich als einziges Mitglied der Bundesregierung ja auch tatsächlich ein eigenes Programm bekommen. Jetzt bei dem neuerlichen Lockdown müssen wir uns alle aber hinter den Maßnahmen einsortieren, die im Wirtschafts- und Sozialministerium gemacht werden. Deshalb hab ich heute mit einem sehr dringenden Brief an die Kollegen in der Bundesregierung appelliert, vergesst die Kultur nicht, bezieht uns in den Beratungen für neue Nothilfeprogramme bitte intensiv mit ein und tut nicht so, als wäre die Kultur verzichtbar in einer solchen Krise. Kultur ist keine Delikatesse für Feinschmecker, das ist Brot für alle, und deshalb darf man nicht in schweren Zeiten kurzerhand so einen Verzicht äußern.
"Künstler sind essentiell für die Demokratie"
Koldehoff: Barbara Mundel, die Chefin der Münchner Kammerspiele, hat heute gesagt, Kulturschaffende haben es versäumt, sich früh zu einer Lobby zusammenzuschließen. Stimmt das, müsste die Kultur lauter sein?
Grütters: Ich habe gestern im Kabinett eine Lanze für die Kultur gebrochen, weil die Kultur sich so konstruktiv und korrekt bisher verhalten hat. Ich glaube nicht, dass das laute Geschrei alleine einen Wert hat, sondern ich fand es gerade richtig, dass sehr intelligente, kreative, vordenkerische Persönlichkeiten aus der Kultur zu denen gehören, die auch mahnend aufgetreten sind, die auch mit einer Empathie für die gesamtgesellschaftliche Situation eben nicht wie nur als eigene Interessenvertretung aufgetreten sind, sondern tatsächlich das auch eine Art Solidarisierung auch mit den betroffenen Bevölkerungskreisen an den Tag gelegt haben. Ich möchte gerade deshalb, weil sie so korrekt sind, weil sie sich so angemessen verhalten bisher haben in dieser Krise, deshalb hab ich so eine Sorge, dass wir jetzt die Künstler und Kreativen verlieren, und das darf nicht passieren. Deshalb sind ja gerade die Künstler und die Kreativen, die so was wie das kritische Korrektiv in einer Gesellschaft sind, die uns den Spiegel vorhalten, die Antworten auf letzte Fragen suchen – und das brauchen wir jetzt ja mehr denn je. Sie sind in dieser Hinsicht auch essenziell für eine Demokratie. Diese permanente Diskussion darüber, wer ist hier wie systemrelevant, die kann ich für die Kultur ganz eindeutig beantworten: Ja, wir sind als Kultur und Kreative systemrelevant in Deutschland.
Einnahmeausfälle kompensieren
Koldehoff: Was Sie gerade gesagt haben, vernünftiges Verhalten, solidarisches Verhalten, bestätigen auch angesehene Epidemiologen wie Hajo Zeeb, der gesagt hat, die Kulturbetriebe haben gute Hygienekonzepte entwickelt. Nun lässt sich der Lockdown trotzdem nicht verhindern, das wird jetzt einige Wochen so sein – was muss denn in der Zeit geschehen, damit es dann nicht noch mal und noch mal und noch mal solche Maßnahmen gibt, was kann die Kultur tun?
Grütters: Auf die Frage von Frau Mundel, haben wir verpasst, als Kulturleute uns angemessen zu organisieren und auch laut und deutlich aufzutreten: Ich kann nur sagen, die Dachverbände für die einzelnen Sparten, aber auch der Deutsche Kulturrat sind deutlich vernehmbar und äußern sich auch regelmäßig, werden im Übrigen, weil sie auch so seriös sind, sehr wohl gehört und zu regelmäßigen Runden auch ins Kanzleramt eingeladen –nicht nur von mir, auch von der Kanzlerin. Insofern haben sie schon eine Stimme, auch über die einzelne Sparte hinaus. Was jetzt passieren muss, ist, finde ich, politischerseits, dass wir mit einer sehr starken, auch finanziellen Antwort reagieren. Wir müssen die Einnahmeausfälle noch viel stärker und viel gründlicher jetzt kompensieren, es kann jetzt nicht mehr um sehr differenzierte Neustartprogramme gehen – also das, was wir im Sommer versucht haben, das müssen wir wieder machen, wenn die Betriebe wieder auf sind –, aber jetzt muss man wirklich großflächig die Einnahmeausfälle erstatten, schlicht und einfach. Und das Zweite, was dringend erforderlich ist und worum wir ja schon seit Wochen ringen, ist eine Förderstrecke für Soloselbstständige, für die vielen, die nicht im Betrieb angestellt sind, sondern soloselbstständig arbeiten und deren fiktiver Unternehmerlohn, wie es immer heißt, natürlich einen Teil ihres Lebensunterhaltes ist und deshalb nicht immer einfach abgrenzbar. Aber es gibt eben sehr viele so typisch in der Kreativszene Beschäftigte, und ich finde, denen sind wir eine Antwort und auch eine eigene Förderstrecke schuldig, was dann übrigens auch für andere Soloselbstständige gilt, wie zum Beispiel Hausmeister, wie eine mobile Fußpflegerin, wie einen Fahrradboten. Das, ist klar, muss dann für alle gelten, aber bei uns in der Szene ist das sehr markant und nötig.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.