Donnerstag, 28. März 2024

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Kunstraub Zweiter Weltkrieg
Sowjetische Kulturgüter für das Deutsche Reich

Der Kunstraub des Zweiten Weltkriegs begann mit Plünderungen von Wehrmachtssoldaten. Der Bremer Historiker Wolfgang Eichwede hat untersucht, welche Wege die erbeuteten Kunstgegenstände genommen haben. Er und sein Team vermuten große Mengen an sowjetischen Kulturgütern nach wie vor in deutschem Privatbesitz.

Von Godehard Weyerer | 23.04.2015
    Deutsche Truppen marschierten im Juni 1941 in die Sowjetunion ein. Zweieinhalb Monate später standen sie vor Leningrad. Die sechs Zarenschlösser in der Umgebung weckten das Interesse des Sonderkommandos Künsberg. Kunstgegenstände mit deutschem Bezug sollten ins Reich abtransportiert werden - der barocke Neptunbrunnen im Schlosspark von Peterhof, den die Stadt Nürnberg an Zar Paul I. verkauft hatte. Oder das Bernsteinzimmer, das der Preußenkönig Friedrich I. dem Zaren Peter dem Großen schenkte. Doch als die Kunstschutzoffiziere, so nannten sich die Beauftragten der Raubkunstorganisation unter Leitung des SS-Obersturmbannführers Eberhard von Künsberg, im eroberten Katharinenpalast das sagenumworbene Zimmer betraten, waren Teile bereits aus den Wänden herausgeschlagen. Vor Jahren hielt der Bremer Osteuropa-Historiker Wolfgang Eichwede ein altes Scharnier in der Hand. Die Witwe eines Wehrmachtsoldaten hatte ihm das Stück übergeben. Es stammte aus dem später in den Kriegswirren verschollenen Bernsteinzimmer. Kein Einzelfall:
    "Ich habe von einer Dame hier in Bremen ein Stückchen Stoff bekommen. Ich habe eigentlich zunächst das gar nicht zurückgeben wollen. Als ich es dann einem der Zarenpalaste doch gab, weil ich es zusammenpackte mit anderen Sachen, waren die über dieses Stückchen Stoff deshalb besonders froh, weil das das einzige Stück eine Stofftapete war, das den Brand überlebt und von dorther konnten sie das Gewebe rekonstruieren und erkennen."
    Geraubt und geplündert
    Wolfgang Eichwede beschäftigt sich über 20 Jahren mit dem Thema Beutekunst. 60 bis 70 Kunstgegenstände hat er in dieser Zeit nach Russland zurückführen können. Unter dem Dach des Deutsch-Russischen Museumsdialogs, den 2005 die Stiftung Preußischer Kulturbesitz und die Kulturstiftung der Länder ins Leben gerufen haben, beantragte der Bremer Historiker 2012 ein Forschungsprojekt, das seinen Fokus auf die sechs Zarenschlösser in der näheren Umgebung des heutigen St. Petersburg legt.
    "Und da stellt sich heraus, dass der deutsche Kunstschutz-Offizier jetzt nicht nur alleine beschrieben werden kann als Räuber, natürlich er hat geraubt und geplündert, er hat damit gegen alles Völkerrecht verstoßen, gleichzeitig hat er aber doch mitunter versucht, sozusagen professionell zu agieren, hat versucht, die Dinge, die er da beschlagnahmen sollte, einigermaßen seriös zu beschlagnahmen, war mitunter gezwungen, die Dinge, die er aus den Museen holen sollte, da aber gar nicht mehr vorgefunden, sondern die deutschen Soldaten hatten die vorher schon geklaut gehabt, also musste er sie in Anführungszeichen sicherstellen nicht in russischen Museen, sondern bei seinen Kameraden."
    Auf heute noch über eine Million verlorener Kunstgegenstände beziffern die russischen Verlustkataloge die Summe der nicht zurückgekehrten Kulturgüter. Neben dem Sonderkommando Künsberg, das dem Auswärtigen Amt unterstellt war, hatten der Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg und das SS-Kommando "Ahnenerbe" uneingeschränkten Zugriff auf russische Kunst. Im Zarenschloss Peterhof geschah dies unter Aufsicht von Ernstotto Graf Solms. Den Plünderungen der eigenen Truppe stand er recht hilflos gegenüber.
    "Während des Krieges da glaubte man, wenn man Ikonen mitnimmt, würde man sie vor dem atheistischen, kommunistischen Staat retten. Man ist sich Begründungen zusammengebastelt, die das eigene schlechte Gewissen reduzierte oder das Gewissen ausschalteten."
    "Und mein Vater war dann bei dem Grafen Solms, der das Frankfurter Historische Museum geleitet hat."
    Russische Verlustkataloge
    Arnold Körte, 80 Jahre alt, Professor für Architektur, erinnert an seinen Vater Werner Körte, ein überzeugter Nationalsozialist, wie der Sohn einräumt.
    "Und da ist mein Vater sicherlich gegen seinen Willen abkommandiert wurden, um dort behilflich zu sein. Er hat das als Verrat an seine Kameraden an der Front empfunden, die da im Stich zu lassen und dann in der Etappe dieses faule Leben des Müßigganges zu führen."
    Werner Körte, von Beruf Kunsthistoriker, fand Gefallen an der künstlerischen Bravur und dem Prunk, mit denen die Zarenfamilie ihre Schlösser ausgestattet hatten.
    "Die offizielle Sprachregelung war die, die Russen haben das alles zerstört. In Wahrheit war das so, die hatten diesen ersten schwerer Winter. Das war der aller kälteste Winter, 41 auf 42. Da haben die Soldaten angefangen, die Möbel zu verheizen. Dann gibt es eben die Episode, wo mein Vater einem Landser im letzten Moment ein schönes Rokoko-Ornament aus der Hand reißt, was er schon in den Ofen schieben wollte. Das weiß ich noch. Das kam dann an, da war ich acht, neun Jahre alt. Da war in einer grauen Wehrmachtsdecke war das kleine Ornament eingewickelt. Aus dunklem Holz, ganz fein geschnitzt."
    Außer dem Rokoko-Ornament schickte der Vater eine Ikone an die Familie nach Innsbruck. Sie stammte, so schrieb er, aus einer kleinen Dorfkirche, die die Sowjets als Kornspeicher verwendeten. Für 20 Reichsmark, so war es auf der Rückseite vermerkt, hätte er sie seiner Ansicht nach rechtmäßig erworben.
    "Und diese Ikone hängt jetzt bei meinem Bruder in Stuttgart und die wollen wir gerne zurückgeben."
    Evakuiert und ins Hinterland gebracht
    Gemeinsam mit einer zweiten Ikone und dem Rokoko-Ornament, das er bei sich in seiner Berliner Wohnung aufbewahrt. Den Kontakt nach Russland hat Corinna Kuhr-Korolev hergestellt. Die Osteuropa-Historikerin beleuchtet die Arbeit der Direktorin des früheren Zarenschlosses in Pavloswk vor dem Einmarsch der deutschen Truppen.
    "Anna Zelenova ist so ein typisches Beispiel, die aus einfachen Verhältnissen kam und die Aufstiegsmöglichkeiten des Stalinismus genutzt hatte. Als es dann klar wurde, es wird wirklich ernst, haben die Museumsleute aus eigenen Antrieb dann noch ganz viel rausgebracht, diese Schlösser konnten zu 30 Prozent ihre Sachen evakuieren, die wichtigsten und wertvollsten Sachen und die Unikate haben sie tatsächlich evakuiert und ins Hinterland gebracht. Und diese Sachen haben den Krieg auch überlebt."
    In den Jahren 1938 und 39 waren in sämtlichen Zarenschlössern der Bestand an Möbeln, Porzellan, Besteck, Gemälden, alten Waffen, Büchern, Ikonen und anderen Kunstgegenständen fotografisch dokumentiert worden. Diese Archivbestände waren ebenfalls evakuiert worden, bevor die Wehrmacht in das Gebiet vor Leningrad vorrückte.
    "Das erste Schloss, das eingenommen wurde, Gatschina, ist offenbar vom ersten Schwung deutscher Soldaten, die da rein gekommen sind, sind wirklich Sachen zerstört worden. Da hat es am Anfang regelrechte Plünderungen gegeben in den ersten Wochen, wo die Bilder von den Wänden genommen wurden, die Ikonen aus den Palastkirchen entfernt wurden, die Wandbekleidung aus Seide abgerissen wurden, dass in den Räumen alles kreuz und quer übereinanderlag, alte Bücher, Fotoalben der Zarenfamilie, Kronen, Aktenstücke. Manche Sachen wurden auch auf den Hof rausgeworfen, wo einzelne Soldaten gedacht haben, Mensch, wäre doch schade, wenn ich das hier liegen lasse."
    "Da war mein Vater stationiert bei der Belagerung von St. Petersburg. Gatschina wurde sehr stark beschossen von den Russen aber auch von den Deutschen und war sehr stark zerstört. Da hat er die Ikone, er sagte, es hätte gebrannt und er hätte sie dann mitgenommen, es kann aber auch nur sein, dass sie in dem ganzen Müll und Schutt war. Jedenfalls hat er sie mitgenommen, in seiner Offizierskiste nach Hamburg geschickt zu seinen Eltern."
    Karin Jückstock, 70 Jahre alt, pensionierte Ärztin, lebt in Hamburg. Ihr Vater war im Krieg Oberleutnant, später Hauptmann.
    "Für mich war es Beutekunst. Aber es wurde in der Familie nicht als Beutekunst tituliert.Mein Vater ist 2004 gestorben und für mich war immer klar, ich gebe sie zurück."
    30 auf 40 Zentimeter ist die Ikone groß, mit Gold reich verziert. Sie zeigt den Erzengel Gabriel und Maria. Im Hintergrund ist eine stilisierte Stadt zu erkennen.
    "In Gatschina vor dem Krieg gab es 300 Ikonen, sowohl in der Kapelle wie in den Privatgemächern, davon sind drei zurückgekommen. Meine war die Dritte."