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Kurden im Irak
"Im Extremfall Flüchtlinge aufnehmen"

Unionsfraktionsvize Andreas Schockenhoff hat sich im Deutschlandfunk dafür ausgesprochen, mehr Flüchtlinge aus dem Nordirak aufzunehmen. Die Probleme der Region könnten allerdings nicht in Deutschland gelöst werden, betonte Schockenhoff. Er hält an seiner Forderung fest, auch Kämpfer der kurdischen Arbeiterpartei PKK mit Waffen zu beliefern - aber nur unter einer Bedingung.

Andreas Schockenhoff im Gespräch mit Thielko Grieß | 25.08.2014
    Andreas Schockenhoff, stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion
    Andreas Schockenhoff, stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion (picture alliance/ZB/Karlheinz Schindler)
    Allein in der kurdischen Stadt Erbil im Nordirak befänden sich 300.000 Flüchtlinge, insgesamt seien es 2,1 Millionen, sagte Schockenhoff im DLF. Der stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion im Bundestag hält sich derzeit selbst in Erbil auf. "Wir können im Extremfall Flüchtlinge aufnehmen", sagte er.
    Die Bundesregierung habe bereits beschlossen, 10.000 Menschen Asyl zu gewähren - vermutlich zu wenig: "Ich bin klar dafür, das den gegebenen Situationen anzupassen. Man muss aber auch den Betroffenen im Irak sagen, dass wir nicht alle Vertreibungsprobleme lösen können", sagte Schockenhoff. "Unabhängig der Frage, wie viele wir aufnehmen, muss es für die christlichen Bevölkerungsgruppen, für die Jesiden im Irak dauerhaft eine Lebensperspektive geben. Und dazu müssen ihre Siedlungsgebiete auch sicher sein, das heißt man muss den Terrormilizen des Islamischen Staates militärisch entgegentreten."
    Der CDU-Außenpolitiker hält es für denkbar, in diesem Einsatz gegen die islamischen Terroristen auch die Kämpfer der kurdischen Arbeiterpartei PKK mit Waffen zu unterstützen. Sie müsse sich dafür jedoch erst einmal zum Schutz der Bevölkerung bekennen. Die PKK müsse auch von ihrer Forderung nach einem eigenen kurdischen Staat Abstand nehmen.
    Die PKK ist in der Türkei ebenso wie in Deutschland verboten. Ihre Kämpfer haben in den vergangenen Wochen im Nordirak mitgeholfen, die sunnitischen Dschihadisten des IS zurückzudrängen und Minderheiten wie Christen und Jesiden zu schützen. Anders als Schockenhoff hatte Bundeskanzlerin Merkel gestern unter Verweis auf eine UN-Resolution ausdrücklich ausgeschlossen, die PKK mit Waffen zu unterstützen. Sie betonte, ohne Einverständnis der Zentralregierung in Bagdad könne es ohnehin keine Lieferungen geben.

    Das Interview in voller Länge:
    Thielko Grieß: Die Terrormiliz Islamischer Staat hat gestern im Norden Syriens einen Militärflughafen erobert von der syrischen Armee. In Irak hat sie versucht, die größte Ölraffinerie des Landes einzunehmen. Dieser Versuch ist allerdings bislang misslungen. Die Vereinigten Staaten behalten sich weiter vor, den IS auch in Syrien anzugreifen. Stabschef Dempsey sagte aber, dieser Zeitpunkt sei jetzt noch nicht gekommen. Im Kurden-Gebiet im Norden des Iraks leben währenddessen weiter Zehntausende Flüchtlinge unter schwierigen Bedingungen und die Kurden in Erbil, der Hauptstadt des irakischen Landesteils, hoffen, dass ihre Bitten erhört werden, der Westen, also auch Deutschland möge sie besser bewaffnen. – Genau dort, in der nordirakischen Stadt Erbil, begrüße ich jetzt den stellvertretenden Vorsitzenden der Unions-Bundestagsfraktion, Andreas Schockenhoff. Einen guten Morgen nach Erbil. Guten Morgen, Herr Schockenhoff. Ich grüße Sie.
    Schockenhoff: Guten Morgen, Herr Grieß!
    "Flüchtlinge sind in einer relativ verzweifelten Lage"
    Grieß: Sie haben gestern Flüchtlinge besucht, zum Beispiel in einer Kirche. Dort harren sie aus. Welches Bild haben Sie gewonnen von der Lage?
    Schockenhoff: Die Flüchtlinge sind in einer relativ verzweifelten Lage. Was sie jetzt kurzfristig brauchen ist zum einen Schutz, Schutz vor den Übergriffen der ISIS-Terrormilizen, und zum anderen brauchen sie in relativ kurzer Zeit ein Obdach über dem Kopf. In acht Wochen beginnt der Winter, der sehr kalt wird. Die Flüchtlinge leben heute in Baustellen, in Schulen, auf der Straße. Am 15. September soll das Schuljahr wieder beginnen, also muss so schnell wie möglich für Unterkünfte, Zelte, Container gesorgt werden.
    "Schutz vor militärischen Angriffen"
    Grieß: Die Bundesrepublik hat schon erste Hilfslieferungen geliefert. Einige Transall-Maschinen haben wir in Bildern gesehen und andere Lieferungen in anderen Maschinen. Ist von dieser Hilfe schon etwas zu sehen in Erbil?
    Schockenhoff: Das ist noch nicht zu sehen, das läuft an. Die Frage ist aber, ob man damit kurzfristig den Winter überbrückt und die Flüchtlinge dann in ihre angestammten Dörfer und Siedlungen zurückkommen, was die meisten wollen, oder ob sie dort Gefahr für Leib und Leben sehen und deswegen versuchen, nach Europa zu kommen. Auch das sagen sehr viele. Deswegen ist vor allem auch der Schutz vor militärischen Angriffen, vor furchtbaren Pogromen jetzt eine gegebene Aufgabe.
    "Für die Jesiden im Irak muss es dauerhaft eine Lebensperspektive geben"
    Grieß: Der Wunsch, nach Europa zu kommen, darin dürfte auch der Wunsch stecken bei manch einem Flüchtling, nach Deutschland zu kommen. Das ist auch das, was wir hören von Reportern, die dort unterwegs sind für uns. Stellt sich die Frage für Deutschland, Flüchtlinge aufzunehmen aus dieser Region?
    Schockenhoff: Die Frage stellt sich. Wir können im Extremfall Flüchtlinge aufnehmen. Das hat die Bundesregierung ja auch schon beschlossen. 10.000 ist das Kontingent, das nach Deutschland kommen soll. Aber es leben allein in der Stadt Erbil 300.000 Flüchtlinge. Insgesamt sollen es in Irak etwa 1,2 Millionen sein. Deswegen können wir das Problem nicht in Deutschland lösen. Unabhängig der Frage, wie viele wir aufnehmen, muss es für die christlichen Bevölkerungsgruppen, für die Jesiden im Irak dauerhaft eine Lebensperspektive geben und dazu müssen ihre Siedlungsgebiete auch sicher sein. Das heißt, man muss den Terrormilizen des Islamischen Staates militärisch entgegentreten.
    Grieß: Darüber sprechen wir gleich noch. Sind Sie dafür, das Flüchtlingskontingent noch mal zu überdenken und womöglich zu erhöhen?
    Schockenhoff: Ich bin klar dafür, das den gegebenen Situationen anzupassen. Man muss aber auch den Betroffenen im Irak sagen, dass wir nicht alle Vertreibungsprobleme dadurch lösen können, dass die Menschen in diesem Land keine Lebensperspektive haben, sondern auch in Irak müssen christliche Religionen und Jesiden künftig eine Heimat und eine Zukunftsperspektive haben.
    Diejenigen mit Waffen unterstützen, die die Bevölkerung schützen
    Grieß: Kommen wir zu den Waffenlieferungen, die im Grundsatz beschlossen sind. Wie erklären Sie den Kurden, wie in Deutschland darüber diskutiert wird und dass das alles relativ lange dauert und sich nicht unbedingt nach dem Vormarsch des Islamischen Staates richtet?
    Schockenhoff: Wir erklären das damit, dass zum einen die Kurden in der Vergangenheit natürlich unterschiedliche Ziele verfolgt haben, dass es auch unterschiedliche kurdische Gruppen gibt. Wir müssen auf der einen Seite ganz klar diejenigen unterstützen, auch mit Waffen unterstützen, die die Bevölkerung schützen und zunächst einmal das Überleben sichern, etwa die Peschmerga-Miliz. Es gibt aber auch die PKK, die in der Vergangenheit sich nicht in erster Linie zum Schutz der Bevölkerung bekannt hat, sondern in der Vergangenheit eher einen Sezessionskrieg gegen den irakischen Staat, auch gegen den türkischen Staat oder den Iran geführt hat. Wenn die sich nun auch zum Schutz der Bevölkerung als ihr Ziel bekennen, entsteht eine andere Situation. Aber das Entscheidende ist, dass auch in Zukunft ein einheitlicher irakischer Staat bestehen bleibt, denn sonst hätte der Islamische Staat ein Ziel erreicht, würde dadurch ermutigt und würde dadurch auch in anderen Ländern der Region ein Beispiel geschaffen haben.
    Einheit des irakischen Staates
    Grieß: Da Sie gerade die kurdische Arbeiterpartei PKK angesprochen haben, Herr Schockenhoff. Sie werden zitiert am Wochenende in verschiedenen Medien mit der Aussage, so ähnlich, wie Sie es gerade bei uns auch noch einmal gesagt haben, die PKK kommt unter Umständen auch als Empfänger für Waffenlieferungen in Frage. Dazu gibt es seit gestern Abend von der Kanzlerin eine kurze Replik. Hören wir ganz kurz rein, wie die sich anhört.
    O-Ton Angela Merkel: "Wir haben hier ganz klare Regelungen. Es gibt eine UN-Resolution, nach der man nur Waffen auf das Gebiet des Irak liefern darf, wenn die irakische Regierung, die Zentralregierung einverstanden ist. Und die PKK kommt in diesem Zusammenhang nicht in Frage als Empfänger von Waffenlieferungen."
    Grieß: Herr Schockenhoff, wie reagieren Sie?
    Schockenhoff: Ich habe reagiert auf die Forderung der PKK, ihrerseits auch ausgestattet zu werden, und habe daraufhin gesagt, das Entscheidende ist nicht nur der Schutz der Bevölkerung, sondern eben auch die Einheit des irakischen Staates. Deswegen: Wenn die PKK diese Forderung erhebt, muss sie zu allererst von der Forderung Abstand nehmen, einen eigenständischen kurdischen Staat zu bilden und damit die Integrität des Irak aufzukündigen. Deshalb muss die Forderung, dass der Irak zusammen bleibt, aufrechterhalten werden. Denn es gibt vor allem unter der sunnitischen Bevölkerung heute Unterstützung für den Islamischen Staat, weil die sunnitische Bevölkerung nicht beteiligt wird an der Macht in Bagdad.
    Grieß: Aber wie stellen Sie sich diese Vereinbarung mit der PKK denn vor und wie wollen Sie sicherstellen, dass die PKK, wenn sie die Waffen dann erst mal hat, das auch einhält?
    Schockenhoff: Die PKK muss ihrerseits zunächst sich zu einem einheitlichen irakischen Staat bekennen. Auf der anderen Seite müssen wir aber auch an die irakische Regierung die Forderung erheben, die Bevölkerungsgruppen gerecht an den staatlichen Einnahmen, an den Öleinnahmen, an der Regierung zu beteiligen. Das gilt in erster Linie für die sunnitische Bevölkerung, die im Moment nicht gerecht beteiligt wird und deshalb zu den Unterstützern des Islamischen Staates gehört.
    Grieß: Sie knüpfen einige Bedingungen sowohl an die Waffenlieferungen an die PKK möglicherweise, aber auch an die irakische Armee. Aber, Herr Schockenhoff, ist das nicht doch eine sehr theoretische Diskussion? Wenn man einer Gruppe Waffen liefert, die jetzt gemeinsam kämpfen gegen den IS, wie ist denn vorstellbar, dass die eine Gruppe die neuen blitzblanken Waffen aus Deutschland benutzen darf und die andere nicht?
    Schockenhoff: Aber deswegen habe ich doch auf die Forderung der PKK dadurch reagiert, dass ich gesagt habe, die Voraussetzung dafür muss erst gegeben sein, und dafür muss die PKK ihre Forderung, einen eigenständigen Staat zu bilden, zunächst aufgeben. Sonst geht es überhaupt nicht um die Möglichkeit, über die irakische Gesamtregierung die PKK einzubeziehen im Kampf gegen Terrormilizen. Deswegen ist die Antwort auf eine Forderung der PKK voll auch mit der Haltung der Vereinten Nationen vereinbar. Diese Frage stellt sich erst dann, wenn die PKK als eine Organisation, die zur Einheit des Iraks sich eindeutig bekennt, auch in dieser Frage konstruktiv mitspielt.
    Grieß: Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Unions-Bundestagsfraktion, Andreas Schockenhoff, heute Morgen live aus Erbil bei uns im Deutschlandfunk. Danke schön, Herr Schockenhoff, und eine gute Rückreise heute.
    Schockenhoff: Bitte schön! Einen schönen Tag nach Deutschland.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.