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Kurdenkonflikt
Kollateralschaden in der Türkei: Kultur der Aramäer

Das christliche Volk der Aramäer, das seine Heimat in Südostanatolien hat, lebt heute überwiegend in Deutschland. Nach einem Jahrhundert der Verfolgung, Kriegen und Vertreibung hatte im letzen Jahrzehnt eine Rückkehr der Aramäer in ihre historische Heimat begonnen. Doch die Hoffnung auf Frieden ist durch die erneute Eskalation des Kurdenkonflikts in der Türkei zerstört.

Von Susanne Güsten | 29.08.2015
    Das Kloster Mor Gabriel im Südosten Anatoliens ist das geistige Zentrum der aramäisch sprechenden christlichen Minderheit. Auch in dem Dorf Kafro sollen sakrale Bauten in neuem Glanz erstrahlen.
    Das Kloster Mor Gabriel im Südosten Anatoliens ist das geistige Zentrum der aramäisch sprechenden christlichen Minderheit. (dpa / picture alliance / AKTION MOR GABRIEL)
    Feuer am Berg Bagok im Südosten der Türkei, nahe der Grenze zu Syrien und Irak. Kurdische Rebellen haben bei einer nächtlichen Straßensperre mehrere Lastwagen und Mobilfunktürme angezündet, und seither brennt der Wald. Von den Flammen eingeschlossen sind mehrere christliche Dörfer am Berg Bagok, dem letzten geschlossenen Siedlungsgebiet der aramäischen Christen in der Türkei. Tag und Nacht haben die Anwohner zusammen gegen das Feuer gekämpft, nun ist es endlich unter Kontrolle. Im Dorf Sederi besichtigt der aramäische Bauer Hanne Akbaba mit Tränen in den Augen die verkohlten Überreste seiner Felder und Weinberge. Sein Sohn Melki steht ihm zur Seite:
    "Das ist für ihn ein Weltzusammenbruch. Der hat seine ganze Kraft hier investiert, und nicht nur er, das sind ja Gelder der ganzen Familie - mein Vater hat noch fünf weitere Brüder und viele von denen haben hier ganz viel Geld investiert. Einer allein konnte das nicht stemmen, das ist zu viel."
    Rückkehrer hatten auf das Versprechen der Regierung und der PKK vertraut
    Hanne Akbaba ist schon einmal vertrieben worden aus Sederi. Vor 25 Jahren war das, in den dunkelsten Tagen des Kurdenkrieges, als die Christen hier zwischen der PKK und der türkischen Armee zerquetscht wurden. Als das Dorf vom Militär geräumt wurde, floh Akbaba nach Deutschland, so wie tausende aramäische Christen aus dieser Gegend. 15 Jahre lang arbeitete er in einer Fabrik in Gütersloh, vor zehn Jahren ist er nach Sederi zurückgekehrt. Wie andere christliche Rückkehrer hat er auf die Versprechen der türkischen Regierung und der PKK vertraut, die ihnen zugesagt hatten, sie seien in ihrer alten Heimat willkommen und sicher. Doch nun haben sich PKK-Kämpfer auf christlichem Land am Bagok festgesetzt, die türkische Armee stellt ihnen nach, und die Felder der Christen brennen wieder. Die Akbabas sind verzweifelt:
    "Für uns ist das eine Katastrophe. Wenn das jetzt wirklich zu einem Krieg kommen sollte, werden die wahrscheinlich irgendwann das Dorf räumen müssen, denn bei uns sind ja überall Berge."
    Der Krieg hat längst begonnen. Bei bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen kurdischen Rebellen und türkischen Sicherheitskräften starben in den nahen Kreisstädten Midyat und Nusaybin in diesem Monat schon mehrere Menschen. Die PKK vermint die Straßen in der Region, und das türkische Militär erklärte jetzt mehrere Christendörfer am Bagok zum militärischen Sperrgebiet. Armeeposten wachen an der Einfallstraße darüber, dass niemand mehr herein kommt. Das beunruhigt auch die Aramäer außerhalb der Sperrzone. Aziz Demir ist Bürgermeister des letzten Christendorfes vor dem Armeeposten:
    "In unseren Dörfern herrscht große Besorgnis, denn am Bagok wird offenbar eine Militäroperation vorbereitet. Das beunruhigt uns sehr. Seit einigen Jahren war es hier ruhig gewesen. Man konnte sich frei bewegen und jederzeit hingehen, wohin man wollte. Aber seit einem Monat verlässt niemand mehr das Dorf, wenn er nicht unbedingt muss. Wir haben Angst."
    In Kafro stehen jetzt wieder viele Häuser leer
    Auf Aramäisch, der Sprache von Jesus Christus, beten die Dorfbewohner um Ruhe und Frieden. Kafro heißt ihr Dorf, es war in den 90er-Jahren ebenfalls vom Militär geräumt und dem Erdboden gleich gemacht worden. Die heutigen Bewohner Kafros sind alle in den letzten zehn Jahren aus Deutschland und der Schweiz zurückgekehrt. 22 moderne Villen haben sie dort in den letzten Jahren errichtet, Kirche, Sportplatz, Restaurant und ein Internetcafé. Die Pioniere der aramäischen Rückkehrbewegung waren die Menschen von Kafro. Ihr Beispiel hat tausende Aramäer in Europa ermuntert, ihre Häuser, Kirchen und Dörfer hier wiederaufzubauen und zumindest die Sommermonate in der alten Heimat zu verbringen. Doch jetzt stehen selbst in Kafro die Hälfte der neuen Häuser wieder leer. Alles scheint vergebens gewesen zu sein, sagt Bürgermeister Aziz Demir:
    "So wie es jetzt aussieht, wird keiner mehr zurückkommen. Ganz Südostanatolien, der ganze Nahe Osten stehen in Flammen. Dass in dieser Lage die Menschen ihr bequemes Leben in Europa aufgeben und hierher in den Krieg kommen, ist nicht zu erwarten. Dabei wäre diese Rückkehr wichtig gewesen, sowohl für die Türkei als auch für Europa."
    Aufräumarbeiten in der Kreisstadt Idil, wo eine gewaltige Bombe vor dem Haus eines aramäischen Geschäftsmannes einen Krater ins Pflaster gerissen hat. Nicht zum ersten Mal, sagt der Hausbesitzer Robert Tutus:
    "Wenn das so weitergeht, werde ich die Region verlassen müssen. Nicht nur meine Investitionen sind bedroht, ich selbst bin hier inzwischen in Lebensgefahr. Ich werde von allen Seiten bedroht und unter Druck gesetzt. Damit habe ich nicht gerechnet, als ich zurückgekehrt bin, das habe ich nicht erwartet."
    Aus Frankfurt war Tutus zurückgekehrt, wohin er nach dem Tod seines Vaters vor 20 Jahren geflohen war. Sein Vater war der letzte christlicher Bürgermeister dieser Stadt, er wurde auf offener Straße mit einem Kopfschuss ermordet. Tutus ist trotzdem zurückgekommen:
    "Dies ist schließlich unsere Heimat, an der wir sehr hängen. Aber so wie es jetzt aussieht, müssen wir unsere Hoffnungen begraben. Für uns aramäische Christen gibt es hier kein Existenzrecht mehr, es ist vorbei. Ich werde meine Investitionen und Geschäfte nach Deutschland verlegen, wo auch meine Kinder schon leben. Es ist schwer, mich hier loszureißen, aber unsere Zukunft und die unserer Kinder sehe ich nun im Westen, in Deutschland."
    Historische Heimat am Tigris
    Die allermeisten aramäischen Christen aus dem Tur Abdin leben ohnehin längst im Westen. 100.000 sind es in Deutschland, 80.000 in Schweden und 20.00 in der Schweiz, während in ihrer historischen Heimat am Tigris keine 5.000 mehr leben.
    Das Herz des aramäischen Volkes schlägt aber noch immer im Tur Abdin, genauer im Kloster Mor Gabriel, das seit mehr als 1.600 Jahren ohne Unterbrechung aktiv ist. Bischof Timotheos hat auch in den schlimmsten Kriegsjahren dort ausgeharrt, damit dieser Herzschlag nicht aufhört. Das aramäische Volk lasse sich nicht einfach nach Deutschland verpflanzen, sagt der Bischof:
    "Unser Volk wird dort nicht überleben können. Zuerst wird sich die Sprache verlieren, dann unser Glaube, unsere Geschichte wird vergessen und unsere Familienbande werden aufgelöst. Dann ist es vorbei."