Donnerstag, 25. April 2024

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Kurs der FDP
"Der Beifall darf nicht von der falschen Seite kommen"

Der ehemalige Bundesinnenminister Gerhart Baum (FDP) sieht in seiner Partei keine Tendenzen, "sich an die AfD anzubiedern". Dennoch forderte er seine Parteikollegen im Dlf dazu auf, dem Flüchtlingsthema mit "höchster Sensibilität" zu begegnen. Die FDP müsse in einem sich verändernden Parteiensystem die Stellung des Liberalismus festigen.

Gerhart Baum im Gespräch mit Jasper Barenberg | 05.01.2018
    Der ehemalige Bundesinnenminister Gerhart Baum (FDP) spricht am 29.11.2015 im Schauspielhaus in Hamburg bei der Verleihung des Marion Dönhoff Preises.
    Der FDP-Politiker und ehemalige Bundesinnenminister Gerhart Baum (picture alliance / dpa / Georg Wendt)
    Man dürfe sich sowieso keine übertriebenen Hoffnungen machen, Protestwähler wiederzugewinnen, sagte Baum. Und die AfD-Wähler stünden weit entfernt von einer liberalen Partei. "Der dumpfe Nationalismus, die Irrationalität, die Unanständigkeit ihrer Aussagen, damit haben wir nichts zu tun". Man könne die Wähler nur mit einer überzeugenden liberalen Politik gewinnen. Baum sprach sich für die Zulassung des Familiennachzugs für Flüchtlinge aus. "Ich erwarte von der FDP, dass sie die Entscheidung der Großen Koalition dazu revidiert".
    In der Opposition könne man zwar nicht viel gestalten, so Baum. Aber er erwarte, dass die FDP im Bundestag die Themen Bürgerrechte, innere Sicherheit und Menschenwürde thematisiere. Durch die Digitalisierung gebe es Angriffe auf die Menschenwürde. Er beobachte, dass "ständig" einer Angst nachgegeben würde, die dann zu einem "Sicherheitswahn" führe. Dagegen müsste sich die FDP einsetzen - auch ohne Regierungsverantwortung. "Wir müssen das machen, was wir jahrelang gemacht haben: das Bundesverfassungsgericht zu Hilfe rufen", so Baum.

    Das Interview in voller Länge:
    Jasper Barenberg: Der FDP-Politiker und der frühere Bundesinnenminister, schönen guten Tag, Gerhart Baum!
    Gerhart Baum: Ja, schönen guten Tag!
    Barenberg: Herr Baum, ich hatte es angedeutet, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger hatte darauf Wert gelegt, dass man sich klar zur AfD abgrenzt, die Generalsekretärin hält das aber für keine sehr wichtige Forderung. Hören wir uns noch mal an, was sie dazu heute Morgen im Fernsehen gesagt hat.
    Nicola Beer: Wir setzen ganz klar auf Inhalte, und zwar aus der Mitte der Gesellschaft, aus der Mitte des politischen Spektrums heraus. Das heißt, man kann darauf setzen, Bürgerrechte zu verteidigen, und gleichzeitig aber auf die soziale Marktwirtschaft gegen Bürokratie, gegen Überregulierung setzen. Und das kann eben nur eine Kraft der Mitte, die proeuropäisch, die weltoffen ist, das ist kein Rechtsaußenkurs.
    Barenberg: Also Herr Baum, die FDP als Kraft der Mitte für soziale Marktwirtschaft und Bürgerrechte, für Europa, hat sich damit jede Debatte über den Kurs der Liberalen jetzt erledigt?
    "Eine besorgte Mahnung, dass der Kurs jetzt beibehalten wird"
    Baum: Nein, aber ich meine, das, was Frau Beer generell zum Kurs sagt, ist natürlich richtig, und ich freue mich sehr, dass sich Frau Schnarrenberger so deutlich geäußert hat. Sie steht ja da nicht alleine oder wir stehen damit nicht alleine, ich hab mich ja auch so geäußert. Heute hat sich auch Graf Lambsdorff in diesem Sinne geäußert und hat gesagt, das, was Frau Leutheusser gesagt hat, sei eine notwendige und besorgte Mahnung, dass der Kurs jetzt beibehalten wird. Und der Kurs ist ja bestimmt worden durch einen sehr erfolgreichen Wahlkampf mit überzeugenden Themen, und der Christian Lindner ist ein politisches Talent, das ich immer sehr geschätzt habe. Er hat ja das Verdienst, die FDP wieder in den Bundestag zurückgebracht zu haben. Wenn jetzt die Rede davon ist, dass man Protestwähler von der AfD wiedergewinnen will – und das ist ja ein Ansatzpunkt der Diskussion –, dann darf man keine übertriebenen Hoffnungen haben, denn die AfD und auch die Wähler stehen weit weg von einer liberalen Partei. Und dieser dumpfe Nationalismus, diese Irrationalität, die da drinsteckt, diese Unanständigkeit in den Äußerungen, damit haben wir nichts zu tun. Wir können die Wähler eigentlich nur gewinnen durch eine überzeugende liberale Politik.
    Barenberg: Darüber können wir gleich noch einen Augenblick sprechen, was das sein könnte als Oppositionspartei im Bundestag, aber lassen Sie mich noch mal zurückkommen auf die kritischen Stimmen, die Sie ja auch aufgezählt haben. Also dazu zählen Sie, dazu zählt Frau Leutheusser-Schnarrenberger, Sie haben Graf Lambsdorff dazugezählt und von einer besorgten Mahnung gesprochen. Was ist für Sie der Anlass für diese besorgte Mahnung?
    "Erneuerung darf nicht so aussehen, wie sich Herr Dobrindt sie vorstellt"
    Baum: Der Anlass ist, dass jetzt die FDP die Stellung des Liberalismus in einem sich veränderten Parteiensystem festigen muss. Das Parteiensystem ändert sich. Wir haben ja heute auf dem Tisch eine Äußerung von Herrn Dobrindt, der eine konservative Revolution will, Lindner spricht von Erneuerung, will eine Erneuerungskoalition anstreben, so darf aber die Erneuerung nicht aussehen, wie sich Herr Dobrindt sie sich vorstellt. Also die FDP muss jetzt in einer sich verändernden Landschaft ihren Kompass behalten, das ist der Ansatzpunkt.
    Barenberg: Und Sie macht auch besorgt, dass die FDP möglicherweise keinen klaren Abstand zu Themen und Thesen der AfD hat?
    Baum: Nein, das macht mich eigentlich nicht besorgt, weil die Partei nicht so denkt. Also die liberale Substanz der Partei ist ja aufgefrischt worden nach dem Debakel, dem selbst verschuldeten Debakel von 2013. Also ich glaube nicht, dass die Verführung, sich an die AfD anzubiedern, in der Partei überhaupt einen Widerhall findet. Ein Lackmustest ist natürlich das Flüchtlingsthema, und ein Lackmustest ist der Familiennachzug. Also da erwarte ich von der FDP, dass sie doch bereit ist, die Entscheidung der Großen Koalition, keinen Familiennachzug nachzugeben und zuzulassen, dass sie die revidiert.
    Barenberg: Da möchte ich gern noch mal an den Wahlkampf erinnern, so weit weg der schon scheint, und an den Parteivorsitzenden Christian Lindner, der ja zuletzt einen relativ harten Kurs gegenüber den Flüchtlingen ins Spiel gebracht hat, beispielsweise mit der Forderung in einem Interview mit der "Bild"-Zeitung, alle abgelehnten Asylsuchenden konsequent abzuschieben, und das gelte eben beispielsweise auch für Minderjährige. Sind das Zungenschläge, die zu Ihrer Besorgnis beitragen?
    "Es darf nicht der Beifall von der falschen Seite kommen"
    Baum: Ich sag ja heute, mit dem Flüchtlingsthema muss sehr sorgfältig umgegangen werden, und es darf nicht der Beifall von der falschen Seite kommen. Herr Lindner hat das dann differenziert – was Sie eben zitiert haben, ist eine Grobzeichnung. Also ich würde das sehr differenziert darstellen, auch mit den Abschiebungen und mit den Minderjährigen. Man muss sich vergegenwärtigen, dass die AfD überhaupt nur einen Brandbeschleuniger hat, und das ist die Fremdenfeindlichkeit, und deshalb will sie auch Frau Merkel weg haben. Ich frage mich, warum es jetzt Gründe gibt, Frau Merkel abzulehnen. Also in dieser Situation muss wirklich mit höchster Sensibilität die Flüchtlingssituation verhandelt werden. Das erwarte ich auch von meiner Partei.
    Barenberg: Und was bedeutet das, Gerhart Baum, für die Rolle, die die FDP im Bundestag zum Beispiel jetzt spielen soll als Oppositionspartei?
    "Wir haben keine andere Zukunft als die Zukunft Europas"
    Baum: Ja, sie hat jetzt eine Oppositionsrolle, daraus kann man etwas machen. Die Oppositionsrolle ist keine Gestaltungsrolle, deshalb wäre eine Koalitionsbeteiligung natürlich viel erfolgreicher gewesen, auch für die Themen, die mich umtreiben. Mich treibt also um, dass die Bürgerrechte, die Einschränkung der Menschenwürde durch Sicherheitswahn und teilweise verfassungswidrige Bundesgesetze, dass dies nicht Thema ist jetzt in der allgemeinen Diskussion, und ich bin sicher, dass die FDP das jetzt im Bundestag thematisieren wird - sie hat ja schon erste Anträge eingebracht. Und wir sind jetzt leider wieder auf dem Weg hin gezwungen nach Karlsruhe, um einige Gesetze der Großen Koalition anzugreifen. Und es ist ja eine Riesengefahr für die Menschenwürde und die Freiheit, was allein von der Digitalisierung ausgeht, die Angriffe der Digitalisierung auf die Menschenwürde und das ständige Nachgeben einer Angst, die dann zu einem Sicherheitswahn führt. Das ist ein herausragendes Thema, das die FDP jetzt behandeln muss. Und ein weiteres Thema ist Europa. Europa ist in Gefahr, und wir haben keine andere Zukunft als die Zukunft Europas, eine Zukunft in Europa. Und ich erwarte von der FDP, dass sie hier kraftvoll mitwirkt, Europa zu stärken und zu erneuern.
    Barenberg: Am Ende hat aber Sabine Leutheusser-Schnarrenberger recht, frage ich Sie, Sie sprechen Bürgerrechte an und die Gefahren, die auch mit der Digitalisierung verbunden sind. Sie hat darauf aufmerksam gemacht: Durchsetzen kann man in der Opposition nicht viel.
    Baum: Ja, das ist schade, und deshalb sage ich ja, wir müssen das wieder machen, was wir jahrelang gemacht haben, wir müssen das Bundesverfassungsgericht zur Hilfe rufen. Bei den Sondierungen zu Jamaika waren ja einige Erfolge sichtbar, diese Gesetze zu revidieren, die ich eben erwähnt habe.
    Barenberg: Der ehemalige Bundesinnenminister und FDP-Politiker Gerhart Rudolf Baum. Danke für die Zeit heute Mittag und das Gespräch im Deutschlandfunk!
    Baum: Danke auch!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.