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Lähmende Altlasten
Tschechen in der Schuldenfalle

Die Lage ist ernst: 10,5 Millionen Einwohner hat Tschechien – und zugleich stehen 4,5 Millionen Zwangsvollstreckungen an. In manchen Regionen liegt der Anteil der Überschuldeten bei rund 20 Prozent der Bevölkerung.

Von Kilian Kirchgeßner | 25.04.2020
    Marktszene in Prag
    Viele Tschechen plagen Geldsorgen (Imago)
    Viele drücken die hohen Schulden schon seit Jahrzehnten. Weil es in Tschechien kein Gesetz gegen Wucher gab, wurde früher aus einer vergessenen Stromrechnung mit Mahngebühren und Zinsen schnell eine existenzgefährdende Last.
    Die Verschuldung der Bürger ist zu einem der drängendsten innenpolitischen Probleme geworden – und zu einem ideologischen Streitfall: "Eine Gefahr für die Demokratie" nennen es einige Beobachter, weil reihenweise Tschechen keine Aussicht haben, jemals aus der Situation zu entkommen. Andere finden, mehr Großzügigkeit mit Verschuldeten sei ungerecht gegenüber den Gläubigern.
    Tatsächlich ändert sich die Gesetzgebung erst jetzt allmählich: Das neue Privatinsolvenzrecht gilt zwar als Fortschritt - ist zu Schuldnern aber immer noch wesentlich härter, als in anderen EU-Ländern üblich.
    Eine Frau hebt Geld an einem Bankautomaten in Tschechien ab
    Die Schuldner
    Wer in Tschechien in Zwangsvollstreckungen steckt, fällt aus dem gesellschaftlichen Leben heraus. Aus Verzweiflung nehmen viele Bürger immer neue Schulden auf, auch bei dubiosen Anbietern zu immensen Zinsen.
    Der ehemalige Manager Radek Habl
    Der Aktivist
    Als eine Freundin sich Geld bei ihm leihen wollte, begann der damalige Manager Radek Habl, sich mit privater Verschuldung und Zwangsvollstreckungen in Tschechien zu beschäftigen. Er machte die Dimension des Problems öffentlich und wurde so zum Wegbereiter für neue Regeln zur Privatinsolvenz.
    Die Schuldeneintreiber
    Wer Schulden hat, soll sie auch bezahlen, findet Jana Tatyrkova, Verbandschefin der tschechischen Inkasso-Agenturen. Die Politik hält sie inzwischen für zu Schuldner-freundlich. Doch sie weiß auch um die schwarzen Schafe ihrer Branche und fordert mehr Regulierung.
     Tschechische Kronen
    Der Anwalt der Schuldner
    Petr Nemec prozessiert gegen private Kreditanbieter und Gerichtsvollzieher in Tschechien. Nach eigenen Angaben hat er inzwischen mehr als 3.000 Zwangsvollstreckungen gestoppt. Viele Tschechen haben sich auf dubiose Kreditverträge eingelassen.
    Ein Pfandleihhaus in Tschechien
    Die Schuldnerberater
    Im Norden Tschechiens steckt fast ein Fünftel der Bevölkerung in der Zwangsvollstreckung. In der Stadt Usti nicht weit von Dresden ist sichtbar, wie Armut und Verschuldung zusammenhängen. Wichtige Gründe für Überschuldung sind immer noch mangelnde Bildung - und Naivität.
    Eine Deutschlandfunk-Produktion von August 2019