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Länderfinanzausgleich
Scholz: "Große moralische Aufgabe"

Hamburgs Erster Bürgermeister, Olaf Scholz, plädiert für eine rasche Neuregelung der Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern. Innerhalb dieser Legislaturperiode müsse man sich einigen, sagte der SPD-Politiker im DLF. Im Streit um den Solidaritätsbeitrag fordert Scholz eine Diskussion ohne Egoismus.

Olaf Scholz im Gespräch mit Birgit Wentzien | 22.03.2015
    Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz im Gespräch mit DLF-Chefredakteurin Birgit Wentzien.
    Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz (picture alliance / dpa / Nils Heider)
    Birgit Wentzien: Gratulation, Herr Scholz, Sie haben "den Hut gewonnen", wenn man so will – Hamburg wird offizieller Wettbewerber im Rennen um Olympia 2024. Freuen Sie sich?
    Olaf Scholz: Ich freue mich, dass Deutschland sich für Olympische Sommerspiele 2024 und Paralympische Spiele bewirbt. Denn das ist ja das, worum es vor allem anderen geht, nach 1972 wieder Olympische Sommerspiele in unserem Land zu haben. Und natürlich ist es etwas Besonderes, dass unsere Stadt das mit dem deutschen Sport und dem ganzen Land zusammen versuchen darf.
    Wentzien: "Eine große Sache", haben Sie selbst gesagt. Und wer in diesen Tagen Post von Ihnen bekommt, der hat ganz unten auf dem Brief dann schon das Motto stehen, nämlich: "Feuer und Flamme für die Spiele". Sagen Sie mir, was passiert jetzt wann und wie? Wo brennt es schon in der Hansestadt?
    Scholz: Wir haben eine große Begeisterung bei den Hamburgerinnen und Hamburgern gesehen. Das hat auch dazu beigetragen, dass – richtig – die ganze Stadt von dem Fieber erfasst ist. Und natürlich hoffen wir, dass das auch die ganze Zeit so bleibt, wenn wir jetzt Stück für Stück voranschreiten. Ein wichtiges Datum der nächsten Zeit wird sein das Referendum, dass wir im Herbst dieses Jahres abhalten und in dem wir die Zustimmung der Bürgerinnen und Bürger unserer Stadt zur Ausrichtung Olympischer Sommerspiele und Paralympischer Spiele erbitten für 2024 und möglicherweise ein zweites Mal. Das wird, glaube ich, eine erfolgreiche Befragung sein. Jedenfalls spüre ich die Stimmung hier so, dass die meisten wollen, dass wir das machen. Und das hilft dann natürlich auch, wenn wir gleichzeitig all die ganzen ernsthaften Dinge tun, nämlich zu planen, wie Olympische Spiele hier in dieser Stadt stattfinden könnten, das Mini Bid Book zusammen mit dem Deutschen Sport vorzubereiten, dass wir Anfang des nächsten Jahres abgeben müssen und dann natürlich für die endgültige Entscheidung in 2017 das große Bid Book.
    Wentzien: Das ist ein Kompendium mit allen Anlagen, Vorhaben, Planungen, dieses Book, das Sie gerade beschrieben haben.
    Scholz: Es geht darum, zu schildern, wie man diese Spiele ausrichten will und dass dabei all die Kriterien, die das Internationale Olympische Komitee aufgestellt hat, auch erfüllt werden können. Das glauben wir, dass wir das können. Die Stadt ist eine Stadt mit großer Handelserfahrung, das heißt, wir haben eine Infrastruktur, die ohnehin sehr große Belastungen verkraften kann. Und wir haben auch die Idee, dass wir eine Entwicklung unserer Stadt voranbringen können. Das, was im Zusammenhang mit den wenigen Tagen der Olympischen Spiele stattfindet, sollte sowieso in Hamburg stattfinden. Das heißt, die Entwicklung Hamburgs in den Osten, entlang der Bille und der Elbe, die Entwicklung Hamburgs in den Süden, über die Elbinseln und die Möglichkeit, direkt vor der innersten Innenstadt auf einer Elbinsel die meisten olympischen Spiele stattfinden zu lassen und auch das Olympische Dorf zu etablieren. Ein großer Sprung für die Stadtentwicklung, aber natürlich auch ein ganz besonderes Angebot für all diejenigen, die in der ganzen Welt begeistert sind von Olympischen Spielen, für die Jugend, die da kommt und sich anstrengt und mitmachen will. Das ist eben dicht beieinander und das ist vielleicht etwas ganz Besonderes.
    Wentzien: Sie haben es erwähnt, das Referendum jetzt im Herbst, wo Sie jetzt nochmal die Bevölkerung fragen, steht an. Nur ist es mit Referenden ja immer so eine Sache. Sie selber, aber auch Stadtregierungen vor Ihnen haben da ja nicht immer gute Erfahrungen gemacht. Sie müssen ja nochmal richtig begeistern und nahrhaft untermauern und klar machen, was für Vorteile es auch für Hamburger und Hamburgerinnen hat. Das wird Ihnen gelingen?
    Scholz: Klar, bei einem Referendum, also wenn die Regierung und das Parlament – in diesem Fall Senat und Bürgerschaft – die Bürgerinnen und Bürger unserer Stadt befragen, geht es darum, dass wir auch überzeugen wollen. Allerdings sind wir sicher, dass uns das auch gelingen wird. Die bisherige Begeisterung, die sehr sorgfältige, seriöse Vorbereitung des Planungsprozesses macht uns jedenfalls mutig und wir glauben, dass das gut klappen wird.
    Wentzien: Dann muss irgendwie auch noch eine Regierung gebildet werden – es laufen im Moment die Koalitionsverhandlungen – und man braucht auch noch ein Gesetz. Dann geht es auch noch mal irgendwie um ein bisschen Geld, das in die Hand genommen werden muss. Also ein ganz großes Mammutprogramm für Sie, das Sie noch vor der Brust haben bis dahin.
    Scholz: Die Stadt entwickelt sich ohnehin mit großer Geschwindigkeit, also große Aufgaben haben wir vielfältig vor uns – diese kommt jetzt noch dazu. Und es ist aber eine, die inspiriert, insofern sind alle mit großer Energie dabei.
    Scholz: Londons Olympia-Konzept als Vorbild für Spiele in Hamburg
    Wentzien: Gucken Sie auch ein bisschen nach London und holen Sie sich da Anregungen? Das war ja auch eine Stadtgeschichte, mit dem großen Event, Sportevent dort. Ist das für Sie ein Muster mit Wert?
    Scholz: Unbedingt. Wir sind fest davon überzeugt, dass man sehr viel von der Londoner Bewerbung, aber auch von der Vorbereitung der Spiele und der Durchführung der Spiele lernen kann. Deshalb sind wir mit einer sehr großen Zahl der damals Verantwortlichen im engsten Gespräch und haben schon sehr viele der Erfahrungen auch für unsere bisherigen Vorbereitungen verarbeitet und werden das auch weiter tun. Das Wichtigste ist ja, dass keine "weißen Elefanten" entstehen, also Gebäude, die nach den Olympischen Spielen nicht mehr genutzt werden. Also wird alles so entwickelt werden müssen, dass es auch später einen Nutzen für die Stadt hat. Da die Stadt sehr wächst, ist es auch nicht so schwer, wenn man es richtig anstellt. Also, das Olympische Dorf und die Olympic City, die damit entsteht, kann unmittelbar auch der Stadtentwicklung dienen. Da werden viele Familien, viele Männer und Frauen wohnen und das werden sie gerne tun, mit einer großartigen Sicht auf die ganze Stadt und einer großartigen Wasserlage. Es wird so sein, dass das auch für die Gebäude gilt, die wir für die Unterbringung der Journalistinnen und Journalisten bauen müssen. Es wird so sein, dass wir das machen können für die Gebäude, die wir für die technische Infrastruktur, für Medien und sonst etwas benötigen. Die Verkehrsinfrastruktur, die wir in diesem Zusammenhang entwickeln, ist die, die wir sowieso im Blick haben – also da wird auch nichts Überdimensioniertes geplant, das nicht sowieso sich aus der Stadtentwicklungsperspektive ergibt. Und damit entsteht natürlich eine Hinterlassenschaft, eine Legacy, die für die Stadt dauerhaft von großer Bedeutung ist. Und deshalb sind wir auch ganz sicher, dass wir alle überzeugen können, dass hier nicht etwas entsteht, von dem Hamburg und ganz Deutschland nicht dauerhaft profitieren.
    Wentzien: Jetzt müssen Sie noch ganz kurz einen Gruß nach Berlin schicken, an die Mitbewerber, die auf Platz zwei gelandet sind.
    Scholz: Berlin hat eine großartige Bewerbung entwickelt. Und wir haben das von vorneherein als eine große Sache betrachtet, dass die beiden größten Städte Deutschlands – Berlin, als die größte Stadt und als die Hauptstadt und Hamburg – vom Deutschen Olympischen Sportbund gebeten worden sind, sich mal damit zu befassen, ob sie das wohl machen würden. Beide haben das mit viel Herzblut getan. Und das ist ja auch ganz wichtig, weil wir brauchen ja die Unterstützung von allen. Olympische Spiele in Deutschland sind eine Sache, die dann funktioniert, wenn das ganze Land das als die 'eigene Sache' begreift.
    Wentzien: Hamburgs Erster Bürgermeister, Olaf Scholz, ist zu Gast im Interview der Woche des Deutschlandfunk. Herr Scholz, Sie haben nicht nur diese Aufgabe, Sie sind im Nebenjob – mit vielen Nebenjobs, aber in einem Nebenjob – auch noch zentraler Verhandlungsführer der Bundesländer in allen Gesprächen zu den Bund-Länder-Finanzen. Und Ihr Gegenpart auf der Seite des Bundes heißt Wolfgang Schäuble, der Bundesfinanzminister. Und sie beide kennen sich ja schon länger und verstehen und schätzen sich auch schon länger, richtig?
    Scholz: Richtig.
    Wentzien: Richtig. Genau. Sie haben als Minister nämlich in der Großen – vorherigen – Koalition zusammengearbeitet – Schäuble als Innenminister, Sie als Arbeitsminister. Sie haben gemeinsam alle Finanzkapitel des Koalitionsvertrages aufgeschrieben. Die sind inzwischen alle abgearbeitet ... ungefähr?
    Scholz: Ungefähr.
    Scholz: Bei den Bund-Länder-Finanzen geht es um Solidarität
    Wentzien: Ungefähr. Genau. Und im vergangenen Herbst haben Sie beide dann nochmal miteinander ein gemeinsames Konzept für neue Aufgaben und eine neue Aufstellung der Bund-Länder-Finanzbeziehung erreicht. Ich will jetzt nicht mit Ihnen über Zahlen sprechen, ich möchte aber gerne mit Ihnen über die Dimension und Wichtigkeit dieser Aufgabe reden und über eine Frau, die diese Pläne mit einer Kehrtwende geradezu durchkreuzte. Sie heißt Angela Merkel und ist die Kanzlerin und hat sich eigentlich immer im Sinne einer Fortführung beispielsweise des Solis geäußert und jetzt mit einem Mal nicht mehr – angeblich hat Horst Seehofer da auch einige Aktien drin. Haben Sie mit dieser Kehrtwende der Kanzlerin am Punkt des Soli gerechnet?
    Scholz: In Ihrer Frage haben Sie ja schon angedeutet, dass ich weder jetzt noch in der Vergangenheit mich sehr intensiv zu diesen Themen geäußert habe, weil ich unbedingt möchte, dass wir miteinander in unserem Land etwas hinkriegen, was die Neuregelung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen betrifft und natürlich auch der Finanzbeziehungen der Länder untereinander – Thema: Länderfinanzausgleich. Da sind viele große Aufgaben zu bewältigen, denn das, was wir jetzt in dieser Legislaturperiode und wenn es sehr gut läuft, sehr zügig in diesem Jahr in der Grundkonzeption hinbekommen müssen, das muss ja alles fertig gerichtet sein zum Ende dieses Jahrzehnts. Das ist ja nicht so weit entfernt. Und deshalb, glaube ich, haben auch alle verstanden, dass das jetzt nicht eine Zeit ist, wo man noch lange hin und her überlegen kann, sondern wo man irgendwann auch zu einem Ergebnis kommen muss. Wir werden 2020 die Situation haben, dass der Solidarpakt ausläuft und damit natürlich die Grundlage für eine weitere Erhebung des Soli in tatsächlicher Hinsicht mehr oder weniger entfallen ist – das weiß jeder. Das heißt aber übrigens auch, dass die ostdeutschen Länder, die allesamt im letzten Jahr noch etwa sechs Milliarden Euro an Zuweisungen daraus bekommen haben, auf die dann gar nicht mehr zurückgreifen können. Eine Herausforderung, die unser ganzes Land gemeinsam bewältigen muss. Und deshalb sage ich: Auch ein weiteres Ergebnis dieser ganzen Neuregelung muss sein, dass zum Beispiel die ostdeutschen Länder eine eigenständige Perspektive haben, dass ihre nach wie vor geringere Finanzkraft berücksichtigt wird bei dem, was wir miteinander hinbekommen. Gleichzeitig ist es so, dass die jetzigen Regelungen zu Bund-Länder-Finanzen und zum Länderfinanzausgleich ebenfalls zu diesem Zeitpunkt auslaufen, und es ist so, dass ab da für die Länder ganz strikt ein Neuverschuldungsverbot gilt. Und insofern haben wir richtig etwas zu schultern, was für die Zukunft wichtig ist. Dabei wird immer ein Gesichtspunkt eine Rolle spielen, den ich eben schon zu fassen hatte, es geht um Solidarität. Deutschland hat – anders als viele andere Staaten Europas zum Beispiel – eine föderale Tradition, es ist kein Zentralstaat, in dem alles in der Hauptstadt stattfindet. Und der Föderalismus hat zum Beispiel auch eine Gemeinschaftsverpflichtung mit sich. Das heißt, wir müssen füreinander einstehen, die Solidarität gehört also zum Länderfinanzausgleich dazu. Sie neu und dauerhaft auch weiter zu organisieren, ist eine Aufgabe. Das gilt zum Beispiel, aber nicht nur, für die ostdeutschen Länder. Das gilt zum Beispiel für die Länder, die, wie Saarland und Bremen, sehr, sehr hohe Schulden haben, die sie aus eigener Kraft nicht bewältigen können.
    Wentzien: Aber nach der Mutmaßung darf ich Sie fragen, was vielleicht dahinter steckt, denn Sie haben das zusammen mit Wolfgang Schäuble aufgeschrieben. Sie haben auch jede Menge Expertise herangeholt. Sie selber, Herr Scholz, deuten ja auch an, das Zeitfenster schließt sich. Wir haben im nächsten Jahr zwei Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg, die wichtig sind, also da wird auch nicht mehr so viel passieren. Die Zeit wird knapp. Warum hat die Kanzlerin mutmaßlich das jetzt durchkreuzt, wo es doch eigentlich um sehr viel mehr ging, was Sie aufgestellt haben? Sie wollten ja nicht nur den Soli in einer Art und Weise in der Verlängerung haben, sondern Sie wollten auch ein Schuldenmanagement beispielsweise einführen, Sie wollten eine Steuerreform erreichen. All das wäre ja fast fertig gewesen und ist jetzt ein bisschen wieder zur Seite geschoben durch die Entscheidung von Merkel.
    Scholz: Ich bin Politiker und insofern interessiert mich die Konstruktion und nicht die Dekonstruktion – das überlasse ich Wissenschaftlern und Journalistinnen.
    Wentzien: Da werde ich mich dann nochmal drum kümmern. Wir haben über den Zeitraum gesprochen, der noch ansteht. Wir haben auch ein Alternativmodell seit wenigen Tagen nochmal, das sehr stark – wenn Sie gestatten – dem von Scholz und Schäuble ähnelt, nämlich das Modell von Kretschmann und Schmid – der baden-württembergische Ministerpräsident und der SPD-Finanzminister Nils Schmid haben das vorgestellt. Kann damit so etwas gelingen, wie die Blockade, die gegenwärtige, aufzubrechen?
    Scholz: Am Ende werden alle einer Meinung sein müssen. Und das wird nur gelingen, wenn keines der 16 Länder schlechter dasteht als heute, sondern alle ein bisschen besser. Und diese große Aufgabe zu bewältigen, ist unverändert vor uns.
    Wentzien: Da gibt es ja auch innerhalb der SPD unterschiedliche Interessen. Hannelore Kraft beispielsweise, aus Nordrhein-Westfalen, will vor allem eines, nämlich mehr Geld; die Ostländer schauen nochmal ganz anders auf die Entwicklung des Soli. Kriegt man die alle unter einen Hut oder muss man irgendwie alle unter einen Hut bekommen?
    Scholz: Am einfachsten wäre, wir könnten das Spiel, das uns der Philosoph Rawls empfohlen hat, hier nachspielen: Alle 16 Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten und Bürgermeister entwickeln ein ideales Modell des Länderfinanzausgleichs, keiner weiß aber vorher, ob er hinterher Ministerpräsident von Bayern, Ministerpräsidentin von NRW oder Bürgermeister von Bremen ist. Und wenn alle das, ohne das zu wissen, richtig finden, wird es ein richtig gutes Modell. Da das jetzt ein bisschen unrealistisch ist und wir ja eigentlich ahnen, wer wir so sind, müssen wir das aber trotzdem als große moralische Anstrengung miteinander hinkriegen, dass wir nicht nur an uns und die Länder, die wir unmittelbar zu vertreten haben, denken, sondern auch immer darüber nachdenken: Wie ist es aus der Perspektive aller anderen und ist es auch aus der der anderen gut? Und dann, wenn uns das gelingt in der Politik, kriegen wir es auch hin.
    Scholz: Mit der Schuldenbremse wird die Demokratie in Deutschland erwachsener
    Wentzien: Aber, sagen wir mal, politischen Charme hat ja jetzt die Volte von Kretschmann, dem Grünen Regierungschef aus Baden-Württemberg, schon. Denn er gehört weder zum SPD-Lager noch zum Unions-Lager, er kommt aus einem reichen, den Föderalismus ja bejahenden Land, also er könnte ein ehrlicher Makler sein, wenn alle ihn akzeptieren und ihn makeln lassen?
    Scholz: Sie wollen mich ein bisschen dazu verführen, dass ich tue, was ich nun vorher gesagt habe, nicht tun zu wollen, nämlich zu sagen, wie es am Ende ausgehen wird. Da ich ja gerne bewirken möchte, dass es ein gutes Ergebnis gibt, tue ich das nicht. Aber ich stimme Ihnen zu, sowohl Herr Schmid als auch Herr Kretschmann sind ganz charmante Leute.
    Wentzien: Olaf Scholz ist zu Gast im Interview der Woche des Deutschlandfunk. Und noch ganz kurz, 'Kehrtwende der Kanzlerin' – Schuldenbremse, da wird Sie aber keine Kehrtwende vollziehen? Dabei wird es bleiben, also für Bund und Länder, die Grenze des Dispokredits, davon ist auszugehen?
    Scholz: Ich bin persönlich ein großer Anhänger des Neuverschuldungsverbotes, dass wir uns angewöhnt haben, die Schuldenbremse zu nennen. Und das heißt ja, ab 2020 dürfen die 16 Länder keine neuen Schulden auf die bis dahin entstanden mehr auftürmen. Und der Bund hat eine sehr enge Restriktion, was seine Neuverschuldung betrifft. Das hilft jetzt, allerdings müssen auch alle verstehen, dass das tatsächlich unsere Diskussion untereinander verändert. Es hat sicherlich in den letzten Jahrzehnten immer wieder Momente gegeben, auch in Bund-Länder-Finanzdiskussionen, in Diskussionen über einzelne Gesetzesvorhaben, in denen dann der Ruf laut wurde: 'Jetzt muss Politik gemacht werden und jeder muss was drauf legen' – und am Ende waren es aber nur Schulden, die alle Beteiligten drauf gelegt haben. Das geht nicht mehr. Wenn man an einer Stelle etwas macht, muss man es an anderer Stelle lassen. Und das ist, glaube ich, die große Veränderung, die auch noch nicht von allen wirklich verstanden worden ist, die die Politik beobachten. Aber mein Eindruck ist, bei den 16 Ländern und ihren Chefs und Chefinnen ist das längst klar und in Diskussionen, zum Beispiel mit der Bundespolitik, wird das auch immer mehr und sehr parteiübergreifend formuliert. Wir haben diese gemeinsame Verpflichtung und sie geht vielen anderen vor. Und am Ende ist es ja doch so, dass dadurch die Demokratie etwas erwachsener wird, weil wir unsere nicht geringen Möglichkeiten richtig einschätzen müssen und dann priorisieren müssen, also gucken müssen: Was können wir uns leisten und was nicht.
    Wentzien: Das ist ja auch ein ganz bemerkenswertes Stück politischer Geschichte. Konstruiert haben diese Schuldenbremse mit vielen Widerständen ja damals Günther Oettinger und Peter Struck, auch in einem großkoalitionären Vorhaben, das damals ja auch nicht erwartet worden ist, und es ist einfach gesetzt jetzt in der Verfassung und danach hat man sich zu richten.
    Scholz: Vielleicht ist das aber eine Entscheidung, über die wir uns über lange Zeit noch viel und sehr freuen werden. Denn ich stimme dem Wissenschaftler Streeck zu, der gerade ein Buch geschrieben hat, indem er über die "Gekaufte Zeit" spricht. Und wenn man das ernst nimmt, haben wir jetzt die Gelegenheit, wenn es einigermaßen gut läuft, die hohe Belastung durch die Staatsverschuldung zu reduzieren, mit ihr besser umzugehen. Und da jetzt zum Beispiel die wirtschaftliche Lage in Deutschland ganz gut ist, wir viel Beschäftigung haben, hohe Steuereinnahmen und geringe Zinszahlungen, die wir aufwenden müssen für die bisherigen Schulden, durch das niedrige Zinsniveau, ist das die Zeit, in der wir diesen Wechsel zu einer Situation, in der nicht immer wieder neue Schulden gemacht werden, am besten organisieren können. Und das ist vielleicht eine gute Hinterlassenschaft.
    Wentzien: "Gekaufte Zeit“ ist eine Vokabel, Herr Scholz, die wir ja auch immer wieder im europäischen Kontext hören. Sie selber sind im deutsch-französischen Verhältnis, auch Richtung Nordeuropa sehr viel unterwegs und machen sich da Gedanken. Wenn wir Ihre Idee des Schuldenmanagements beispielsweise noch mal auf Europa übertragen würden, ist das nicht ein Instrument, das auch in Europa gerade in diesen haushalterischen und Staatsfinanzkrisenzeiten gut zu gebrauchen wäre? Denn so was haben wir ja in Europa eigentlich nicht, einen Schuldenmanager, der genau notiert, wer wo überzieht.
    Scholz: Wir haben Verabredungen miteinander über die Frage, wie mit Schulden umgegangen werden darf. Darüber gibt es Verträge, die abgeschlossen worden sind zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Und trotz einer fehlenden Zentralregierung gibt es schon so etwas wie eine gemeinsame "Fiscal Governance", wenn man das sagen will, also eine Verabredung darüber, wie es sein soll. Die Debatte, die wir jetzt führen – ganz aufgeregt an vielen Stellen –, ist ja die, ob auch alle sich daran halten wollen und was das für Konsequenzen hat. Und natürlich ist es eine Debatte, die auch reflektiert und berücksichtigt, dass es nicht in jedem Land exakt die gleiche Antwort geben kann – das sehe ich jedenfalls auch so. Und diese – oft streitige – Debatte führt uns in Europa ja eher zusammen. Also ich erlebe den gegenwärtigen Streit nicht als einen, bei dem dann viele hinterher sagen, dass sie, weil sie sich mit ihrer einzelnen Meinung nicht durchgesetzt haben, sie hinterher die Europäische Union verlassen wollen, sondern das ist eigentlich ein Streit in einer Familie, die sich für einander verantwortlich fühlt – es ist trotzdem nicht einfach.
    Scholz: Hamburg nutzt Haushaltsüberschuss, um Schulden zurückzuzahlen
    Wentzien: Aber die Familienverträge, die man auch unterschrieben hat, manchmal auch ignoriert, weil auch wir Deutschen, die Franzosen haben sich ja nicht immer an das gehalten, was man da quasi beim Eintritt in den "Club" vereinbart hat.
    Scholz: Man sieht also vor allem: Es ist nicht leicht.
    Wentzien: Schuldenmanagement wäre also noch ein Thema, das ausgebaut werden kann, Ihrer Ansicht nach, in Europa oder reicht das, was an Instrumenten da ist aus Ihrer Sicht, es müsste nur gelebt und mehr befolgt werden?
    Scholz: Wir schleppen natürlich die Geschichte, wie es bis heute gewesen ist, immer mit uns herum – das gilt auch für alle der Staaten der Europäischen Union und das gilt für einige mehr und weniger und einige sind in einer glücklicheren Lage und einige in einer schwierigeren. Dass wir uns aber füreinander verantwortlich fühlen sollten, das sehe ich unbedingt so, und gleichzeitig, glaube ich, bedeutet aber füreinander verantwortlich sein auch immer, darauf zu achten, dass jeder auch seine eigene Aufgabe wahrnimmt und sich vor der Lösung der eigenen Probleme auch nicht drückt. Das ist abstrakt wahrscheinlich etwas, das schnell von allen unterschrieben wird, konkret wird es dann komplizierter – aber das ist nun mal so in der Wirklichkeit. Insofern wiederhole ich gerne, was ich eben gesagt habe: Ich sehe, dass es da viel Anlass zu heftiger Debatte untereinander gibt, aber das ist eigentlich nichts Schlimmes, sondern das bedeutet, dass wir zueinander gehören.
    Wentzien: Herr Scholz, der nächste Schritt wäre ja, wenn man jetzt von einer schwarzen Null zum Beispiel in Deutschland ausgeht und auf die Schulden des Bundes und der Länder – mit Pensionslasten ja noch mal mehr – schaut, der nächste Schritt wäre, dass man irgendwann auch mal Schulden abbaut. Peer Steinbrück hat immer ein sehr populäres Bild damals genutzt als Kanzlerkandidat – das habe ich mir sehr gemerkt –, er hat nämlich gesagt: "Die Zahnpasta muss irgendwann wieder in die Tube". Meinen Sie, wir beide erleben noch, dass "die Zahnpasta irgendwann in die Tube" kommt, also dass sukzessive auch die Schulden mal angefasst und abgebaut werden, wirklich im Sinne der nachfolgenden Generationen?
    Scholz: Das ist zu hoffen und findet ja auch an vielen Stellen unterdessen schon statt. Hamburg hat zum Beispiel im letzten Jahr einen "ersteuerten", durch richtiges Handeln zustande gebrachten Überschuss erwirtschaftet, der erheblich höher war, als das vorherzusehen war. Und wir benutzen diesen Überschuss zur Rückführung unserer Schulden. Das tun auch andere. Aber wir wissen sehr genau, dass wir damit unsere Aufgabe noch nicht erledigt haben. Wenn wir das jetzt noch öfter hinbekommen und wenn wir es endgültig erreichen spätestens zum Ende dieses Jahrzehnts, dass das strukturell immer der Fall ist und nicht nur, wenn die Lage insgesamt sehr günstig ist, dann werden wir auch noch die Aufgabe vor uns haben, dass wir mit dem Geld, das wir einnehmen, auch die notwendigen Abschreibungen finanzieren können. Denn natürlich verliert ein großer Teil des Vermögens, das der Staat in den letzten Jahrzehnten aufgebaut hat, auch durch Abnutzung an Wert, und wir werden das ja ersetzen müssen. Und das ist etwas, das noch eine längere Aufgabe mit sich bringt. Unsere langfristige, immer sehr mäßige, nicht günstige Konstellationen zugrundelegende Planung geht davon aus, dass wir zum Beispiel auch die Abschreibungen in unserer Haushaltsplanung komplett verarbeitet haben werden 2024 plus/minus. Und daran sieht man, dass wir noch was vor uns haben.
    Wentzien: Das ist ja dann der Zeitpunkt, wo Olympia in Hamburg stattfindet – ungefähr.
    Scholz: Ja, das soll der Zeitpunkt sein, wo Olympia stattfindet – 2024. Und ich bin ganz optimistisch, dass es auch so sein wird.
    Wentzien: Und dann sind Sie noch Bürgermeister oder schon Kanzler?
    Scholz: Ich habe in der letzten Bürgerschaftswahl vielen gesagt, das wäre für mich die größte Sache der Welt, wenn ich 2024 als Bürgermeister bei der Eröffnung Olympischer Spiele dabei sein könnte.
    Wentzien: Und das werden Sie auch vorhaben bis dahin?
    Scholz: Es ist etwas kühn, so lange vorweg etwas zu sagen, aber es ist ja nicht ganz unplausibel, dass ich ein drittes Mal als Bürgermeister kandidiere. Das wäre 2020 und dann wäre ich 2024 noch im Amt.
    Wentzien: Vielen Dank. Danke Ihnen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.