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Lambsdorff: England und Frankreich planen, Syrien unter Druck zusetzen

Das EU-Waffenembargo gegen die syrischen Rebellen läuft aus - und Alexander Graf Lambsdorff sieht nun einmal mehr einen Beweis dafür, dass die EU-Staaten nicht in der Lage sind, Europa einheitlich auf der Weltbühne zu repräsentieren. Der FDP-Politiker fordert eine aktivere Rolle Deutschlands.

Alexander Graf Lambsdorff im Gespräch mit Mario Dobovisek | 28.05.2013
    Mario Dobovisek: Und am Telefon begrüße ich Alexander Graf Lambsdorff, er ist Außenpolitiker und Vorsitzender der FDP im Europaparlament, guten Tag Herr Lambsdorff!

    Alexander Graf Lambsdorff: Guten Tag, Herr Dobovisek!

    Dobovisek: Die Außenminister der Europäischen Union konnten sich nicht auf eine gemeinsame Linie in Sachen Waffenembargo Syriens einigen. Jetzt fällt das Embargo. Hat die EU damit die Büchse der Pandora geöffnet?

    Lambsdorff: Das steht zu befürchten, wenngleich ich nicht mit einer sofortigen Aufnahme von Waffenlieferungen rechne. Ich glaube, dass England und Frankreich hier motiviert waren, dadurch eine Druckkulisse aufzubauen für die Syrien-Konferenz, dass man dort anlässlich dieser Konferenz den Vertretern der Assad-Regierung sagen kann, wenn ihr nicht kooperativ seid, dann haben wir jetzt die Möglichkeit, Waffen zu liefern.

    Die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik bleibt auf der Strecke
    Dobovisek: Großbritannien und Frankreich haben in der Tat zurückhaltend reagiert, wollen zunächst keine Waffen liefern. Wird die Drohung mit europäischen Waffen ausreichen, um Assad zu beeindrucken?

    Lambsdorff: Nun, Assad hat sich ja im Vorfeld sehr skeptisch geäußert, was die Erfolgsaussichten der Konferenz angeht. Insofern ist der Versuch der Franzosen und Engländer, hier den Druck zu erhöhen, irgendwo nachvollziehbar. Dass er zulasten der europäischen Einigkeit gegangen ist, ist natürlich bedauerlich, aber ich glaube, auch das wird wahrgenommen werden in der Region. Wie die Europäische Union aufgetreten ist, das ist natürlich alles andere als glücklich.

    Dobovisek: Ja, nun wird jeder einzelne EU-Staat entscheiden können, sagen wir, nach dem Nichtbeschluss von gestern, ob er Waffen nach Syrien liefert. Wo bleibt da die sogenannte gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union?

    Lambsdorff: Auf der Strecke bleibt sie. Das ist das Problem, das wir haben. Wir haben in der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik Einstimmigkeit, das heißt, wenn sich nicht alle einigen, dann gibt es diese Politik nicht. Und wir haben hier die Situation, dass England, dass William Hague ja schon nach Brüssel gereist, gekommen ist mit der ganz klaren und festen Absicht, auch im Vorhinein erklärten Absicht, dieses Embargo nicht zu verlängern. Da es nun mal Einstimmigkeit braucht, reicht ein Land. Es waren mit Frankreich und England dann zwei Länder, die sich gegen 25 gestellt haben, und dann ist die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik auf der Strecke geblieben. Eine Entwicklung, die wir schon länger beobachten, das konnten wir bei Libyen schon sehen und auch bei Mali.

    Dobovisek: Was bedeutet das in der Außenwirkung der Europäischen Union? Wenn ich mich erinnere an Henry Kissinger, der gestern 90 wurde, der hat irgendwann mal gefragt, ja, wen muss ich eigentlich anrufen, wenn ich mit der EU sprechen möchte?

    Lambsdorff: Nun, es ist so, dass bis auf Weiteres leider Catherine Ashton da noch nicht die richtige Telefonnummer ist. Was aber in diesem Fall nicht ihr Fehler ist, denn der Vertrag, der von den Mitgliedsstaaten gemacht wird, der von den Hauptstädten in den Mitgliedsstaaten gemacht wird, von Paris, von London, von Berlin, von Rom, von Warschau und den anderen, die Hauptstädte sind nicht bereit, in der Außenpolitik ernsthaft zusammenzuarbeiten, sich ernsthaft zusammenzuraufen und Europa einheitlich auf der Weltbühne zu repräsentieren, sondern man geht nationalen Interessen nach, vermeintlichen nationalen Interessen. Ich habe Schwierigkeiten zu erkennen, welches nationale Interesse Großbritannien an Waffenlieferungen an syrische Rebellen haben soll, das nicht identisch wäre mit einem europäischen. Ich glaube, es wäre sinnvoll, wenn wir zu einer Mehrheitsentscheidung kommen. Aber das ist leider im Moment noch nicht möglich. Die Hauptstädte blockieren hier Europa nach wie vor.

    Erfolg bei den Atomgesprächen mit dem Iran
    Dobovisek: Hat es denn eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union jemals gegeben?

    Lambsdorff: Es gibt sie gelegentlich bei bestimmten Themen. Wir können relativ stolz blicken auf den Erfolg der Europäischen Union in den Atomgesprächen mit dem Iran, dort ist Cathy Ashton führend und macht das auch sehr gut. Sie hat eben auch ein klares Mandat der Hauptstädte hierfür und es ist ihr gelungen bei der Versöhnung der Serben und Kosovaren Fortschritte zu erzielen, jetzt erst kürzlich. Das heißt, punktuell gelingt es manchmal, dass man Fortschritte erzielt, aber die großen Linien bei den wirklich wichtigen Krisen in unserer Nachbarschaft, bei Libyen, bei Mali und jetzt wieder bei Syrien, da gelingt es nicht. Und das ist natürlich ein ernüchternder Befund.

    Dobovisek: Sie haben Kosovo und Serbien angesprochen, wir wollen auch im späteren Verlauf der Sendung ausführlich darüber berichten, dass eben die Kosovo-Serben trotz der Einigung mit der EU sich Serbien wieder anschließen möchten. Was bedeutet das, wenn wir uns das als Erfolg selber verkaufen wollen, aus europäischer Sicht es am Ende aber keiner ist?

    Lambsdorff: Nun, es ist natürlich so, dass alle Erfolge, die in Brüssel erzielt worden sind, über Länder, mit Ländern, die es betrifft, in den Ländern selber mitgetragen werden müssen. Und das ist ein, finde ich, jetzt nicht so unnormaler Vorgang. Serbien und Kosovo haben sich auf einen Implementierungsplan geeinigt für eine Normalisierung der Beziehungen, das ist für die Serben auch ein wichtiger Schritt in Richtung Europa. Wenn jetzt aber im Nordkosovo diese – das sind ja wenige Tausend – Serben der Meinung sind, sie wollten das Ganze noch einmal aufmachen, noch einmal diskutieren, dann wird man darüber noch einmal zu reden haben. Ich glaube aber dennoch, dass die Art und Weise, in der Cathy Ashton – und das war ja die Ausgangsfrage – die Verhandlungen geführt hat, relativ erfolgreich war. Wenn das Ganze in der Region jetzt in Schwierigkeiten gerät, wird man sich noch einmal zusammensetzen müssen.

    Dobovisek: Ist Lady Ashton die Richtige für diese umfangreichen Aufgaben?

    Lambsdorff: Nun, sie ist in diesen Job gekommen, weil die Mitgliedsstaaten sie dort sehen wollten. Sie hatte keine außenpolitische Erfahrung und sie hatten einen völlig unmöglichen Job, sie musste ja den Europäischen Auswärtigen Dienst aufbauen hier in einem ziemlich schwierigen institutionellen Umfeld. Sie musste den Vorsitz im Europäischen Rat der Außenminister üben, das heißt den Versuch zu machen, zwischen unterschiedlichen Interessen zu vermitteln, und sie sollte drittens eine eigenständige europäische Außenpolitik formulieren. Das hätte auch, ich sage mal, erfahrenere Außenpolitiker an die Grenze gebracht, wenn nicht vielleicht überfordert. Sie macht es im Kleinen sehr gut, aber es ist so, im nächsten Jahr, wenn wir eine neue Kommission, auch eine neue Hohe Beauftragte oder einen neuen Hohen Beauftragten bekommen, wird man sicher entscheiden müssen, dort ein Schwergewicht hinzusetzen. Ich glaube, das wäre wirklich entscheidend. Das kann helfen, Fortschritte zu erzielen, angesichts der aktuellen Lage ist das dringend nötig.

    Dobovisek: Wer könnte Ihrer Meinung nach das Schwergewicht sein?

    Lambsdorff: Ich will jetzt hier nicht über Namen spekulieren, wir sind jetzt Mitte 2013, erst im Herbst 2014 wird die neue Kommission zusammengesetzt. Anderthalb Jahre vorher oder eineinviertel Jahre vorher sollte man da nicht in Namensspekulationen eintreten.

    "Die Einstimmigkeit ist natürlich eine absolut lähmende Kraft"
    Dobovisek: Wenn wir also nicht über das Schwergewicht sprechen wollen, dann vielleicht über andere Schritte, die die EU unternehmen müsste, um eben nicht mehr bloß eine Währungs- oder eine Wirtschaftsgemeinschaft zu bleiben. Mit der Währungsgemeinschaft hat es ja nicht ganz so gut geklappt, wie wir wissen. Was muss geschehen, damit es auch eine außen- und sicherheitspolitische Gemeinschaft wird?

    Lambsdorff: Ich glaube, ganz wichtig wäre, wenn wir das Einstimmigkeitsprinzip bei der nächsten Vertragsüberarbeitung zu den Akten legen. Ich bin der Meinung, dass in einer solchen Situation Europa auch mit Mehrheit entscheiden können muss. Das muss nicht gleich die normale, einfache Mehrheit sein, wie wir sie im Gesetzgebungsverfahren kennen, aber die Einstimmigkeit ist natürlich eine absolut lähmende Kraft. Das Zweite ist, wir müssen in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik enger zusammenarbeiten, auch Frankreich und Großbritannien, die sich ja gelegentlich noch für Großmächte halten, haben inzwischen Verteidigungshaushalte, mit denen ein solcher Anspruch gar nicht aufrechtzuerhalten ist. Das heißt, die Zusammenarbeit auf diesem Sektor, die wird einfach zwingend. Und wenn wir es nicht machen als Europäer, dann werden die europäischen Streitkräfte auch so ausfallen und so aussehen, dass man sie international gar nicht mehr ernst nehmen kann. Das heißt, hier gibt es einen äußeren Druck, dass Europa mehr zusammen macht. Ich glaube, das sind die beiden wichtigsten Dinge, die vertraglichen Voraussetzungen zu ändern und die sicherheitspolitischen Bedingungen zu verbessern.

    Dobovisek: Welche Rolle sollte Deutschland, die Bundesregierung dabei spielen?

    Lambsdorff: Deutschland sollte sich aktiv in diesen Prozess einbringen, aktiver vielleicht, als das in den letzten Jahren geschehen ist. Auch beim Aufbau des Europäischen Auswärtigen Dienstes waren es in erster Linie Frankreich und Großbritannien, die den Ton angegeben haben. Ich glaube, Deutschland kann mit seiner Tradition einer doch auf zivile Konfliktbearbeitung setzenden Außenpolitik einiges beitragen. Das ist eine Rolle, die der Europäischen Union von außen her zugewiesen wird. Die Menschen in Afrika, in Asien, in anderen Teilen der Welt sehen in der Europäischen Union eine starke Zivilmacht, einen großen Markt, den Raum der Demokratie, der Rechtsstaatlichkeit. Und ich glaube, dass die deutsche Außenpolitik da einen entscheidenden Impuls geben kann. Das heißt nicht, dass man die Sicherheits-, die Verteidigungspolitik außen vor lassen sollte. Aber Deutschland müsste sich aktiver einbringen. Ich würde mir das jedenfalls sehr wünschen!

    Dobovisek: Sagt der liberale Europa-Abgeordnete Alexander Graf Lambsdorff über das auslaufende Waffenembargo gegen Syrien und die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union. Ich danke Ihnen für das Gespräch!

    Lambsdorff: Ich danke Ihnen!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.