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Landtagswahl in Baden-Württemberg
Das paradoxe grün-schwarze Duell

Die Grünen in Baden-Württemberg steuern bei der Landtagswahl am Sonntag auf ein historisches Ergebnis zu: Erstmals können sie Umfragen zufolge in einem Landesparlament zur stärksten Kraft werden. Der erste grüne Ministerpräsident Kretschmann kann demnach mit seiner Wiederwahl rechnen. Was noch vor Jahren als Hirngespinst abgetan wurde, könnte so kommen. Der Grund ist Angela Merkels Flüchtlingspolitik.

Von Uschi Götz | 10.03.2016
    Winfried Kretschmann (Bündnis 90/Die Grünen), Ministerpräsident und Spitzenkandidat der Grünen für die Landtagswahl 2016 in Baden-Württemberg
    Winfried Kretschmann (Bündnis 90/Die Grünen), Ministerpräsident und Spitzenkandidat der Grünen für die Landtagswahl 2016 in Baden-Württemberg (Christoph Schmidt, dpa picture-alliance)
    "Also, meine Damen und Herren, wir wollen den Zusammenhalt sichern - gerade in Umbruchzeiten und mit dieser Haltung und mit großer Zuversicht, dass uns das gelingen kann, würde ich für Sie gerne die nächsten fünf Jahre weiter für dieses Land arbeiten. Vielen Dank."
    Seit fast fünf Jahren regiert ein Grüner Baden-Württemberg und empfiehlt sich als Spitzenkandidat für eine zweite Amtszeit. Winfried Kretschmann, 67 Jahre alt, Gründungsmitglied der Grünen im Südwesten. Er war schon am 16. März 1980 dabei, als die Öko-Partei erstmals in ein Landesparlament einzog, in den baden-württembergischen Landtag. Hier schrieben die Grünen auch 2011 Geschichte, als sie zusammen mit der SPD die CDU entmachteten.
    "Diese ganzen a perçues der Macht, da erlebe ich jetzt keinen besonderen Genuss."
    Die Wirtschaftspartei 4.0
    Der frühere Gymnasiallehrer kündigte vor fünf Jahren eine Politik des "Gehörtwerdens" und mehr direkte Demokratie an. Die Wirtschaft in Baden-Württemberg hielt erst mal den Atem an, auch als der neue Ministerpräsident im Land der Autobauer und Zulieferer sagte, weniger Autos seien natürlich besser als mehr. Die Katastrophe von Fukushima und die Protestwähler des Bahnprojekts Stuttgart 21 haben den Grünen bei der Landtagswahl 2011 zum Erfolg verholfen, davon gingen zunächst die Christdemokraten aus. Doch je länger Kretschmann regiert, desto beliebter wird er. Er näherte sich der Wirtschaft an und sagte bald, es käme darauf an, was für Autos man baue. Und er konnte bei einer schweigenden Parteibasis ungestraft ankündigen, die Grünen seien nun die Wirtschaftspartei 4.0. Vor allem jedoch lobt der Grüne bei jeder sich bietenden Gelegenheiten die Kanzlerin für ihre Flüchtlingspolitik und bringt damit seinen Herausforderer von der CDU zur Weißglut. Guido Wolf, der zu Beginn des Wahlkampfs noch mit schwäbischen Reimen unterhielt, schimpfte Kretschmann bald einen Kanzlerinnenversteher:
    "Wo ist der große Kanzlerinnenversteher in Baden-Württemberg, wenn es darum geht, das, was die Kanzlerin will, nämlich einen Weg zur Begrenzung von Flüchtlingen aus den Maghreb-Staaten zu beschreiten und diese Länder zu sicheren Herkunftsländern zu erklären? Da fällt Herrn Kretschmann nichts anderes ein, als einen politischen Preis einzufordern."
    "Der tickt tatsächlich ähnlich wie die Kanzlerin"
    Steilvorlagen für den Grünen. Kretschmann kann an dieser Stelle staatsmännisch werden. Er muss nicht seine Politik im Land erklären, er kann in großen Linien antworten.
    "Was heißt Kanzlerinnenversteher? Man muss sehen, es steht unglaublich viel auf dem Spiel. Wenn Europa an der Frage zerbricht, hat das katastrophale Folgen für den ganzen Kontinent. Das ist die Sorge, die mich umtreibt, treibt auch die Kanzlerin um. Deswegen versuchen wir alles. Alle Leidenschaft, alle Kraft muss dahin gehen, die Krise europäisch zu lösen. Und wenn sie sich die Regierungschefs anschauen in Europa, wer um Gottes Willen soll denn Europa zusammenhalten, wenn nicht die Kanzlerin? Und da habe ich in einem Interview gesagt, deswegen bete ich jeden Tag für ihre Gesundheit. Das war damit gemeint, dass ich nicht sehe, wer im Moment die Kraft, die Statur und die Krisenerfahrung hat, um das zu machen."
    Der Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann (Grüne) und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) stoßen am Donnerstag (05.07.2012) auf der Stallwächter-Party, das Sommerfest des Landes Baden-Württemberg in Berlin, mit Wein an.
    Der "Kanzlerinnenversteher" und die Bundeskanzlerin.(Foto: Wolfgang Kumm dpa) (Wolfgang Kumm/ dpa picture alliance)
    Frank Brettschneider, Professor für Kommunikationswissenschaft an der Universität Hohenheim, ist sicher, dass Kretschmann damit sehr direkt konservative Wähler anspricht. Aber ist es allein Wahlkampftaktik? Der Experte für Wahlforschung verneint:
    "Einerseits super durchdacht, was Kretschmann macht, er baut ganz viele Brücken zu den CDU-Anhängern und sagt: Es ist überhaupt nicht schlimm, wenn ihr dieses Mal mich wählt, auch wenn ihr sonst CDU-Anhänger seid. Ihr seid da bei mir gut aufgehoben. Ich glaube aber nicht, dass das nur taktisch bedingt ist, sondern er tickt in der Flüchtlingsfrage tatsächlich ähnlich wie die Kanzlerin und hat ähnliche Vorstellungen. Er geht an das Thema nicht ideologisch ran, sondern recht pragmatisch, begibt sich da ja auch teilweise in Widerspruch zu den Bundesgrünen und muss da einiges an Kritik aushalten."
    Grüne und CDU in Umfragen gleichauf
    Kretschmann kommt wie sein Herausforderer Guido Wolf aus dem schwäbischen Oberland. Er ist gläubiger Katholik, Mitglied im Schützenverein und seit 1975 mit seiner Frau Gerlinde verheiratet. In einem Wahlspot bastelt der 67-Jährige seinem Enkelkind ein Holzauto in der hauseigenen Werkstatt. Nichts an dieser Wahlwerbung ist erfunden. Traditioneller geht es fast nicht mehr und die Südwest-CDU beißt sich an Kretschmann die Zähne aus. Ein CDU-Mitglied aus dem schwäbischen Oberland bringt es auf den Punkt:
    "Das wird sehr knapp werden. Auf der einen Seite hat zwar die CDU, das ist meine persönliche Meinung, die wesentlich besseren Argumente. Aber es ist eben doch so, dass der jetzige Ministerpräsident Kretschmann beim Volk sehr beliebt ist. Es ist ein Typ Mensch, der es versteht, bei anderen den Eindruck zu erwecken, dass er sehr volkstümlich ist. Und das dürfte der Grund sein, dass es eben sehr schwierig wird für uns."
    Guido Wolf, CDU-Spitzenkandidat für die Landtagswahl in Baden-Württemberg,  im Stuttgarter Parlament.
    Guido Wolf, CDU-Spitzenkandidat für die Landtagswahl in Baden-Württemberg, muss kämpfen. (picture alliance / dpa / Marijan Murat)
    In Baden-Württemberg zeichnet sich ein Kopf-an-Kopf Rennen zwischen den Grünen und der CDU ab. Beide Parteien liegen in Umfragen bei etwa 30 Prozent. 2011 kam die CDU noch auf 39 Prozent der Stimmen. Sollte das Wahlergebnis der Christdemokraten am kommenden Sonntag nur annähernd den Prognosen entsprechen, wäre das ein Desaster für die CDU. Denn Baden-Württemberg ist das Land, in dem die Partei fast sechs Jahrzehnte lang den Ministerpräsidenten stellte. Doch ihr Spitzenkandidat ist blass und hat sich selbst überschätzt: Guido Wolf würden nur 17 Prozent der Baden-Württemberger direkt zum Regierungschef wählen.
    Merkel macht Wahlkämpfern Mut
    "Wir stehen vor den vielleicht schwersten Tagen bis zur Landtagswahl. Und es ist derzeit eine Stimmung, die uns veranlasst, alles zu geben. Wir wissen, dass es um viel geht, ja… um alles." Guido Wolf kämpft. Dabei hat er es deutlich schwerer als jeder CDU-Spitzenkandidat vor ihm im Südwesten. Der ehemalige Landrat und Landtagspräsident war zu Beginn des Wahlkampfs weitgehend unbekannt im Land und der von seiner CDU-Vorsitzenden vorgegebene Kurs in der Flüchtlingspolitik bestimmt den Wahlkampf von Anfang an. Doch die Flüchtlingsfrage spaltet auch die Südwest-CDU mehr, als man nach außen zugeben möchte. Die einen stehen hinter der Willkommens-Kultur von Angela Merkel, nicht wenige fordern Obergrenzen, wie sie der bayerische CSU-Chef Horst Seehofer von der Kanzlerin verlangt. Der Wahlkampf hat die Südwest-CDU nicht versöhnt. Im Gegenteil. Es ist die Parteivorsitzende, die vergangenen Freitag auf einem Landesparteitag im badischen Ettlingen über 1.000 Delegierten und Parteifreunden Mut macht.
    "Und die CDU in Baden-Württemberg musste vielleicht jahrzehntelang nicht so scharf kämpfen, wie sie das dieses Mal müssen. Aber zeigen Sie doch, was in Ihnen steckt, zeigen Sie doch, dass in diesem Land mehr steckt als das, was bisher geleistet wurde. Das ist die Aufgabe und dabei möchte ich Sie gerne unterstützen. Kämpfen Sie und es wird sich lohnen für die Menschen in diesem Land."
    Ist die Kanzlerin eine Hilfe oder schadet sie in diesem Wahlkampf mehr? Da gehen die Meinungen in der Südwest-CDU auseinander. Und auch der Spitzenkandidat tut sich schwer damit, Merkels Flüchtlingspolitik mit vollem Einsatz zu vertreten. Erst verlangt Wolf – gemeinsam mit Julia Klöckner aus Rheinland-Pfalz – tagesaktuelle Flüchtlingskontingente und den Aufbau von Grenzzentren zur Verteilung von Menschen. Nun aber rückt der 54-Jährige wieder näher an die Position seiner Parteichefin: "Wir brauchen eine europäische Lösung und wir stützen unsere Bundeskanzlerin auf dem Weg zu dieser europäischen Lösung."
    Wolf sucht die Nähe zu Seehofer
    Doch selbst die Kreis- und Ortsverbände streiten um die Frage, wer in der Flüchtlingspolitik den richtigen Ton trifft: Merkel oder Seehofer? Joachim Döffinger ist seit 2010 Bürgermeister in der fränkischen Gemeinde Assamstadt. Der 48-Jährige ist auch Schatzmeister des CDU-Bezirksverbandes Nordwürttemberg. Haufenweise Parteiaustritte habe es seit dem vergangenen Sommer gegeben, erzählte Döffinger kurz vor Weihnachten. Mit 24 Jahren kam er zur CDU, doch so etwas habe er noch nie erlebt:
    "Das ist im Moment unser verwundbarer Punkt in der CDU. Da bluten wir im Moment, und man muss auch offen und ehrlich sagen: Wir haben hier auch im Main-Tauber-Kreis Austritte, begründete, schriftliche Austritte, die ganz klar schreiben, sie sind ausgetreten wegen der Frau Merkel ihrer Asylpolitik. Das hatten wir noch nie, auch hier nicht im Main-Tauber-Kreis. Leute treten immer mal wieder aus, weil sie einfach verärgert sind, aber dass sie dann wirklich Begründungsbriefe schreiben, die aufgrund von dieser Situation ausgetreten sind, das tut mir selber auch weh."
    Vielleicht verwundert es deshalb nicht, dass auch Spitzenkandidat Guido Wolf die Nähe zum bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer sucht. Bei einem Wahlkampfauftritt des CSU-Chefs im schwäbischen Fellbach betont er: "Ich habe schon auch das Gefühl, dass sich immer mehr in Deutschland Gedanken darüber machen, wenn Staaten um uns herum, sich für nationale Wege entscheiden, dass Deutschland am Ende des Tages, das Sammelbecken für alle Asylbewerber aus Europa werden könnte. Und dazu, meine Damen und Herren, darf es auch in Wahrnehmung der Verantwortung für unser Land nicht kommen."
    Der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) auf einer Pressekonferenz.
    Der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU). (picture alliance / dpa / Peter Kneffel)
    Seehofer wiederum zeigt sich bei seinem Besuch im Nachbarland freundlich, es gebe keine Probleme zwischen ihm und der Kanzlerin, erklärt er vor Hunderten Wirtschaftsvertretern. Zumindest hier vermeidet er es, weiter Öl ins Feuer zu gießen. Nur beim Thema AfD wird er wütend: "Rechtsradikalismus werden Sie nur verhindern, wenn Sie die Probleme, die die Menschen bewegen, lösen, aber nicht dadurch, dass Sie sie verschweigen. Die ganz große Mehrheit der Bevölkerung ist weder dumm noch rechtsradikal und wir dürfen sie auch nicht für dumm verkaufen. Wir müssen die Probleme lösen, die die Bevölkerung beschäftigen."
    Eine starke AfD könnte die Regierungsbildung erschweren
    Der Einzug der Rechtspopulisten von der AfD in den baden-württembergischen Landtag gilt derweil als sicher. Je nach Institut liegt die Partei einmal knapp unter zehn Prozent, aktuell jedoch deutlich zweistellig bei 14 Prozent. Ihr Spitzenkandidat Jörg Meuthen - 54 Jahre alt, Professor für Volkswirtschaftslehre und Finanzwissenschaft an der Hochschule Kehl - lässt keine Gelegenheit aus, um den Konflikt zwischen Seehofer und Merkel als Empfehlung für seine Partei ins Felde zu führen. So auch am Politischen Aschermittwoch:
    "Wir haben ja unseren Seehofer Horsti. Der ist nun Parteiführer einer Partei, die der Bundesregierung angehört und der äußert heute in der Passauer Presse: "Es ist eine Herrschaft des Unrechts, die Politik der Bundesregierung." Die Bundesregierung, der die CSU angehört. Stellen sie sich das einmal vor."
    Zur AfD hin zieht es bisherige Wähler von FDP und SPD, aber vor allem von der CDU. Seit der Kölner Silvesternacht gebe es täglich neue Eintritte in die baden-württembergische Landespartei teilt ein AfD-Sprecher auf Anfrage mit. Eine starke AfD könnte auch die Regierungsbildung erschweren: Denn es kann sein, dass es weder Grün-Rot noch Schwarz-Gelb zur erforderlichen Mehrheit reicht. Die spannende Frage am Wahlabend aber ist: Wer wird stärkste Partei? Die CDU droht in ihrem einstigen Stammland diese Position an die Kretschmann-Grünen zu verlieren. Wenn das wirklich so kommt, wird die Bundespartei die Schuld wohl beim blassen Spitzenkandidaten Guido Wolf suchen, der in der Flüchtlingsfrage einen Zickzackkurs eingeschlagen hat:
    Der Spitzenkandidat der AfD zur Landtagswahl 2016 in Baden-Württemberg, Jörg Meuthen
    Der Spitzenkandidat der AfD zur Landtagswahl 2016 in Baden-Württemberg, Jörg Meuthen (dpa / picture-alliance / Daniel Maurer)
    "Das ist ein großes Problem von Guido Wolf, dass er sich bei dem Flüchtlingsthema nicht klar positioniert hat. Er hat mal gesagt, ich bin so ein bisschen Seehofer und ein bisschen Merkel und ganz viel Guido Wolf. Ein bisschen Seehofer, ein bisschen Merkel geht nicht und das ganz viel Guido Wolf sieht man nicht. Wo sind die Positionen, die er da vertritt? Und das ist fatal, weil gerade in Zeiten, die unruhig sind und bei denen Orientierung benötigt wird, Menschen nach Verlässlichkeit, Berechenbarkeit und Stabilität suchen und die finden sie in den Aussagen von Guido Wolf nicht."
    Trigema-Chef will Kretschmann wählen
    Wolf weiß das. Denn auch aus den eigenen Reihen erreichte ihn Kritik. So schrieb der Burladinger CDU-Gemeinderat Friedemann Mutschler einen Brief an seinen Spitzenkandidaten:
    "Ich habe ihm geschrieben, dass es mir dieses Mal, nach über 50 Jahren, ich bin 70 Jahre alt, ich wähle seit 50 Jahren CDU, und dieses Mal fällt es mir richtig schwer, dort mein Kreuzle hinzusetzen, dass ich mir überlegen müsste, ob ich nicht Kretschmann Klammer auf Grün, Klammer zu, wähle, weil er die Kanzlerin unterstützt und nicht Sie, Herr Wolf."
    Mutschler, jüngst von Bundespräsident Gauck für sein ehrenamtliches Engagement ausgezeichnet, bekam prompt Antwort von Wolf.
    "Bat aber dann, dass ich die CDU trotzdem wähle. Und das mache ich natürlich auch."
    Am Wahlkampfstand seiner Partei verteilt Mutschler Feuerzeuge an Passanten. Im schwäbischen Burladingen, nicht weit von Tübingen entfernt, ist es an diesem Vormittag eiskalt, es fällt Schnee. Ein paar hundert Meter entfernt hat Trigema seinen Stammsitz; eigenen Angaben nach Deutschlands größter Hersteller von Sport- und Freizeitbekleidung. Firmeninhaber Wolfgang Grupp wurde durch Fernsehspots berühmt: Darin warb ein Schimpanse immer vor der Tageschau für die Firma. Grupp nennt sich einen überzeugten CDU-Wähler. Doch vor Kurzem kündigte er in der Wirtschaftswoche an, bei der Landtagswahl zum ersten Mal in seinem Leben grün wählen zu wählen. Der frühere Burladinger Bürgermeister Peter Höhnle, parteilos, zeigte sich am Stand der CDU erstaunt:
    "Ich habe mich gewundert, ehrlich gesagt, weil ich den Herrn Grupp auch kenne. Ein geradliniger Mann, der sagt seine Meinung. Aber ich glaube, hier ist er ein klein wenig über das Ziel hinausgegangen. Der Herr Kretschmann ist ein sympathischer Mann, könnte ich sofort auch wählen. Aber man wählt ja die Partei, man wählt ja das, was im Hintergrund steht und deswegen meine ich, ob er das richtig überlegt hat, das ist die Frage, die ich mir stelle."
    Der schwäbische Textilunternehmer Wolfgang Grupp, Inhaber der Textilfirma Trigema zu Gast in der ARD Talkshow "Maischberger"
    Der schwäbische Textilunternehmer Wolfgang Grupp, Inhaber der Textilfirma Trigema. (picture alliance / dpa / Horst Galuschka)
    Keine Wechselstimmung in Baden-Württemberg
    Doch Wolfgang Grupp scheint sich lange Gedanken gemacht zu haben. Mit der Arbeit von Winfried Kretschmann sei er zufrieden, während die Bundeskanzlerin ihn gravierend gestört und geärgert habe. Der schwäbische Unternehmer führt Merkels Willkommenskultur an, die auch Wirtschaftsflüchtlinge anlocke. Wörtlich schreibt Grupp in der Wirtschaftswoche:
    "Viele CDU-Mitglieder haben diesen Fehler schnell erkannt und eine Korrektur verlangt. Umso überraschter war ich, dass sich auf dem jüngsten CDU-Parteitag die Mitglieder alle hinter Angela Merkel gestellt und sich ihrer Politik angeschlossen haben. Ich betrachte das als Verdummung der Wähler, weil nach dem Parteitag der Streit sofort weiter ging. Deshalb finde ich, die Verantwortlichen in der CDU müssen zu spüren bekommen, dass der anständige, einfache und gewiss nicht dumme CDU-Wähler sich in dieser Form nicht an der Nase herumführen lässt".
    Unternehmer Grupp wird Grün wählen, weil er Merkel und ihre Flüchtlingspolitik nicht versteht. Aber CDU-Mitglieder in Baden-Württemberg werden auch Kretschmann wählen, weil der Grüne offen die Politik der Kanzlerin unterstützt. In Burladingen konstatiert Gemeinderat Mutschler: "Es ist ja eigentlich fatal, dass die Menschen einen Herrn Kretschmann unterstützen, auch CDU-Wähler. Und auf der anderen Seite ist gerade dieser Herr Kretschmann der, der den Kurs der Frau Merkel unterstützt. Deswegen ist das ja bald paradox."
    In Baden-Württemberg gibt es keine Wechselstimmung. Aber es scheint alles möglich: Bei einem Kopf- an Kopf-Rennen zwischen Grün und Schwarz natürlich auch ein schwarz-grünes oder sogar ein grün-schwarzes Bündnis. Letzteres unter grüner Führung aber schließt nicht nur der CDU-Spitzenkandidat Wolf aus, auch der Wahlexperte Frank Brettschneider hält es für unwahrscheinlich:
    "Grün-Schwarz, das wäre ja für die CDU eine doppelte Demütigung, dann wären sie nicht nur abgestürzt, sondern auch noch hinter den Grünen und dann sollen sie nur noch den stellvertretenden Ministerpräsidenten stellen, das kann ich mir schwer vorstellen, wie das an der Basis zu vermitteln wäre."
    Viele Koalitionen scheinen möglich
    Guido Wolf wurde in einer Mitgliederbefragung zum Spitzenkandidaten gekürt; wie sich herausstellt hat sich die Parteibasis mit dieser Wahl keinen Gefallen getan. Zwar hat die CDU in Baden-Württemberg mehr Mitglieder als die Grünen in ganz Deutschland. Doch seit der Wahlschlappe unter Stefan Mappus von 2011 und zuvor der Weglobung von Günter Oettinger nach Brüssel ist die Südwest-CDU ziellos unterwegs.
    "Und all jenen, die uns bereits abgeschrieben haben. All jenen, die Hohn und Spott über uns ausgießen, all jenen will ich nur eines zurufen, Euch werden wir es zeigen." Nils Schmid, SPD-Spitzenkandidat, Wirtschafts- und Finanzminister in Kretschmanns Kabinett. Kleiner Koalitionspartner der Grünen. Er kämpft für die Fortsetzung von Grün-Rot und gegen ein Wahldesaster an. Denn laut Umfragen könnte die SPD in Baden-Württemberg in der Wählergunst gleichauf mit der AfD landen. Mehr Fortüne scheinen die Liberalen zu haben. Ihr Wiedereinzug in den Landtag scheint sicher. Dort könnte die FDP bei der Regierungsbildung Zünglein an der Waage sein: Denn laut Umfragen ist sowohl eine Deutschlandkoalition - also CDU, SPD und FDP - als auch eine Ampelkoalition - also Grün, SPD und FDP - denkbar. Bei letzterer zieren sich die Liberalen noch. Es dürften nach einem spannenden Wahlkampf also noch schwierige Koalitionsverhandlungen bevorstehen. Nur eine Personalie steht bereits fest: Entweder Winfried Kretschmann bleibt Ministerpräsident oder er hört mit der Politik auf. So oder so: Geschichte hat er schon jetzt geschrieben.