
Kongresshalle Weingarten, die CDU-Chefin auf Wahlkampftour in Oberschwaben. Spitzenkandidat Guido Wolf hat die Kanzlerin in seine Heimatstadt eingeladen. Lange sah es so aus, als könnten sich die Christdemokraten im Ländle wieder berappeln. Vieles deutete darauf hin, dass es Wolf gelingen würde, das CDU-Stammland zurückzuerobern. Doch seit die Parteivorsitzende im vergangenen September die Grenzen für die in Ungarn gestrandeten Flüchtlinge öffnete, gehen die Umfragewerte rasant nach unten. Längst zweifeln viele im Unionslager daran, dass die Chefin wirklich noch die Zügel in der Hand hat.
"Herzlich willkommen der Bundesvorsitzenden der CDU Deutschland, unserer Bundeskanzlerin Angela Merkel!"
"Ich wünsch' mir einen Taktangeber, das ist Guido Wolf, und deshalb werde ich für ihn und seine Mannschaft kämpfen. Ich weiß, es ist schwerer als zu anderen Zeiten, herzlichen Dank!"
Diesmal ist es Wolf, der irritiert wirkt. Wahlkampfhilfe von Angela Merkel – in diesen Wochen ist das nicht unbedingt eine Hilfe sein. Weil der grüne Regierungschef die Flüchtlingspolitik Merkels gelobt hat, spottete Wolf, Kretschmann habe sich wohl zum "Kanzlerinnenversteher" gewandelt. Ein solcher ist Wolf nämlich nicht. Er setzt sich von der Bundeschefin ab, lädt auch Seehofer ein, fordert wie der eine schnelle Begrenzung der Flüchtlingszahlen. Der Siegeszug der AfD, die gute Chancen hat, mit zweistelligen Ergebnissen in drei weitere Landesparlamente zu ziehen, wirbelt auch die Strategien der Bundesparteien im Jahr vor der Bundestagswahl durcheinander. Das deutsche Parteiensystem gerät durch die Flüchtlingskrise in Bewegung, meint der Berliner Politikwissenschaftler Gero Neugebauer:
"Die Bewegung führt zu zweierlei: Dort, wo die AfD aus dem Nichtwählerlager mobilisiert, kann sie tatsächlich neue Wähler heranziehen. Und sie trägt, paradox wie es ist, auch zur Stabilisierung der Demokratie bei. Aber das Problem ist, dass sie Protestwähler anzieht, anderen Parteien Wähler wegnimmt, deren gesellschaftliche Basis schmälert und diese nun zwingt, auf die Themen der AfD einzugehen."

"Wir dringen darauf, dass die schweren Fehler, die in Berlin gemacht werden, abgestellt werden!"
Dass sich CSU-Chef Horst Seehofer in Ton und Argumentation kaum noch von der AfD unterscheidet, bereitet den Wahlkampfstrategen der Union im Berliner Konrad-Adenauer-Haus mehr und mehr Kopfzerbrechen. Merkel selbst reagiert nicht auf die ständigen Attacken aus der Schwesterpartei:
"Das kommentiere ich nicht!"
Und CDU-Generalsekretär Peter Tauber müht sich hörbar, den Streit in der Union über den richtigen Kurs in der Flüchtlingspolitik schönzureden:
"Schauen Sie sich mal an, welche Kämpfe es in der Vergangenheit zwischen der CDU und der CSU gab. Dagegen ist das jetzt ein laues Lüftchen! Also von Kreuth sind wir Lichtjahre weg. Von dieser grundsätzlichen Auseinandersetzung, ob die beiden Unionsparteien gemeinsam oder getrennt oder gegeneinander kandidieren. Es ist völlig klar, dass wir am Ende immer gemeinsam streiten, auch wenn wir in manchen Sachfragen auseinander sind. Am Ende sind wir gemeinsam erfolgreich oder eben nicht, und das wissen auch alle!"
Beschwörungsformeln. Das Klima ist vergiftet. Allerdings: Zur Ironie der Geschichte zählt auch, dass Angela Merkel am Ende doch noch gewinnen könnte, obwohl die Union an die AfD verliert. Dann nämlich, wenn es ihrer CDU aus Mangel an mehrheitsfähigen Alternativen sowohl in Stuttgart als auch in Mainz gelingt, die Staatskanzleien zurückzuerobern. Dann würde das Regieren für die Kanzlerin auch in Berlin wieder leichter. Im Bundesrat wäre ihre Flüchtlingspolitik nicht mehr vom Wohlwollen der Grünen abhängig. Ob es tatsächlich so kommt, ist allerdings noch nicht ausgemacht.
Doch während drinnen im Saal alles in Ordnung ist, macht sich draußen die Wut einiger hundert Gegendemonstranten lautstark Luft. Pegida und AfD-Anhänger schreien sich die Seele aus dem Leib, um Merkel ihre Verachtung nahezubringen.
"Merkel muss weg."
"Als ich angefangen hab' in der Jungen Union, was da über Helmut Kohl gerufen wurde, dagegen ist das auch noch harmlos, das halten Christdemokraten aus, das schreckt uns nun wirklich nicht!"
Der CDU-Generalsekretär reagiert trotzig, der Wahlkampf mit Merkel wird von Peter Tauber nicht in Frage gestellt. Genau 20 Auftritte hat die CDU-Vorsitzende in den Ländern zu absolvieren. Doch ausgerechnet Julia Klöckner, ihre bisher stets loyale Stellvertreterin, CDU-Spitzenkandidatin in Rheinland-Pfalz, fährt zunehmend zweigleisig. Gerade erst hat sie Merkel-Kritiker wie Österreichs Außenminister Sebastian Kurz oder Ex-Verfassungsrichter Udo di Fabio in ihren Wahlkampf geladen. Spott musste sie ertragen, als sie ihr Konzept "Plan A 2" nannte. Klöckner versuche damit krampfhaft, nur nicht den Eindruck zu vermitteln, als handele es sich bei ihren Vorschlägen um einen "Plan B" zu Merkels Kurs:
"Der Vorschlag von Frau Klöckner war nie Gegenstand von Beratungen in der Bundesregierung gewesen und wird es auch nicht werden. Das ist ein Wahlkampfvorschlag!"

Bums! Auch das kann Merkel: Austeilen in Richtung SPD. – "Wieviel kleiner will sich die linke stolze Volkspartei eigentlich noch machen?", das hatte die CDU-Vorsitzende 2014 gefragt, als die Sozialdemokraten in Thüringen als Junior in eine Koalition mit der Linkspartei gingen. Jetzt attackiert Merkel wieder den Mann, der sie im nächsten Jahr aller Voraussicht nach herausfordern wird, ihren Wirtschaftsminister. Sigmar Gabriel stellt den ausgeglichenen Haushalt, die Schwarze Null, infrage und fordert damit den Finanzminister heraus. Wolfgang Schäuble reagiert scharf:
"Wenn wir Flüchtlingen, Menschen, die wirklich in bitterer Not sind, nur noch helfen dürfen, wenn wir anderen, die nicht in bitterer Not sind, das Gleiche geben oder mehr, dann ist das erbarmungswürdig. Das kann nicht die Meinung des Vizekanzlers sein – vielleicht eines SPD-Wahlkämpfers, mit Respekt!"
"In Europa haben wir Martin Schulz, den Parlamentspräsidenten von der SPD, der die Verhandlungen sehr intensiv begleitet, aber es ist eben am Ende eine Frage des Rates, das sind die Regierungschefs und das ist Angela Merkel!"
Für die Sozialdemokraten steht viel auf dem Spiel. Nach 25 Jahren könnten sie in Rheinland-Pfalz erstmals die Regierung abgeben müssen. Dann wird es eng auch für den Parteivorsitzenden. "Als Mutter aller Schlachten" wird im Berliner Willy-Brandt-Haus die Wahl in Mainz gewertet, und Sigmar Gabriel wird vorgehalten, den Wahlkämpfern in der Flüchtlingspolitik zu wenig Rückhalt zu geben. Zu sprunghaft reagiere der Chef, von einem "Eiertanz" sprechen führende Genossen, für den Chef könnte sich das am Wahltag rächen. Für Sigmar Gabriel muss es nun darum gehen, in den Ländern irgendwie in der Regierungsverantwortung zu bleiben. Politologe Gero Neugebauer.
"Die SPD wird in allen drei Landtagswahlen verlieren, sie hat allerdings die Chance, so paradox das ist, in allen drei Ländern auch Regierungspartei zu bleiben, wenn nämlich FDP oder Grüne nicht so stark werden."

"Sie hat aus einer einmaligen humanitären Notlage einen Dauerzustand gemacht, hat europäische Regeln aufgehoben, und deshalb haben wir jetzt ein totales Chaos!"
Mit einer Rückkehr in Landesregierungen allerdings tun sich die Liberalen noch schwer. Sowohl in Mainz als auch in Stuttgart lehnen sie eine Ampelkoalition ab. In Baden-Württemberg könnte sich aber am 13. März eine ganz neue Konstellation auftun, mit der sich auch SPD-Chef Gabriel allmählich auseinandersetzen muss: Schwarz-Rot-Gelb, eine Deutschland-Koalition aus Union, SPD und FDP.
"Das ist eine Deutschland-Koalition? – Okay! – Also ich kannte den Begriff noch nicht. Ich gebe Landespolitikern keine Empfehlungen, vor allen Dingen nicht, bevor es Wahlen gegeben hat."
Klar ist dabei aber, dass ein starkes Abschneiden der AfD die Regierungsbildung überall komplizierter machen wird.
"Wir leben nicht mehr in den siebziger Jahren mit zwei, maximal drei Optionen."
Gibt SPD-Generalsekretärin Barley zu bedenken:
"Natürlich muss man das Votum der Wählerinnen und Wähler umsetzen. Dann muss man sich ansehen, was rechnerisch geht, und dann setzt man sich zusammen und macht, was politisch vernünftig ist."
"Die drei Wahlergebnisse werden Grundfragen aufrufen: Macht man so weiter in der Großen Koalition? Kann man auch personell so weiter agieren? Geht das, dass der Vizekanzler Kanzlerkandidat und Parteivorsitzender wird, oder muss er vielleicht aus der Regierung rausgehen? Wie stellt man sich überhaupt auf? Ist das so fortsetzbar? Diese Debatten wird es in der Sozialdemokratie geben!"
Doch SPD und Grüne halten die Linkspartei nach wie vor wegen ihrer außen- und europapolitischen Positionen für nicht regierungsfähig. Lange hatten viele Grüne daher für 2017 auf eine Koalitionsoption mit der Union gesetzt. Parteichefin Simone Peter hat einst im Saarland an einem bisher einmaligen Experiment mitgewirkt, im Bund allerdings kann sie sich das mit Blick auf den Einfluss von Horst Seehofer derzeit kaum vorstellen:
"Ich selber war Mitglied einer Jamaika-Koalition mit CDU und FDP. Das ist schon für uns Grüne eine Herausforderung. Und im Moment auf Bundesebene mit einer CSU zu koalieren, ist für viele nicht wirklich vorstellbar. Da muss die Union auch klarstellen, steht sie hinter dem Kurs oder dem Slogan von Angela Merkel oder gibt Frau Merkel immer mehr den rechten Kräften nach und wird eine Gesetzesverschärfung nach der anderen ins Paket bringen."
Blaubeuren bei Ulm. Der Landtagskandidat der AfD begrüßt Parteivize Alexander Gauland. Die Alternative für Deutschland kann es manchmal selbst kaum glauben, wie sehr die Umfragewerte immer weiter nach oben gehen, so auch Jörg Meuthen, AfD-Spitzenkandidat in Stuttgart:
"Zur äußersten Frustration der bisher in den Landesparlamenten vertretenen Parteien diskutiert man doch gar nicht mehr darüber, ob wir reinkommen in den Landtag - nicht hier, nicht in Mainz, nicht in Magdeburg!"

"Ich glaube, was Deutschland jetzt vor allem braucht, ist eine sehr deutliche, ehrliche Opposition, die haben wir seit Jahren nicht mehr. Insofern halte ich eine Regierungsbildung mit der AfD in welcher Form auch immer derzeit für unrealistisch. Alles weitere müssen wir nach dem 13. März diskutieren."
"Herzlichen willkommen zum Wahlkampfauftakt der CDU in Sachsen-Anhalt, hier in Magdeburg."
Seitdem die gemäßigte AfD-Gründerriege um Bernd Lucke die Partei verlassen hat, stehen Bündnisse mit den Alternativen von Rechts auch für Rainer Haseloff nicht mehr zur Debatte. Allerdings warnt der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt vor einer Dämonisierung der AfD-Anhänger, unverkennbar, wie Haseloff versucht, den AfD-Zustrom nicht noch durch besonders harte Worte zu forcieren - gerade in Sachsen-Anhalt, wo rechte Parteien traditionell ein großes Potential haben.
"Herzlich willkommen Frau Dr. Merkel. Auch Sachsen-Anhalt fühlt sich ja doch offenbar an, wie ein Heimspiel"
"Rainer Haseloff!"
Mit Seehoferschem Humor kommentierte der CSU-Chef in dieser Woche ein Treffen der Unionsspitzen zur Flüchtlingspolitik. Neue Erkenntnisse hatte es nicht gebracht. Mit demonstrativem Desinteresse äußerte sich Horst Seehofer am Montag zum TV-Auftritt der CDU-Vorsitzenden.
In der CDU-Zentrale wird allerdings mit Sorge registriert, wie sich Seehofer immer wieder gegen die Kanzlerin positioniert. Seine Reise nach Moskau, sein Ausflug nach Budapest. Gern gesehen wird diese Nebenaußenpolitik nicht. Und die Sozialdemokraten halten ihm vor, Beschlüsse der Koalition allzu oft aus München gleich wieder zu torpedieren. Woran liegt es also, dass es in der Großen Koalition momentan so schlecht läuft? CDU-Generalsekretär Peter Tauber schmunzelt.
"Also, so schlecht läuft´s am Ende gar nicht, denn die Ergebnisse können sich ja Gott sei Dank sehen lassen. Manchmal ist es etwas behäbig."
Behäbigkeit ist allerdings nicht unbedingt Seehofers Art. Was wird der bayerische Löwe tun, sollten die Landtagswahlen für die Union zum Desaster werden. Mit neuen Drohungen hält er sich noch zurück und was er mit Angela Merkel in dieser Woche besprochen hat, dazu will er - noch - nichts sagen: