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Landtagswahl Sachsen-Anhalt
Norbert Walter-Borjans: "Vermitteln, dass die SPD ins Kanzleramt muss"

Die SPD erlebte bei der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt eine herbe Enttäuschung. Es gebe nichts schönzureden, sagte der SPD-Co-Vorsitzende Norbert Walter-Borjans im Dlf. Walter-Borjans wies dabei auf den besonderen Charakter der Wahl hin, Ansprüche seiner Partei auf das Kanzleramt erhob er dennoch.

Norbert Walter-Borjans im Gespräch mit Jörg Münchenberg | 07.06.2021
Norbert Walter-Borjans (l) und Saskia Esken, Parteivorsitzende der SPD, äußern sich zur Landtagswahl in Sachsen-Anhalt im Atrium des Willy-Brandt-Hauses.
Norbert Walter-Borjans (l) und Saskia Esken, Parteivorsitzende der SPD, äußern sich zur Landtagswahl in Sachsen-Anhalt im Atrium des Willy-Brandt-Hauses. (picture-alliance / dpa / Fabian Sommer)
Nur noch 8,4 Prozent der Wählerstimmen und damit 2,2 Prozent weniger als bei der letzten Landtagswahl: Das Ergebnis von Sachsen-Anhalt ist für die SPD desaströs, auch vor dem Hintergrund, dass die Sozialdemokraten vor zwei Jahrzehnten noch den Ministerpräsidenten in Magdeburg stellten.
Der Co-Vorsitzende der SPD, Norbert Walter-Borjans, erklärte das schlechte Ergebnis seiner Partei mit den besonderen Vorzeichen der Wahl. "Gestern hatten wir eine ganz klare Polarisierung nicht zwischen CDU und AfD, sondern zwischen Reiner Haseloff und der AfD", sagte Norbert Walter-Borjans (SPD) in den "Informationen am Morgen".
Ein Wähler in Magdeburg betritt ein Wahllokal. Zu sehen ist außerdem ein Schild mit der Aufforderung, Maske zu tragen. 
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Haseloff habe vielen Menschen klargemacht, dass wenn sie für Demokratie eintreten wollten, am besten ihn wählten. Das habe funktioniert, so Walter-Borjans.
Das Wahlergebnis in Sachsen-Anhalt sei aber nicht zu verallgemeinern. Die SPD habe auf Bundesebene in der Großen Koalition die kompetenteren Minister und Ministerinnen an Bord und viel für die große Mehrheit der Bevölkerung getan.
"Wenn man das fortgesetzt haben will, dann muss eine SPD ins Kanzleramt", sagte der Co-Parteichef.
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Das vollständige Interview im Wortlaut.
Jörg Münchenberg: Herr Walter-Borjans, das kann man sich ja kaum vorstellen, dass die SPD vor zwei Jahrzehnten in Sachsen-Anhalt den Ministerpräsidenten gestellt hat. Wie groß ist Ihre Enttäuschung über diesen Wahlausgang?
Norbert Walter-Borjans: Ja, es gibt nichts schönzureden. Dass wir jetzt nicht in große Ergebnisse der damaligen Zeit kommen würden, war abzusehen. Aber ich sage ganz offen: Klar habe ich mir gewünscht und es auch für sehr möglich gehalten, dass wir das Ergebnis des letzten Mals zumindest wiederholen und damit auch einen Ausgangspunkt haben für die Zeit in der nächsten Legislaturperiode – vor allem deshalb, weil die SPD in den letzten fünf Jahren, gerade was wirtschaftliche Gesundung, was wirtschaftliches Aufholen anging, aber auch, was in der Pandemie das Stützen durch Kurzarbeitergeld, durch all diese Punkte, durch Familienhilfen anging, viel für die große Mehrheit der Bevölkerung auch in Sachsen-Anhalt gemacht hat. Insofern wird man sich da ein anderes Ergebnis wünschen. Das ist überhaupt keine Frage.
Münchenberg: Sie sagen, die SPD hat viel erreicht für die Menschen in Sachsen-Anhalt. Fakt ist aber, einstelliges Ergebnis.
Walter-Borjans: Ja!

"Das hat für viele traditionelle SPD-Wähler gegolten"

Münchenberg: Warum kann die SPD in Ostdeutschland nicht punkten?
Walter-Borjans: Gestern war anders in vielen Dingen als sonst. Gestern hatten wir eine ganz klare Polarisierung, und zwar nicht zwischen CDU und AfD, sondern zwischen Reiner Haseloff und AfD, dem ich auch gratuliere zu diesem Wahlsieg, weil er gerade auf den letzten Metern mit einer klaren Positionierung und einer klaren Absage an die AfD, glaube ich, vielen Menschen gesagt hat, die in Sachsen-Anhalt für die Demokratie eintreten, das machen wir am besten deutlich, indem wir ihm die Stimme geben. Damit ist klar, dass die AfD nicht die stärkste Partei werden kann. Es deutet viel darauf hin, dass das auch für viele traditionelle SPD-Wähler gegolten hat. Das ist ein Gewinn für die Demokratie, aber es kann einem natürlich jetzt aus der Sicht der Partei und dem, was wir jetzt auf den Weg bringen müssen, nicht allein nur Freude machen, zumal wir wissen, dass es eine Fraktion der CDU dahinter gibt, die diesem Ministerpräsidenten gerade in diesem Punkt in den letzten Monaten und Jahren nicht immer gefolgt ist, um es mal gelinde gesagt auszudrücken.
Münchenberg: Lassen sie uns den Blick trotzdem ein bisschen weiten. Es war der letzte Stimmungstest vor den Bundestagswahlen, insofern schon auch wichtig für alle. Jetzt muss man ganz klar konstatieren, es gibt für die SPD keinen Rückenwind und damit auch nicht für den Spitzenkandidaten Olaf Scholz.
Walter-Borjans: Erstmal ist auch in Ostdeutschland und auch in Sachsen-Anhalt ganz klar in den Umfragen deutlich gemacht worden, die ja insgesamt doch sehr zutreffend waren, dass Olaf Scholz von den zur Wahl stehenden Kanzlerkandidatinnen und Kanzlerkandidaten der mit Abstand für kompetent gehaltene ist oder auch populärste ist.

Im Windschatten der Auseinandersetzung CDU/AfD

Münchenberg: Das nutzte der SPD aber nichts, weil das Wahlergebnis spricht doch eine andere Sprache.
Walter-Borjans: Es hat gestern ja auch keine Bundestagswahl stattgefunden. Ich sage es noch mal: Gestern war eine Wahl, die unter ganz besonderen Vorzeichen stand. Auch die beiden Parteien, die leichte Gewinne haben, sind in den Windschatten dieser Auseinandersetzung Haseloff/AfD geraten.
Münchenberg: Aber auch bei den Umfragen auf Bundesebene, Herr Walter-Borjans, stagniert die SPD. Da ist kein Trend nach oben zu erkennen.
Walter-Borjans: Nein. Ich bin nicht Ihr Gesprächspartner, der jetzt schönreden will und sagen will, es ist doch alles wunderbar, sondern es muss und jetzt genau darum gehen, dass das, was eigentlich immer wieder bestätigt wird, diese SPD macht in der Bundesregierung einen guten Job, sie hat die mit Abstand kompetenteren Ministerinnen und Minister an Bord, dass das sich auch niederschlägt darauf, wenn man das fortgesetzt haben will und wenn man mit vielen Dingen, mit denen wir in dieser Großen Koalition am Kanzleramt scheitern, wenn man das ändern will, dann muss eine SPD ins Kanzleramt, und das müssen wir vermitteln, weil sonst der Frust über das, was nicht passiert, bei der SPD abgeladen wird, und wenn denn etwas durchgesetzt wird, gerade auch von der SPD, dann ist es das Team Merkel. Das wird sich auch ändern, weil die Kanzlerin nicht wieder antritt. Das muss für uns auf den letzten Metern, auf denen wir jetzt sind, noch mal Ansporn sein, das jedem und jeder zu sagen. Ist unter Corona-Bedingungen nicht so ganz einfach, aber das ändert sich ja vielleicht gerade jetzt auch in diesen Wochen.
Münchenberg: Sie sagen Ansporn, aber vielleicht haben auch viele Wählerinnen und Wähler den Eindruck, dass viele Genossinnen und Genossen doch lieber in der Opposition wären. Sprich: Die SPD hat ja an dieser Bundesregierung eigentlich gar nicht mehr mitarbeiten wollen. Fällt ihr das nicht auch letztlich ein bisschen vor die Füße?
Walter-Borjans: Den Eindruck, nicht mehr mitarbeiten zu wollen, den kann man, glaube ich, wirklich bei all dem, was gerade jetzt noch in den letzten Wochen auch entschieden worden ist, nicht sagen. Das reicht von wirklich einer stabilen finanziellen Unterstützung dieses Wiederanlaufens der Wirtschaft. Dafür ist Olaf Scholz zuständig. Es geht um viele Fragen, die den Arbeitsmarkt betreffen. Da ist Hubertus Heil zuständig. Es geht um Familienpolitik, es geht um Verbraucherpolitik. Das Mitarbeiten, das kann man, glaube ich, wirklich nicht sagen, und es gibt auch keine Lust an der Opposition. Aber was wir deutlichmachen müssen ist, es kommt darauf an, auch viel von dem, was in unserem Zukunftsprogramm steht, durchsetzen zu können, weil Regieren um jeden Preis, das kann sicher nicht das Ziel sein.

"CDU/CSU müssten sich mal auf der Oppositionsbank regenerieren"

Münchenberg: Trotzdem stellt sich zugleich mit den Wahlen in Sachsen-Anhalt die Frage nach den politischen Alternativen. Die Grünen haben auch einen empfindlichen Dämpfer hinnehmen müssen. Die Linkspartei kann ebenfalls nicht punkten. Der SPD gehen auch ein bisschen die Partner aus.
Walter-Borjans: Ich kann nur noch mal sagen, Sachsen-Anhalt ist keine Bundestagswahl gewesen und insofern auch keine Testwahl für den Bundestag. Es ist richtig, dass bei der Kanzlerkandidatin der Grünen und bei den Grünen insgesamt auch ein Stück deutlich wird, dass hinter der Behauptung, wir denken auch sozial, die Erfahrung der SPD und die Kompetenz der SPD nicht steht. Auf der anderen Seite ist uns klar, dass eine Neubesinnung, eine Ausrichtung der Politik auf die Zukunft gerade bei dem, was auch CDU und CSU sich in den letzten Monaten an Skandalen geleistet haben, einmal so funktionieren müsste, dass CDU und CSU sich mal eine Zeit lang auf der Oppositionsbank regenerieren. Insofern braucht es einen rot-grünen Kern. Aber ich habe eben schon gesagt, wie wichtig das Kanzleramt ist. Das Kanzleramt ist immer der Türsteher für das, was ins Kabinett soll, und da muss die Sozialdemokratie ein Interesse zeigen und das müssen wir deutlich machen. Wenn wir eine Politik mit Olaf Scholz wirklich haben wollen und mit der SPD, dann muss es auch einen Kanzler Olaf Scholz geben.
Münchenberg: Herr Walter-Borjans, wir müssen noch kurz auf ein anderes Thema zu sprechen kommen. Auch Sie haben Gesundheitsminister Jens Spahn wegen einer vermeintlich neuerlichen Maskenaffäre scharf angegriffen. Spahn weist diese Vorwürfe alle weit von sich. Ist das am Ende ein Sturm im Wasserglas? Ist das nicht Wahlkampf pur?
Walter-Borjans: Wenn Wahlkampf bedeutet, dass man auf Fehler hinweist und Korrekturen einfordert, dann mache ich gerne vier Jahre lang in einer Legislaturperiode Wahlkampf. Aber es geht doch hier darum, dass unabhängig davon, ob Masken am Ende noch brauchbar waren oder nicht, hier eine Unterteilung der Menschen im Land vorgenommen wird nach denen, für diese Masken nicht gut genug waren, und denen, denen man sie dann geben kann, weil man ja das viele Geld, das man ausgegeben hat für eine nicht ausreichende Qualität, für diese Bevölkerungsgruppe noch für ausreichend hält. Das ist für mich ein Verständnis von Menschen, von Menschenwürde, aber auch von Politik, das ich nicht teile und von dem ich sage, da muss sich der Betroffene selbst und da muss sich auch dessen Parteichef Gedanken darüber machen, ob man das so aufrechterhalten kann oder ob man nicht Konsequenzen ziehen muss. Für uns – das habe ich gestern gesagt – würde der Maßstab gelten, dass das nicht möglich sein darf.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.