Donnerstag, 25. April 2024

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Lang (BDI) zu Brexit-Abstimmung
"EU-Austritt ohne Abkommen wäre völlig unberechenbar"

Joachim Lang vom Bundesverband der Deutschen Industrie warnt vor einem Brexit ohne Vertrag. Dieses Szenario sei für die Wirtschaft "mit enorm hohen Kosten und Schäden verbunden", sagte er im Dlf. Es sei ein Fehler der britischen Regierung gewesen, überhaupt über den Brexit abstimmen zu lassen.

Joachim Lang im Gespräch mit Dirk Müller | 15.01.2019
    Joachim Lang, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Industrie
    Ein No-Deal-Brexit gefährde viele Arbeitsplätze auch in Deutschland, so Joachim Lang (imago stock&people)
    Dirk Müller: Der Brexit, das Chaos, die Unsicherheit, der No Deal – das macht auch die deutsche Wirtschaft, wir haben es gerade gehört, die deutschen Unternehmen mehr als unruhig. Von Milliarden-Risiken ist da die Rede, möglicherweise von Milliarden-Verlusten, von Exporteinbrüchen und horrenden Zollkosten, von langen LKW-Staus, vom Chaos in der Luft, auf der Schiene, auf dem Wasser. Das wollen wir besprechen mit Joachim Lang, Hauptgeschäftsführer beim Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI). Guten Morgen!
    Joachim Lang: Schönen guten Morgen, Herr Müller.
    Müller: Herr Lang, das hört sich ein bisschen an wie die Apokalypse.
    Lang: Ja, da ist natürlich auch viel Hysterie im Spiel momentan. Aber man muss ganz einfach darüber sprechen, dass die Situation eines EU-Austritts ohne Abkommen eine Situation ist, die völlig unberechenbar ist. Da kann man sich auch nur begrenzt drauf vorbereiten, und insofern ist es völlig richtig, dass das mit enorm hohen Kosten und Schäden verbunden sein wird.
    "Es kann nur darum gehen, die Schäden zu minimieren"
    Müller: Finden Unternehmen, findet die deutsche Wirtschaft und finden clevere Manager nicht immer den besten, günstigsten Weg?
    Lang: Ja, aber das ist dann der günstigste Weg in einem Negativ-Szenario. Denn bei einem Brexit werden sowieso alle verlieren. Die Briten werden verlieren, die britische Wirtschaft wird verlieren, die europäische Wirtschaft wird verlieren, und es kann dann nur darum gehen, die Schäden zu minimieren. Das ist keine Gewinnersituation. Insofern sind jetzt alle darauf geeicht, sich auf den 29. März vorzubereiten, und darauf laufen jetzt die Planungen hinaus. Und wie wir ja merken, gibt es auf der britischen Seite durchaus den Wunsch, diesen Termin möglicherweise zu verschieben, und das kann man auch mit gemischten Gefühlen begleiten.
    Müller: Wie begleiten Sie das? Sind Sie dafür?
    Lang: Der politische Aspekt einer Verschiebung ist ja immer die Hoffnung darauf, dass man das gewünschte Ziel noch erreichen mag. Aus Sicht der Wirtschaft ist es eine Verlängerung des Unsicherheitszeitraums, und insofern ist das mit gemischten Gefühlen zu begleiten. Wir wären daran interessiert, dass es einen Termin gibt, an dem eine finale Entscheidung getroffen wird.
    Müller: Und das könnte dann auch der No Deal sein, weil Sie dann zumindest planen und rechnen können?
    Lang: Das ist schwierig zu beantworten, denn wenn es tatsächlich eine realistische Chance gäbe, noch zu einem besseren Ergebnis zu gelangen, dann würde man das natürlich lieber nehmen. Unter allen Szenarien, die es gibt – und das ist ja mittlerweile eine größere Anzahl -, ist die Variante des Austritts ohne Abkommen mit Sicherheit die schlechteste.
    Müller: Wenn Sie den politischen Kontext, die Entwicklung, die Diskussion in den vergangenen zurückliegenden Monaten betrachten – das hat der BDI ja häufig auch getan -, wo ist dort für Sie der Ansatz von politischem Versagen? Nicht nur bei London, oder ausschließlich?
    Lang: Wenn man dieses harte Wort in den Mund nehmen möchte, dann ist es natürlich zunächst einmal die ursprüngliche Entscheidung, überhaupt abstimmen zu lassen über diese Frage. Die zweite ist dann, an dieser Entscheidung festzuhalten, obwohl man im Zuge der Verhandlungen zum Austrittsabkommen erkennt, dass das Ganze ziemlich negativ laufen wird. Und dann sich nicht einzugestehen, dass man auf dem Holzweg ist, und die Entscheidung zu korrigieren, das ist etwas, womit viele auf dem europäischen Kontinent hadern.
    Irgendwann ist man im Laufe dieser Gespräche dann falsch abgebogen, denn dieses Austrittsabkommen ist gut. Das ist ein wirklich guter Kompromiss. Und was wir erleben ist, dass in Großbritannien es eine sehr zugespitzte Debatte gibt über einen kleinen Punkt in diesem Vertrag. Der Vertrag oder das Abkommen hat 585 Seiten und eine kleine Regelung befasst sich mit der Frage, was ist eigentlich, wenn wir während der Dauer der Gespräche, die zeitlich befristet ist, nämlich bis zum Ende des Jahres 2020, wenn wir dann nicht fertig werden. Was gilt denn dann? Damit beschäftigt sich diese Notfallklausel und das ist, worum sich der ganze Streit in Großbritannien dreht.
    "Dieses Austrittsabkommen ist ein wirklich guter Kompromiss"
    Müller: Vielleicht war deswegen das Abkommen gar nicht so gut, wenn sich darauf alles fokussiert?
    Lang: Na ja, wenn in einem Abkommen, das 585 Seiten hat, am Ende eine Seite steht mit einer Notfallklausel, dann ist es relativ unwahrscheinlich, dass der Vertrag so schlecht ist, dass man ihn an dieser Notfallklausel scheitern lassen sollte. Denn auch diese Notfallklausel ist ziemlich gut, denn sie besagt nichts anderes, als dass Großbritannien in Gänze in der Zollunion bleibt, falls man nicht fertig sein sollte. Das soll im Grunde nur den Druck erhöhen, fertig zu werden. Und was ist das eigentlich für eine Einstellung, wenn ich schon jetzt mir Gedanken darüber mache, dass alles schiefgehen könnte bei den Verhandlungen? Zunächst einmal sollten wir doch alles daran setzen, jetzt in dieses Stadium überhaupt zu gelangen, und das schaffen wir nur mit einem Abkommen.
    Müller: Sie persönlich, Herr Lang, haben ja auch in den vergangenen zurückliegenden Monaten viel Kontakt gehabt mit britischen Unternehmen, mit britischen Unternehmern. Da ging es auch um diesen Notfallplan, natürlich auch um diese Zollunion-Frage, also um diesen Nordirland-Komplex, Backstop, wie immer wir das jetzt nennen wollen. Was haben Sie von dieser Seite gehört?
    Lang: Die können diese Aufregung überhaupt gar nicht nachvollziehen, weil sie die Vorteile einer Zollunion auch sehen. In dem Bericht von Herrn Münchenberg ist ja unser Partnerverband CDI genannt worden und wir stehen in einem sehr engen Austausch und wir haben eine sehr ähnliche Sichtweise, weil die Wirtschaft diesseits und jenseits des Ärmelkanals nämlich sehr ähnlich funktioniert und wir die ganzen negativen Aspekte sehen, die auf uns zurollen, falls es einen Austritt ohne Abkommen geben sollte.
    Das heißt, das ist eine politische Diskussion, die mit den wirtschaftlichen Realitäten relativ wenig zu tun hat, sondern das ist ein Punkt, den die Brexit-Hardliner gefunden haben, an dem sie das Ganze noch mal von vorne aufzäumen wollen. Daran hat aber weder die britische, noch die kontinentale Wirtschaft ein Interesse.
    "Politische Diskussion hat mit den wirtschaftlichen Realitäten wenig zu tun"
    Müller: Dann werden die britischen Unternehmer nie wieder die konservativen Tories wählen in Großbritannien?
    Lang: Jedenfalls sollten sich die das genau überlegen, denn wenn Sie sich die Mischung anschauen derjenigen, die gegen den Brexit sind, dann gibt es eine relativ überschaubare Gruppe der Brexit-Hardliner. Das sind vielleicht 50. Und die Frage ist, wie viele sie im Grunde mitziehen. Darum geht es auch Frau May, unter den Brexit-Anhängern die Vernünftigen zu separieren von den Brexit-Hardlinern.
    Müller: Reden wir noch einmal über die deutsche Dimension, die vermeintlichen Folgen, Folgewirkungen nach einem Deal oder auch No Deal. 75.000 deutsche Arbeitsplätze, haben wir gestern nachlesen können, sollen da auf dem Spiel stehen. Ist das wirklich eine realistische Zahl?
    Lang: Die Zahl ist mit Sicherheit deutlich höher als das, denn die deutschen Unternehmen sind in Großbritannien sehr stark engagiert, und es hängen ja nicht nur die Arbeitsplätze in direktem Austausch mit Großbritannien daran, sondern auch viele Arbeitsplätze bei den Zulieferern, so dass wir jetzt schon über höhere Zahlen sprechen.
    Müller: 750.000 insgesamt, die vom Handel betroffen sind? 75.000 – das war die Zahl, die wir gestern gehört haben -, die dann wegfallen könnten? Das, sagen Sie, ist noch viel zu wenig, viel zu tief gegriffen?
    Lang: Nein, wegfallen nicht. Das würde ich jetzt nicht sagen. Aber die bedroht sind, und wir können sehr, sehr schwer abschätzen, wie gut es uns gelingen wird, den schlechtesten Fall aufzufangen. Es gibt natürlich Milliarden-Investitionen bereits jetzt in diese Vorbereitungsplanungen und wir setzen wirklich alles daran, den Schaden, der unweigerlich eintreten wird, zu minimieren. Aber er wird eintreten und was uns natürlich alle am meisten ärgert in Europa, auf dem Kontinent ist, dass wir diese Investitionen in Vorbereitungen tätigen müssen, statt in Produktionserweiterung oder Modernisierung. Das Geld ist einfach weg für etwas, was komplett unnötig ist aus Sicht der Wirtschaft, und zwar sowohl der britischen Wirtschaft als auch der deutschen.
    Müller: Ich möchte noch eine Frage Ihnen stellen, Herr Lang, wenn Sie das gestatten. Wir investieren beispielsweise – ich habe das nur jetzt mal notiert – in Jordanien, in Tunesien, ja auch in Saudi-Arabien, auch Investitionen im Iran. Nach einem No Deal soll es so schwierig werden, in Großbritannien zu investieren und dort weiterhin erfolgreich zu sein? Ist doch kaum vorstellbar.
    Lang: Das hängt damit zusammen, dass die Europäische Union der am stärksten integrierte Wirtschaftsraum der Welt ist. Wir haben daraus enorm viele Vorteile. Wer zu dieser Gemeinschaft gehört, hat einfach sehr viel mehr Vorteile, als wenn er nicht dazu gehört. Einer dieser Vorteile ist, dass wenn ich ein Produkt rechtmäßig herstelle, ich es in 28 Länder schicken kann, ohne dass ich noch mal mit irgendjemandem darüber reden muss. Wenn ich das nicht hätte, müsste ich für alle 28 Länder 28 unterschiedliche Versionen möglicherweise herstellen. Das ist schon ein unschätzbarer Vorteil.
    Nehmen wir mal den Pharmabereich. Da sind die Briten zum Beispiel sehr stark. Jeden Monat kommen 45 Millionen Medikamente von Großbritannien in die Europäische Union. Jedes dieser Medikamente hat eine Zulassung. In dem Moment, in dem die Briten nicht mehr Teil der EU sind, sondern ein Drittstaat, müssten diese Medikamente in Laboren getestet werden, weil dieser Automatismus entfällt, und das wäre natürlich nachteilig für alle diejenigen, die auf Medikamente angewiesen sind, die ursprünglich aus Großbritannien kommen. Das sind alles Dinge, die geplant werden müssen, und davon haben wir Tausende.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.