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Lawrence Freedman
"The Future of War: A History"

Kriege sind nur noch selten zwischenstaatliche Konflikte. Dennoch versuchen Militärs weiterhin, Auseinandersetzungen und Verläufe zu planen. Dass dieses Konzept nicht mehr funktioniert, erläutert der britische Historiker Lawrence Freedman in seinem Buch "The Future of War: A History".

Von Sabina Matthay | 05.02.2018
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    Drohnen und Präzisionswaffen haben Kriege keineswegs 'sauberer' gemacht. (U)
    Im Jahr 1892 veröffentliche ein britisches Magazin einen fiktiven Bericht über einen künftigen Krieg, der ganz Europa überziehen würde: nach einem Attentat auf einen Balkan- Prinzen verbündete Großbritannien sich darin mit dem Deutschen Reich gegen Russland und Frankreich.
    Vorhersagen über Kriege können erstaunlich zutreffend sein, aber auch völlig danebenliegen, manchmal sogar in ein und demselben Text, egal ob von Militärs, Politikern oder Journalisten verfasst. Auslöser der Julikrise 1914, die zum Ersten Weltkrieg führte, war der Mord am österreichischen Thronfolger, allerdings stellten Briten, Franzosen und Russen sich gegen die Deutschen.
    Lawrence Freedman stellt in seinem neuen Buch dar, wie Amateure und professionelle Strategen sich seit den napoleonischen Kriegen die Zukunft des Krieges vorgestellt haben. Der renommierte britische Militärhistoriker attestiert ihnen einen oft allzu großen Optimismus.
    Das Militär denkt noch in alten Mustern
    Zum einen setzten die meisten auf das Konzept der Entscheidungsschlacht, auf einen schnellen Sieg, eingeleitet durch einen Überraschungsangriff, der die Kosten des Konflikts möglichst gering halten und dem Sieger den größtmöglichen Vorteil sichern sollte.
    "Weitaus weniger nachgedacht wurde über die Folgen eines Erstschlags, der den Gegner nicht völlig niederschmetterte, oder darüber, wie ein Krieg, je länger er dauerte, zunehmend von nicht-militärischen Faktoren beeinflusst werden kann, etwa von Bildung und Auflösung von Bündnissen oder von der Bereitschaft der Bevölkerung, Opfer zu bringen und Tote und Verletzte in Kauf zu nehmen."
    Dass das Konzept sich trotzdem bis heute hält, führt der emeritierte Professor für Kriegsstudien auf den Konservativismus von Militärs zurück:
    "Am liebsten möchten sie eine Schlacht gegen eine reguläre Truppe führen, ohne Beteiligung von Zivilisten, ohne dass Zivilisten zufällig oder gezielt getötet werden. Diese Vorstellung leitet sie noch immer."
    Doch seit dem Ende des Kalten Krieges, in dem das Gleichgewicht des Schreckens für internationale Stabilität sorgte, sind klassische zwischenstaatliche Konflikte selten; längst dominieren Bürgerkriege, transnationaler Terrorismus, organisierte Kriminalität und hybride Konflikte, wie der russische in der Ukraine.
    Die Kontinuitäten der Kriegsführung
    Als ebenfalls übertrieben optimistisch bewertet Freedman deshalb die Annahme, dass es bald gar keinen Krieg mehr geben werde. Der emeritierte Professor am Londoner Institut für Kriegsstudien zeigt, wie Generationen von Diplomaten, Wissenschaftlern und Aktivisten Krieg zum Anachronismus erklärten, um dann von der Realität eingeholt zu werden; so wie der Publizist Norman Angell vom Ausbruch des Ersten Weltkriegs oder der Evolutionspsychologe Steven Pinker 2011 von den Kriegen in Libyen und Syrien.
    "Die Möglichkeit, dass die Dinge so weiterlaufen wie bisher, ist eben nicht so interessant. Aber die Kontinuitäten der Kriegführung sind verblüffend, wie man in jenen Ländern sehen kann, die die Erfahrung des Friedens längst vergessen haben, und wenn man beobachtet, wie oft in modernen Zeiten mit relativ altmodischen Waffen getötet wird, die frühere Generationen wiedererkennen würden."
    So haben sich die US-Streitkräfte in langwierige asymmetrische Konflikte verstrickt - siehe Irak und Afghanistan - obwohl sie über modernste Waffentechnologie verfügen. Drohnen und Präzisionswaffen haben Kriege keineswegs "sauberer" gemacht.
    "The Future of War" ist in drei Teile gegliedert: zunächst schildert Lawrence Freedman militärische Futurologie von den napoleonischen Kriegen bis zum Zerfall der Sowjetunion. Es folgt ein Überblick über Forschung zu Konfliktursachen, Bürgerkriegen und Terrorismus. Abschließend stellt Freedman dar, was Strategen heute umtreibt: Cyberkrieg, Kampfroboter und künstliche Intelligenz als Antwort auf potentielle Großmachtskonflikte des 21. Jahrhunderts. Prognostiker, die nach dem Ende der Sowjetunion Japan und Indien als künftige Herausforderer der USA sahen, irrten zwar, doch revisionistische Mächte wie China und Russland fordern die amerikanische Vormachtstellung heute tatsächlich heraus.
    Die Kriegsrisiken heute
    Lawrence Freedman illustriert dies mit vielen Fallbeispielen und greift auch auf die Darstellung künftiger Kriege in Film und Fiktion zurück, beispielsweise H.G. Wells' frühe Vision einer Atombombe; oder Tom Clancys Thriller "Im Sturm", der US-Präsidenten Reagan zum Aufbau eines Abwehrschirms gegen sowjetische Interkontinentalraketen inspirierte.
    All dies ist auf knapp 300 Seiten gut lesbar dargestellt; Fußnoten, Bibliographie und Schlagwortverzeichnis runden die Lektüre ab.
    Dass Freedman sich auf britisches und amerikanisches strategisches Denken konzentriert, ist verständlich. Gern hätte man aber auch erfahren, wie Russen, Inder oder Chinesen über künftige Kriege dachten und denken.
    Mit eigenen Prognosen hält der Militärhistoriker sich zurück. Letztlich würden stets politische Faktoren über Krieg und Frieden entscheiden, sagt Freedman:
    "Neben den Atomwaffen hat das amerikanische Bündnissystem einen Krieg der Großmächte verhindert und ein gewisses Maß an Ordnung in Europa und Asien geschaffen. Ob das so weitergeht, ist unklar. Nicht wegen des aktuellen US-Präsidenten, sondern auf lange Sicht. Dieses Bündnissystem ist irgendwie künstlich. Sollte es sich auflösen, dann besteht das Risiko, dass selbst dort, wo relativ stabile politische Beziehungen herrschen, wieder alles möglich ist. Das Risiko halte ich in Asien für wahrscheinlicher als in Europa. Aber es ist vorhanden."
    Das einzige, was sich also offenbar mit Bestimmtheit über Krieg sagen lässt, ist dies: Krieg hat Zukunft.
    Lawrence Freedman: "The Future of War: A History"
    Verlag PublicAffairs, 400 Seiten, 24,99 Euro.