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Die NATO und die hybride Kriegsführung
Der Kopf als Ziel

Die Welt der Geostrategen bei der NATO ist in große Unordnung geraten - durch hybride Kriegsführung. Sie wird eines der großen Themen auf dem NATO-Gipfel in Warschau sein, der am Freitag beginnt. Die neuen hybriden, also vermischten Konflikte werden nicht mehr nur von Waffenstärke, sondern auch von Propaganda und anderen sozialen Techniken zur Spaltung von Gesellschaften bestimmt.

Von Tom Schimmeck | 07.07.2016
    Eine dunkle Hand auf einer Computertastatur.
    Das Internet wird immer mehr zum Schauplatz politischer und auch militärischer Auseinandersetzungen. (dpa / picture-alliance / Karl-Josef Hildenbrand)
    "First, how to deal with hybrid warfare? Hybrid is the dark reflection of our …”
    "I‘ll start on the Russian propaganda thing. It is related to hybrid warfare …”
    "Wenn man sich überlegt, was das Wort des Jahres 2014 auch hätte sein können, dann hätte es durchaus der Begriff 'hybride Kriegsführung' sein können ..."
    Der NATO-Generalsekretär, der US-Verteidigungsminister, seine deutsche Kollegin Ursula von der Leyen, sie alle sprechen vom "hybriden Krieg".
    Ein Modewort. Wenn Militärs oder Sicherheitspolitiker heute die neue, verwirrende Vielfalt der Schlachtfelder beschreiben wollen, greifen sie zum "hybriden Krieg". Von der Leyen schien zu staunen, als Experten ihr im Sommer letzten Jahres das volle Panorama präsentierten.
    Twitternde Terroristen und kleine grüne Männchen
    "Das Thema haben wir rauf und runter heute diskutiert – von den kleinen, grünen Männchen auf der Krim bis zu den Petersburger Trollen, die uns in Atem gehalten haben, oder zu der Tatsache, wie Daesh oder ISIS die irakischen Regierungstruppen demoralisiert hat, bei der Eroberung von Mossul alleine 40.000 Tweets abgesetzt hat. Also Phänomene, die man plötzlich erlebt, die so vorher nicht dagewesen sind."
    Twitternde Terroristen und Soldaten ohne Hoheitszeichen. Solche Unordnung ist Militärs ein Graus. Und doch dringt sie immer tiefer in ihren Alltag vor. Die "kleinen grünen Männchen", das waren Soldaten in Uniformen ohne jedes Erkennungszeichen, die im Februar 2014 auf der Halbinsel Krim Straßensperren errichteten, Rathäuser, Kasernen, Flughäfen und Fernsehsender besetzten.
    Stoltenberg spricht und gestikuliert an einem Rednerpult mit der NATO-Windrose. Hinter ihm der Schriftzug NATO/OTAN.
    NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg. Das Militärbündnis rüstet für den hybriden Krieg. (EPA)
    Moskau sprach flugs von "einheimischen Selbstverteidigungskräften". Solche Uniformen, spottete Präsident Wladimir Putin, könne man in jedem Laden kaufen. Nach einer umstrittenen Volksabstimmung annektierte Russland die Krim am 18. März 2014. Im Osten der Ukraine begann ein bis heute schwelender Krieg. Der Westen war geschockt. Fühlte sich verwundbar. Im September 2014 beschloss die NATO in Wales:
    "Wir werden sicherstellen, dass die NATO in der Lage ist, effektiv den besonderen Herausforderungen einer Bedrohung durch einen Hybridkrieg zu begegnen, bei dem eine große Bandbreite an offenen und verdeckten militärischen, paramilitärischen und zivilen Maßnahmen auf hochabgestimmte Weise eingesetzt wird."
    Auch die NATO operiert längst hybrid
    An diesen Freitag kommen die Staats- und Regierungschefs der NATO wieder zu einem NATO-Gipfel zusammen – in Warschau. Die hybride Kriegsführung wird, das hat NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg schon klargestellt, wieder "Top-Priorität" haben. "Wir nutzen eine Kombination militärischer und nicht-militärischer Mittel, um Länder zu stabilisieren. Andere nutzen diese, um sie zu destabilisieren."
    Auch die NATO operiert jetzt hybrid. Natürlich nur mit besten Absichten. "Es geht hier um Täuschung. Um eine Mischung militärischer und nicht-militärischer Mittel. Wenn wir also die Bereitschaft unserer Kräfte steigern, stellt dies eine Antwort auf die hybride Bedrohung dar. Wenn wir unsere Kapazitäten bei den Geheimdiensten, der Überwachung und Aufklärung erhöhen, ist dies ebenfalls eine Antwort auf diese Bedrohung."
    Moderner Terror operiert mit schweren Waffen und schicken Videoclips. Konflikte wie der in der Ukraine demonstrieren, wie stark Propaganda und Desinformation die Wahrnehmungen und Stimmungen von Menschen beeinflussen. Zwei chinesische Offiziere formulierten schon 1999: "Krieg ist nicht länger Krieg, sondern eher der Versuch, mit dem Internet zurechtzukommen, mit den Massenmedien gleichzuziehen… und vieles andere, was wir nie als Krieg betrachtet hatten."
    Militärstrategen fürchten "hybride Superguerillas", aber auch versierte Märchenerzähler auf den Fernsehschirmen. Letztlich, so formulieren es die Militärforscher James Hackett und Alexander Nicoll vom "International Institute for Strategic Studies": "Bildet gerade die synchronisierte Mischung aus militärischem Druck, Spezialeinsätzen und Geheimdienstoperationen zusammen mit ziviler Revolte, feindseliger Propaganda, Informationsoperationen, Cyber-Attacken und ökonomischem Zwang den Schlüsselaspekt der neuen 'hybriden' Taktiken."
    Und hinterher streitet man einfach alles ab.
    Internet-Kommentare im Schichtbetrieb
    Mitunter kommen die Kampfmittel recht kurios daher. Die "Trolle" etwa, die im Internet Stimmung machen. Seit Jahren berichten Quellen über regelrechte Troll-Fabriken in Russland, wo Hunderte Mitarbeiter im Schichtbetrieb Kommentare und "Informationen" für Online-Foren und soziale Medien produzieren. Rekrutiert, sagt der russische Journalist Andrei Soldatow, wurden diese zunächst in Kreml-treuen Jugendverbänden, die zuvor auf den Straßen Protestierende eingeschüchtert hatten.
    Der Hashtag «#Hass» ist auf einem Bildschirm eines Computers zu sehen.
    Trolle machen Stimmung, sorgen für Verunsicherung. (dpa/ picture-alliance/ Lukas Schulze)
    "2007 hat der Kreml erkannt, dass diese Leute online sehr nützlich sein könnten. Um die Opposition online anzugreifen, um verrückte Nachrichten zu streuen, um die Online-Foren von Zeitungen und Magazinen zu kontaminieren – in Russland und im Ausland. Und wir sehen, dass sich dieses Konzept ständig weiterentwickelt." Würden solche Einheiten bloßgestellt, hieße es zumeist: "Nein, das ist nicht organisiert, das sind einfach zornige Bürger."
    Anfangs, berichtet Soldatow, waren die Trolle leicht zu erkennen. Inzwischen bekomme er Berichte, etwa aus Frankreich, Italien, Ungarn, über ultrarechte Aktivisten, die nun auf diesem Feld aktiv würden. Stets mit dem Ziel, Unzufriedenheit zu schüren, Verschwörungstheorien in Umlauf zu bringen.
    "Was vom Kreml sehr geschickt instrumentalisiert wurde, ist die Angst vor einer blutigen Revolution. Viele Leute in Moskau und anderswo, auch gebildete Menschen aus der Mittelschicht, teilen die Angst, es könne auch bei ihnen zu einer Art Maidan oder gar einer libyschen Revolution kommen."
    Bikini-Trolle für Männer über 45
    Noch exotischer sind die sogenannten "Bikini-Trolle". Ein Begriff, der ein wissendes Lächeln auf die Gesichter älterer Forscher zaubert. Etwa beim britischen Russlandexperten Keir Giles. "Das sind Profile junger Frauen, die vergessen haben, sich anzuziehen, bevor sie ihr Profilfoto gemacht haben. Sie tragen russische Namen, beschreiben sich meist als Studentinnen, bisexuell, Anfang 20. Einige Forscher sagen, hier wird eine besonders verwundbare soziale Gruppe ins Visier genommen: Männer über 45. Der Zweck ist wohl, Follower zu sammeln. Nur das."
    Giles wirkt amüsiert. Tatsächlich ist er besorgt. "Ich denke, es gibt keinen Zweifel, dass Russland einen Krieg vorbereitet. So viele Trends in der russischen Politik und Gesellschaft deuten darauf hin. Die Führung scheint sich sehr aktiv und eilig auf einen Krieg vorzubereiten, den sie kommen sieht. Das ist nicht unbedingt ein Krieg, den Russland von sich aus zu starten beabsichtigt. Aber man scheint überzeugt, dass alle Zeichen darauf hindeuten und will so gut vorbereitet sein wie nur möglich, falls dieser Konflikt tatsächlich ausbricht."
    Auch die NATO rüstet sich. "Wenn Sie die NATO betrachten, wird Ihnen eine unglaubliche Menge Aktivitäten auffallen, die den wachsenden Bedrohungen und Aktivitäten im Cyberspace entspricht", berichtet etwa der deutsche NATO-Admiral Manfred Nielson, Deputy Supreme Allied Commander Transformation in Norfolk, Virginia. Man investiert. Die Bundeswehr will im April 2017 ihr neues "Kommando Cyber- und Informationsraum" einweihen. Auch Frankreich gönnt sich ein neues Cyber-Verteidigungszentrum.
    Das Internet wird zum fünften Einsatzraum
    Großbritannien, berichtet Generalmajor James Hockenhull, Director Cyber, Intelligence and Information Integration, wird in den kommenden fünf Jahren 1,9 Milliarden Pfund in ein nationales Cyber-Entwicklungsprogramm stecken. "Wir haben unsere militärischen Cyberfähigkeiten, unseren Cyber-Geheimdienst und unsere elektronische Kriegsführung in einer gemeinsamen Organisation vereint."
    Der digitale Raum wird für die Strategen immer wichtiger. Viele hoffen, dass die NATO ihn neben Land, Wasser, Luft und Weltraum in Warschau offiziell zum fünften Einsatzgebiet erklärt. "Die Anerkennung des Cyberspace als eigenes Einsatzgebiet dürfte einen NATO-weiten Wandel der Geisteshaltung auslösen und manche, einige würden wohl sagen überfällige, Veränderung einleiten."
    Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen besucht das Nato-Cyberabwehr-Zentrum in Estland.
    Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen besucht das Nato-Cyberabwehr-Zentrum in Estland. (dpa / picture alliance / Maurizio Gambarini)
    Seit 2014 betreiben einige NATO-Staaten, auch Deutschland, zudem Stratcom, ein Exzellenzzentrum für strategische Kommunikation in Lettland. Die NATO versuche, ihre Maschinerie anzupassen, meint der Chef von Stratcom, der Lette Jānis Sārts. In seinem Haus werden russische Operationen in der Ukraine genauso penibel analysiert wie Troll-Aktivitäten im Internet. Man unterscheidet hier zwischen Verschwörungs-Trollen, Wut-Trollen, Anhang-Trollen, Wikipedia-Trollen und natürlich den Bikini-Trollen. Im März erklärte Särts dem britischen "Observer", Russland stachele in Deutschland den Zorn gegen Flüchtlinge an, um Angela Merkel zu stürzen. "Ich sagte: Sie versuchen politische Prozesse in Deutschland zu beeinflussen, um einen für sie vorteilhaften Effekt zu erzielen. Ich habe keine Namen genannt."
    Gezielte Desinformation wie im Fall "Lisa"
    Sein Beispiel: "Lisa". Der Fall der 13-jährigen Russlanddeutschen Lisa F. aus Berlin-Mahlsdorf. Sie war im Januar auf dem Schulweg verschwunden und am nächsten Tag wieder aufgetaucht. Hatte zunächst behauptet, von drei "Südländern" entführt und vergewaltigt worden zu sein. Die Polizei ermittelte, dass sie sich bei ihrem 19-jährigen Freund aufgehalten hatte. Ihre Version, die Täter waren inzwischen "arabische Flüchtlinge", wurde im russischen Fernsehen und auf einer NPD-Demonstration präsentiert. Außenminister Sergej Lawrow bezichtigte deutsche Behörden der Vertuschung. Hunderte Russlanddeutsche demonstrierten in Bayern, Baden-Württemberg und vor dem Berliner Kanzleramt. "Man kann ja keinen glauben mehr. Man ist echt verwirrt. Man weiß gar nicht, was man tun soll…"
    "Wenn Sie den Zeitpunkt anschauen: Es war auf dem Höhepunkt der Debatte über Flüchtlinge und die Flüchtlingspolitik. Ich denke, das ist eindeutig."
    Ist das in seinen Augen schon hybrider Krieg?
    "Nun, wenn Sie sich das ganze Konzept anschauen, ist es ein Element. Die Absicht ist, einen Informations-Nebel zu schaffen, der Nebel in den Hirnen erzeugt, der zu einer Untätigkeit führt, die dem Gegner neue Möglichkeiten eröffnet."
    Die Grundfrage, die im Westen alle umtreibt, lautet: Was will Russland? Was plant Putin?
    Die Leute sind wirklich verwirrt
    Der Westen destabilisiert uns seit Jahrzehnten, argumentiert Russland, zuvörderst die USA, die man hinter allen Umwälzungen in ehemaligen Sowjetrepubliken und Warschauer-Pakt-Staaten vermutet. In der Ukraine, sagt der Kreml, führten die USA schon seit 2004 einen hybriden Krieg.
    Dezember 2014: Wladimir Putin spricht feierlich über die Heimkehr der Krim. "Dadurch können wir sagen, dass die Krim, das alte Chersones, Sewastopol, eine riesige zivilisatorische und sakrale Bedeutung für Russland haben. Genau wie der Tempelberg in Jerusalem für Moslems und Juden. Und genau so werden wir das künftig immer sehen."
    "My name is Peter Pomerantsev. I am the author of "Nichts ist wahr und alles ist möglich – Abenteuer in Putins Russland".
    Barrikade aus Autoreifen, darauf ein Stop-Schild und eine russische Fahne.
    Beim Konflikt im Osten der Ukraine wurde auch viel mit Desinformation gearbeitet. (Picture Alliance / ITAR-TASS / Matytsin Valery)
    Ein britischer Schriftsteller mit russischen Wurzeln. Ein Spötter. Sein Buch laufe nicht gut in Deutschland. Nur Putin-Versteher-Bücher, berichte die Verlegerin, würden sich verkaufen. "Es zeigt sich, dass die Leute, wenn es sehr, sehr viele Medien gibt, wirklich verwirrt sind. Meinungsfreiheit bedeutet in manchen Ländern auch, dass man maßlos lügen kann."
    Pomerantsev war viel unterwegs. Wollte verstehen, warum russische Medien so erfolgreich sind. "Wir haben Fokusgruppen befragt unter zweisprachigen Bewohnern von Estland, Lettland und der Ukraine, die viele Medien konsumieren: die BBC, russische Sender, auch lokale. Sie sagen: Es gibt so viele verschiedene Versionen von Realität, dass wir niemandem trauen. Aber wir halten uns an die russische, weil die lustiger ist, emotionaler. Die verstehen wir. Das ist mehr unser Ding."
    Warnungen vor militärischem Aktivismus
    Der Autor wurde nach seinen Recherchen in Osteuropa auch nach Washington eingeladen. "Im Außenministerium riefen sie: ,O Gott, die haben Russia Today geschaffen. Wie haben die das gemacht? Das sind doch Russen!‘ Das ist unglaublich herablassend. Als ob nur Amerikaner Propaganda beherrschten, 'weil wir Hollywood haben‘. Das ist idiotisch und sehr arrogant."
    Die NATO führt viele Debatten. Vor allem aber über den Umgang mit Russland. Polen und die baltischen Staaten rufen nach mehr Härte und Stärke, noch mehr Truppen, mehr Manövern. Andere warnen vor "militärischem Aktivismus", vor "Säbelrasseln und Kriegsgeheul", wie es unlängst der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier formulierte. Die reguläre NATO-Streitkraft ist schon jetzt gut vier Mal so groß ist wie die russische.
    "Wir haben die Tendenz in Europa, aber auch in Nordamerika, dass gewissermaßen wir den Gegner gerne überschätzen", meint Thomas Rid vom Department of War Studies am Londoner King's College. "Wir nehmen an, die Russen haben alles bis aufs Detail durchdacht und da ist eine clevere Strategie dahinter. Das gleiche in China, wenn irgendwelche Cyber-Angriffe entdeckt werden, da steckt viel dahinter, Strategie und so weiter."
    Die hybriden Kriege der Römer
    Rid lächelt. "Die Realität ist, glaube ich, oft ein bisschen einfacher. Nämlich, dass auch diese neuen Gegner einfach improvisieren." Eine Art Legospiel? "Ja. Da wird viel improvisiert", sagt auch Martin Libicki, Professor der Rand Corporation und der U.S. Naval Academy. "Propaganda ist doch eine Konstante. Ich glaube, die Russen sind darin taktisch und operativ sehr gut, strategisch aber sehr schlecht." Libicki hat oft eine Schar angehender US-Cyberkrieger im Schlepptau, gerade volljährig, in schmucker Marineuniform. Auch er bezweifelt, dass Russland eine große Strategie hat. Und die USA? "Was die Vereinigten Staaten richtig gemacht haben: Sie hatten eine lange strategische Vision. Die basiert auf einem Verständnis für den Status Quo, für Amerikas Platz in der Welt. Wir haben wirklich eine Ideologie für die Welt."
    Haben nicht schon die alten Römer hybride Krieg geführt? "Eigentlich schon. Sie haben alle verfügbaren militärischen und nicht-militärischen Werkzeuge für politische Effekte benutzt, für strategische Vorteile. Also: Ja." Timothy Stevens von der University of London war in einem früheren Leben Archäologe, Experte für Steinzeitwerkzeuge. Den Militärs kommt er heute gerne mit Foucault, erzählt ihnen von Subjekten und Identitäten, vom Zusammenspiel von Macht, Wissen und Bedeutung. "Ohne Legitimität wird keine Militärkampagne jemals Erfolg haben."
    Ein Passwort wird auf einem Laptop über die Tastatur eingegeben. Auf dem Schirm sind die Worte "Enter Password" zu lesen.
    Das Internet erlaubt es Menschen, in kleinen Informationsblasen zu verschwinden. (picture alliance / dpa / Oliver Berg)
    "Sie können absolut sicher sein: Die USA etwa, das Vereinigte Königreich und ihre Verbündeten, würden das auch gerne machen, wenn sie auch nur die kleinste Chance hätten. Nur haben wir vielleicht ein bisschen strengere Einsatzregeln, was die internationale Legalität angeht. Was die NATO meiner Meinung nach wirklich alarmiert, ist der Umstand, dass es zu funktionieren scheint."
    NATO ist zuweilen ein wenig selbstgerecht
    Auch Thomas Rid mutet die Diskussion in der NATO zuweilen ein wenig selbstgerecht an. "Wenn Sie sich anschauen, was zum Teil amerikanische Strategie und Taktik im Mittleren Osten sowohl im nachrichtendienstlichen als auch im militärischen Bereich ist, dann könnte man provokativ sagen: Klar, das sieht aus wie hybride Kriegführung, die die Amerikaner da betreiben. So sehen es aber die Amerikaner selbst nicht. Aus deren Perspektive ist hybride Kriegführung nur, was der Gegner uns antut. Und ich denke, diese Doppelbödigkeit ist ein altes historisches Denkmuster."
    "Sun Tsu hat das Konzept geschrieben", sagt Stratcom-Chef Jānis Sārts. "Es ist also nichts wirklich neues, auf das Bewusstsein und das moralische Gefüge des Gegners zu zielen. Der einzige Unterschied ist die Technologie, die mehr Reichweite, Durchdringung und Zugang ermöglicht." Der chinesische General Sun Tsu. Autor von "Die Kunst des Krieges", verfasst rund 500 Jahre vor Christus. "In allen Schlachten zu kämpfen und zu siegen, ist nicht die größte Leistung. Sondern sie besteht darin, den Widerstand des Feindes ohne einen Kampf zu brechen."
    Der Feind sind wir selbst
    Womöglich ist die NATO spät dran. Selbst NATO-Generalsekretär Stoltenberg gibt zu: Hybride Kriegsführung ist so alt wie das Trojanische Pferd. Die deutsche Verteidigungsministerin schlägt derweil den ganz großen Bogen: "Das heißt: Die hybride Bedrohung, sei sie ausgehend vom Kreml, sei sie ausgehend von Daech oder die Aktivitäten Chinas im südchinesischen Meer, zielen vor allem ins Herz, in den Kern offener Gesellschaften, die plural leben, die die Vielfalt leben, schätzen, aushalten können…"
    Während den Ost-Forscher Pomerantsev eine ganz andere Beobachtung nervös macht: "Noch beunruhigender ist eine Grundeigenschaft des Internet, die es Menschen erlaubt, in kleinen Informationsblasen zu verschwinden." Und diese Mechanismen machten uns immer parteiischer, immer weniger rational. "Wir werden in kleine Echoräumen eingeschlossen. Wir können keinen Dialog mit anderen mehr aufbauen."
    Die politische Blockade im US-Kongress ist für ihn ein ganz typisches Beispiel. "Das hat auch damit zu tun, dass die Leute in solchen Echokammern verschwinden. Ihre Politiker dürfen nur noch ihnen gefallen, nicht denen in der anderen Echokammer. Das heißt: Was die Demokratie eigentlich stärken, uns Fakten und den Dialog näher bringen sollte, beginnt nun genau diese Ideale zu unterwandern. Das ist sehr komplex. Denn der Feind steht nicht irgendwo anders, der Feind sind wir selbst."