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Leben auf Lampedusa
Das Leid der Flüchtlinge und das Leid der Bewohner

Etwa 5000 Menschen leben auf Lampedusa - plus 800 Flüchtlinge. Oft legen Boote mit lebenden oder toten Migranten an. Bei den Bewohnern steigt die Wut wegen der Toten, der Zustände im Flüchtlingslager und der vielen Negativschlagzeilen, die Touristen abhalten.

Von Karl Hoffmann | 19.02.2015
    Flüchtlinge auf der Insel Lampedusa warten darauf, mit einer Fähre nach Sizilien gebracht zu werden.
    Flüchtlinge auf der Insel Lampedusa warten darauf, mit einer Fähre nach Sizilien gebracht zu werden. (AFP / Alberto Pizolli)
    Lampedusa ist brüsk aus seinem Winterschlaf erwacht, seitdem vor der kleinen Insel zwischen Europa und Afrika mehr als zwei Dutzend Flüchtlingsboote auftauchten. Ungewöhnlich viele für diese Jahreszeit. Inzwischen landen täglich Militärmaschinen auf der Insel, um Hunderte von Menschen aufs Festland zu bringen, Lebende und Tote. Ein wahres Trauma für die Bewohner Lampedusas, sagt die Sozialarbeiterin Marta Bernardini
    "Als die Toten letzte Woche hier ankamen, herrschte hier auf der Insel wieder einmal eine Atmosphäre stiller Trauer. So als fehlten den Inselbewohnern inzwischen die Worte für all das Leid."
    Eilig brachte man die Toten weg, nach Sizilien. Gleich darauf kam der große Ansturm. Seit Anfang der Woche mussten 2700 Menschen von Schlauchbooten gerettet werden, gut die Hälfte wurde in Lampedusa an Land gebracht, weil es an geeigneten Rettungsschiffen fehlt. Seit die Seenotrettungs- Aktion "Mare Nostrum" aus Kostengründen eingestellt wurde, sind nur noch wenige Marineeinheiten zum Schutz der Küstengewässer unter dem Namen Triton im Einsatz. Giusi Nicolini, die Bürgermeisterin von Lampedusa, ist darüber entsetzt:
    "Die Aktion Triton ist völlig sinnlos. Man begreift gar nicht, vor wem sie uns eigentlich schützen soll. Das Drama im Mittelmeer, das wir nun schon fast 20 Jahren miterleben, ist rein humanitärer Natur. Menschen müssen gerettet werden. Triton, das ist rausgeschmissenes Geld. Da kann einem die Wut hochkommen."
    Angst vor islamischen Terroristen
    Wut über die Toten, Wut über die Zustände im Flüchtlingslager, Wut über die Negativschlagzeilen, die den Ruf der Insel wieder einmal zu ruinieren drohen. Zur Angst vor einer neuen Invasion von Flüchtlingen und der immer näher rückenden Gefahr vor islamistischen Terroristen jenseits des schmalen Meeresgebietes geselle sich die Sorge um die wirtschaftliche Zukunft der 5000 Inselbewohner, sagt Paola la Rosa, Besitzerin einer Ferienpension.
    "Wir liegen ja nicht nur an der europäischen Außengrenze, sondern sind auch ein regelrechter Vorposten. Natürlich verstärkt das die Ängste vor dem, was noch passieren könnte. Und die finanziellen Auswirkungen auf die Insel. Wieder einmal wird da ein Bild von Lampedusa verbreitet, das falsch ist und das schlimme Folgen für den Tourismus haben könnte."
    Derzeit spazieren nur Jugendliche aus Afrika durch das kleine Städtchen. Tagsüber dürfen sie das völlig überfüllte Lager verlassen, dadurch vermeidet man Streit unter den allzu vielen Menschen. 800 Flüchtlinge leben derzeit im Lager, in dem eigentlich nur 380 Platz haben. Viele sind Minderjährige ohne Begleitung. Abdomasi und Omar kamen aus Somalia über Libyen.
    "Ich war in Libyen zwei Monate lang eingesperrt, bevor ich endlich nach Italien fliehen konnte. In Libyen ist es schlimm, die Bevölkerung lebt im Terror, überall wird gekämpft und geschossen."
    "Jeden Tag Dutzende Tote"
    Sie seien in Libyen vom Regen in die Traufe gekommen, sagen die beiden jungen Somalier: "Bei uns in Somalia ist es genauso schlimm. Da herrscht der gleiche Krieg, Genauso wie in Libyen. Es gibt Kämpfe, Tag und Nacht. Jeden Tag Dutzende Tote."
    2000 Dollar haben die Jungen den Schlepperbanden bezahlen müssen, um ihr Leben bis nach Europa zu retten. Wohin wollen sie von Lampedusa? "Ich muss zu meinem Bruder, der lebt in Deutschland. Ja, ich muss unbedingt nach Deutschland ich muss zu meinem Bruder."
    Noch weiß Omar nicht, wann es weitergeht von Lampedusa und wohin. Aber irgendwie wird er sich schon durchschlagen nach Norden, sagt er. Die Bewohner der Insel wollen ausharren und hoffen, dass es zumindest keinen Krieg vor ihrer Haustür gibt.