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Legendäre Flucht vor 265 Jahren
Wie Casanova den Bleikammern entkam

Giacomo Casanova bleibt der Inbegriff eines Verführers und Frauenhelden. Weniger bekannt ist der Venezianer als Schriftsteller, Mathematiker und Kabbalist. Zur Legende Casanovas trug die Geschichte seiner Flucht aus den Bleikammern von Venedig am 31. Oktober 1756 bei.

Von Maike Albath | 31.10.2021
    Ein Holzstich aus dem 19. Jahrhundert zeigt einen Mann auf dem Boden im Dunkel eines Verlieses kauernd
    Casanova bereitet seine Flucht aus den Bleikammern von Venedig vor - Holzstich aus dem 19. Jahrhundert (picture alliance / akg-images)
    "Ohne zu zögern und ohne ein Wort an den Mann mit dem Schlüsselbund zu richten, ging ich die Treppe so schnell wie möglich hinab, hinter mir der Mönch. Nicht eben langsam, doch auch ohne zu laufen, nahm ich die prächtige sogenannte Riesentreppe."
    Es ist geglückt. In der Nacht vom 31. Oktober zum 1. November 1756 war Giacomo Casanova gemeinsam mit seinem Zellengenossen Pater Balbi seinem Gefängnis entkommen. Nun spaziert der notorische Frauenheld einfach so aus dem Dogenpalast hinaus, wo er fünfzehn Monate lang gefangen gehalten worden war. Niemand hält ihn auf, was an seiner eleganten Kleidung liegt: Im Taftmantel, mit Spitzenhemd, weißen Strümpfen und edelsteinverzierten Schuhen wirkt er wie ein Besucher. Casanova tritt auf den Markusplatz und ist wieder frei. Aber was hatte er verbrochen?

    Casanovas Markenzeichen: Verwegenheit

    "Nachdem ich mein Studium abgeschlossen, nachdem ich in Rom den geistlichen Stand verlassen, den militärischen angenommen und in Korfu wieder aufgegeben hatte, nachdem ich den Advokatenberuf ergriffen und aus Abscheu wieder fallen gelassen, nachdem ich mein ganzes Italien, beide Griechenländer, Kleinasien, Konstantinopel und die schönsten Städte Frankreichs und Deutschlands gesehen hatte, kehrte ich im Jahre 1753 in meine Vaterstadt zurück, einigermaßen gebildet, voller Selbstvertrauen, leichtsinnig, vergnügungssüchtig, jeder Voraussicht abhold."
    Am 27. Juni 2020 wurden auf dem Markusplatz in Venedig, Italien, die ersten Schirme aufgespannt, die den Platz vor dem Lokal abdecken werden, das vergrößert wurde, um die sichere Anordnung der Tische gemäß den Sicherheitsvorschriften zum Coronavirus zu ermöglichen. Die ersten Decken wurden vor dem Caffè Florian aufgestellt.
    Caffè Florian in Venedig - Wo Casanova seinen Kaffee schlürfte
    Im 18. Jahrhundert gierte Europa nach einer Modedroge: Kaffee. Hauptumschlagplatz war Venedig. Am 29. Dezember 1720 eröffnete Floriano Francesconi das erste Kaffeehaus Italiens auf dem Markusplatz. Bis heute ist das Caffè Florian eine Institution.
    Mit diesem ironischen Selbstporträt beginnt Girolamo Giacomo Casanova, 1725 als Sohn eines Schauspielerpaares in Venedig geboren, die Schilderung seines spektakulären Ausbruchs, die er 1788 unter dem Titel "Meine Flucht aus den Bleikammern von Venedig" in französischer Sprache anonym herausbringt. Seine herausragende Eigenschaft war Verwegenheit.
    "Ich machte mich über alles lustig, was mir töricht erschien, Heiliges und Weltliches, spielte mit hohen Einsätzen, unterschied nicht Nacht und Tag und achtete nur die Ehre, die ich ständig im Munde führte."

    Den Grund für seine Festnahme erfährt Casanova nie

    Zwei Jahre lang ging Giacomo Casanova unbehelligt seinen Vergnügungen nach. Aber am 26. Juli 1755 steht der Messer grande, der oberste Büttel von Venedig, in seinem Schlafzimmer und nimmt ihn fest. Wie es den damaligen Gepflogenheiten entsprach, erfährt er weder den Grund für seine Festnahme noch das Strafmaß. Seine Libertinage, die auch galante Begegnungen mit verheirateten Frauen umfasste, mag ebenso der Anlass gewesen sein wie sein Freimaurertum. Er wird eingesperrt.
    "Die Zellen befinden sich auf dem sogenannten Speicher des großen Palastes; das Dach, das nicht mit Schiefertafeln oder Ziegeln, sondern mit drei Fuß großen, ein zwölftel Zoll starken quadratischen Bleiplatten gedeckt ist, gibt diesem Gefängnis den Namen Bleikammern."
    Der junge Mann fügt sich den Umständen. Aus einer Eisenstange schleift er zur Zerstreuung eine Pike und beginnt, nachts ein Loch in den Fußboden unter seinem Bett zu bohren. Mit einem Leintuch will er sich hinablassen. Nach einigen Monaten ist alles bereit.
    "Genau zur Mittagsstunde hörte ich das Knirschen der Riegel; ich meinte zu sterben. Der Wärter Lorenzo teilte mir mit freudiger Stimme mit: Ich komme, mein Herr, um Euch eine gute Nachricht zu bringen, zu der ich Euch beglückwünsche. Ihr zieht von dieser scheußlichen Zelle um in eine andere, helle, ganz neue!"

    Casanova wird begnadigt - und erneut verfolgt

    Auch nach der Verlegung gibt er nicht auf. Am 31. Oktober ist es dann so weit. Mithilfe seiner Pike entkommt er über das Dach, steigt gemeinsam mit Pater Balbi von oben in den Palast ein und verlässt ihn durch das Tor.
    "Dann betrachtete ich hinter mir den schönen Kanal, auf dem kein einziges Schiff zu sehen war und dachte gleichzeitig an die grauenhafte Nacht, die ich hinter mir hatte, an den Ort, wo ich noch gestern gewesen war, und an all die Zufälle, die sich zu meinen Gunsten ausgewirkt hatten. Ein Hochgefühl ergriff meine Seele."
    Giacomo Casanova liegt in einer Dachkammer mit einer Geliebten im Bett.
    Neues Multimedia-Museum in Venedig - Zeitreise mit Casanova
    Das Casanova-Museum in Venedig setzt ganz auf virtuelle Realität. Der Besucher soll sich selbst als Abenteurer und Freigeist im 18. Jahrhundert erfahren. Doch die verschiedenen Rollen, die Casanova gespielt hatte, werden nicht vertieft.
    Aber Casanova tingelte rastlos durch Europa. Erst 1774* wurde er begnadigt, um neun Jahre später wegen eines Schlüsselromans erneut in Ungnade zu fallen. Er ließ sich im böhmischen Dux nieder, veröffentlichte die Geschichte seiner Flucht und arbeitete bis zu seinem Tod 1798 an seinen Memoiren. Dass Giacomo Casanova den Bleikammern entkam, blieb sein größtes Abenteuer.
    *An dieser Stelle haben wir die Jahreszahl korrigiert: 1774 anstelle zuvor fälschlicherweise 1744.