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Leipziger Begegnungsfest
Fußball als Erinnerung an jüdischen Klub

4:1 - so schlicht liest sich das Ergebnis des Testspiels Chemie Leipzig - Betar Nordia Jerusalem. Hinter dem Spiel und einem ganzen internationalen Turnier steht vor allem eine Idee: die Erinnerung an den jüdischen Sportverein Bar Kochba aufrechtzuerhalten und gegen Antisemitismus zu kämpfen.

Von Jennifer Stange | 03.07.2021
Die Spieler beider Mannschaften haben sich durcheinander gemischt für ein Foto nach dem Spiel aufgestellt.
Das gemeinsame Mannschaftsfoto von Chemie Leipzig und Betar Nordia Jerusalem (Jan Kaefer/IMAGO / Beautiful Sports)
"Also es ist mir eine besondere Freude mit meinem Team hier zu sein. Einfach weil wir ein internationales Spiel der Extraklasse erleben", sagt Christoph David Schumacher.
Beim 7. Internationalen und interkulturellen Fußballbegegnungsfest ist sie einer der Höhepunkte, die freundschaftliche Partie zwischen den Fussballmannschaften der BSG Chemie Leipzig und Betar Nordia Jerusalem im Alfred-Kunze Sportpark.
Schumacher ist nicht nur Fussballfan, sondern auch Geschäftsführer des Familienzentrums Tüpfelhausen. Das hat knapp dreißig Junioren-Mannschaften aus Armenien, der Ukraine, Israel, der Tschechischen Republik und Deutschland eingeladen, die am Sonntag gegeneinander antreten. Das Fest will aber auch erinnern an den ehemaligen jüdischen Fußballclub Bar Kochba Leipzig. Schumacher sagt:
"Wir wollen nie vergessen, aber immer mutig nach vorne schauen. Und wir wollen mit den Jugendlichen gemeinsam gegen Antisemitismus und alle Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit zivilgesellschaftlich agieren."
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Der SK Bar Kochba Leipzig gründete sich kurz nach dem 1. Weltkrieg und existierte bis zu seiner Auflösung 1938 durch die Nazis. Durch das Fußballbegegnungsfest wurde der Israeli Yuval Rubovitch überhaupt erst auf den ehemaligen jüdischen Sportverein aufmerksam. Das war 2015, da ist er Student in Halle.

Die Idee des "Muskeljuden"

Heute lebt er in Leipzig und hat unter anderem über die Geschichte vom SK Bar Kochba promoviert. Rubovitch erklärt: "Bar Kochba, das war kurz gesagt ein jüdischer Held des Altertums. Er war Aufständiger gegen die römische Herrschaft vor fast 2.000 Jahren."
Simon bar Kochba führt von 132 bis 135 nach Christus einen Aufstand gegen den römischen Kaiser. Obwohl der Rebell im Gefecht ums Leben kommt, gilt er von da an als Held jüdischen Widerstandes gegen Unterdrückung. Ähnlich wie der berühmtere Maccabi, der bis heute Namenspatron vieler jüdischer Sportvereine ist.
"Die beiden galten einfach als Figuren, die sollten ein Vorbild sein für die jüdische Jugend. Die galt damals als sehr schwach, sehr schutzlos dem Antisemitismus ausgeliefert", sagt Rubovisch.
Mit der zionistischen Bewegung, also der Bewegung für einen eigenen jüdischen Staat, wächst in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts das Bewusstsein von Jüdinnen und Juden, sich gegen Antisemitismus wehren zu müssen. Und damit auch der Wille, sich dafür fit zu machen. Max Nordau, Arzt und Pionier des Zionismus, beschwört 1900 in der "Jüdischen Turn- und Sportzeitung" den "Muskeljuden". Rund 20 Jahre später gründen sich neben Bar Kochba etliche jüdische, meist zionistische Sportvereine. Sie folgen der Idee des Muskeljuden und nehmen mythische Heldenfiguren in ihre Vereinsnamen auf.

"Eine Idee des Selbstschutzes"

Rubovitch sagt: "Das war vor allem eine Idee des Selbstschutzes. Boxen war auch sehr zentral. Ich habe von einem Nachfahren eines Boxers von Bar Kochba Leipzig auch eine Geschichte gehört: diese Boxer haben 1933, 34 auch jüdische Mädchen, jüdische Frauen geschützt vor Anfeindungen von SA-Männern und so weiter."
Ob Frauen bei Bar Kochba Leipzig selbst am Boxtraining teilgenommen haben, konnte Rubovitch bisher nicht herausfinden. Keine Überraschung: Teil des programmatischen Vernichtungswahns im nationalsozialistischen Deutschland war auch die Auslöschung jüdischer Vergangenheit. Bei der Rekonstruktion der Vereinsgeschichte ist Rubovitsch auf wenige Erwähnungen in den Archiven, Zeitungsartikel und mündliche Überlieferungen angewiesen:
"Es gab zum Beispiel damals eine Frauenfussballmannschaft, was es damals in Deutschland nicht gab."
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Weitere Sportarten bei Bar Kochba Leipzig waren Leichtathletik, Schwimmen, Tischtennis, Feldhandball und Wintersport. Mit zunehmender Repression und Ausgrenzung von Jüdinnen und Juden wächst die Mitgliederzahl 1935 auf 1600. Auch Kulturarbeit und politische Bildung gewinnen mit zunehmendem Antisemitismus an Bedeutung. Rubovitch sagt:
"Dieses "Wir" war sehr zentral im Verein, weil die Jüdinnen und Juden haben nicht nur Sport getrieben, sondern sie hatten auch Hebräischunterricht, Geschichtsunterricht und Geografie-Unterricht über das Land Israel, oder Palästina damals und das war Pflicht."

"Sportler kamen nicht allein"

Ziel war es, die "jüdische Jugend zu arbeitenden, produktiven, jüdischen Menschen" zu machen, damit sie "die jüdische Gesellschaft in Erez Israel mit aufbauen", so schrieb es der in Krakau geborene Ludwig Lehrfreund 1934. Damals Vorsitzender von Bar Kochba Leipzig, später Chef des Maccabi-Weltverbands.
Er hatte mehr Glück als beispielsweise Fritz Egon Rotter. Rotter ist Torwart und Mitglied des VfB Leipzig, bis er 1933 zum Austritt gezwungen wird. Er wechselt zum SK Bar Kochba. 1941 wird er im KZ Groß-Rosen ermordet. Da existiert der Verein schon nicht mehr, die Nazis lösen ihn 1938 auf. In den letzten Jahren des Vereins werden Spenden und das verbliebene Vereinsvermögen in die Emigration investiert. Rubovitch sagt:
"Die Rettungsaktivitäten waren sehr zentral damals. Die Jugend wurde umgeschult zu Industrie zu Landwirtschaft und so weiter um einfach auf das Leben in Israel und Palästina vorbereitet zu werden."
Viele dieser Jugendlichen und Kinder waren sicher nicht bereit, allein in einem fremden Land aufzuwachsen, das sie selbst erst aufbauen mussten, während ihre Verwandten in Europa von Nazis ermordet wurden. Glück im Unglück für Mitglieder von Sportvereinen wie SK Bar Kochba war, dass sie oft nicht allein, sondern zusammen verschickt wurden, und zusammen in Kibbuzen, also Kollektiven aufwuchsen.
"Wenn man in Maccabi oder Bar Kochba war, kam man nicht allein, man hatte wirklich seinen Gruppenbezug man musste seinen Weg nicht alleine finden", sagt Rubovitch.

Betar Nordia spiegelt Konflikte in Israel

Gespielt wurde beim SK Bar Kochba Leipzig in blau-weiß. Ihre Nachkommen und Erben stehen heute für Betar Nordia Jerusalem im Alfred Kunze Sportpark auf dem Platz in gelb schwarz. Leider sagt Dror Attias, einer der Teambetreuer:
"Wir hatten eigentlich vor die erste Hälfte in Bar Kochba-Trikots zu spielen, aber wir haben die nicht mehr rechtzeitig bekommen."
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Betar Nordia Jeruslem ist ein junger Verein, dessen Gründung 2013 Konflikte in der gegenwärtigen israelischen Gesellschaft widerspiegelt, erzählt Attias.
"Betar Nordia Jerusalem ist ein Fussballclub, der als Zeichen gegen Rassismus und Gewalt gegründet wurde."
Der Verein wurde von ehemaligen Fans von Beitar Jerusalem gegründet. Aus Protest gegen massive rassistische Anfeindungen muslimischer Spieler durch rechte Fans.
So haben sich die Mitglieder von Bar Kochba Leipzig ihre neue Heimat wohl nicht vorgestellt. In Leipzig wo vor rund neunzig Jahren einer der größten jüdischen Vereine Deutschlands angesiedelt war, gibt es bis heute keinen jüdischen Sportverein, doch die jüdische Gemeinde wächst, sagt Christoph Schumacher vom Familienzentrum Tüpfelhausen.