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Leiter der Gedenkstätte Buchenwald
"Rechtes Denken wird wieder revitalisiert"

Parteien wie die AfD machten antidemokratisches Denken wieder gesellschaftsfähig, sagte Volkhard Knigge, Leiter der Gedenkstätte Buchenwald, im Dlf. Dies werde als Heilmittel für die Zukunft angepriesen. Beunruhigend sei, dass es nicht nur Verleugnung, sondern auch Zustimmung zum Nationalsozialismus gebe.

Volkhard Knigge im Gespräch mit Jörg Münchenberg |
In der neuen Dauerausstellung "Buchenwald. Ausgrenzung und Gewalt 1937 bis 1945" steht der Direktor der Stiftung Buchenwald und Mittelbau-Dora, Volkhard Knigge, am 13.04.2016 in Buchenwald bei Weimar (Thüringen) vor einer Vitrine mit Häftlingskleidung. Besucher der KZ-Gedenkstätte Buchenwald können vom 17. April anhand von Fotos, Dokumenten, Alltagsgegenständen und Multimedia-Beiträge über das Leben der Häftlinge informieren. Die Ausstellung kostet nach früheren Angaben der Gedenkstätte zwischen drei und vier Millionen Euro, die sich Bund und das Land teilen.
Der Direktor der Stiftung Buchenwald und Mittelbau-Dora, Volkhard Knigge, vor einer Vitrine mit Häftlingskleidung (dpa)
Mit einer Gedenkstunde in Auschwitz wird heute der Befreiung des Vernichtungslagers vor 75 Jahren gedacht. Rund 200 Holocaust-Überlebende werden an der Veranstaltung teilnehmen, aber auch 50 Staats- und Regierungschefs – darunter auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Israels Präsident Reuven Rivlin.
Volkhard Knigge, Leiter der Gedenkstätte Buchenwald, sprach im Interview über Erinnerungskultur, Phänomene der Verrohrung und die Auswirkungen des Aufkommens von Parteien wie der AfD.
"Damit Gesellschaften ihren humanen Atem nicht verlieren"
Jörg Münchenberg: Herr Knigge, wie wichtig sind solche Gedenkveranstaltungen wie jetzt die 75 Jahre Befreiung von Auschwitz?
Knigge: Sie sind elementar wichtig für eine mitmenschliche Zukunft - eine mitmenschliche Zukunft, die auch politisch und gesellschaftlich gewollt und vorangebracht wird. Wir orientieren uns an diesen Gedenktagen nicht, weil wir uns beschämen wollen, weil wir Asche auf unser Haupt streuen, sondern weil wir Verantwortung für Verbrechen in unserer Geschichte in der Vergangenheit übernehmen, aber um daraus zu lernen und zu begreifen, was man besser nicht tut, heute und morgen, damit Gesellschaften ihren humanen Atem nicht verlieren. Wir arbeiten dem Leben und den Menschen zur Liebe. Das ist ganz, ganz wichtig.
"Wir brauchen die ganz lebendige historische Erinnerungskultur"
Münchenberg: Nun sind 75 Jahre natürlich eine runde Zahl. Es gab jetzt zahlreiche Veranstaltungen wie letzte Woche auch in Yad Vashem. Manche Beobachter befürchten doch eine gewisse Ritualisierung von solchen Gedenkveranstaltungen. Wie kann man so etwas verhindern?
Knigge: Auf der einen Seite brauchen wir diese Rituale. Es sind ja Bekenntnisse des Staates, der Gesellschaft dazu, wie sie sich ihre Geschichts- und ihre politische Kultur heute und in Zukunft vorstellen. Es sind normative Zeichen. Auch Gedenkstätten sind in diesem Sinne Denkmale.
Aber dann brauchen wir die ganz lebendige historische Erinnerungskultur, das lebendige kritische, auch immer wieder selbstkritische, gegenwartsbezogene Geschichtsbewusstsein, dass aus dieser Vergangenheit die richtigen Funken für vernünftiges, zum Beispiel antirassistisches, antivölkisches, antidemokratisches Handeln in der Gegenwart schlägt. Wir brauchen beides: Wir brauchen die Zeichen und wir brauchen dieses lebendige Tun im Alltag.
Holocaust-Gedenktag - Das Wort haben bald die Kinder und Enkel Wie kann man der Opfer der NS-Verbrechen gedenken, wenn immer weniger Zeitzeugen davon berichten können? "Sie werden uns auf jeden Fall fehlen", sagt Jo Frank vom ELES Studienwerk. Doch das Ende der Zeugenschaft sei nicht das Ende des Bezeugens.
"Es braucht immer wieder diesen Gegenwartsbezug"
Münchenberg: Was heißt das konkret, lebendiges Tun im Alltag?
Knigge: Das heißt zum Beispiel für die Gedenkstätten, dass junge Leute gerade zu uns kommen mit der Frage, wie konnte das geschehen. Natürlich moralisieren wir die nicht voll. Natürlich sagen wir denen nicht nur, seid nett zueinander, sondern wir gehen auf diese Fragen ein. Wie konnte es geschehen? Mit welchen Mitteln der Politik, der Gesellschaftspolitik, der Kultur, des Rechts ist Menschenfeindlichkeit tatsächlich auch produziert und erzeugt worden? Wer wollte das? Junge Leute wissen, Opfer und Täter fallen nicht vom Himmel. Man kann Menschen in die eine oder in die andere Richtung hinein prägen, und das ist lebendiges, forensisches, detektivisches, könnte man beinahe sagen, Lernen für besseres Leben und das macht man mit Akteuren der Zivilgesellschaft, der Kultur. Man geht damit auch in die Gesellschaft und es braucht immer wieder diesen Gegenwartsbezug und dieses, wie fern ist uns die Geschichte, was machen wir heute besser und anders, und wie nah ist uns noch vieles und was könnte wieder geschehen. Dann bleibt es lebendig und kreatives Tun für gutes Leben.
Überlebende setzten dem Hass ihre Freundschaft entgegen
Münchenberg: Herr Knigge, die Zeitzeugen werden ja auch immer weniger. Irgendwann werden sie gar nicht mehr da sein. Was heißt das wiederum für die Erinnerungskultur?
Knigge: Das heißt auf der einen Seite, wir verlieren sehr, sehr gute Freunde. Für mich war immer das große Geschenk der Überlebenden, dass sie dem alten Hass, der ihnen entgegengeschlagen ist, ihre Freundschaft entgegengesetzt haben – jedenfalls gegenüber den Menschen, die die Schuld damals und die Verantwortung heute ernst genommen haben. Diese Freundschaft ist was Unglaubliches.
Auf der anderen Seite verlieren wir ganz wichtige Instanzen, Veto-Instanzen der Einrede in Politik und Gesellschaft, wenn das historische Erinnern schiefzulaufen droht, wenn geleugnet wird, wenn falsche Vergleiche angestellt werden, wenn beschönigt und beschwichtigt wird. Überlebende sind da doch immer sehr deutlich gehört worden.
Auf der anderen Seite muss man immer wieder sagen: Wir machen weiter! – Wir machen weiter. Es gibt die Dokumente, es gibt die historischen Orte, es gibt die Fotos, es gibt die Berichte der Zeugen. All das ist da und damit können wir uns und damit wollen und werden wir uns in Zukunft weiter auseinandersetzen und dieses Gedächtnis wach halten. – Abschied ja, aber Weitermachen eben auch.
Besucher, die sich komplett respektlos an diesen Orten verhalten
Münchenberg: Herr Knigge, Sie selbst erleben ja zahlreiche Besuchergruppen in Buchenwald. Wie sind da Ihre Erfahrungen? Was hat sich da in den letzten Jahren vielleicht auch verschoben?
Knigge: Fangen wir mit dem Tollen an. Es gibt ein gestiegenes gesellschaftliches Bewusstsein für die Wichtigkeit unserer Arbeit. Das hängt mit dem Aufkommen von Parteien wie der AfD zusammen. Das hängt damit zusammen, dass Normträger in dieser Gesellschaft – dazu gehören ja auch Bundestags- oder Landtagsabgeordnete – das völkische Denken, den Nationalismus, das antidemokratische Denken, den Hass gesellschaftsfähig machen, und dagegen stehen sehr viele auf. Das sind diese wunderbaren "dennoch und jetzt erst recht"-Besuche.
Auf der anderen Seite merken wir natürlich, dass vor diesem Hintergrund Normträger in der Gesellschaft Unmenschlichkeit predigen, merken wir, dass sich die Grenzen verschieben. Rechtes Sprechen, auch rechtes Denken, antidemokratisches Denken, wie es schon zwischen dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland zu sehen war, wird wieder revitalisiert, wird als Heilmittel für die Zukunft angepriesen. Insofern beunruhigt uns, dass es auch Zustimmung zum Nationalsozialismus gibt, nicht nur Verleugnung, sondern Zustimmung - das war eine tolle Sache, das brauchen wir heute wieder -, und es beunruhigen uns, die Phänomene der Verrohung, die wir auch in Gedenkstätten merken, wenn Besucher sich komplett respektlos an diesen Orten verhalten. Gott sei Dank ist das, so qualitativ schrecklich es ist, wenn man dieser Verrohung sich konfrontiert sieht, immer noch die Minderheit. Die anderen sind so wichtig, diese "dennoch und jetzt erst recht"-Haltung zeigenden Menschen – nicht nur als Gedenkstätten-Besucher, sondern in der Gesellschaft überhaupt.
"Die AfD hat diese völkisch-antisemitisch-rassistischen Positionen"
Münchenberg: Herr Knigge, es gibt derzeit auch eine innenpolitische Debatte über die Rolle der AfD im Zusammenhang mit einem wachsenden Antisemitismus in Deutschland. Sie gehen auch soweit und sagen, die AfD trägt da eine Mitverantwortung? Es gibt ja den Ausspruch von Björn Höcke, der selbst eine 180-Grad-Wende in der Erinnerungskultur gefordert hat, oder die Fliegenschiss-Äußerungen von AfD-Chef Alexander Gauland. Da würden Sie auch sagen, das hat Nährboden bereitet?
Knigge: Das hat Nährboden bereitet und so haben wir es auch, als Herr Brandner ein Gespräch mit uns haben wollte, Herrn Brandner gesagt. Ich bin ja noch im Thüringer Landtag und die AfD hat mich schon - jetzt hätte ich beinahe gesagt, angerüpelt - dass wir den Überlebenden nicht zuhören, weil wir die AfD - der wir ja die Kranzniederlegung in Buchenwald an einem Tag wie heute untersagen - hassen, und die Überlebenden sagen doch, dass wir Hass in Freundschaft verwandeln sollen. Wir sind keine Freunde der AfD, das wird uns vorgeworfen.
Nein, die AfD hat diese völkisch-antisemitisch-rassistischen Positionen. Herr Höcke drückt sie offen in seinem neuen Buch aus. Jongen, der Chefideologe, hat in der Bundestagsdebatte zu "Jugend erinnert", diesem wunderbaren neuen intensivierungspädagogischen Programm - finanzielle Förderung dafür von Frau Grütters -, sehr deutlich gesagt, diese Erinnerungskultur ist dafür gemacht, die deutsche Jugend zu schwächen, ihr einzuimpfen, dass sie aus einem verbrecherischen Volk stammt, um damit dann ihren Existenzwillen zu schwächen und damit der Umvolkung entgegenzuarbeiten. Das ist doch wirklich nicht nur verrückt; das ist bösartig und das ist gefährlich.
Und noch einmal: Es sind Normträger. Bundestagsabgeordnete, Landtagsabgeordnete, Kommunalpolitiker der AfD gehören zu den Normträgern und junge Leute hören da auch erst mal hin. Aber sie hören dann hoffentlich auch sehr schnell, wie viel Hass und wie viel tendenziell Unmenschliches, das sich daraus entwickeln kann, in diesen Denkweisen steckt. Und genau das kann man ja aus der Geschichte lernen und deswegen wird ja unsere Erinnerungskultur auch von der AfD diffamiert und die 180-Grad-Wende gefordert, damit wir diese scharfe Brille historischer Erfahrung, was steckt in diesem Denken drin, dass wir uns diese scharfe Brille historischer Erfahrung von den Augen nehmen und dann den Rattenfängern wieder hinterherlaufen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.