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Leon Bridges
Retro und doch ganz vorne

Eingeweihte schwärmen entweder von seinem Auftritt beim South-by-South-West-Festival in Texas oder sie bedauern, ihn verpasst zu haben. Obwohl der Newcomer Leon Bridges alten Soul spielt, hat er einen Hype entfacht. Oder gerade deswegen? Nun ist das Debütalbum von Leon Bridges erschienen: "Coming Home".

Von Bernd Lechler | 20.06.2015
    Retro und doch ganz vorne. Der Soulkünstler Leon Bridges Anfang 2015 in New York.
    Der Soulkünstler Leon Bridges Anfang 2015 in New York. (picture alliance /dpa /Justin Lane)
    Man kann Mutter Bridges verstehen, ihre Reaktion, als Leon ihr seine neuen Songs zeigte.
    "Du klingst ja wie ein alter Mann!', hat sie gesagt. Und du ziehst dich an wie dein eigener Großvater."
    Es passt fast zu perfekt: dieser Soulsound mit Sixties-Patina, der Sam-Cooke-Schmelz in der Stimme, die Schwarz-Weiß-Fotos im Netz: Leon auf hölzerner Veranda, Leon vor Bahngleisen - und eben die Vintage-Anzüge, Krawatte vielleicht, gute Schuhe, das Oberlippenbärtchen. Das sei kein Marketing-Gimmick, betont er.
    "Natürlich bin ich nicht mit diesem Look auf die Welt gekommen, aber irgendwie ging das Hand in Hand mit diesen Songs, die ich zu schreiben anfing. Vintage-Klamotten faszinieren mich - und man wird mich so nicht nur auf der Bühne sehen, sondern auch im Waschsalon oder im Supermarkt. Ich schalte das nicht ab."
    Zuerst verlegte er sich aufs Tanzen
    Als Kid in Fort Worth, Texas, hat er noch den üblichen Charts-R&B gehört: Usher, Ginuwine, aber als er die dann nachsang, schien das nicht recht zu passen. Am College verlegte er sich zuerst aufs Tanzen: Ballett, Modern Dance, Hiphop - das liebt er immer noch:
    "Es ist toll, den Raum um dich herum zu nutzen. Die Möglichkeiten, die Bewegungen sind grenzenlos. Ich fang manchmal beim Einkaufen in der Schlange einfach an zu tanzen. Dann gucken die Leute. Es macht Spaß und geht überall."
    Einer der Songs, die er nebenher schrieb, wurde zum Wendepunkt - ein Song über seine Mutter.
    "Ein Freund fragte mich, ob Sam Cooke mich da inspiriert hätte. Mir war peinlich, dass ich von dem nur den Namen kannte. Also stöberte ich durch YouTube und Pandora, hörte mir Sam Cooke an oder die Temptations und merkte: Das ist die Musik, die ich machen will, das ist mein Ding."
    "Mir gefällt die Unschuld. Dass es nicht dauernd um Sex oder Party geht, nimm so was wie ‚It's Growing' von den Temptations. So was schreibt heute keiner mehr. So was ganz Simples über die Liebe. Ich finde viele der heutigen R&B-Hits so kompliziert. Für einen Sam-Cooke-Track sind sie damals einfach mit Bass, Schlagzeug, Klavier und Gitarre ins Studio und haben das aufgenommen, live - das hat eine eigene Schönheit."
    Realisierte Retro-Vision
    Anfangs spielte Leon allein in den Klubs von Fort Worth, dann lernte er Austin Jenkins kennen: Gitarrist der texanischen Indierocker White Denim - und jetzt Förderer und Produzent von Leon Bridges. Jenkins half ihm, seine Retro-Vision zu realisieren: die Songs auszuarbeiten und sie aufzunehmen - ohne Computer, live auf Tape, wie damals bei Sam Cooke.
    "Ich bin in einer Kabine mit den Backing-Sängerinnen, und davor sehen wir die Musiker, mit einem Grinsen im Gesicht. Wenn jemand einen Fehler macht, muss man einen neuen Take aufnehmen. Aber auch das macht Spaß! Viel mehr, als wenn's heißt: ‚Ok, der Gitarrist kommt dann am Donnerstag, und am Freitag der Saxofonist.' Wenn alle zusammen spielen und wenn dann der perfekte Take gelingt - das fühlt sich großartig an."
    Den Soullegenden von früher könne er nicht das Wasser reichen, sagt Leon Bridges bescheiden - fragt sich, warum man seine Songs überhaupt hören soll, so radikal retro wie sie sind, und dabei ohne die autobiografische Dramatik etwa einer Amy Winehouse. Die Antwort liegt in seinem doch eigenwilligen Songwriting, das irgendwie skizzenhaft ist, nicht auf Hits aus - oft haben die Lieder gar keinen Refrain. Hier sucht jemand nach einer ganz bestimmten Essenz, in die er sich verliebt hat. Und man hört ihm beim Finden gerne zu.
    "Ich will, dass es genauso klingt wie in den 50ern oder 60ern. Ich brauch da keinen aktuellen Dreh. Natürlich hab ich meine eigenen Wurzeln, den modernen R&B, und vielleicht scheint das ja irgendwie durch. Aber letztlich geht es nur um: zeitlose Musik."