Freitag, 26. April 2024

Lernrückstände durch Corona
Nach dem Lockdown blieb eine weltweite Bildungslücke

Was hat Corona mit dem Einmaleins zu tun? Eine ganze Menge. Das zeigt eine Analyse von 42 Studien aus 15 Ländern zu den Folgen der Corona-Lockdowns. Denn Lernrückstände gibt es vor allem bei Mathe und anderen naturwissenschaftlichen Fächern.

30.01.2023
Ein leeres Klassenzimmer in dem Stühle auf den Tischen stehen.
Krise für die Bildung: Während der Corona-Lockdowns blieben in vielen Ländern auch die Schulen geschlossen - mit verherenden Auswirkungen für Schüler. (picture alliance / dpa / Sven Hoppe)
Schulen dicht, Unterricht über das Internet: Lernen war schwierig in der Corona-Pandemie. Laut den Vereinten Nationen mussten in 190 Ländern mehr als 1,6 Milliarden Schülerinnen und Schüler zeitweise zu Hause bleiben und konnten nicht in die Schule gehen. Das Resultat ist ein Lernrückstand, weltweit. Er betrifft nicht nur Deutschland, sondern auch viele andere Länder, wie eine nun im Fachblatt "Nature Human Behaviour" erschienene Metaanalyse zeigt. 

Wie groß ist das Lerndefizit durch Corona?

In der von Bastian Betthäuser koordinierten Untersuchung wurde ein Rückstand von rund 35 Prozent des normalen Lernfortschrittes in einem Schuljahr festgestellt. Für die groß angelegte Analyse wurden 42 Studien aus 15 Ländern – darunter auch Deutschland – genauer untersucht. Es handelt sich um eine der umfassendsten Studien zu diesem Thema. Im Mittelpunkt standen kognitive Lerninhalte, der psychosoziale Bereich wurde nicht betrachtet.
Vor allem in den ersten zwei bis drei Monaten der Coronapandemie sei ein "sehr großes Lerndefizit entstanden", erklärt Betthäuser, der an der Pariser Universität Sciences Po forscht. Anschließend hätten sich Schüler, Eltern und Lehrer offenbar an die Lage angepasst, zudem wurden Schulen wieder geöffnet. Doch die bereits entstandene Bildungslücke konnte nicht wieder geschlossen werden, wie die Forschenden nun feststellen.

Wo gibt es besonders große Rückstände?

Bei den Schulfächern gibt es vor allem bei Mathematik eine große Lücke. Weniger stark ist dagegen das Defizit bei Sprachen, wie etwa hierzulande bei Deutsch. Den Grund dafür vermutet Studienleiter Betthäuser darin, dass Eltern ihren Kindern in der Zeit von Homeschooling beim Lesen und Schreiben noch recht gut helfen konnten. „Wenn es um Matheaufgaben geht, ist das für viele Familien schwieriger.“
Doch nicht nur bei den Fächern gab es Unterschiede. Die Studie bestätigt: Auch die soziale Herkunft beeinflusste die Bildungslücke. So habe „sich die Kluft zwischen den wohlhabendsten und den am wenigsten wohlhabenden Familien vertieft“, urteilt die Bildungswissenschaftlerin Cynthia Martínez Garrido von der Autonomen Universität Madrid. Kinder, die zu Hause keinen Zugang zu einem Computer, einem Arbeitsplatz oder dem Internet hatten, seien gegenüber Mitschülern abgehängt worden, die dies zur Verfügung hatten.

Welche Folgen hat die Bildungslücke durch Corona?

Es sei zu befürchten, dass der Rückstand in der Schule auch in den nächsten Klassenstufen nicht aufgeholt werden kann oder das Lernen nicht so weiter läuft wie vor der Pandemie, so Studienleiter Betthäuser. Nun müsse geprüft werden, wie sich „das verpasste Material und die verpassten Fähigkeiten beim Eintritt auf den Arbeitsmarkt auswirken“.
Aufholprogramme – wie sie etwa auch von der Bundesregierung 2021 verabschiedet wurden – müssten also dort ansetzen, wo die größten Lücken sind: bei den naturwissenschaftlichen Fächern, besonders aber auch bei benachteiligten Kindern und Jugendlichen.
Der Ordinarius für Schulpädagogik an der Universität Augsburg, Klaus Zierer, geht zudem davon aus, dass sich eine „Generation Corona“ herausgebildet hat. „Das trifft insbesondere die Jüngsten im System mit einem bildungsfernen Hintergrund aus wirtschaftlich schwachen Ländern“, so Zierer.

Was bedeutet das für die Bildungsgerechtigkeit?

„Die Coronakrise ist auch in der Bildung eine Ungleichheitskrise“, urteilt Bastian Betthäuser von der renommierten Pariser Universität Sciences Po. Das zeige sich nicht nur innerhalb der 15 untersuchten Länder, sondern auch auf globaler Ebene. In den Staaten mit mittlerem Einkommen, zu denen Daten vorliegen, das sind in der Studie Mexiko, Brasilien, Südafrika und Kolumbien, zeigten sich deutlich größere Lerndefizite als in wohlhabenden Ländern. So sei der ermittelte Rückstand hier deutlich größer gewesen - und habe teils bei bis zu 90 Prozent der Lerninhalte eines Schuljahres gelegen. Noch höhere Lerndefizite vermutet Betthäuser in Ländern mit niedrigem Einkommen. Doch gebe es für diese bislang keine oder keine guten Daten.

Wie kann gegen den Lernrückstand vorgegangen werden?

Die Autoren der Meta-Studie machen deutlich, dass jegliche Angebote passgenau seien müssten, um die entstandene Kluft nicht weiter zu vergrößern. Außerdem sei ein Monitoring wichtig, welche Maßnahmen wirklich helfen und welche nicht. Notwendig seien zudem „gut konzipierte, gut ausgestattete und entschlossene politische Initiativen, um Lerndefizite aufzuholen“. Dafür könne reguläres schulisches Lernen ergänzt und erweitert werden.
Eine Möglichkeit wäre das Bereitstellen von Onlineangeboten wie Lern-Apps oder Bildungsplattformen. Außerdem könnten etwa Sommerschulen, die Verlängerung der Schultage oder -wochen sowie Nachhilfeprogramme eingesetzt werden.
Schulpädagogen wie Klaus Zierer verweisen auf die Vorteile von Sommerschulen. Diese hätten bereits gezeigt, „dass sie bei allen Kindern und Jugendlichen positiv wirken“, unterstreicht der Bildungswissenschaftler, “vor allem aber auch bei Lernenden aus bildungsfernen Milieus“.  
In globaler Perspektive sei es notwendig, dass der Lernrückstand durch die Coronapandemie in Ländern mit mittleren und niedrigen Einkommen erforscht werde, sagt Studienautor Betthäuser. So könnten Maßnahmen gezielt eingesetzt und evaluiert werden. Schließlich sei Bildung die Grundlage für wirtschaftlichen Wohlstand, sozialen Zusammenhalt und politische Stabilität.

Quellen: Deutschlandradio, rzr