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Lesbos
"Ich fühle mich wie in einem Gefängnis"

"Niemand erlaubt uns, einen Anwalt zu kontaktieren", sagt einer der Flüchtlinge im "Hotspot" auf Lesbos unserem Reporter. Das Leben ist sehr schwer im Lager, viele fühlen sich wie Gefangene. Und vor der Küste patrouillieren Küstenwache, Frontex und ehrenamtliche Helfer. Es sind verschiedene Welten, die doch verbunden sind.

Von Panajotis Gavrilis | 11.04.2016
    Blick auf das Lager von Moria auf Lesbos.
    Blick auf das Lager von Moria auf Lesbos. (Deutschlandradio - Panajotis Gavrilis)
    Die griechische Küstenwache kontaktiert per Funk die Seenotretter von "Lifeguard Hellas". Auf dem Radar ist ein unbekanntes Boot aufgetaucht, heißt es. Womöglich ein Flüchtlingsboot. Die vier Seenotretter, alle in wasserdichten Schwimmanzügen, suchen mit ihrem gelben, sieben Meter langen Schlauchboot die Gegend ab.
    "Wenn sie mit einem der üblichen Boote unterwegs sind, dann ist es sehr schwierig für sie. Besonders bei so einem Wellengang kommen die Menschen nur mühsam auf die griechische Seite."
    Sagt der Kapitän Dimos, der eigentlich Blumenhändler in Athen ist. Er schaut durch ein Nachtsichtfernglas, das einzige technische Hilfsgerät. Es ist nachts, mit bloßem Auge ist auf dem Wasser nichts zu erkennen. Nur die Lichter der griechischen Insel und die von der türkischen Küste gegenüber schimmern aus der Ferne.
    "Manchmal haben sie kleine Lichter, machen sie aber nicht an. Aus Angst, dass die türkische Küstenwache sie stoppt. Es kann also sein, dass wir nichts sehen, vielleicht machen sie aber doch auf sich aufmerksam."
    Derzeit weniger Flüchtlingsboote
    Beim Fahren spritzt Wasser ins Bootsinnere, der Wind peitscht ins Gesicht. Dimos macht den Motor kurz aus, um Rufe zu hören. Acht Seemeilen von der türkischen Grenze entfernt. Nichts. Nach einer halben Stunde kommt ein Funkspruch eines zweiten Seenotretterteams: Sie haben das gesuchte Flüchtlingsboot gefunden und auf die Insel begleitet.
    Aufatmen und anschließend ein Treffen um 3 Uhr nachts mit dem zweiten Team auf offenem Meer. Es sei ein kleines Flüchtlingsschlauchboot gewesen, berichtet der andere Skipper. 30 bis 40 Menschen seien drin gewesen. Nikos Mavreas von "Lifeguard Hellas" ist seit einem halben Jahr auf Lesbos, hat seinen Job liegen gelassen, um zu helfen.
    "Beim ersten Kontakt mit dem Boot siehst du die Furcht in ihren Augen, weil sie möglicherweise aus einem Kriegsgebiet kommen und nicht wissen, was sie erwartet oder wer wir sind. Ob wir gut oder schlecht sind, ob wir von der Polizei sind, du siehst eine Verunsicherung. Aber es überwiegt immer die Liebe, die du bekommst und zurückgibst."
    Bis vor ein paar Wochen kamen Hunderte am Tag an, im Winter sogar Tausende. Jetzt ist es ruhiger geworden, sagt der Seenotretter. Aber das spielt für den 30-Jährigen und seine Organisation keine Rolle. Sie werden sich weiterhin mit anderen ehrenamtlichen Helfern die Nachtschichten teilen.
    Rettungsboote im Hafen für die Rettung von Flüchtlingen.
    Rettungsboote im Hafen für die Rettung von Flüchtlingen. (Deutschlandradio - Panajotis Gavrilis)
    "Wir wissen nicht, wie lange das anhält. Aber solange Menschen kommen, die ihre Heimat verlassen für ein besseres Leben, solange werden wir helfen so sehr wir können."
    Die griechischen Behörden unterstützen und die Grenzen schützen, das will Jörg Heinen. Er ist für die Bundespolizei im Rahmen der Frontex-Mission auf Lesbos.
    "Auf dem Frontex-Boot ist der griechische Beamte, der sagt: Da ist ein Boot, das greifen wir jetzt auf. Die Frontex-Beamten prüfen dann durch. Das ist ein Prozess, der findet innerhalb von Sekundenbruchteilen statt."
    Der 38-Jährige äußert sich zurückhaltend. Auch über Zahlen darf er nichts sagen. Jörg Heinen wohnt wie viele der Frontex-Mitarbeiter in den umliegenden Hotels am Hafen von Mytilini, die fast alle ausgebucht sind. Man sieht die einzelnen Ländergruppen, wie sie manchmal in Cafés oder Restaurants sitzen. Sie sind Teil des Stadtbildes geworden.
    Lager von Moria hinter Stacheldrahtzaun
    Im Gegensatz dazu liegt nur knapp sechs Kilometer entfernt der sogenannte Hotspot in Moria. Über 3.000 Flüchtlinge leben hinter Stacheldrahtzäunen in Containern.
    Journalisten dürfen nicht hinein, an einem unbewachten Seitenbereich kann ich aber durch den Zaun mit ein paar sprechen. Majd, ein 53-jähriger Syrer aus Aleppo, erzählt, dass es an medizinischer Versorgung fehle und niemand vernünftig von den Behörden informiert werde.
    Ich frage ihn, ob er für sein Asylverfahren einen Anwalt kontaktieren kann:
    "Nein, nein, niemand erlaubt uns, einen Anwalt zu kontaktieren. Das Wichtigste für uns hier ist, wie unsere Zukunft aussieht. Es ist noch nichts entschieden, wohin und wann wir gehen können. Sie schreien uns an: geht raus, geht zurück! Was ist das, frage ich mich. Wir brauchen hier in diesem Camp Hilfe von der Außenwelt. Ich fühle mich wie in einem Gefängnis."
    Eine Seitenstraße beim Lager Moria auf Lesbos.
    Eine Seitenstraße beim Lager Moria auf Lesbos. (Deutschlandradio - Panajotis Gavrilis)
    Häufig sei der Handyempfang schlecht oder sein Restguthaben seiner türkischen Nummer längst aufgebraucht. Die Türkei ein sicheres Land? Majid schüttelt den Kopf.
    "Sie fragen uns hier: Warum wollt ihr nicht in der Türkei bleiben? Wir sagen: Wir kommen aus Syrien, wir haben Krieg. Wir wollen nicht in der Türkei bleiben, weil unsere Menschenrechte dort nicht respektiert werden. Als ich über das Meer gekommen bin, hat einer unsere Taschen ins Meer geworfen. Ich fragte ihn: Warum tust du das? Er zeigte seine Waffe und sagte: Wenn du das nicht akzeptierst, töte ich dich!"
    Majd sagt, die türkische Küstenwache hätte das getan. Von ähnlichen Vorfällen berichtet auch eine Gruppe von jungen Bangladeshi. Auch sie bezeichnen die Zustände im Lager als katastrophal:
    "Es gibt viele Probleme, vor allem mit Wasser. Es ist dreckig, ohne Filter, es ist gesundheitsschädlich für uns. Menschen sind krank, darunter viele Kinder."
    Alle wollen erzählen, ihre Geschichten durch den Zaun nach außen tragen. Der 18-jährige Simul zeigt auf seine Hände:
    "Wir können nicht duschen. Seit 15 Tagen haben wir nicht mehr richtig geduscht, unsere Hände gewaschen oder Zähne geputzt. Die Waschräume sind sehr dreckig. Diese eine Hose hier, die trage ich seit einem Monat."
    Die verzweifelten Menschen in Moria, die Seenotretter, die vielen Schiffe der Küstenwache und von Frontex im Hafen. Alltag. Auf Lesbos scheint alles nebeneinanderher zu existieren und trotzdem miteinander verknüpft zu sein.