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Lettland
"Sobald ein Russe dabei ist, sprechen wir Russisch"

Ein Viertel der lettischen Bevölkerung spricht Russisch als Muttersprache. Die Nationalitäten- und Sprachenfrage ist in der lettischen Politik häufig Anlass für Konflikte. Im Alltag der Menschen klappt die Verständigung spielend.

Von Gesine Dornblüth | 15.01.2020
Drei Fans des Eishockeyvereins Dinamo Riga in rot-weißen Trikots
Drei Fans des Eishockeyvereins "Dinamo Riga" in rot-weißen Trikots (Deutschlandradio/Gesine Dornblüth)
In der Fankurve von "Dinamo Riga" ist mächtig was los. Männer in rot-weißen Trikots schwenken Vereinsfahnen, drei Trommler heizen ein. Ihr Verein hat ein Heimspiel gegen "Metallurg Magnitogorsk" aus Russland. Es ist eine Begegnung der Kontinentalen Hockey-Liga.
"Sarau", das ist Lettisch und heißt "Auf geht’s!". Alle Fangesänge sind hier auf Lettisch.
Dieser Beitrag gehört zur fünfteiligen Reportagereihe Bürger oder Besatzer? Lettland und seine russischsprachige Minderheit
Überall ist Russisch zu hören
"Dinamo Riga" hat die letzten vier Spiele verloren. Das erste Drittel verläuft torlos. In den Pausen versammeln die Zuschauer an Stehtischen auf den Gängen, trinken Bier. Und da ist überall Russisch zu hören.
"Sobald ein Russe dabei ist, sprechen wir automatisch Russisch." Rudite ist Buchhalterin, Lettin und mit einer Kollegin und mit ihrem Freund Viktor da. Der kommt aus Moskau, ein Russe. "Ich bin oft in Riga, deshalb bin auch ich heute für 'Dinamo'." Dann erzählt er von früher:
"Ich habe noch in der Sowjetarmee gedient, von 1982 bis 1984. In meiner Einheit waren auch Letten. Wir haben damals durchaus über politische Fragen diskutiert, über die Besetzung des Baltikums. Aber insgesamt sind wir damals gut miteinander ausgekommen."
Konfliktreiche Geschichte mit Russland
Das sehen viele Letten anders. Sie beklagen, dass die kleineren Völker in der Sowjetunion von den Russen dominiert wurden. Viktor setzt zu einem Vortrag über Geschichte an und ist schnell beim Zweiten Weltkrieg. Und beim Widerstandskampf der Balten gegen die sowjetischen Besatzer, bei den Waldbrüdern:
"Ich spreche mit vielen Leuten, Russen und Letten, und der Zweite Weltkrieg bewegt die Menschen noch immer. Mein Vater ist mit 17 Jahren an die Front gegangen und ich werde die lettischen Waldbrüder niemals mit den sowjetischen Soldaten auf eine Stufe stellen. Niemals."
In Lettland werden die Waldbrüder als Helden gefeiert. Ein ständiger Konfliktpunkt zwischen Russland und den Baltischen Staaten.
Die Frauen unterhalten sich derweil leise auf Lettisch. Ihren Gesichtern ist eine gewisse Skepsis anzusehen. Sie diskutiere mit ihrem Freund nicht über Geschichte, erzählt Rudite:
"Warum sollen wir diese alte Last ständig mit uns herumschleppen? Wir müssen nach vorn schauen. Dass irgendwelche Politiker das wieder und wieder thematisieren, ist unnötig."
"Werden bei Euch Russen umgebracht?"
Im zweiten Drittel machen die Gäste aus Russland Druck. Gefährlich lange ist der Puck vor dem Tor von "Dinamo Riga", doch es bleibt weiter beim 0:0. Im "Dinamo"-Fanblock diskutieren die Männer den Spielverlauf. Indulis Petersons trägt ein Trikot voller Autogramme über seinem stattlichen Bauch. Er ist Rentner und Chef der Fanvereinigung. Auch er wechselt sofort ins Russische und erzählt von seinen Russland-Erfahrungen bei Auswärtsspielen:
"In Nowokusnezk kamen die Fans zu uns und fragten: Werden bei euch Russen umgebracht? Ich habe gesagt: Entschuldige, der da ist Russe, der ist Russe, die sehen doch ganz lebendig aus. Sie meinten auch: Du sprichst aber gut Russisch. Naja klar, ich habe das gelernt."
Das russische Staatsfernsehen berichtet immer wieder von einer angeblichen "Russophie" der Balten. Dimitrijs Kohanovs grinst, er ist halb Russe, halb Lette:
"In Russland wird Stimmung gegen Lettland gemacht. Aber wir leben hier alle friedlich zusammen, in Freundschaft, wie Brüder."
Die Russen spielen Fußball, die Letten Basketball und Eishockey
Allerdings gibt es Bereiche, in denen Letten und Russen eben doch unter sich bleiben. In der Mannschaft von "Dinamo Riga" spielen zwar drei Spieler aus Russland, aber auffällig wenige Letten mit russischen Wurzeln, erzählt Dimitrijs Kohanovs:
"Irgendwie ist das schon seit Sowjetzeiten so, ich weiß auch nicht warum, dass Fußball eher Russischsprachige spielen, Basketball und Eishockey dagegen eher Lettischsprachige."
"Wenn wir zu Länderspielen ins Ausland fahren, dann versuchen die Russen unter uns übrigens dort vor allem Lettisch zu sprechen. Wir sind eben Europäer."
Alles Anfeuern nützt nichts. Im letzten Drittel kassiert "Dinamo Riga" zwei Tore, die fünfte Niederlage in Folge. Tomas, einer der Fans, ist trotzdem guter Laune. Er kommt aus Litauen, besucht in Riga einen Freund, der ist ein eingebürgerter Russe: "Wir sind Fans. Und aus welchem Land einer kommt oder welche Sprache er spricht, das ist für uns nicht wichtig."