Dienstag, 16. April 2024

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Lettlands Präsident Egils Levits
Belarus "isolieren, damit das keine Schule macht"

Nach der erzwungenen Landung eines Ryanair-Fliegers in Minsk müsse Belarus isoliert werden, fordert Lettlands Präsident Egils Levits. "Man wird nur respektiert, wenn man glaubwürdig ist", sagte er im Dlf. Vor diesem Hintergrund lobte er die prompten Sanktionen durch die EU. Das beweise ihre Handlungsfähigkeit.

Egils Levits im Gespräch mit Jörg Münchenberg | 28.05.2021
Egils Levits, Lettlands Staatspräsident
"Wir in Lettland als Demokraten sind sehr besorgt", sagte Lettlands Staatspräsident Egils Levits im Dlf (picture alliance / dpa / Sputnik / Sergey Melkonov)
Nach belarussischer Darstellung soll es Hinweise auf eine Bombendrohung gegeben haben Am Sonntag (24.5.2021) musste eine Ryanair-Maschine auf dem Weg von Griechenland nach Litauen in Minsk zwischenlanden. Kurz darauf waren zwei Passagiere in Haft, der regimekritische Journalist Roman Protassewitsch und eine Begleiterin.
Der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko stellte das Vorgehen seiner Behörden als völlig legitim dar. International folgte große Kritik, manche sprachen von staatlicher Luftpiraterie. Schnell folgten eine internationale Sperrung des belarussischen Luftraums und Sanktionen der EU und der USA gegen Belarus.
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"Zwei flagrante Völkerrechtsverletzungen"

Egils Levits sieht in der schnellen Reaktion einen Beweis für die wiederholt in Frage gestellte Handlungsfähigkeit der Europäischen Union. Anders als andere Weltmächte bezögen EU, NATO und westliche Staatengemeinschaft ihren Zusammenhalt aus gemeinsamen Werten.
Für diese konsequent einzutreten, sei eine Sache der Glaubwürdigkeit, sagte Levits im Dlf: "Man wird nur respektiert, wenn man glaubwürdig ist. Wenn wir sagen, wir stehen auf den Werten der Demokratie und der Menschenrechte und Menschenrechte sind unteilbar, dann müssen wir das auch deutlich nach außen sagen. Erst dann können wir als glaubwürdige Demokraten gelten."
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Das Interview in voller Länge:

Jörg Münchenberg: Herr Levits, nach der Entführung eines Flugzeuges durch Belarus bezeichnen manche den Präsidenten ja schon wortwörtlich als Verbrecher. Wie sehen Sie das?
Egils Levits: Das Regime von Belarus hat zwei flagrante Völkerrechtsverletzungen gemacht. Erstens ein Akt der Luftpiraterie, der von einem Staat ausging, nicht von Terroristen, sondern von einem Staat. Und zweitens eine flagrante Verletzung der Menschenrechte, indem ein oppositioneller Journalist und eine andere Person, die ihn begleitet hat, gekidnappt worden sind.
Was die Verletzung des internationalen Luftverkehrs angeht, ist das wirklich eine sehr große Bedrohung für den internationalen Luftverkehr an sich, denn es gibt 190 Staaten in der Welt, und wenn jeder Staat sich erlauben würde, die überfliegenden Flugzeuge aus irgendwelchen Gründen herunterzuholen, dann wäre auch der internationale Luftverkehr betroffen.
Deshalb auch die sehr harten Reaktionen der internationalen Gemeinschaft, weil die internationale Gemeinschaft ist daran interessiert, den globalen Luftverkehr aufrechtzuerhalten.
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"Wir in Lettland als Demokraten sind sehr besorgt"

Münchenberg: Herr Levits, nun schreckt Lukaschenko, der Präsident von Belarus, offenbar vor keinem Mittel mehr zurück, um seine Macht zu sichern, zu bewahren. Nun ist Ihr Land direktes Nachbarland von Belarus. Wie sehr macht Ihnen das Sorgen?
Levits: Ja, natürlich! Wir machen uns Sorgen, genauso wie die Europäische Union sich Sorgen macht. Das Regime bedroht die internationalen Beziehungen. Ich sagte bereits Luftverkehr, aber auch die Menschenrechte. Wir in Lettland als Demokraten, genauso wie die Europäische Union, die anderen Staaten, sind sehr besorgt und wir müssen jetzt prinzipiell sein und ein solches Verhalten nicht honorieren, sondern wir müssen mit Sanktionen dieses Regime belegen, also isolieren, damit das keine Schule macht. Und das ist auch ein Zeichen der Solidarität mit dem weißrussischen Volk, das für Freiheit und Demokratie eintritt.
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Münchenberg: Nun zeigt ja dieser Vorgang, Herr Levits, um die erzwungene Landung des Passagierflugzeuges, auch innere Konflikte eines Landes werden am Ende doch auch sehr schnell nach außen getragen. Ist das eine Lektion, die die EU vielleicht auch erst lernen musste, weil sie ja doch eher sehr zurückhaltend bislang agiert hat?
Levits: Ja! Wir müssen sehen, dass wir auf unseren Prinzipien bestehen. Die Europäische Union, die NATO und der Westen insgesamt ist eine Staatengemeinschaft oder eine Staatengruppe, die auf bestimmten Werten basiert, und das unterscheidet uns von allen anderen Großmächten, zum Beispiel China und auch Russland, die andere Werte haben. Das ist für uns wichtig für die innere Glaubwürdigkeit nach innen und auch die Glaubwürdigkeit nach außen zu zeigen. Deshalb freut es mich auch sehr, dass die Europäische Union sehr schnell reagiert hat, und das zeigt auch, wir haben immer wieder Diskussionen über die außenpolitische Handlungsfähigkeit der Europäischen Union, und dies war wirklich ein sehr positives Beispiel. Wir sind handlungsfähig als Europäische Union.

"Man wird nur respektiert, wenn man glaubwürdig ist"

Münchenberg: Nun ist das Argument nicht zuletzt aus Deutschland immer wieder zu hören, dass man sich in innere Angelegenheiten nicht einmischen soll. Aus Ihrer Sicht: Sollte die Bundesregierung nicht öfters auch deutliche Worte finden gegenüber Belarus, aber natürlich auch zum Beispiel gegenüber Russland?
Levits: Man wird nur respektiert, wenn man glaubwürdig ist. Wenn wir sagen, wir stehen auf den Werten der Demokratie und der Menschenrechte und Menschenrechte sind unteilbar, dann müssen wir das auch deutlich nach außen sagen. Erst dann können wir als glaubwürdige Demokraten gelten. Das ist das eine.
Das zweite sind auch pragmatische Gründe. Regime, die flagrante Völkerrechtsverletzungen begehen, die müssen isoliert werden. Daran führt kein Weg vorbei. Wir müssen schauen, dass wir das Völkerrecht nicht durchlöchern durch verschiedene faule Kompromisse, weil auf dem Völkerrecht beruht der Frieden in der Welt. Das ist auch eine Tatsache, die immer wieder in Erinnerung gerufen werden muss.

Missbilligung ausdrücken, aber dialogbereit bleiben

Münchenberg: Herr Levits, manche Beobachter weisen darauf hin, solange Lukaschenko durch den russischen Präsidenten Putin gestützt wird, wird sich wahrscheinlich in Belarus kaum etwas ändern. Wenn das so ist, welche Konsequenzen müsste Europa ziehen?
Levits: Ich glaube, die europäische Politik muss zweigleisig sein. Wir müssen auf unseren Prinzipien bestehen, und zwar sowohl im politischen Raum als auch durch Sanktionen. Das ist das eine.
Das Zweite: Wir müssen bereit sein zum Dialog. Die Europäische Union ist dialogwillig und dialogbereit. Das heißt, wir bestehen darauf, dass die Verletzungen des Völkerrechts zurückgenommen werden oder auch bedauert werden. Jedenfalls können wir das nicht tolerieren. Und zweitens: Wir sind zum Dialog bereit. Die Dialogbereitschaft der anderen Seite ist im Moment relativ niedrig, aber das kann sich ja ändern.
Münchenberg: Aber noch mal die Frage. Eine schärfere Gangart gegenüber Russland, da wären Sie eher zurückhaltend?
Levits: Russland unterstützt ja das Regime in Belarus und Russland hat auch gegenüber der Ukraine ein sehr aggressives Verhalten durch die Manöver gezeigt. Auch hier muss die NATO insbesondere, aber auch die Europäische Union deutlich sagen, dass ein solches Verhalten von uns missbilligt wird.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.