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Liberale EU-Parlamentarier
Einig, dass sie uneinig sind

Die liberale Fraktion im Europaparlament stellt sich für die Wahl im Mai auf. Die Niederländerin Sophie in ´t Veld arbeitet dafür an einem Zukunftskonzept. Doch das ist schwierig - die liberale Allianz ist zerstritten.

Von Benjamin Dierks | 12.02.2019
    Sophie in 't Veld (D66), Vizechefin der liberalen ALDE-Fraktion im EU-Parlament
    Sophie in ´t Veld soll die liberale Parteienfamilie der EU auf Einigkeit einschwören (Deutschlandradio / Benjamin Dierks)
    Im Foyer des Brüsseler Kunst- und Theaterhauses Bozar herrscht ein lebhaftes Gedränge. Girlanden mit Europafähnchen sind durch den Raum gespannt. Auf großen Bannern prangt das Logo der linksliberalen niederländischen Partei Democraten 66, kurz D66. In einem angrenzenden Saal steigt Sophie in ´t Veld auf eine einfache Holzbühne.
    "I wanted to take the stage because I feel like a proud mother." Sophie in ´t Veld hat die Gruppe der neuen Europakandidaten der D66 um sich geschart und stellt sie nun einzeln vor. Sie fühle sich wie die stolze Mutter dieses Teams, sagt sie.
    Dieser Beitrag gehört zur fünfteiligen Reportagereihe Leeres Label? Liberale Parteien in Europa.
    Die 55-Jährige ist Vize-Präsidentin der ALDE-Fraktion und hat von Fraktionschef Guy Verhofstadt den Auftrag erhalten, ein Zukunftskonzept für die liberale Parteienfamilie zu erarbeiten.
    "Es ist klar, dass wir eine starke, proeuropäische, progressive Kraft in der Mitte der Parteienlandschaft brauchen, im europäischen Parlament. Weil man es den Leuten irgendwie nicht vermitteln kann, dass die Nationalisten und die Populisten durchaus fähig sind, sich zu einigen, obwohl sie doch große Meinungsunterschiede haben, und wir Proeuropäer, wir sind nicht in der Lage, uns zu einigen, das ist doch komisch."
    Eine Boyband singt "Britain come back"
    D66 veranstaltet erstmals einen europäischen Kongress in Brüssel. Dazu haben sie weitere Parteien eingeladen, La République en Marche aus Frankreich, die junge ungarische Oppositionspartei Momentum, die jüngst zu ALDE gestoßen ist, oder die neue paneuropäische Partei Volt, die von Liberalen im Moment gern hofiert wird. Und die Organisatoren fahren in Brüssel alles auf, was die Niederlande für Europa zu bieten haben.
    Zur Auflockerung haben sie ein anderes – nun ja – proeuropäisches Projekt auf die Bühne gebeten: die Bremain Boys. Eine Künstlerin aus Amsterdam hat diese Boyband im Stil der 90er-Jahre gecastet, um mit ihrem Song "Britain come back" – so sagt sie es ohne jede Ironie – den Brexit rückgängig zu machen.
    Etwas holprig singen und tanzen die fünf Mittzwanziger sich durch ihre Vorführung – zur offensichtlichen Belustigung des Publikums, das mit der bangen Frage zurückbleibt, ob der Auftritt ernst gemeint oder satirisch war.
    "Liberalismus ist progressiv, gesellschaftlich, nicht nur Markt"
    Sophie in ´t Velds Botschaft ist dagegen eindeutig:
    "Eigentlich gibt es auf dem Wahlzettel Ende Mai nur diese Frage: Möchten Sie ein starkes Europa oder schwaches Europa?"
    Zum "starken Europa" zählen für die ALDE-Strategen nur diejenigen, die eine föderale politische Union wollen, in der die Mitgliedsstaaten mehr Kompetenzen abgeben. Nur so könne Brüssel im Widerstreit mit einer autoritären Großmacht wie China bestehen oder Angriffe von US-Präsident Donald Trump parieren, sagt in ´t Veld.
    "Die Antwort auf Trump muss eine politische Antwort sein, eine Verordnung oder Richtlinie reicht da nicht. Das ist immer unsere Antwort in Europa: Richtlinien, Verordnungen, Gesetze."
    Sophie in ´t Veld trägt einen roten Blazer und passend dazu eine rote runde Brille. Mit ihrem wallenden Lockenkopf ist sie in den vergangenen Jahren als lautstarke Verfechterin von Bürgerrechten im Plenum des Europaparlaments bekannt geworden.
    "Meine Partei hat schon immer gesagt: Liberalismus ist progressiv, ist gesellschaftlich, ist nicht nur Markt."
    ALDE-Fraktion ist ziemlich zerstritten
    Schon einmal versuchte in ´t Veld, die ALDE-Fraktion zu stärken – mit fragwürdigen Mitteln: Vor zwei Jahren wollte sie gemeinsam mit Guy Verhofstadt die italienische Fünf-Sterne-Bewegung gewinnen, um mit den Stimmen der Populisten Verhofstadt zum Parlamentspräsidenten wählen. Auch jetzt sagen Kritiker, dass es ALDE vor allem um politisches Kalkül gehe.
    Wie wackelig das Vorhaben ist, zeigen die Unterschiede, die es schon jetzt in der Fraktion gibt. Zu ihr zählt alles von Linksliberalen bis zum populistischen Regierungschef von Tschechien, Andrej Babiš, gegen den in Prag immer wieder Zigtausende protestieren. Schon zwischen D66 und der VVD des niederländischen Regierungschefs Mark Rutte kracht es gewaltig. Beide gehören zu ALDE. Aber wenn Sophie in 't Veld Rutte kritisiert, klingt es nicht so, als könne er Teil ihrer Europapläne sein:
    "Mark Rutte sagt auch immer, Europa ist sehr wichtig, wir brauchen ein starkes Europa. Aber was er eigentlich meint, ist ein Europa, das wie vor 50 Jahren nur von Regierungschefs geführt wird, die dann hinter verschlossenen Türen entscheiden."
    Manche sehen die ALDE als Teil des Problems
    Da werden auch die umworbenen Wunschpartner skeptisch. Der Vertreter von En Marche, den in ´t Veld vollmundig eingeladen hatte, Teil der Familie zu werden, antwortete mit einem klaren "Ja, aber": Es gebe schon viele Gemeinsamkeiten, doch wenn es was werden soll mit der gemeinsamen Familie, müsse man erst mal eine neue gründen.
    Reinier van Lanschot, niederländischer Europawahlkandidat für die paneuropäische Partei Volt
    Ärgert sich, dass die niederländischen Liberalen von DVV und D66 "dauernd überkreuz" liegen: Reinier van Lanschot, Europawahlkandidat der paneuropäischen Partei Volt. (Deutschlandradio / Benjamin Dierks)
    Und die hippen, paneuropäischen Politikneulinge von Volt können sich gar nicht vorstellen, mit ALDE gemeinsame Sache zu machen. Auf dem D66-Kongress war ihr niederländischer Spitzenkandidat Reinier van Lanschot:
    "Es ist einfach schlecht, wenn D66 und VVD, zwei Parteien, die trotz ihrer Regierungskoalition in den Niederlanden dauernd überkreuz liegen, in Europa derselben ALDE-Fraktion angehören. Da liegt der Fehler im System. Wenn die Leute auf der Straße ALDE überhaupt kennen, finden sie das komisch. Und ich glaube, das trägt dazu bei, dass Menschen sich von der EU abwenden."
    Volt kandidiert deshalb in allen Mitgliedsstaaten unter demselben Namen und mit einem einheitlichen Programm – als tatsächlich europäische Partei. Dagegen wirkt auch die europäische Offensive der ALDE unentschlossen.