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Lieferkettengesetz
Kekeritz (Grüne): Kinderarbeit auf europäischer Ebene lösen

Das sogenannte Lieferkettengesetz soll Kinderarbeit in unseren Produkten verhindern. Die Bundesregierung habe diese Initiative sehr lange verzögert, auch auf europäischer Ebene, sagte Uwe Kekeritz (Grüne) im Dlf. Es sei positiv, wenn einzelne Länder wie Frankreich jetzt die Initiative ergriffen.

Uwe Kekeritz im Gespräch mit Sandra Schulz |
Eine Person verteilt Kaffeebohnen zum Trocknen auf dem Boden.
In der Textilproduktion, im Coltan-Abbau sowie bei Kakao und Kaffee ist noch sehr viel Kinderarbeit zu finden, so Kekeritz (imago images / ZUMA Press)
Fachleute warnen schon länger: Corona hat bei uns und in vielen wohlhabenderen Ländern schwerste Folgen, aber aufs Bitterste werden von den Folgen der Pandemie auch Menschen in Ländern getroffen, die schon vor Corona in existenzieller Not waren. Die internationale Arbeitsagentur ILO warnt vor einer drastischen Zunahme der Kinderarbeit weltweit.
Anlass ist der internationale Tag gegen Kinderarbeit, an dem auch Entwicklungsminister Gerd Müller noch einmal für das sogenannte Lieferkettengesetz wirbt, das Unternehmen stärker in die Verantwortung bei den Produktionsbedingungen nehmen soll.
Ein Gespräch mit dem entwicklungspolitischen Sprecher der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Grüne, Uwe Kekeritz.

Das Interview in voller Länge:
Schulz: Wie viel Kinderarbeit steckt in den Produkten, die wir hier in Deutschland kaufen, in der Kleidung, in den Schuhen, im Kaffee?
Kekeritz: Das ist so überhaupt nicht zu beziffern. Also, gerade im Kaffeebereich, im Kakaobereich steckt vermutlich noch sehr viel Kinderarbeit. Es steckt aber auch sehr viel Kinderarbeit in den Rohstoffen, die wir zum Beispiel auch in unseren Handys haben, Coltan, da ist sehr viel Kinderarbeit dabei. Im Kongo werden ganz viele Kinder eingesetzt oder Jugendliche im Minenbereich. Also da müssen wir sicherlich Verbesserungen erzielen.
"Im Bereich Kakao und Kaffee ist noch sehr viel Kinderarbeit versteckt"
Schulz: Und vielleicht noch mal differenzierter gefragt, wenn ich jetzt ein T-Shirt oder ein Handy im Laden sehe oder damit liebäugel, dass zu kaufen, woran erkenne ich, wie viel Kinderarbeit in diesem konkreten Produkt steckt?
Kekeritz: Das können Sie gar nicht erkennen. Also auch der Preis ist kein Signal dafür, ob das jetzt sauber produziert worden ist oder nicht. Es gibt T-Shirts für 25 Euro, und es gibt T-Shirts für fünf Euro, die sind alle in der gleichen Fabrik hergestellt worden, von den unterschiedlichen Firmen einfach bestellt, aber man kann daraus überhaupt nichts ablesen. Da muss man schon detaillierte Nachforschungen machen, wo Kinderarbeit drinsteckt. Ich sagte ja bereits, im Bereich Coltan, im Bereich des Kakaos, Kaffee, da ist sehr wohl noch sehr viel Kinderarbeit versteckt.
"Bundesregierung hat diese Initiative bewusst hinausgezögert"
Schulz: Jetzt haben wir es ja gerade schon gehört, die Bundesregierung hat das Thema auf dem Schirm. Es ist dieses Lieferkettengesetz in der Mache. Entwicklungsminister Müller wirbt für eine europäische Initiative. Also da ist alles auf dem richtigen Weg jetzt?
Kekeritz: Es ist jetzt auf einem besseren Weg als vorher. Leider hat die Bundesregierung diese Initiative, die ja schon im Prinzip im Jahr 2001 gestartet worden ist, sehr lange verzögert, ganz bewusst hinausgezögert. Auch heute, wie Herr Paasch schon richtig sagte, da sind der Wirtschaftsminister und die Kanzlerin persönlich noch ganz massiv dagegen, aber jetzt hat ja natürlich der Kommissar Reynders die Initiative ergriffen und hat versprochen, dass im Jahr 2021 die Thematik bearbeitet wird. Allerdings darf man da auch nicht zu optimistisch sein, weil was heißt das, diese Thematik kommt auf die Agenda, sie wird bearbeitet. Sie kann natürlich in einem Jahr abgeschlossen werden, es kann aber auch fünf oder sechs Jahre sein, oder es kann auch so sein, dass sie überhaupt nicht abgeschlossen wird, weil die Widerstände noch sehr, sehr groß sind.
"Deswegen haben einzelne Länder jetzt die Initiative ergriffen"
Schulz: Die Widerstände kommen unter anderem auch vom CDU-Wirtschaftsrat, der unter anderem auch damit argumentiert, dass in der Tat, wenn die deutschen Unternehmen jetzt mit einem eigenen deutschen Gesetz da sozusagen engere Fesseln angelegt bekommen, dass die anderen Unternehmen, dass Unternehmen aus anderen Ländern das natürlich alles weitermachen wie zuvor und dass es einen Wettbewerbsnachteil gibt, ist es da nicht der richtige Ansatz tatsächlich, das Problem europäisch zu lösen.
epa05349261 (07/32) A boy walks at a local auto mobile recycle market in Calcutta, eastern India, 23 May 2016. Child labour occurs largely in the rural and informal economy, according to the ILO(International Labour Organization), in areas where trade unions and employers_ organizations are often weak or absent and in areas that may be beyond the capacity of labour inspectors to reach. This also holds true for child labour in supply chains, where the work may be done in small workshops or homes, and often goes undetected by firms at the top of the chain. Inadequate education systems heighten the risks, and governments must step up their efforts to tackle the problem. EPA/PIYAL ADHIKARY PLEASE REFER TO THE ADVISORY NOTICE (epa05349254) FOR FULL PACKAGE TEXT |
Kinderarbeit in Indien - Verboten, aber immer noch allgegenwärtig
Kinderarbeit ist in Indien trotz Verbesserungen weiter ein Problem. Eine NGO geht von knapp zwölf Millionen arbeitenden Kindern aus, die Regierung von 4,4 Millionen.
Kekeritz: Es wäre ein ganz hervorragender Ansatz, das sogar global zu lösen, auf UN-Ebene, aber da hat sich in den letzten 20 Jahren ganz wenig getan, und auf europäischer Ebene war es ja auch gerade die Bundesregierung, die hier eher blockiert hat. Deswegen haben einzelne Länder jetzt die Initiative ergriffen, und das wirkt durchaus auch positiv. Frankreich hat die Initiative ergriffen, die Engländer, die Dänen und so weiter. Es gibt acht oder neun Länder, die da bereits irgendetwas gemacht haben, nicht zu meiner vollen Zufriedenheit, aber auf jeden Fall ist es mal eine Initiative gewesen.
Ich kann Ihnen sagen, wenn Deutschland hier schon vor fünf, sechs Jahren wirklich auch die Initiative ergriffen hätte, wäre die Situation auf europäischer Ebene heute eine andere und wesentlich bessere. Also es kommt darauf an, dass die einzelnen Nationen vorantreten. Wir werden jetzt mit der Ratspräsidentschaft diese Thematik auf die Agenda setzen. Das reicht mir nicht. Ich möchte, dass diese Bundesregierung tatsächlich ganz konkrete Vorschläge macht, was Europa tun kann und sollte, aber das können wir nicht, weil wir uns ja verweigert haben in den letzten fünf, sechs Jahren, diesbezüglich aktiv zu werden.
Schulz: Heißt aber umgekehrt auch, Sie haben gerade ja auch die längeren Zeiträume angesprochen, die 20 Jahre, die Sie gerade genannt haben, und das Thema ist ja in der Tat nicht erst seit gestern bekannt. Das ist dann insoweit auch Selbstkritik, dass damals Rotgrün da auch keine anderen Weichen gestellt hat?
Kekeritz: Also Rotgrün ist 2005 abgewählt worden, und die UN-Leitprinzipien sind aus dem Jahr 2001, die sind dann damals diskutiert worden. Ich kann Ihnen versprechen, wäre es Rotgrün gewesen, wären wir heute wesentlich weiter.
Als Verbraucher faire Produkte kaufen
Schulz: Was raten Sie Verbrauchern, die saubere Produkte kaufen wollen
Kekeritz: Sie sollten ruhig einmal auf die Labels schauen, Fairtrade-Labels oder auch im Textilbereich gibt es ja ganz verschiedene Labels, die einem ganz klar sagen, was faire Produkte sind und auf die kann man sich zu einem sehr hohen Prozentsatz verlassen. Das ist der richtige Ansatz. Auch im Lebensmittelbereich kann man durchaus faire Produkte kaufen. Das wäre, glaube ich, schon mal ein guter Ansatz, und vor allen Dingen müsste endlich die Regierung vorangehen und auch in ihrer Beschaffung – die geben ja hunderte von Milliarden aus im öffentlichen Bereich –, und sie sollten auch endlich mal in die faire Beschaffung übergehen. Das machen sie noch nicht.
Schulz: Ja, den Aspekt möchte ich mit Ihnen noch kurz unterbringen, auch wenn wir jetzt nicht mehr wahnsinnig viel Zeit haben. Diese Produkte sind ja vielfach teurer. Was raten Sie den Verbrauchern, die die finanzielle Freiheit nicht haben, teurere Produkte zu kaufen?
Kekeritz: Also, wenn es tatsächlich so ist, dass sie viel teurer werden, was ich so nicht glaube. Wir haben jetzt ganz enorme Preissteigerungen völlig unabhängig von einem Lieferkettengesetz. Da kümmert sich auch keiner darum, wie die Preise steigen, aber wir haben tatsächlich ein Sozialsystem, das völlig ungerecht ist, und wir müssten einfach mal dazu übergehen, die Hartz-IV-Sätze deutlich zu erhöhen und auch einen höheren Mindestlohn einzuführen.
Wir können doch unsere sozialen Probleme nicht auf dem Rücken der bangladeschischen Näherinnen oder der Kinder in der Elfenbeinküste, die für Kakao arbeiten, austragen. Da sind wir schon selber verantwortlich, Lösungswege zu finden, und wir können einfach nicht die Verantwortung auf andere schieben.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.