Freitag, 26. April 2024

Kommentar zum Kohleausstieg
Rolle rückwärts mit den falschen Argumenten

Wenn FDP-Chef Lindner beim geplanten Kohleausstieg wieder beim Jahr 2038 bleiben wolle, dann sei das eigentlich richtig, kommentiert Ann-Kathrin Jeske. Seine Argumente seien aber die falschen und kein Dienst an der Demokratie.

Ein Kommentar von Ann-Kathrin Jeske | 01.11.2023
Das Braunkohlekraftwerk Lippendorf ist hinter Erdhügeln einer Ausgrabung zu sehen. In dem Kraftwerk wird Braunkohle aus umliegenden Tagebauen zur Strom- und Wärmeerzeugung verbrannt. Spätestens im Jahr 2035 soll durch den Ausstieg aus der Braunkohle auch hier die Kohleverstromung enden.
Wie lange laufen Kohlekraftwerke wie das in Lippendorf noch? FDP-Chef Lindner hat wieder eine Debatte losgetreten. (picture alliance / dpa / Jan Woitas)
Auch ein blindes Huhn fängt mal ein Korn, möchte man Christian Lindner zurufen, der fordert, den Kohleausstieg im Jahr 2038 zu belassen. Seine Argumente sind zwar die falschen, aber zumindest im Ergebnis hat er recht. Denn das Jahr 2038 ist kein parteipolitisch festgelegter Zeitpunkt, um aus der Braunkohleförderung auszusteigen. Es ist das Ergebnis eines gesellschaftlichen Kompromisses der Kohlekommission.

2038 war ein gesellschaftlicher Kompromiss

Vor fünf Jahren, 2018, hatte die schwarz-rote Bundesregierung die Kohlekommission einberufen mit dem Auftrag, einen Fahrplan für den Ausstieg aus der Braunkohleförderung festzulegen. Die Mitglieder spiegelten die gesamte gesellschaftliche Bandbreite des Streits um die Kohle wider: Umweltverbände, Gewerkschaften, Industrievertreter und Lokalpolitikerinnen aus den Kohle-Revieren saßen monatelang zusammen, um einen gesellschaftlichen Kompromiss zu finden, der das Klima berücksichtigt und die Braunkohle-Arbeiter. Das Datum das dabei herauskam war das Jahr 2038.

Es geht um Klima und Arbeit

Die damalige schwarz-rote Bundesregierung zeigte damit, dass sie – zumindest beim Kohleausstieg – verstanden hatte: Es gibt gesellschaftliche Fragen, die größer sind als eine Legislaturperiode. Der Ausstieg aus der Braunkohle ist so eine Entscheidung, weil es für beide Seiten um die Existenz geht: Für die Klimabewegung um das Leben künftiger Generationen, für die Kohlekumpel um ihre Identität und wirtschaftliche Existenz.
Die Kohlekommission bezog beide mit ein und war deshalb ein Positivbeispiel dafür, wie richtungsweisende Entscheidungen in einer demokratischen Gesellschaft so getroffen werden können, dass möglichst viele mitgenommen werden.

Grüne sollten sich mit 2038 abfinden

Es wäre fatal, wenn dieser Kompromiss nun wieder aufgeschnürt würde. Das Signal an die Bevölkerung wäre dann: Egal wie breit der gesellschaftliche Kompromiss hinter einer politischen Entscheidung ist, er gilt maximal für vier Jahre, bis die nächste Regierung alles wieder auf den Prüfstand stellt.
Das können gerade die Grünen nicht wollen, die ja zurecht auf Weitsicht bei politischen Entscheidungen pochen. Auch, wenn es schmerzhaft ist: Die Grünen sollten sich deshalb mit Ausstiegsdatum 2038 abfinden. Immerhin – ein kleines Trostpflaster – steigt ja das Kohlegroßland NRW schon 2030 aus. Die Grünen im Bund sollten sich hingegen auf andere Bereiche der Klimapolitik konzentrieren – es gibt genug zu tun.

Lindner will nur die Grünen diffamieren

Die Grüne Partei könnten damit auch ein Zeichen in den Osten des Landes senden: Nämlich, dass sie den Wert der Arbeit der Menschen in den Kohlerevieren dort anerkennt, die ohnehin vor einer riesigen Transformation stehen. 
Was aber hat mit dem all dem nun FDP-Chef Christian Lindner zu tun? Der FDP-Chef ist weder Sprachrohr der Klimabewegung noch setzt er sich für die Arbeiter in den Kohle-Revieren ein. Es geht ihm auch nicht darum, den demokratischen Kompromiss zu verteidigen. Das hätte den Liberalen gut zu Gesicht gestanden. Lindner zeigt mit seiner Rhetorik, den vorgezogenen Kohleausstieg 2030 als „Traum“ zu bezeichnen, nur erneut, dass es ihm vor allem darum geht, den eigenen Koalitionspartner, die Grünen, öffentlich zu diskreditieren, anstatt hinter verschlossenen Türen über die Sache zu reden. Das hilft weder der Demokratie, noch dem Klima und auch nicht der Wirtschaft.