Freitag, 29. März 2024

Archiv

Linken-Co-Chef Bernd Riexinger
"Es geht darum, die AfD wieder zurückzudrängen"

"Die Linke" stelle sich nicht gegen Neuwahlen in Thüringen, sollte es dazu kommen, sagte ihr Co-Vorsitzender Bernd Riexinger im Dlf. Bodo Ramelow würde allerdings als Ministerpräsident nicht antreten, wenn er von den Stimmen der AfD abhängig wäre. Jetzt komme es darauf an, wie sich die CDU verhalte.

Bernd Riexinger im Gespräch mit Johannes Kuhn | 09.02.2020
Bernd Riexinger, Parteivorsitzender Die Linke
Bernd Riexinger, Parteivorsitzender Die Linke (picture alliance/Gregor Fischer/dpa)
Der Flurschaden sei durch die Ereignisse in Thüringen angerichtet, sagte der Co-Vorsitzende der Partei "Die Linke" Bernd Riexinger im Dlf. Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik habe sich ein Regierungschef von einer rechtradikalen Partei wählen lassen. Das sei ein Tabubruch. "Man hat bisher nicht das Gefühl, dass insbesondere die CDU-Führung genügend Autorität hat, um diesen Tabubruch zu korrigieren. "
Man wisse nicht, wie die CDU sich jetzt weiterhin verhalte - ob sie Neuwahlen unterstützt oder ob sie bereit sei, Bodo Ramelow mit zu wählen. Es sei allerdings gut, dass die Ereignisse in Thüringen bis in den Berliner CDU-Betrieb Wellen geschlagen hätten.
"Keine Angst vor Neuwahlen"
Die Linke sei nicht gegen Neuwahlen - und müsse auch laut Blitzumfragen keine Angst haben, sagte Riexinger. Aber: "Bodo Ramelow würde nicht als Ministerpräsident antreten, wenn er von den Stimmen der AfD anhängig sein wird." Deswegen hänge es davon ab, was die CDU jetzt erklärt: ob sie über ihren Schatten springt und Ramelow unterstützt. "Das würde auch dem Willen der Wählerinnen und Wähler entsprechen", sagte er.
Ob die Mauern für eine indirekte Kooperation zwischen FDP und CDU mit der AfD eingerissen seien oder sogar noch höher seien als zuvor, hänge davon ab, wie viel Autorität die Bundes-CDU habe. Bisher habe Annegret Kramp-Karrenbauer unglücklich agiert, sagte er. "Wenn sie jetzt vorgeschlagen hat, dass jemand von den Grünen oder der SPD zum Ministerpräsidenten kandidieren soll, ist das ein absurder Vorschlag. (...) Da scheint es mir an einer klaren Linie zu fehlen", sagte er.
In Sachsen-Anhalt und auch in Baden-Württemberg liebäugelte die CDU schon länger mit der AfD. "Wir müssen alles daran setzen, dass dieser Wall wieder aufgebaut wird", sagte er.
Björn Höcke, AfD Thüringen (rechts) gratuliert dem neuen Ministerpräsidenten Thomas L. Kemmerich (FDP).
Politologe zu Thüringen: "Eine Krise des politischen Personals"
Der Politologe Herfried Münkler rügt die Skrupellosigkeit und handwerkliche Unfähigkeit der Politiker in Thüringen. Das liege auch daran, dass es heute nicht mehr attraktiv sei, als Politiker zu arbeiten, sagte Münkler im Dlf.
Außerdem sollte die Option der Minderheitenregierung auch künftig eine Option sein, so der Co-Chef der Linken. Man könne nicht so lange wählen, bis es endlich eine mehrheitsfähige Regierung gebe.
"Die AfD verhindern"
Mit der CDU in eine Regierung zu gehen ergebe hingegen große Probleme für die Entwicklung der politischen Landschaft, denn dann würde man der AfD die Rolle überlassen als Einzige in grundlegender Opposition zur CDU zu stehen. "Aber natürlich ordnen sich die Verhältnisse immer dann neu, wenn es darum geht, die AfD zu verhindern", sagte er.
Es gehe in der politischen Auseinandersetzung darum, die AfD wieder zurückzudrängen. "Wir brauchen wieder klare linke Alternativen zu bürgerlich rechten Alternativen", sagte er.
Für die Vergangenheitsbewältigung der Partei die Linke habe die Partei viel getan. Die wichtigsten Aufgaben der Linken lägen in der Frage der sozialen Gerechtigkeit und des Klimaschutzes - dies müsse man in ein Konzept bringen. Die Wirtschaft müsse sozialökologisch umgebaut werden.
________________________________________________________________________________________________________
Johannes Kuhn: Herr Riexinger, wir müssen natürlich über Thüringen reden, eine Entwicklung, die ja weiterhin im Gange und noch lange nicht abgeschlossen oder vollständig verarbeitet ist. Alleine die Geschehnisse gestern: Der FDP-Ministerpräsident Thomas Kemmerich ist zurückgetreten. Auf Bundesebene haben die Spitzen der Großen Koalition eine schnelle Wahl eines Ministerpräsidenten und danach Neuwahlen gefordert und mit dem Ost-Beauftragten Christian Hirte hat ein Thüringer CDU-Politiker sein Amt verloren, der Herrn Kemmerich gratuliert hatte. Inwiefern sagen Sie als Linke, wir erkennen an, dass man hier vonseiten der betroffenen Bundesparteien Tabula rasa macht?
Bernd Riexinger:!! Ja, der Schritt ist überfällig. Es hat ja lange genug gedauert. Der Flurschaden ist aber natürlich trotzdem angerichtet. Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik hat sich ein Regierungschef von einer rechtsradikalen Partei wählen lassen. Das ist schon ein Tabubruch, eine Zäsur und man hat bisher nicht das Gefühl, dass insbesondere die CDU-Führung genügend Autorität hat, um diesen Tabubruch zu korrigieren. Ich bin mal gespannt, wie es weitergeht. Bisher haben wir ja nur erreicht, dass der Ministerpräsident zurückgetreten ist. Vielleicht wäre es sogar besser gewesen, er hätte die Vertrauensfrage gestellt. Wir wissen ja noch nicht, wie sich die CDU jetzt verhält, ob sie Neuwahlen unterstützt oder ob sie bereit ist, Ramelow mitzuwählen. All das ist ja noch offen. Es ist aber gut, dass es praktisch bis in den Berliner Politikbetrieb große Wellen geschlagen hat und die CDU und auch die FDP durchaus in eine Krise gebracht hat.
Kuhn: Wie soll es denn jetzt weitergehen in Thüringen? Herr Ramelow hat ja deutlich seine Präferenz bekundet, für ein Misstrauensvotum und daran angeschlossen eine weitere Ministerpräsidentenwahl, für die er ja auch zur Verfügung stehen würde nach seiner Aussage. Sie selbst haben am Mittwoch gesagt, dass die saubere Variante Neuwahlen wären.
Riexinger: Ja, die Linke ist ja auf keinen Fall gegen Neuwahlen, muss auch gar keine Angst haben, wenn wir die Umfragen, die natürlich Blitzumfragen sind, irgendwie ernstnehmen können. Dann würde die Linke weiter gewinnen, aber es wird eine lange Zeit geben ohne Regierung. Der Geschäftsführende Ministerpräsident kann ja nicht einmal Minister ernennen. Insofern wäre es kurzfristig schon die bessere Lösung, Bodo Ramelow würde zum Ministerpräsidenten gewählt. Dazu muss sich die CDU bewegen. Wenn nicht, muss die CDU entscheiden, dass es Neuwahlen gibt. Auch dafür braucht man die Stimmen der CDU. Beides wäre eine saubere Lösung.
Kuhn: Wenn wir jetzt davon ausgehen, dass man sagt, man wiederholt diese Wahl noch einmal, jetzt hat zum Beispiel gestern Herr Gauland von der AfD ins Spiel gebracht, das nächste Mal könnten wir ja Bodo Ramelow wählen. Weil, dann müsste er sagen, wenn wir das so bekundet haben: Ich nehme die Wahl nicht an, weil ich bin ja auch von der AfD gewählt worden.
Riexinger: Ja, das würde Bodo Ramelow nicht machen. Also er würde nicht als Ministerpräsident antreten, wenn er von den Stimmen der AfD abhängig sein wird. Deswegen wird es ja davon abhängig sein, was die CDU erklärt, ob es da genügend Abgeordnete gibt, die sagen, okay, wir springen über unseren Schatten und wählen Bodo Ramelow zum Ministerpräsidenten. Das würde ja auch dem Willen der Wähler und Wählerinnen in Thüringen entsprechen. Wenn es das nicht gibt, wird Bodo Ramelow dafür nicht zur Verfügung stehen.
Kuhn: Sie fordern also ein Votum für Bodo Ramelow. Keine, zum Beispiel, Enthaltung?
Riexinger: Na ja, das geht jetzt nicht mehr. Wie gesagt, das ist leider wahlrechtlich ein bisschen kompliziert. Hätte der FDP-Ministerpräsident die Vertrauensfrage gestellt, dann wäre es möglich gewesen, drei Wahlgänge zu machen und dann hätte sich die CDU im dritten Wahlgang enthalten können. So kann man das nur über ein konstruktives Misstrauensvotum machen und dann muss der Gegenkandidat Bodo Ramelow in dem Fall eine Mehrheit der Stimmen kriegen und das geht eben nur, wenn vier Abgeordnete der CDU für Ramelow stimmen.
Kuhn: Haben Sie den Eindruck, dass die Mauern für eine indirekte Kooperation von FDP und CDU mit der AfD jetzt eingerissen sind oder vielleicht wieder aufgebaut und sogar höher sind, weil es diese massiven Konsequenzen auch auf Druck der Bundesparteien gab?
Riexinger: Das wird jetzt sich zeigen, ob die Bundes-CDU die Autorität hat, die CDU in Thüringen zu bewegen. Bisher hat ja Kramp-Karrenbauer unglücklich agiert. Wenn sie jetzt vorgeschlagen hat, es soll jemand von den Grünen oder von der SPD zum Ministerpräsidenten kandidieren, dann ist es ein absurder Vorschlag. Ich meine, dass eine 6- und 9-Prozent-Partei jetzt zum Ministerpräsidenten kandidieren und die 31-Partei Linke außen vorhalten wollen, das ist doch ein absurder Vorschlag. Also, da scheint mir noch immer es an einer klaren Linie zu fehlen und wir haben schon das Problem, dass in anderen Landesparteien im Osten, also in Sachsen-Anhalt, doch erhebliche Teile der CDU schon länger liebäugeln mit der AfD und auch in Baden-Württemberg hört man von dem einen oder anderen Landtagsabgeordneten der CDU doch komische Töne. Also, wir müssen alles daran setzen, dass diese Wahl wieder aufgebaut wird. Und es darf nicht sein, dass das bürgerliche Lager, um das dreht es sich ja in dem Fall, dass die liebäugeln mit rechtsradikalen oder gar mit Neonazis und Faschisten.
Kuhn: Was bedeuten die Geschehnisse aus der vergangenen Woche für rot-rot-grüne Minderheitsbündnisse grundsätzlich? Denn es ist ja nicht unwahrscheinlich, dass sich solche Konstellationen künftig häufiger ergeben und wir dann davor wieder über mögliche Manöver diskutieren und es zu ähnlichen Ergebnissen kommen kann.
Riexinger: Ja, das wäre ja eigentlich schlauer gewesen von der CDU, wenn sie gesagt hätte: Okay, wir verhandeln über ein paar inhaltliche Projekte, die uns wichtig sind, und tolerieren eine Minderheitenregierung. Das haben sie nicht gemacht. Ich meine, wenn es keine klaren Mehrheiten mehr gibt, muss die Option der Minderheitenregierung auch eine sein. Man kann ja nicht so lange wählen, bis es endlich eine mehrheitsfähige Regierung gibt. Also Minderheitsregierungen sind in anderen Ländern, insbesondere in den nordischen Ländern, durchaus üblich und können eine Lösung sein. Sie sollten nicht zur Regel werden. Natürlich kann man besser Politik machen, man hat klare Mehrheiten, aber die kann man sich oft wünschen, aber man bekommt sie nicht immer.
Kuhn: Jetzt ist natürlich Minderheitenregierung aus Ihrer Sicht etwas anderes, als wenn es zum Beispiel von der CDU geführt worden würde. Jetzt lässt sich zum Beispiel sagen: die Union und FDP müssen sich künftig einfach entscheiden, ob sie eher mit der AfD oder mit der Linken kooperieren. Da hört man auch immer wieder Appelle an die Verantwortung, aber wie sieht es bei Ihrer Partei aus? Denn so etwas wie ein projektorientiertes Verhältnis zur CDU - wie Sie es auch beschrieben haben - ist natürlich einfacher für Sie, wenn ein Bodo Ramelow als Ministerpräsident die Gesetzesvorlagen schreibt, als ein pragmatisches, tolerierendes oder unterstützendes Verhältnis zur CDU, wenn jemand aus der CDU den Ministerpräsidenten stellt. Also wie hält es da Ihre Partei?
Riexinger: Ja, das hätte ja schon das eine oder andere Mal der Fall sein können, dass wir nur durch eine Tolerierung erreichen, dass die AfD außen vorgehalten wird. Das ist zwar nicht das, was wir wünschen, aber es wäre immer noch besser, als dass wir mit der CDU in die Regierung gehen. Ich glaube, mit der CDU in der Regierung gehen, hätte große Probleme für die weitere Entwicklung, auch der politischen Landschaft. Wir würden damit der AfD die Rolle überlassen, als Einzige in grundlegender Opposition zur CDU zu stehen. Ich glaube, das wäre nicht gut, aber natürlich ordnen sich die Verhältnisse immer dann neu, wenn es darum geht, eine Regierungsbeteiligung der AfD zu verhindern.
Kuhn: Um das noch einmal konkret zu machen, im kommenden Jahr wählt Sachsen-Anhalt. Dort reagiert derzeit eine Kenia-Koalition, also CDU, SPD, Grüne. Jetzt nehmen wir an, die Wahl fällt so aus, dass es für eine Mehrheit für dieses Bündnis unter Reiner Haseloff nicht reicht. Und alle Alternativen außer einer Tolerierung durch die Linke mit der AfD geschlossen werden würde. Springe ich dann als Partei über meinen Schatten? Wie sollte sich die Linke bei so etwas entscheiden?
Riexinger: Ja, die Linke würde auf alle Fälle verhindern, dass es eine Regierungsbeteiligung der AfD gibt oder eine Koalition zwischen CDU und AfD. Ich glaube, das darf nicht passieren, aber wir sollten doch jetzt nicht solche Spekulationen anstellen. Es geht doch in der politischen Auseinandersetzung darum, die AfD wieder zurückzudrängen. Ich meine, wir haben es hier mit einer Partei zu tun, die immer stärker rechtsradikal wird, die in ihrer Führung Faschisten hat oder zum Teil ehemalige Neonazis hat, die tief durchdrungen ist durch ein Geflecht von neofaschistischen Gruppen und Netzwerken. Da sollten wir alles tun, um diese Partei wieder zurückzudrängen. Wenn wir jetzt schon Koalitionsspekulationen machen, helfen wir nur der AfD. Es geht um eine politische Auseinandersetzung und die Linke muss sich bemühen, klare Alternativen nach links aufzubauen. Ich glaube, das war ja das ganze Dilemma, dass alle uns ausgeschlossen haben, insbesondere auch die SPD. In der Vergangenheit gab es keine linke Machtoption zu den Bürgerlichen und die Leute hatten das Gefühl, alles ist doch gleich. SPD, CDU, egal wen ich wähle, die machen eine ähnliche Politik und das hat eher zum Aufstieg der AfD mit beigetragen. Wir brauchen wieder klare Alternativen in der Politik: linke Alternativen gegen bürgerlich rechte Alternativen.
Kuhn: Wie groß ist denn die Gefahr, dass wir inzwischen uns schon in einer Parteienlandschaft befinden, in der das Verhältnis zur AfD das entscheidende Kriterium ist? Denn natürlich kann man, wie das jetzt gelöst wurde in Thüringen nach der Wahl sagen: das verstärkt das Narrativ, dass die AfD hat im Sinne von, das ist ein Kartell von Parteien, die es schon lange gibt und wir sind die Einzigen, die eine Alternative sind.
Riexinger: Ja, für uns ist die Entscheidung klar. Wir müssen einerseits klare Kante zeigen gegen rechts und Rassismus. Da gibt es keinen Spielraum. Ich glaube, alle Spekulationen, denen entgegenzukommen oder sie einzubinden, sind falsch. Man muss zeigen, wo die Grenzen sind. Ich bin auch manchmal erstaunt, wie tolerant inzwischen das bürgerliche Lager ist bei Grenzüberschreitungen der AfD. Die andere Seite ist, wir brauchen aber auch auf dem sozialen Feld oder auf dem sozialökologischen Feld klare Alternativen. Natürlich hat zum Aufstieg der AfD auch beigetragen, dass viele Menschen Angst vor dem sozialen Abstieg haben, dass die sozialen Sicherungssysteme unsicherer geworden sind, dass die soziale Polarisierung zugenommen hat, dass die Eltern nicht mehr davon ausgehen können, dass es ihren Kindern besser geht. All das sind ja Dinge, die die letzten 30 Jahre von den Parteien der großen Koalition und auch der FDP und Grünen gemacht wurden, und die alle dazu beigetragen haben, das eben die AfD eben auch über einen sozialen Nährboden verfügt. Und deswegen ist unsere Alternative, wie gesagt, klare Kante zeigen. Klar machen, dass wir die Rechten bekämpfen, aber gleichzeitig auch in der Sozialpolitik eine Politik der sozialen Gerechtigkeit machen.
Kuhn: Diese Politik, nehme ich an, ist für Sie unter der Option Rot-Rot-Grün zu verwirklichen. Ich nehme nicht an, dass Sie sich nach den Ereignissen aus der vergangenen Woche in der Bringschuld sehen: Aber auch bei Rot-Rot-Grün spielt das Thema Aufarbeitung der SED-Diktatur eine große Rolle. Das begleitet Ihre Partei, gerade in den Thüringer Koalitionsverhandlungen. Zum Beispiel 2014 gab es da über die Verwendung des Begriffs Unrechtsstaat im Koalitionsvertrag von Rot-Rot-Grün eine größere parteieninterne Debatte bei Ihnen. Vor den Wahlen hat Bodo Ramelow jetzt gesagt, er habe Probleme mit dem Begriff, weil er ihn mit dem Nationalsozialismus für verbunden hält, und verwendete die Formulierung "kein Rechtsstaat". Im aktuellen rot-rot-grünen Koalitionsvertrag, der jetzt geschlossen wurde, in Thüringen, ist die Formulierung zu finden - wie damals 2015: die DDR sei in der Konsequenz ein Unrechtsstaat gewesen. Wäre es nicht wichtig, gerade für die komplexen politischen Zeiten, die jetzt kommen: Wäre es da nicht wichtig für Linke, die DDR-Diktatur als Nachfolgepartei der SED-Nachfolgepartei PDS selber auf einen Nenner und einen Namen zu bringen, der auch eine Vergangenheitsbewältigung signalisiert?
Riexinger: Na ja, die PDS, in der ich ja selber gar nicht war, hat sich dieser Vergangenheit gestellt. Sie hat sie selbst kritisch aufgearbeitet wie keine andere Partei. Im Übrigen im großen Unterschied zu den Blockparteien der CDU oder auch der FDP, die ja sehr unkritisch dabei waren: Sie haben klar formuliert, dass sie mit dem Stalinismus als System brechen, dass es keinen Sozialismus ohne Demokratie geben kann, ohne Meinungsfreiheit, ohne Pressefreiheit, ohne Parlament und wir müssen uns jetzt nicht ständig in diese Rolle drängen lassen. Wir sind inzwischen eine Partei, die im Westen, wo es nie eine SED gab, deutlich mehr Mitglieder hat als im Osten. Wir haben mit dieser Geschichte gebrochen und haben eine eigene Vorstellung bei der Übereinstimmung von Demokratie und Sozialismus. Ich glaube, das sind auch so Spielchen der anderen Parteien, insbesondere der CDU, die ja das die ganzen Jahrzehnte gemacht hat, indem sie Faschismus und Sozialismus einfach gleichstellt und zu beiden eine gleichermaßen große Distanz hält und versucht, die Linke zu diskreditieren, indem sie diese Position immer noch aufrechterhält, obwohl sie wissenschaftlich längst widerlegt ist.
Kuhn: Sie halten also die Vergangenheitsaufarbeitung der Linke für abgeschlossen?
Riexinger: Ja, also ich glaube, die Linke hat wirklich viel getan, um diese Vergangenheit aufzuarbeiten und sie hat ein klares Programm für die Zukunft. Wie gesagt, im Zentrum steht immer, dass wir die Demokratie ausbauen wollen, dass wir wirtschaftlichen Einfluss einiger weniger zurückdrängen wollen, dass wir für soziale Gerechtigkeit stehen, dass wir für einen sozialökologischen Umbau stehen. Das sind klare Orientierungsmaßstäbe für einen Ausbau von Demokratie und Sozialstaat.
Kuhn: Sie hören das Interview der Woche mit Bernd Riexinger, Co-Parteichef der Partei Die Linke. Herr Riexinger, ich möchte das Thema wechseln und über Die Linke im Jahr 2020 sprechen. Die Partei befindet sich gerade in einer Strategiedebatte. Das Ganze soll Ende des Monats in einer Strategiekonferenz gipfeln. Wo haben Sie Defizite erkannt, wo man strategisch noch nicht klar ist?
Riexinger: Ja, ich glaube, die wichtigste Aufgabe, die die Linke hat, ist die Frage der sozialen Gerechtigkeit und des Klimaschutzes in ein Konzept zu bringen. Ich glaube, wir brauchen ein gesellschaftliches Projekt, das für radikalen Klimaschutz eintritt, aber gleichzeitig sagt: wir brauchen ein hohes Maß an sozialer Gerechtigkeit. Wenn die Leute Angst haben, nicht über den Monat zu kommen, werden sie auch für den Klimaschutz nicht gewinnbar sein. Deswegen brauchen wir ein großes Investitionsprogramm in Bildung, Erziehung, Gesundheit, Verkehrswende und wir brauchen eine gerechte Steuerpolitik und wir müssen unsere Wirtschaft sozialökologisch umbauen. Wir brauchen perspektivisch eine Wirtschaft, die CO2-frei produziert. Ich glaube, dass die Linke die Partei ist, die diese verschiedenen Elemente einer fortschrittlichen Politik am besten zusammenfassen kann - so etwas wie einen linken Green Deal auf den Weg bringen kann.
Kuhn: Was heißt das denn konkret? Denn zum Beispiel bei den Facharbeitern und Facharbeiterinnen im Automobil- und Zulieferbereich, also im gewerkschaftlichen Feld: da sind ja auch Parteimitglieder und mögliche Wähler. Was bedeutet das denn im Verhältnis zum Beispiel zur Automobilindustrie?
Riexinger: Ja, wir haben gesagt: Kein Mensch darf vor die Alternative gestellt werden, entweder ich verliere meinen Job oder meine Kinder haben keine Zukunft mehr, weil das Klima kaputtgemacht wird. Deswegen entwickelt die Linke ein Konzept, das Arbeitsplätze und das Klima schützt. Also, wir müssen zum Beispiel die Automobilindustrie umbauen zu einer nachhaltigen Mobilitätsindustrie, wo Individualverkehr und öffentlicher Personennahverkehr miteinander verbunden werden. Also, dass wir den öffentlichen Nahverkehr ausbauen müssen und das daran scheitert, dass nicht genügend Lokomotiven, Waggons, Straßenbahnen und so weiter zur Verfügung stehen und auch gar nicht produziert werden können, ist ja eigentlich ein Unding. Warum soll die Automobilindustrie nicht anfangen, auch solche Produkte zu entwickeln und weiterzuentwickeln und die mit einer digitalen Infrastruktur zu verbinden?
Kuhn: Also sind Mercedes, BMW & Co. eher Partner als auserkorene Gegner der Linken, wie es zum Beispiel die Banken sind?
Riexinger: Nein, ich glaube sie sind keine Partner, aber die Beschäftigen sind Partner. Die Manager der Automobilindustrie tun ja, um möglichst viele Premiumautos und SUVs für den Weltmarkt weiter zu produzieren. Das hat aber nichts mit einer sinnvollen Verkehrswende zu tun. Es wird auch auf die Dauer die Arbeitsplätze nicht schützen, wie wir ja jetzt schon sehen, weil alleine nur durch die Umstellung auf Elektromotorisierung werden Hunderttausende von Arbeitsplätzen verlorengehen. Ich glaube, das linke Konzept geht weiter, dass wir sagen, wir brauchen aber neue Verkehrssysteme, die emissionsfrei sind. Das ist ganz klar. In der Stadt brauchen wir Städte der kurzen Wege. Wir brauchen einen wesentlichen Aufbau des ÖPNV. Wir brauchen zum Beispiel Elektrobusflotten. Wir müssen den Lastverkehr auf die Schiene bringen. Das sind ja alles Herkulesaufgaben mit riesigen Investitionen und ich glaube, wenn wir tatsächlich eine Konversion machen, können mehr qualifizierte Arbeitsplätze erhalten werden als nur bei dem zu kurz gesprungenen Umbau auf Elektromotorisierung.
Kuhn: Sie hören das Interview der Woche mit Bernd Riexinger, dem Co-Bundesvorsitzenden der Partei Die Linke. Herr Riexinger, es gibt nicht besonders viel an der Bundes-SPD, was bei Ihrer Partei auf vollständige Zustimmung stößt. Die Wahl von Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans zum Vorsitzenden-Duo im vergangenen Dezember gehört allerdings dazu. Sie kennen Frau Esken auch schon länger, richtig?
Riexinger: Ja, wir sind im gleichen Jugendzentrum aufgewachsen. Also, zumindest sie ist einige Jahre jünger als ich, also ich war dort ein bisschen in der Leitung dieses Jugendzentrums und sie war dabei. Ich hoffe doch, dass ich ein bisschen positiv ausgestrahlt habe auf ihre politische Entwicklung.
Kuhn: Gab es schon ein Treffen zwischen Ihnen und Katja Kipping und dem neuen SPD-Spitzenduo?
Riexinger: Wir treffen uns natürlich laufend im Bundestag und Saskia und ich kennen uns ja ganz gut, aber wir haben jetzt in der Tat in der nächsten Woche ein erstes offizielles Treffen.
Kuhn: Welche Gemeinsamkeiten sehen Sie denn mit dem neuen Duo? Und: Es gibt natürlich auch noch die Große Koalition, die ja im Moment nicht den Eindruck macht, als würde die SPD - zumindest fraktionsseitig - besonders Interesse an einem Kurswechsel oder an einem Ende der Regierungsbeteiligung haben.
Riexinger: Na ja, verbal und programmatisch ist die SPD ja unter Esken und Walter-Borjans weiter nach links gerückt. Sie haben bestimmte Annäherungen zu uns vollzogen. Zum Beispiel fordert die SPD jetzt zwölf Euro Mindestlohn. Das tun wir ja schon lange. Sie versuchen, das Rentensystem zu verbessern. Nicht genügend, da bleiben viele Lücken und bleibt hinter dem zurück. Sie wollen eine Vermögenssteuer einführen und mehr investieren in den öffentlichen Bereich. Da würde ich sagen, gibt es klare Schnittstellen zur Politik der Linken. Natürlich sind sie weiter gefangen in der Großen Koalition. Da haben sie, glaube ich, zu große Ankündigungen gemacht. Sie sind in dem Dilemma, dass sie eine gespaltene SPD haben. Die Hälfte ist dafür, in der Großen Koalition zu bleiben, die andere Hälfte ist eher kritisch. Sie würden also eine erneute große innere Auseinandersetzung bekommen. Das stimmt mich skeptisch, weil völlig klar: In der großen Koalition können sie diese Vorstellungen, die ja durchaus sinnvoll sind, nicht verwirklichen. Das können sie nur in einer anderen Regierungskonstellation.
Kuhn: Herr Riexinger, im Juni sind Sie und Katja Kipping acht Jahre im Amt. Der nächste Parteitag steht dann an. Es gibt § 32 Absatz 3 der Parteisatzung. Darin heißt es, kein Parteiamt soll länger als acht Jahre durch dasselbe Parteimitglied ausgeübt werden. Das würde auch für Sie gelten. Werden Sie dieser Soll-Regel folgen?
Riexinger: Ja, wir haben ja jetzt die ganze Zeit gesagt, wir wollen uns Mitte März entscheiden. Das werden wir auch tun. Vorher wollen wir vermeiden, über personelle Fragen zu diskutieren. Ich glaube, das hat gute Gründe. Wir haben jetzt erst einmal unsere Strategiekonferenz vor uns. Da werden die inhaltlichen Debatten geführt, die dann einfließen sollen in den Parteitag im Juni. Und dann, wenn diese Strategiekonferenz vorbei ist, dann werden wir eine Entscheidung treffen - und dann hat die Partei drei Monate Zeit, in die eine oder andere Richtung, je nachdem, wie wir uns entscheiden, eine Personaldiskussion zu führen.
Kuhn: Können Sie sich vorstellen, dass einer von Ihnen beiden in einer anderen Konstellation noch einmal antritt oder heißt es: Riexinger und Kipping oder nichts?
Riexinger: Erst einmal kann man sich alles vorstellen. Aber wir haben intern vereinbart, Katja Kipping und ich, wir haben ein sehr gutes Verhältnis zueinander, dass wir das gemeinsam entscheiden und wir werden uns Ende dieses Monats treffen und einmal unsere Überlegungen austauschen. Wir sind natürlich ständig im Kontakt, aber wir haben jetzt doch geschafft, unsere Vorstellungen vom Zeitplan so umzusetzen, wie es für die Partei sinnvoll ist - dass wir nämlich in aller Ruhe eine inhaltliche Debatte führen. Das sind eben drei wichtige Dinge, wie gesagt: diese Frage des sozialökologischen Umbaus. Die Frage, wie kann eine linke Mehrheit entstehen. Und die Frage, wie stellen wir uns zur Rechtsentwicklung weltweit und auch in Deutschland. Das sind drängende Fragen, mit denen sich die Linke beschäftigt und wir wollen es nicht machen wie die SPD: Praktisch von den Wahlkonjunkturen abhängig machen, dass wir Parteitage machen oder Führungsdiskussionen führen. Sondern wir wollen das alles in Ruhe durchführen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.