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Literat Dorian Steinhoff
"Vom Erzählen zu erzählen"

"Das Licht der Flammen auf unseren Gesichtern" ist ein erstaunliches Buch: Sehr fein gearbeitet und zugleich berührend erzählt Dorian Steinhoff sieben Geschichten aus der Ich-Perspektive mit aktuellen Bezügen. So will er es auch in seinem nächsten Buch halten - einem Roman, wie er bereits verrät.

Von Bettina Hesse |
    Eine Hand auf einer Tastatur
    Dorian Steinhoff: "Ich wollte gerne ein Buch schreiben, das ich selber gerne lesen würde." (picture alliance / ZB / Jens Büttner)
    Die sieben Erzählungen kommen offen, temporeich und zunächst leicht daher. Dann entwickeln sie in ihrem Setting eine große innere Spannung, die sich schnell auf den Leser überträgt. Nach zwei, drei Sätzen ist man beim Ich-Erzähler und in der Geschichte drin, ob es sich um eine Macheten-Bande, eine WG oder ein Wohnprojekt in der Jugend-Psychiatrie handelt. Der jeweils männliche und junge Ich-Erzähler sieht oder erinnert die Dinge aus subjektiver Sicht und erkennt eine ungute Entwicklung, eine Misslage zu spät oder schätzt sie falsch ein: Kontrollverlust, Verfall einer Beziehung, systematischer Selbstbetrug sind nicht mehr zu stoppen.
    Ein junger Deutsch-Türke, Protagonist der Macheten-Bande, träumt von einer Karriere als großer Fußballer und tut alles dafür. Das Gefälle zu seinen Kumpels aus der Schule, von denen keiner die mittlere Reife schaffte und die weiter gewaltbereit ihre Überfälle machen, wächst. Er trifft sie noch beim Krafttraining oder Abhängen, doch während die Jungens rumlaufen "wie kleine Kalifen, glasige Augen und breitbeiniger Gang", hat er eine nette Freundin. Als der Kopf der Bande eines Tages zu ihm sagt: "Fahr uns mal dahin" – ein Schlüsselsatz, der, wie bei allen Erzählungen, der Geschichte vorangestellt ist – tut er es. Klar, dass die Sache aus dem Ruder läuft.
    Was ist Ihr Ausgangspunkt beim Erzählen?
    "Das ist unterschiedlich, vom Erzählen zu erzählen. Zum Teil sind es – ist es ein einzelner Satz. In "Eine Vorsichtsmaßnahme" war zum Beispiel einfach nur der erste Satz da, aus dem sich die Geschichte sponn. Teilweise sind es Themen, die mich interessieren, die mich umtreiben und die ich dann suche, zu denen ich überlege, wie ich sie erzählen könnte."
    Steinhoffs genaue Beobachtung von psychologischen Unterströmungen in gekonnter Dramaturgie zeigt sich exemplarisch in der Geschichte "Wasser". Der Erzähler befindet sich auf einer Kambodscha-Reise; er will zum Mushroom Point, eine Empfehlung und nichts als zwei Wörter auf einem Zettel. Im Bus dorthin trifft er zwei deutsche Backpacker, Lotte und Michi. Lotte gefällt ihm. Michi ist ein schmächtiger Typ und DJ, er redet viel, wenn er mal keine Musik hört. Die Drei kommen in der Strandanlage an, trinken Bier vor dem Golf von Thailand, gehen schwimmen. Abends trinken sie weiter. Am nächsten Tag hat sich die Kulisse verändert, es ist trübe und regnet, das Meer vom Monsun aufgewühlt mit einer Menge Wellen. Der Erzähler will surfen und schlägt es Michi vor. Der zögert, die rote Flagge flattert, er ist kein guter Schwimmer. "Geh halt nicht so weit rein", rät er dem neuen Freund. – Was dann geschieht, ist so packend wie ergreifend.
    In jeder Geschichte gibt es einen Kipppunkt, an dem man noch etwas hätte tun können, um das Schlimme zu verhindern, an dem der Ich-Erzähler noch ein Zurück gehabt hätte, doch nicht den richtigen Moment fand, um zu handeln.
    Was bedeutet dieses Erzählen aus der Ich-Perspektive, dicht an der Figur?
    "Mir ging es darum, allen Erzählungen jeweils einen Tonfall zu verleihen. Und das funktioniert am besten, wenn man einen Ich-Erzähler einsetzt dafür. Das ist einfach etwas, das ich sehr gerne mag, wenn ich lese. Und ich wollte gerne ein Buch schreiben, das ich selber gerne lesen würde, und deshalb habe ich nach diesen Tonfällen eben gesucht."
    Auch das Vergessen oder das Verdrängen – wie in der wunderbaren Geschichte "Frau Dinklage" oder in "Wenn es sein muss – der weiße Fleck beim Erinnern" spielt eine wesentliche Rolle in diesem Erzähluniversum, in das nicht zufällig journalistische Arbeiten für das Ausgangsetting genommen wurden. Überwiegend spielen die Geschichten in einer jugendlichen Realität am Übergang oder in Konfrontation mit der Erwachsen-Welt, sie erzählen aus sozial-politischen Zusammenhängen.
    Wie groß ist die Verbindung zu journalistischen Themen?
    "Ich lese gerne, und ich versuche, so viel wie möglich Zeitung zu lesen, ich höre Radio, ich schaue Filme, ich schaue Serien, ich lese Bücher. ... ja, und diese Dinge treten dann Assoziationsprozesse in mir los ... und wenn ich dann merke, ein bestimmter Zeitungsartikel geht mir nicht mehr aus dem Kopf, oder ich denke über dieses Thema weiter nach, habe ich im Laufe der Zeit eine gewisse Sensibilität entwickelt von mir selbst zu wissen, ah, damit kannst du dich beschäftigen, wenn ich dann merke, das ist ein Thema, darüber scheinst du schreiben zu können."
    Sie schreiben gerade an Ihrem zweiten Buch, da geht es darum, was Geld mit und aus einer Familie machen kann.
    "Das neue Buch wird zunächst erst mal ein Roman, das ist schon mal neu. Es soll eine Erzählung werden, die so ein bisschen mehrere Romangenres miteinander verknüpft. Ich möchte die Geschichte eines jungen Ich-Erzählers erzählen, dessen Familie einem Schneeballsystem-Betrüger aufsitzt, der dann aber in Konflikt zu seiner Familie gerät und mit seiner Familie bricht, und mehr oder weniger die selbe Entwicklung nimmt, die gleiche Karriere durchläuft wie sein Vater vorher auch. Und dann wird es natürlich irgendeine Form der Katharsis geben."
    "Das Licht der Flammen auf unseren Gesichtern" ist ein erstaunliches Debüt: sehr fein und genau gearbeitet und zugleich berührend; sehr spannend mit seinem Bezug zu aktuellen Themen und zugleich mit liebevollem Blick für die Grenzlinien an unserem Unvermögen, den richtigen Augenblick zu erkennen und zu handeln.
    In der Geschichte "Ansgar Boos" erliegt nicht nur der Erzähler dem groß-sprecherischen und eigentümlichen Charme des neuen, von der Schauspielschule geflogenen Bewerbers für die WG: Kandidat Ansgar behauptet von sich: "Die meiste Zeit bin ich Mensch."
    Genau das wirkt noch lange nach.
    Dorian Steinhoff: "Das Licht der Flammen auf unseren Gesichtern," Erzählungen
    168 Seiten, mairisch Verlag 2013, 16,90 Euro