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Lobbyismus
Welche Jobs ein Ex-Geheimdienstkoordinator machen darf

Der pensionierte, frühere Top-Geheimnisträger Klaus-Dieter Fritsche beriet das österreichische FPÖ-geführte Innenministerium in Sachen Verfassungsschutz und arrangierte ein Treffen von Wirecard mit dem Kanzleramt in Berlin. Die Nichtregierungsorganisation Lobbycontrol kritisiert die Verquickung von Interessen.

Von Timo Stukenberg | 10.12.2020
Fritsche sitzt mit verschränkten Armen und ernstem Blick an einem Tisch vor einem Mikrofon.
Einen Aufsichtsratsposten bei dem Waffenhersteller Heckler und Koch durfte der frühere Staatssekretär Fritsche nicht wahrnehmen (Maurizio Gambarini / dpa)
Das ging der Bundesregierung dann doch zu weit: Noch bis vor zwei Jahren war Klaus-Dieter Fritsche Geheimdienstkoordinator der Bundeskanzlerin und damit Deutschlands oberster Aufseher über die Geheimdienste. Fritsche dürfte den Sicherheitsapparat der Bundesrepublik kennen wie nur wenige andere. Nun wollte er Aufsichtsratsvorsitzender werden: bei dem Rüstungsunternehmen Heckler und Koch aus Baden-Württemberg, einem der größten Hersteller von Handfeuerwaffen weltweit, Lieferant auch für Bundeswehr und Polizei. Doch daraus wurde nichts, wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung berichtete.
Fritsche gilt als Top-Geheimnisträger
Die Bundesregierung, die die Tätigkeit ihres ehemaligen Staatssekretärs laut Beamtengesetz genehmigen muss, befürchtete, dass durch Fritsches neuen Job "dienstliche Interessen" beeinträchtigt werden könnten und untersagte ihm die Tätigkeit. Auf Nachfrage des Deutschlandfunks erläutert ein Regierungssprecher:
"Auf diese Weise soll die Integrität des öffentlichen Dienstes geschützt und einem Verlust des Vertrauens der Allgemeinheit in die Unbefangenheit und Unparteilichkeit der aktuell handelnden Amtswalter vorgebeugt werden."
Ein Graffiti mit der Aufschrift "Lobbyismus stoppen" steht an eine Hauswand gesprüht.
Kontakte, Kampagnen und jede Menge Einfluss
Lobbyisten haben keinen guten Ruf – dabei gehört ihre Arbeit zum Parlamentarismus dazu. Bis Ende des Jahres wollen Union und SPD ein Lobbyregister einrichten. Einigen gehen die Pläne aber nicht weit genug.
Die Bundesregierung will offenbar den Eindruck vermeiden, dass ehemalige Mitarbeiter ihre Zugänge zur Regierung zum Beispiel für die Interessen eines Waffenherstellers einsetzen. Doch zuvor war sie im Fall Fritsche offenbar nicht so strikt.
Als der Beamte 2018 in Pension ging, waren bei ihm mehr als vier Jahre lang Informationen aller deutschen Nachrichtendienste zusammengelaufen. Fritsche saß in Untersuchungsausschüssen zu NSA, NSU und Breitscheidplatz, unterstand direkt der Kanzlerin und gilt als Top-Geheimnisträger.
Berater beim österreichischen FPÖ-Innenministerium
Das hielt ihn jedoch nicht davon ab, 2019 für das österreichische Innenministerium zu arbeiten, das damals von dem extrem rechten FPÖ-Innenminister Herbert Kickl geführt wurde. Diesen sollte er angeblich bei der Reform des Bundesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung, kurz BVT, beraten. Ein genehmigter Seitenwechsel zu einem ausländischen Nachrichtendienst.
Das sorgte auch im Parlamentarischen Kontrollgremium, das die Geheimdienste in Deutschland kontrollieren soll, für Diskussionen. Stephan Thomae, FDP-Abgeordneter und Mitglied des Gremiums, wundert sich:
"Es ist schon sehr auffällig, dass die Bundesregierung offenbar etwas zu beanstanden hatte, als Herr Fritsche bei einem inländischen Unternehmen Aufsichtsratsvorsitzender werden wollte, aber auf der anderen Seite wohl nichts daran fand, dass Herr Fritsche bei einem ausländischen Nachrichtendienst einen Beratervertrag einging. Nun mag es sein, dass ein Beratervertrag das eine ist und ein Aufsichtsratsposten das andere. Aber es gilt gleichwohl, das eine ist ein inländisches Unternehmen, das andere ein ausländischer Nachrichtendienst, eine ausländische Regierung."
Die Bundesregierung sah im Fall des österreichischen Innenministeriums offensichtlich keine "dienstlichen Interessen" beeinträchtigt. Doch Fritsches Beraterfunktion für das österreichische Innenministerium war nicht seine einzige Tätigkeit.
Gesprächstermin für Wirecard im Kanzleramt arrangiert
Für die Firma Wirecard arrangierte er einen Gesprächstermin mit Angela Merkels Abteilungsleiter für Wirtschaft. Da hatte die Financial Times bereits über Manipulation in der Buchführung des inzwischen insolventen Unternehmens berichtet.
Der Gesprächstermin fand letztlich am 11. September vergangenen Jahres statt. Für eine Stellungnahme zu den genannten Tätigkeiten war Klaus-Dieter Fritsche nicht zu erreichen.
Dem Abgeordneten Stephan Thomae geht es nicht darum, die Beratertätigkeiten von pensionierten Beamte und Beamtinnen grundsätzlich zu kritisieren, sagt er.
"Das ist legal. Auch das Beamtengesetz verbietet das nicht, wenn keine Interessenskonflikte oder für die Sicherheit im Lande entstehen. Aber gerade diese, diese Verknüpfungen: Wirecard, österreichische Regierung unter FPÖ-Beteiligung, Herbert Kickl, Innenminister und BVT. Das ist schon eine ganz, ganz merkwürdige Verquickung in einem ganz, ganz bestimmten Milieu und einfach nur zu sagen naja, das ist legal, da können wir nichts tun. Das ist ein bisschen wenig."
Karenzzeit gilt nicht für Staatssekretäre
Für ehemalige Mitglieder der Bundesregierung gibt es mittlerweile eine gesetzlich vorgeschriebene Karenzzeit. Ehemalige Staatssekretäre wie Klaus-Dieter Fritsche sind davon jedoch nicht erfasst. In diesem Fall greife lediglich das Beamtengesetz, das für einen Geheimdienstkoordinator genauso gelte wie für jede Polizistin, erklärt Timo Lange von der Nichtregierungsorganisation Lobbycontrol:
"Allerdings ist auch das relativ zahnlos, da am Ende als Sanktion eigentlich nur der Verzicht, dann auf Versorgungsbezüge vorgesehen ist und bei einer entsprechend lukrativ entlohnten Tätigkeit mag das dann in der Abwägung auch gar nicht so relevant sein. Und vor allem gibt es keine weitere Kontrolle, ob dieser Prozess denn eigentlich richtig gelaufen ist. Welche Entscheidungen wurden sich da angeschaut, welche Abwägungen getroffen, das entscheidet dann eben die Dienststelle selber, also das zuständige Ministerium oder die Behörde."
Mehr Transparenz durch ein Lobbyregister
Im September hat die Große Koalition einen Gesetzesentwurf für ein Lobbyregister ins Parlament gebracht. Das könne Seitenwechsel zwar nicht verhindern, sagt Lange.
"Aber wenn Seitenwechsel stattfinden, dann würde man das dort eben sehen können. Gerade wenn jemand im Auftrag tätig ist. Also Herr Fritsche, im Auftrag von Wirecard versucht, ein Gespräch zu bekommen, dann müsste das angezeigt werden. Oder eben wenn es so ein Fußabdruck eine Fußspur gibt. Dann würden eben auch Gespräche mitunter offengelegt werden, wenn sie mit der Bundesregierung geführt werden und insofern wäre das ein zusätzliches Kontrollinstrument auch für die Öffentlichkeit."
Schon wieder ein Antrag von Herrn Fritsche
Seit Mai dieses Jahres liegt der Bundesregierung ein weiterer Antrag von ihrem ehemaligen Geheimdienstkoordinator vor. Es geht um eine erneute Beratertätigkeit für das österreichische Innenministerium, das seit einem Regierungswechsel von der konservativen ÖVP geführt wird. Antreten durfte Klaus-Dieter Fritsche dort bislang nicht, schreibt ein Regierungssprecher. Pandemiebedingt fehlten der Regierung auch sechs Monate nach Antrag noch erforderliche Details zur Prüfung. Beim letzten Mal hatte die Prüfung lediglich acht Tage gedauert.