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LP-Re-Issues
Vinyl als Belohnung fürs Gehirn

"Vinyl ist die haptische Belohnung des digitalen Lebens", sagte André Boße vom Vinylmagazin Mint im Corsogespräch XL. Derzeit erscheinen hochpreisige LP Boxen mit bekannten Alben, die die Fans wiederholt kaufen. Ist das gut oder nerven Wiederveröffentlichungen, weil sie reine Geldmacherei sind?

André Boße im Corsogespräch mit Sascha Ziehn | 19.08.2017
    Ein Mitarbeiter eines Plattenladens in University City, Missouri mit der 50. Jubiläumsausgabe von "Sgt. Pepper's" von den Beatles.
    Ein Mitarbeiter eines Plattenladens in University City, Missouri mit der 50. Jubiläumsausgabe von "Sgt. Pepper's" von den Beatles. (imago / UPI Photo)
    Sascha Ziehn: "Sgt. Pepper's" von den Beatles hat vor ein paar Wochen auch so eine Geburtstagsedition spendiert bekommen zum 50., genauso wie "Pet Sounds" von den Beach Boys letztes Jahr, da sind natürlich auch Neuauflagen erschienen, einmal in mono und einmal in stereo. Und jetzt, zum 51. Geburtstag kommt schon wieder die nächste neue Edition: "Pet Sounds" als audiophile Doppel-LP, jeweils wieder in mono und in stereo, zum Schnäppchenpreis von 75 Euro das Stück. Über den Re-Issue Boom und manchmal vielleicht dann doch etwas überzogene Plattenpreisschilder wollen wir im Corso Musikmagazin sprechen mit André Boße vom Mint Magazin, heute zu Gast im Corso Magazin. Schönen guten Tag.
    André Boße: Guten Tag
    Ziehn: Haben Sie dafür Verständnis, für 70 Euro, für die zigfachste Wiederveröffentlichung?
    Boße: Es ist ja nun mal erst mal ein Markt. Und da, wo es halt eine Nachfrage gibt, gibt es auch das Angebot und wenn halt Leute sagen, ich bin bereit, dafür das Geld auszugeben, dann wird es auch halt produziert. Keiner muss es ja kaufen, es ist ja jetzt irgendwie keine Kaufpflicht. Es gibt auch Fans, die ganz bewusst sagen, da greife ich jetzt mal nicht zu, weil ich hab von "Pet Sounds" schon zum 40. Geburtstag zuhause rumstehen die Edition. Andere sagen wiederrum, ich gönne mir das. Es ist erst mal nicht verboten und auch nicht irgendwie anstößig da, finde ich, diese Edition herauszubringen.
    "Plötzlich waren die Vinylplatten wieder da"
    Ziehn: Bevor wir so ganz tief eintauchen in die Welt der Wiederveröffentlichungen: Sie schreiben für das Magazin "Mint", das beschäftigt sich ausschließlich mit Vinyl. Wann ging das aus Ihrer Sicht eigentlich so los mit dieser Renaissance von Vinyl?
    Boße: Es ist ganz spannend, weil ich habe noch vor drei, vier Jahren Geschichten geschrieben über Filme, über Dokus, über das Ende der Plattenladenkultur. Sprich, da gab es dann wirklich tolle Dokumentationen aus England und den USA über Plattenlädensterben, das heißt, es wurden immer weniger Plattenläden. Die wurden ersetzt durch Lacoste-Shops oder durch irgendwelche Luxusappartements und man dachte, das war es, Vinyl ist dann wirklich auch tot. Und dann ergab sich dann plötzlich so - das fing glaube ich so an vor vier, fünf Jahren schätzungsweise - so eine Art Renaissance, die so ein bisschen gekoppelt war an die ganze Rückkehr des Haptischen. Plötzlich tauchten in den Supermärkten dann auch Bierflaschen auf mit Bieren für zwei Euro, mit Craftbieren. Es gab dann irgendwie wieder so die Rückkehr von wirklichen Produkten, Bücher Re-Editionen, Comics wurden neu rausgebracht in prachtvollen Einbänden und plötzlich waren auch die Vinylplatten wieder da.
    Ausgaben des Mint Magazins in einem Plattenladen in Österreich.
    Ausgaben des Mint Magazins in einem Plattenladen in Österreich. (imago / Viennareport)
    Und die Generation der Leute so um die 40 bis 50 - die übrigens die Hauptzielgruppe sind - die kaufen das eben, weil sie A, das Geld dann vielleicht auch haben, weil sie im Beruf stehen und weil sie sich B, denken: Ach, die CDs, die ich mir früher gekauft habe, die sind kaputt und die springen und die sehen auch überhaupt nicht gut aus. Aber so eine Vinylbox, wenn ich die im Wohnzimmer habe, da kann ich auch schon mal mit angeben und sagen, guck mal hier, U2, "The Joshua Tree" im Deluxepaket. Da kommt man ins Gespräch, das ist schön zum Vorzeigen. Und da ja andere Symbole, wie so ein bisschen das Auto, die verlieren dann ein bisschen an Bedeutung, weil sie ein bisschen als Umweltverschmutzer gelten. Vinylplatten haben, glaube ich, einen großen Boom erlebt, weil sie einfach so neue Symbole sind, die man gut vorzeigen kann, einfach Spaß hat, die zu zeigen, drüber zu reden.
    "Im Idealfall ist die Schallplatte ein Lebensbegleiter"
    Ziehn: Ich habe noch nie Schallplatten mit Craftbeer in Verbindung gebracht. Aber ich glaube schon, dass da was dran ist, dass vielleicht wieder so eine Freude an hochwertigen Produkten oder so da ist. Haben Sie eine Ahnung, woher das kommen könnte?
    Boße: Na, ich meine, um so mehr man halt digital unterwegs ist, umso mehr man halt so die ganzen Kontakte per WhatsApp und Facebook pflegt, umso mehr man keinen Kalender mehr in der Tasche hat, sondern das alles auch über iCal, sonstige Formate macht, umso weniger man wirklich auch mit Dingen in Berührung ist im Alltag, was immer notwendig ist. Umso mehr Spaß macht es, glaube ich, halt das auch zu sprengen, um so ein bisschen zu sagen: Hey, digital ist toll, weil ich kann jetzt mal eben meinen Tisch im Restaurant reservieren, ohne anrufen zu müssen oder habe alles sozusagen digital parat. Aber als Gegenpunkt zu sagen, aber dafür habe ich jetzt auch so eine Vinylbox zuhause, ist halt so ein bisschen so für das Gehirn eine Art Belohnung. Digital ist schön, um sich was zu organisieren, aber analog was in der Hand zu haben, ist halt eher so die Belohnung dann des digitalen Lebens.
    Ziehn: Ich finde so Streamingdienste ja ganz toll. Es ist ja so ein bisschen das Prinzip: Ich kaufe einen Bibliotheksausweis und kann mir jetzt alles, was in dieser Bibliothek rumsteht, auch so anhören. Ich finde, das Problem dabei ist nur, dass man irgendwie Alben da so schlecht eine Liebeserklärung machen kann, weil das natürlich so ein bisschen beliebig ist. Glauben Sie, dass dieser Vinylboom auch damit zu tun hat, dass man eben, wenn man so ein Album ganz toll findet, dem halt auch eine, ja, Liebeserklärung machen will und deshalb das Vinyl kauft?
    Boße: Auf jeden Fall. Das ist, glaube ich, der Unterschied zwischen Craftbeer und zwischen Vinyl. Ein Bier trinkt man halt auf, es ist weg und dann hat man am nächsten Tag noch einen Kater und das war es dann letztlich. Aber so eine Schallplatte ist natürlich im Idealfall echt ein Lebensbegleiter, sprich, ich habe ein Album, das kann jetzt natürlich "Pet Sounds" sein, also wirklich so ein Meisterwerk, aber auch etwas Kleineres, was ich wirklich richtig, richtig liebe. Weil ich habe Erinnerungen, die daran hängen, ich weiß noch, es war der Urlaub 1990 in Frankreich mit der ersten Freundin oder es war die Autofahrt durch Kroatien mit meinen Kumpels, das war der Soundtrack für irgendwas, für das Leben. Und das dann nur digital zu hören, über Streaming, ist halt so ein bisschen lasch, da fehlt so ein bisschen dann die emotionale Verbindung dazu. Und dann halt das Produkt zuhause zu haben und zu sagen, hier, das ist sozusagen die Box, also das Vinyl, das Erinnerungsstück, das ist das Fotoalbum sozusagen auch, das, glaube ich, ist schon ein wichtiger Punkt, warum halt das auch so eine Nachfrage erzeugt.
    "Ein bisschen wie ein Making-of"
    Ziehn: Wenn wir uns mal diese ganzen Re-Issues vornehmen: "Sgt. Pepper's" ist vor ein paar Wochen neu rausgekommen zum 50. Geburtstag als Doppel-LP mit irgendwelchen Outtakes, "The Joshua Tree" von U2 ist auch neu rausgekommen zum 30. Geburtstag als sieben LP-Box, die man kaum hochheben kann, so schwer ist die. Wie stehen sie solchen Runder-Geburtstag-Wiederveröffentlichungen gegenüber?
    Boße: Erst mal ist es natürlich der Anlass, das marketingmäßige Geldverdienen, klar. U2 ist in aller Munde, die haben jetzt eine Tour gemacht mit Joshua Tree, das Album hat einen Geburtstag, sprich, man kann natürlich noch mal ein bisschen Aufmerksamkeit erzeugen. Das Ganze ist dann plötzlich noch mal so ein riesen Thema, wo dann plötzlich auch noch mal klar wird, das Ding hat Geburtstag, da kann man Geld mit machen. Also erst mal ist das natürlich ein reines Marketingtool, den Geburtstag so hochzujazzen. Wenn ich jetzt die ersten Alben sehe, die jetzt zum 10-Jährigen schon eine Edition bekommen, denke ich mir manchmal auch so, naja, zehn Jahre, das ist irgendwie noch nicht so wirklich viel, dass man das jetzt irgendwie hochleben sollte.
    Schallplatten der irischen Rockband U2.
    Schallplatten der irischen Rockband U2. (Deutschlandradio / Kerstin Janse)
    Aber es gibt natürlich auch das Beispiel Sgt. Pepper's zum Beispiel von den Beatles. Das ist so eine Platte, die jetzt von Giles Martin, also von dem Sohn von Sir George Martin noch mal ganz neu gemischt wurde mit ganz neuer Technik. Und der hat wirklich wie so ein Chirurg Dinge freigelegt, die vorher gar nicht zu hören waren, hat wirklich auch Dinge verschoben, das Ganze etwas neu konstruiert. Und da ist schon etwas entstanden, was jetzt schon irgendwie Sgt. Pepper's, aber anders ist. Sprich, auch Beatles Fans, die das Album original lieben und sagen, das ist das perfekte Werk, über die neue Version sagen, ja, da ist schon irgendwas dabei, was mich irgendwie überrascht, was toll ist.
    Und das ist dann schon irgendwie so eine Art von Re-Arrangement eines Kunstwerkes, dann doch jetzt irgendwie eine Collage oder so was, was ganz Neues. Aber schon so eine, wie ich finde, wertige Neuedition eines Albums. Und das ergibt schon Sinn. Spannend finde ich auch, zum Beispiel jetzt bei den Beach Boys oder bei den Beatles, wie ein Stück im Werden gezeigt wird, zum Beispiel "Strawberry Fields Forever", das ist, glaube ich, in acht Versionen drauf. Man hört sozusagen von der ersten Version bis zur siebten, wie dieses Stück von so einem normalen John Lennon-Ding sich in dieses irre Psych-Pop-Stück gewandelt hat. Und das nachzuverfolgen ist schon so ein bisschen, ja, wie ein Making-of im Prinzip, das finde ich schon sehr spannend, weil man einfach mal so ein bisschen was darüber erfährt, wie diese Musik entstanden ist.
    "Nur für die ganz großen Fans gedacht"
    Ziehn: Aber es bleibt, diese Platten sind in der Regel ziemlich teuer, die Beatles Platte, die geht, glaube ich, die liegt bei 25 Euro für eine Doppel-LP. Diese U2-Box, schon mehrfach angesprochen, kostet so zwischen 120 und 150 Euro. Wird einem da nicht so ein bisschen Angst und Bange manchmal, dass die Leute irgendwann auch mal sagen, jetzt reicht es uns mit der Geldmacherei?
    Boße: Ja, im Fußball kosten jetzt die ersten Spieler über 200 Millionen Euro, es ist natürlich immer, das Ende ist halt ziemlich offen. Das U2-Ding ist halt schon sehr schön, sieht prächtig aus, es hat einen tollen Bildband mit dabei, es ist wirklich hochwertig gemacht. Und man merkt schon, dass das irgendwie jetzt kein Nepp ist, also die sagen jetzt nicht einfach so, hier, sieben Platten, nimm das mal und zahl dafür Geld für, die geben schon was dafür. Die Musik ist die Gleiche, also sprich, wer U2 nicht wirklich mag, der wird damit nicht glücklich werden. Es ist natürlich auch jetzt kein Produkt für die ganz große Masse, eher für die wirklichen Fans.
    Und wenn ich jetzt in diesem Sommer sage, ich gehe auf das Konzert, das kostete ja auch 150 Euro glaube ich, die Karten teilweise und habe dann noch diese Box zuhause, gebe also für meine Lieblingsband im Sommer 300 Euro aus, ist das zwar eine Menge Geld, wenn man dann aber auf der anderen Seite irgendwie auf einen Urlaub verzichtet oder so was, damit irgendwie einsparbar. Es ist halt für große Fans gedacht und ich glaube, dass sich die Leute darüber aufregen, sind eher die Leute, die U2 eh nicht so richtig mögen, würden natürlich sagen, ja aber ist doch irgendwie dann Quatsch, dass so zu machen. Aber wer sich auch im Auto mal eben für 500 Euro mal irgendwie eine Rückenverstärkung einbauen lässt oder irgendwelche anderen Apple Gadgets sich mal eben für viel Geld kauft, der sollte irgendwie dann auch im Glashaus sitzend nicht mit Steinen werfen.
    Ziehn: Haben Sie gerade so eine Lieblings-Wiederveröffentlichung?
    Boße: Ich kriege ja, Gott sei Dank - ist natürlich ganz toll - einiges nach Hause geschickt zum Rezensieren. Vor kurzem kam ein Paket mit acht Platten drin, rund um das ABBA-Universum, sprich, die ABBA Platten waren mit dabei, aber die Soloalben von Frida und von Agnetha aus den 80ern, die alle ganz furchtbar sind, die auch auf hochwertigem Vinyl nicht gut klingen, weil sie einfach in diesem 80er-Jahre-Sound absaufen. Aber auch ein Album von Björn Ulvaeus und Benny Andersson bevor sie ABBA gegründet haben, also da waren sie noch so ein Folk-Pop Duo. "Lycka" heißt das Album, das habe ich noch nie vorher gehört und das ist wirklich toll. Weil da merkt man so ein bisschen, dass die beiden so aus der schwedischen Folklore kommend in Richtung großen Pop schielen. Und da sind tolle Songs drauf, die ich wirklich sehr gerne entdeckt habe.
    Ziehn: André Boße ist heute zu Gast im Corsogespräch. Er ist Autor bei dem Vinylmagazin Mint. Herr Boße, Hand auf's Herz aus schwarzem Plastik: Es heißt immer, Vinyl klingt wärmer als Musik aus digitalen Quellen. Was meinen Sie?
    Boße: Ja das stimmt natürlich generell erst mal schon. Wenn ich von einem guten Plattenspieler und mit guten Boxen mir ein gut gepresstes Vinyl anhöre, ist der Klang in Sachen Wärme, was immer auch Wärme eigentlich ist, aber in Sachen - ich finde immer so ein bisschen, es klingt einfach näher. Also das Schlagzeug, finde ich, klingt digital perfekt im Raum stehend und es klingt analog auf Platte irgendwie mir näher stehend. Es ist zwar schwer zu verstehen, aber es empfinde ich halt so, und da ist schon was dran. Andererseits ist es natürlich schon so, dass jemand, der halt zuhause einen 4.000 Euro Plattenspieler stehen hat und auch durch die Boxen natürlich auch möchte, dass die Platten besser klingen, weil er ja auch viel Geld dafür bezahlt hat. Also, dass man generell sagt, Streaming hört sich immer ganz furchtbar an und CDs immer ganz kalt und LPs immer besser, das stimmt wiederrum auch nicht.
    "Bei Platten gibt es gute und schlechte Chargen"
    Ziehn: Das Mint Magazin, das ist eben ein reines Vinyl Magazin, die 14. Ausgabe ist gerade erschienen. Was für Storys rund um's Vinyl werden da abgebildet?
    Boße: Es gibt so zwei Standbeine. Einmal Geschichten über Vinylliebhaber, sprich über Plattensammler, vor kurzem war die Geschichte drin von einem Typen aus Amerika namens Jeff Ogiba, der in Platten, die er Secondhand kauft, Dinge findet, Einkaufszettel, Liebesbriefe, Streichholzpapiere. Alles, was man so halt findet in so alten Platten. Und das hat irgendwie so eine Art von Museumssaustell, also, wie diese Geschichten rund um das Vinyl, die einfach sehr spannend sind, Plattenlädenreports aus Hamburg oder aus Japan, sprich die Geschichten um die Schallplatte. Dazu dann auch sehr viele Geschichten über die Technik, das heißt, jetzt aktuell in der 14. Ausgabe gibt es einen großen Report, wie man mit Vinyl umgeht, sprich, was sollte man tun, was sollte man nicht tun, welche Vinyl-Waschanlagen sind empfehlenswert, welche nicht. Also ein bisschen dieser Technikteil, das ist so eine Mischung aus Hobbythek und Musikmagazin, das trifft aber ganz gut die Leserschaft. Das sind eben Leute, die nicht nur Musik hören, sondern sich auch dafür interessieren, wie halt Vinyl dann sozusagen im besten Fall abgespielt wird.
    Beim Durchforsten alter Plattensammlungen hat der amerikanische Schallplattenhändler Jeff Ogiba Dokumente gesammelt, die in Plattenhüllen vergessen wurden.
    Beim Durchforsten alter Plattensammlungen hat der amerikanische Schallplattenhändler Jeff Ogiba Dokumente gesammelt, die in Plattenhüllen vergessen wurden. (Deutschlandradio / Sonja Beeker)
    Ziehn: Sie kriegen da auch immer viele Leserbriefe, die werden auch abgedruckt, das sind dann, glaube ich, zwei oder drei Seiten immerhin. Gibt es da viele Leserbriefe, die auch so ein bisschen meckern oder sich freuen, jetzt gerade über so bestimmte Wiederveröffentlichungen?
    Boße: Das kommt schon vor. Es gab vor kurzem die Peter Gabriel Re-Issues, also "So" und "Up" wurden wiederveröffentlicht. Ich hatte Exemplare bekommen und meine klangen völlig in Ordnung, die klangen wirklich toll. Ein Leser hat welche bekommen, die anscheinend nicht gut langen. Die waren nicht gut gepresst, sprich, wenn ich also bei einer CD - ist das Album mal gut und mal wieder nicht gut - man kann genau wissen, es ist immer gleich, CDs klingen immer gleich. Bei Platten gibt es dann halt mal Chargen, die sind gut, dann mal Chargen, die sind nicht so gut. Und dann kommt es, dass man mal so sagt, ja, Sie haben doch gesagt, das klingt hervorragend, aber klang doch irgendwie war nicht gut, weil es doch gezerrt hat. Dann muss man sich damit auseinandersetzen und sagen, okay, es gibt verschiedene Chargen und verschiedene Qualitätsstufen.
    Generell glaube ich, gibt es aber kaum welche, die sagen, dass alles eh Mumpitz ist, dass so viel veröffentlicht wird, weil das sind natürlich alles Vinylfreaks, die das lesen in den meisten Fällen, deswegen natürlich erst mal Pro Platte eingestellt.
    "Wenn jetzt Hendrix noch mitspielt, will man den halt auch haben"
    Ziehn: Es gibt da ja auch immer so ein paar Mythen, mit denen die Industrie dann wirbt, zum Beispiel, dass die Platte auf 180 Gramm schweren Vinyl gepresst ist. Macht das eigentlich wirklich irgendwas aus?
    Boße: Ja, das Auge hört nicht mit, aber die Hände hören auch mit, sprich, wenn ich eine Platte auflege und dann hab ich ja was in der Hand, was sich schwer anfühlt und ich lege es ja auf meinen Plattenteller, ist der Gedanke so ein bisschen da, aha, da ist eine Wertigkeit da, die etwas höher ist. Also es ist so ein bisschen so ein Mythos. Es gibt Platten aus den 80ern, als Platten echt noch so das Medium waren, die sind unfassbar dünn. Da habe ich ein paar zuhause, das ist echt, da kann man wirklich durchgucken, das ist wie Hostien in der Kirche ist das. Das kann nicht funktionieren. Es muss nicht immer alles ganz, ganz schwer sein, weil auch 150 Gramm genauso gut klingt. Es gibt die Theorie, dass farbiges Vinyl etwas nachlässt, dass das dadurch einfach nicht so gut ist, weil das schwarze Vinyl sozusagen die reine Lehre ist. Das sind dann für viele Fans sicherlich wichtige Nuancen, aber die allermeisten werden es sicherlich nicht hören.
    Ziehn: Ich glaube, es gibt auch Leute, die sagen, Plattenspieler muss auf einer karierten Decke stehen, dann klingt er besser, als wenn er auf einer gepunkteten steht. Jetzt aber bitte mal in die Kristallkugel gucken: Nächstes Jahr haben Alben wie "Electric Ladyland" von Jimmy Hendrix, "Baggers Banquet" von den Rolling Stones oder "The Beatles" von The Beatles 50. Geburtstag. Was erwartet uns da? Was meinen Sie?
    Boße: Diverse Box-Sets mit diversen, guten Überraschungen und diversen Dingen, wo man sagt so, ach, das braucht man gar nicht. Der Markt wird, glaube ich, noch weiter gehen, weil ich glaube, dass ist auch so ein bisschen das Sammlerding. Also wenn ich jetzt einmal anfange, mir "Sgt. Pepper's" von den Beatles als Vinylboy zu holen und nächstes Jahr kommt das weiße Album raus, dann will ich es auch haben. Das sind alles Sammlertypen halt in vielen Fällen und wenn jetzt Hendrix auch noch anfängt, da mitzuspielen, der bislang noch nicht so ein Boxenthema war, will man den halt auch noch haben. Und es ist schon so ein bisschen so, so ein Sammlergen wird halt angestoßen.
    Und trotzdem, irgendwann ist dann auch mal das Pensum erreicht, sprich, irgendwann ist der Markt auch mal dicht, was dann kommt, muss man abwarten. Aber ich glaube, erst mal gibt es noch einen Markt. Was so ein bisschen schwierig ist, finde ich, ist dieser Half-Mastering Trend, also jetzt noch mal Vinyl rauszubringen mit der Half-Mastering Technik, also dass im Prinzip das Masterband nur halb so schnell abgespielt wird, weswegen dann halt sozusagen mehr Sorgfalt in die Rille gepresst wird. Auch das hört das audiophile Ohr sicherlich, dass es noch besser klingt, allerdings kosten dann die Alben, also ohne irgendwelche Extras, schon mal 50 Euro. Und dann wird es halt auch grotesk teuer, weil ich glaube, dann irgendwann einfach dann auch dann selbst der audiophile Hörer denkt, jetzt reicht es auch mal.
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